Urteil vom Landessozialgericht für das Saarland - S 23 KR 226/16
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 22.10.15 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.03.16 verurteilt, der Klägerin das über dem Festbetrag für die diesbezügliche Medikamentengruppe liegende Medikament Atacand zu gewähren.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Medikaments über dem Festbetrag.
Die 1960 geborene Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, beantragte mittels einer Verordnung der Internistin Dr. I. We./ Sa. vom 06.10.2015 und einem Arzneimittelbeleg vom selben Tag die Gewährung des Medikaments Atacand. Dieses Medikament liegt preislich über dem Festbetrag für Medikamente mit dem Wirkstoff Sartan.
Mit Bescheid vom 22.10.2015 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, der Gemeinsame Bundesausschuss habe in den Arzneimittel-Richtlinien festgelegt, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden könnten. Das begehrte Arzneimittel falle unter diese Festbetragsregelung, weshalb die Beklagte die Mehrkosten nicht übernehmen könne.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 17.11.2015 mit der Begründung Widerspruch, ein Apotheker habe ihr bestätigt, dass es bei Arzneimitteln mit fast identischen Inhaltsstoffen dennoch zu Abweichungen kommen könne, die Unverträglichkeiten hervorrufen könnten. Sie könne es sich finanziell nicht leisten, jedes Mal einen Mehrkostenbetrag von 50,- Euro zu zahlen. Es sei ihr auch unzumutbar, mit erheblichen Einschränkungen wie Haarausfall, Knochenschmerzen und Schwindel zu leben. Des Weiteren reichte die Klägerin noch ein Attest der behandelnden Ärztin vom 21.12.2015 zu den Akten der Beklagten.
Der von der Beklagten nunmehr eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) hielt in seinem Gutachten vom 12.01.2016 fest, es sei aus der übermittelten Arzneimittelverordnungs-Übersicht erkenntlich, dass nicht alle zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel mit diesem Wirkstoff über einen relevanten Zeitraum hinweg angewendet worden seien. Wegen der mangelnden Austestung könne nicht festgestellt werden, dass ein sogenannter atypischer Einzelfall vorliege.
Nach einer Anhörung mit Schreiben der Beklagten vom 29.02.2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2016 zurück. Zur Begründung bezog sie sich auf die medizinische Ansicht des MDK und führte u.a. weiter aus, als Festbetragsalternativen stünden u. a. noch mit Eprosartan, Irbesartan, Losartan, Telmisartan, Valsartan sowie Candesartan Generika von zahlreichen Herstellern ohne Mehrkosten zur Verfügung. Ein atypischer Einzelfall liege nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn alle zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel objektiv festgestellte unerwünschte Nebenwirkungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verursachten. Dies sei bei der Klägerin nicht festzustellen.
Am 19.04.2016 hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung wiederholt sie ihren bisherigen Vortrag und behauptet weiter, es sei ihr wegen einer Medikamentenunverträglichkeit nicht möglich, weitere Medikamente zu testen.
Die Klägerin trägt weiter vor, sie leide auch an Panikattacken, weshalb sie sich seit mehreren Jahren in psychologischer Behandlung befinde. Bei einer Umstellung der Medikation träten auch diese Panikattacken wieder verstärkt auf.
Zur weiteren Begründung hat die Klägerin noch ein Attest der behandelnden Ärztin vom 12.04.2016 zu den Gerichtsakten gereicht (Blatt 12 der Akten).
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2016 zu verurteilen, der Klägerin das über dem Festbetrag für die diesbezügliche Medikamentengruppe liegende Medikament Atacand zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß Beweisanordnung vom 28.07.2016 durch Einholung eines Gutachtens bei dem Sachverständigen Dr. P. Ku. zu der Frage:
„Ist beim Krankheitsbild der Klägerin (welches ist dies im Einzelnen) die Umstellung des verordneten Medikamentes „Atacand“ auf ein Festbetragsmedikament für die Klägerin nicht möglich bzw. aus medizinischen oder sonstigen (welchen) Gründen unzumutbar?“
Wegen des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf das zu den Gerichtsakten gereichte Gutachten des Sachverständigen vom 28.10.2016 verwiesen (Blatt 24 bis 43 der Akten).
Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die Beklagte hat daraufhin noch vorgetragen, die vom Sachverständigen festgestellte Angstsymptomatik der Klägerin könne nicht zu einer Übernahme der Mehrkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung führen.
Auf Verfügungen der Kammer vom 08.03.2017 bzw. 26.04.2017 hat die Klägerin mitgeteilt, ihre behandelnde Ärztin habe ihr zur weiteren Austestung das Medikament Losar Tera 100 mg verordnet, welches sie auch eingenommen habe. Nach kurzer Zeit habe sie verstärkt Panikattacken bekommen, die sie schon lange nicht mehr gehabt habe. Hinzu seien Herzrhythmusstörungen, Muskelschmerzen, Knochenschmerzen und Hautausschlag mit sehr starkem Juckreiz, der mit Cortison habe behandelt werden müssen, gekommen. Daraufhin sei sie wieder zu dem Medikament Atacand gewechselt, woraufhin die Nebenwirkungen langsam abgeklungen seien. Die Klägerin sei deshalb nicht bereit, weiterhin irgendwelche Medikamente zu testen und ihre Zustandsverschlechterung in Kauf zu nehmen.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verwaltungsunterlagen der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Am 12.12.2017 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Wegen des Ergebnisses wird auf das diesbezügliche Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist insgesamt zulässig.
Die als kombinierte Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG statthafte Klage (vgl. BSG, Urteil vom 03.07.2012, B 1 KR 22/11 R) ist zulässig, da die Klägerin vorliegend für sich selbst einen atypischen Einzelfall geltend macht, in dem sie trotz genereller Achtung der allgemeinen gesetzlichen Vorgaben für Festbeträge ausnahmsweise die Versorgung mit dem konkreten Arzneimittel zur vollen Kostenlast der Beklagten begehrt.
Sie ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 22.10.2015, der in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2016 Gegenstand des Rechtsstreits ist, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung des Medikamentes „Atacand“ über den für die Gruppe der Sartane festgesetzten Festbetrag hinaus gemäß §§ 11 Abs. 1 Ziffer 4, 12 Abs. 1 und 2, 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Ziffer 3, 31 SGB V.
Rechtsgrundlage des Anspruchs gegen die Beklagte ist zunächst § 27 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 3, 31 SGB V. Versicherte erhalten grundsätzlich die krankheitsbedingt notwendigen, nicht der Eigenverantwortung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V) zugeordneten Arzneimittel (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund vertragsärztlicher Verordnung. Ist für ein Arzneimittel wirksam ein Festbetrag festgesetzt, trägt die Krankenkasse grundsätzlich die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags, § 31 Abs. 2 Satz 1 bis 5 SGBV, mit Ausnahme der Zuzahlung, § 31 Abs. 3 SGB V. Für andere Arznei- oder Verbandmittel trägt die Krankenkasse dagegen regelmäßig die vollen Kosten abzüglich der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung (§ 31 Abs.2 Satz 1 2. Halbsatz SGB V).
Ist für eine Leistung wirksam ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten regelmäßig mit dem Festbetrag (vgl. BSG, a.a.O.).
Vorliegend ist jedoch ein atypischer Einzelfall gegeben.
In einem solchen Fall ist – trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen – aufgrund der ungewöhnlichen Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich. Dann greift die Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag nicht ein.
Aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse ist keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag mehr möglich, wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit erreichen. Die Beurteilung der Verursachung richtet sich nach der im Sozialrecht maßgeblich Theorie der wesentlichen Bedingungen. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen muss in Gerichtsverfahren grundsätzlich zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Lediglich für die zu prüfenden Kausalzusammenhänge genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, a.a.O.).
Die Klägerin hat bislang zwei Medikamente aus der Gruppe der Sartane zum Festbetragspreis getestet; wobei sich beide Male erhebliche Nebenwirkungen mit Krankheitswert einstellten (1).
Diese Nebenwirkungen sind auch im Wesentlichen auf die Einnahme der Festbetragssartane zurückzuführen gewesen (2).
Letztlich sind weitere Austestungen der Klägerin aufgrund ihrer sonstigen Erkrankungen im Zusammenspiel mit den aufgetretenen Nebenwirkungen nicht mehr zumutbar (3).
Im Einzelnen:
1. Dass die Klägerin ein Medikament aus der Gruppe der Sartane auf Dauer benötigt, ist ebenso unstreitig wie die Tatsache, dass bei den Versuchen, die Medikation vom begehrten Medikament „Atacand“ auf Festbetragssartane umzustellen, erhebliche Nebenwirkungen aufgetreten sind. Dies wird letztendlich auch im Gutachten des Sachverständigen Dr. Ku. bestätigt (siehe Seite 12, 13 des Gutachtens vom 28.10.2016).
Diese Nebenwirkungen wie Haarausfall, Knochenschmerzen, Gelenkschmerzen, Übelkeit, Schwindel sowie zunehmendes Herzrasen und – Stolpern haben auch für sich genommen ohne jeden vernünftigen Zweifel Krankheitswert.
2. Dass diese genannten Nebenwirkungen auf die Einnahme der beiden Festbetragssartane wesentlich zurückzuführen sind, steht für die Kammer fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Ku..
Dieser führt zwar aus, dass diese Nebenwirkungen unspezifisch seien und sowohl im Beipackzettel für das Originalpräparat als auch im Beipackzettel der Generika genannt werden würden (siehe Seite 13 des Gutachtens vom 28.10.2016).
Jedenfalls aber sind sie damit auf die Gabe der Sartane zum Festbetrag zurückzuführen, wobei sie bei der Einnahme des begehrten Medikaments nicht auftraten.
Soweit der Sachverständige und sich ihm anschließend die Beklagte für das Auftreten der Nebenwirkungen eine psychogene Komponente (mit Bindestrich) verantwortlich machen, so kann das nicht zur Änderung führen.
Zum einen sind die Nebenwirkungen im jeweiligen Beipackzettel benannt und beruhen somit zur Überzeugung der Kammer nicht auf der Einbildung oder den psychischen Beeinflussungen der Klägerin.
Zum anderen ist die Klägerin wegen ihrer psychischen Beeinträchtigungen in ärztlicher Behandlung und hat schon eine diesbezügliche Therapie durchlaufen, ohne dass sich an der Situation der auftretenden Nebenwirkungen etwas geändert hätte.
Auch der Sachverständige Dr. Ku. schließt letztendlich eine Kausalität der Festbetragssartane zu den Nebenwirkungen nicht aus (siehe Seite 15 des Gutachtens vom 28.10.2016).
3. Weitere Austestungen sind der Klägerin nach Auffassung der Kammer auch nicht mehr zumutbar.
Zwar sieht der Sachverständige Dr. Ku. noch therapeutische Alternativen, bei denen schwerwiegende Nebenwirkungen nicht zu erwarten wären (siehe Seite 13 des Gutachtens vom 28.010.2016).
Dem vermag die Kammer sich im Hinblick auf das Lebensalter der Klägerin, vor Allem aber unter Beachtung der sonstigen Erkrankungen der Klägerin nicht anzuschließen.
Der Sachverständige Dr. Ku. hat folgende Diagnosen feststellen können:
„1. Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie mit Zustand nach septaler Myektomie 12/2013
2. Bekanntes paroxysmales Vorhofflimmern mit CHA2DS2-VASc-Score5, Zustand nach mehrfacher Ablation zuletzt Zustand nach intraoperativer Pulmonalvenenisolation 12/2013
3. Z.n. ICD-Implantation2014 wegen symptomatischer VT`s
4. Zustand nach TIA mit Parese links 12/2013 ohne Residuen
7. Zustand nach OP eines supraglottischen Larynxcarcinoms rechts 4/2012
8. Hashimotothyreoiditis mit aktuell euthyreoter Stoffwechsellage“(siehe Seite 14 des Gutachtens vom 28.10.2016).
Unter weiterer Berücksichtigung, dass die Beklagte der Klägerin zumindest noch sechs Generika zur Testung vorgeschlagen hat, und solche Testungen auch über einen medizinisch relevanten Zeitraum erfolgen müssten, wäre die Gesundheit der Klägerin nach Auffassung der Kammer für einen über Monate bzw. Jahre andauernden Zeitraum ggfs. erheblichen Nebenwirkungen ausgesetzt.
Dies im Zusammenspiel mit den oben genannten Diagnose, die eine schwerkranke Patientin darstellen, lässt es aber nicht zu, von der Klägerin die Austestung aller möglichen Sartane als Generika zu fordern.
Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 193 SGG stattzugeben.
Gründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist insgesamt zulässig.
Die als kombinierte Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG statthafte Klage (vgl. BSG, Urteil vom 03.07.2012, B 1 KR 22/11 R) ist zulässig, da die Klägerin vorliegend für sich selbst einen atypischen Einzelfall geltend macht, in dem sie trotz genereller Achtung der allgemeinen gesetzlichen Vorgaben für Festbeträge ausnahmsweise die Versorgung mit dem konkreten Arzneimittel zur vollen Kostenlast der Beklagten begehrt.
Sie ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 22.10.2015, der in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2016 Gegenstand des Rechtsstreits ist, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung des Medikamentes „Atacand“ über den für die Gruppe der Sartane festgesetzten Festbetrag hinaus gemäß §§ 11 Abs. 1 Ziffer 4, 12 Abs. 1 und 2, 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Ziffer 3, 31 SGB V.
Rechtsgrundlage des Anspruchs gegen die Beklagte ist zunächst § 27 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 3, 31 SGB V. Versicherte erhalten grundsätzlich die krankheitsbedingt notwendigen, nicht der Eigenverantwortung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V) zugeordneten Arzneimittel (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund vertragsärztlicher Verordnung. Ist für ein Arzneimittel wirksam ein Festbetrag festgesetzt, trägt die Krankenkasse grundsätzlich die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags, § 31 Abs. 2 Satz 1 bis 5 SGBV, mit Ausnahme der Zuzahlung, § 31 Abs. 3 SGB V. Für andere Arznei- oder Verbandmittel trägt die Krankenkasse dagegen regelmäßig die vollen Kosten abzüglich der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung (§ 31 Abs.2 Satz 1 2. Halbsatz SGB V).
Ist für eine Leistung wirksam ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten regelmäßig mit dem Festbetrag (vgl. BSG, a.a.O.).
Vorliegend ist jedoch ein atypischer Einzelfall gegeben.
In einem solchen Fall ist – trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen – aufgrund der ungewöhnlichen Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich. Dann greift die Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag nicht ein.
Aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse ist keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag mehr möglich, wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit erreichen. Die Beurteilung der Verursachung richtet sich nach der im Sozialrecht maßgeblich Theorie der wesentlichen Bedingungen. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen muss in Gerichtsverfahren grundsätzlich zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Lediglich für die zu prüfenden Kausalzusammenhänge genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, a.a.O.).
Die Klägerin hat bislang zwei Medikamente aus der Gruppe der Sartane zum Festbetragspreis getestet; wobei sich beide Male erhebliche Nebenwirkungen mit Krankheitswert einstellten (1).
Diese Nebenwirkungen sind auch im Wesentlichen auf die Einnahme der Festbetragssartane zurückzuführen gewesen (2).
Letztlich sind weitere Austestungen der Klägerin aufgrund ihrer sonstigen Erkrankungen im Zusammenspiel mit den aufgetretenen Nebenwirkungen nicht mehr zumutbar (3).
Im Einzelnen:
1. Dass die Klägerin ein Medikament aus der Gruppe der Sartane auf Dauer benötigt, ist ebenso unstreitig wie die Tatsache, dass bei den Versuchen, die Medikation vom begehrten Medikament „Atacand“ auf Festbetragssartane umzustellen, erhebliche Nebenwirkungen aufgetreten sind. Dies wird letztendlich auch im Gutachten des Sachverständigen Dr. Ku. bestätigt (siehe Seite 12, 13 des Gutachtens vom 28.10.2016).
Diese Nebenwirkungen wie Haarausfall, Knochenschmerzen, Gelenkschmerzen, Übelkeit, Schwindel sowie zunehmendes Herzrasen und – Stolpern haben auch für sich genommen ohne jeden vernünftigen Zweifel Krankheitswert.
2. Dass diese genannten Nebenwirkungen auf die Einnahme der beiden Festbetragssartane wesentlich zurückzuführen sind, steht für die Kammer fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Ku..
Dieser führt zwar aus, dass diese Nebenwirkungen unspezifisch seien und sowohl im Beipackzettel für das Originalpräparat als auch im Beipackzettel der Generika genannt werden würden (siehe Seite 13 des Gutachtens vom 28.10.2016).
Jedenfalls aber sind sie damit auf die Gabe der Sartane zum Festbetrag zurückzuführen, wobei sie bei der Einnahme des begehrten Medikaments nicht auftraten.
Soweit der Sachverständige und sich ihm anschließend die Beklagte für das Auftreten der Nebenwirkungen eine psychogene Komponente (mit Bindestrich) verantwortlich machen, so kann das nicht zur Änderung führen.
Zum einen sind die Nebenwirkungen im jeweiligen Beipackzettel benannt und beruhen somit zur Überzeugung der Kammer nicht auf der Einbildung oder den psychischen Beeinflussungen der Klägerin.
Zum anderen ist die Klägerin wegen ihrer psychischen Beeinträchtigungen in ärztlicher Behandlung und hat schon eine diesbezügliche Therapie durchlaufen, ohne dass sich an der Situation der auftretenden Nebenwirkungen etwas geändert hätte.
Auch der Sachverständige Dr. Ku. schließt letztendlich eine Kausalität der Festbetragssartane zu den Nebenwirkungen nicht aus (siehe Seite 15 des Gutachtens vom 28.10.2016).
3. Weitere Austestungen sind der Klägerin nach Auffassung der Kammer auch nicht mehr zumutbar.
Zwar sieht der Sachverständige Dr. Ku. noch therapeutische Alternativen, bei denen schwerwiegende Nebenwirkungen nicht zu erwarten wären (siehe Seite 13 des Gutachtens vom 28.010.2016).
Dem vermag die Kammer sich im Hinblick auf das Lebensalter der Klägerin, vor Allem aber unter Beachtung der sonstigen Erkrankungen der Klägerin nicht anzuschließen.
Der Sachverständige Dr. Ku. hat folgende Diagnosen feststellen können:
„1. Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie mit Zustand nach septaler Myektomie 12/2013
2. Bekanntes paroxysmales Vorhofflimmern mit CHA2DS2-VASc-Score5, Zustand nach mehrfacher Ablation zuletzt Zustand nach intraoperativer Pulmonalvenenisolation 12/2013
3. Z.n. ICD-Implantation2014 wegen symptomatischer VT`s
4. Zustand nach TIA mit Parese links 12/2013 ohne Residuen
7. Zustand nach OP eines supraglottischen Larynxcarcinoms rechts 4/2012
8. Hashimotothyreoiditis mit aktuell euthyreoter Stoffwechsellage“(siehe Seite 14 des Gutachtens vom 28.10.2016).
Unter weiterer Berücksichtigung, dass die Beklagte der Klägerin zumindest noch sechs Generika zur Testung vorgeschlagen hat, und solche Testungen auch über einen medizinisch relevanten Zeitraum erfolgen müssten, wäre die Gesundheit der Klägerin nach Auffassung der Kammer für einen über Monate bzw. Jahre andauernden Zeitraum ggfs. erheblichen Nebenwirkungen ausgesetzt.
Dies im Zusammenspiel mit den oben genannten Diagnose, die eine schwerkranke Patientin darstellen, lässt es aber nicht zu, von der Klägerin die Austestung aller möglichen Sartane als Generika zu fordern.
Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 193 SGG stattzugeben.