Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (4. Senat) - L 4 AS 603/14

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Oktober 2014 wird geändert und der Beklagte verpflichtet, den Antrag der Kläger vom 12. September 2011 auf Übernahme der Kosten zur Beseitigung der Hagelschäden vom 11. September 2011 zu bescheiden.

Der Beklagte hat den Klägern 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); es geht um Zuschussleistungen für die Kosten der Beseitigung von Unwetterschäden am Einfamilienhaus der Kläger.

2

Der 1955 geborene Kläger und die 1959 geborene Klägerin sind miteinander verheiratet und beziehen seit mehreren Jahren als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft von dem Beklagten SGB II-Leistungen. Sie bewohnen ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von 97 m² in Z ...

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Mit Bescheid vom 14. Juni 2011 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2011 monatliche Gesamtleistungen von 777,88 EUR. Neben der Regelleistung (je 328 EUR) berücksichtige er Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) von monatlich insgesamt 121,88 EUR (60,94 EUR pro Person).

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Am 23. Juni 2011 beantragten die Kläger die Finanzierung von Erhaltungsaufwendungen am Eigenheim für einen Anstrich der Türen und Tore sowie eine Ausbesserung des straßenseitigen Haussockels und legten Kostenvoranschläge vor. Mit Bescheid vom 20. Juli 2011 bewilligte der Beklagte weitere KdU-Leistungen von 181,12 EUR sowie nach einem Antrag der Kläger auf Gewährung von Leistungen für einen zweiten Anstrich der Türen nochmals 100 EUR.

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Beim Hausbesuch anlässlich des Toranstrichs am 11. Juli 2011 stellte ein Mitarbeiter des Landkreises A., Amt für Hochbau, Tiefbau und Gebäudemanagement, fest, die im Sockelbereich und im Mauerwerk des Hauses aufgetretenen Feuchteschäden seien von einer nicht fachgerechten Isolierung des aufsteigenden Mauerwerks (horizontale und vertikale Sperren), einer nicht fachgerechte Ausführung der Verklinkerung, dem Einsatz minderwertiger Steine oder einer falschen Abdeckung des Sockels zum weiterführenden Mauerwerk verursacht. Zur Abhilfe sei eine grundhafte Instandsetzung erforderlich.

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Daraufhin beantragten die Kläger die Übernahme von Erhaltungsaufwendungen für die "Trockenlegung des Hofes", weil die unzureichende Entwässerung Ursache für die Auswaschungen im Sockelbereich der Außenfassade und die Feuchtigkeitsschäden im Mauerwerk sei.

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Mit Schreiben vom 29. August 2011 wies der Beklagte darauf hin, im Rahmen der KdU könnten auch Instandhaltungsarbeiten am selbst genutzten Eigenheim anerkannt werden, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie in den darauffolgenden 11 Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen seien. Darüber hinausgehende unabweisbare Aufwendungen könnten nur mittels Darlehensleistungen finanziert werden. Für den Zweipersonenhaushalt der Kläger seien eine Wohnfläche 60 m² und kalte Betriebskosten von 336 EUR monatlich angemessen. Bei den Betriebskosten der Kläger von monatlich 55,97 EUR ergebe sich ein möglicher Jahresbetrag von 3.360,36 EUR (12 x 280,03 EUR) für Instandhaltungsmaßnahmen, von dem die Kläger bereits 281,12 EUR in Anspruch genommen hätten. Nach Vorlage der Rechnung der beauftragten Firma für die Hofsanierung (4.832,67 EUR) gewährte der Beklagte am 10. Februar 2012 einen Zuschuss von 3.080 EUR und ein Darlehen über 1.581,31 EUR, das ab März 2012 in (158) monatlichen Raten in von 10 EUR zu tilgen sei.

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Am 11. September 2011 traten nach einem Unwetter am Eigenheim der Kläger Hagelschäden auf. Mit Schreiben vom 12. September 2011 beantragten sie beim Beklagten die Übernahme der Kosten für die Beseitigung der Hagelschäden. Ein am 13. September 2011 durchgeführter Hausbesuch ergab: Am Dach des Wohnhauses seien nur geringe Schäden zu verzeichnen. Die Lüftungshaube sei defekt, im Aufgangsbereich gebe es zwei weitere kleine Schäden und die Verdunklungen der vier Dachfenster seien verbeult. Die Fenster im Straßenbereich einschließlich der Rollos seien defekt. Am Nebengebäude sei die Dachentwässerung zum Nachbargrundstück stark beschädigt.

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Mit Schreiben vom 15. September 2011 forderte der Beklagte Kostenvoranschläge für die Reparatur der entstandenen Schäden und regte die Stellung eines Darlehensantrags an. Beides sei bis zum 23. September 2011 einzureichen.

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Der Beklagte sandte unter dem 20. September 2011 ein Schreiben an die Kläger:

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"Betreff: Erstinformation für Hartz IV-Empfänger

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Sehr geehrter Herr D.,

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das Unwetter am 11. September 2011 in Sachsen-Anhalt hat in weiten Teilen des Landes starke Verwüstungen und immense Schäden angerichtet.

14

Bezüglich der Auflistung der privaten Schäden wird ein Fragebogen zu Verfügung gestellt, der ausgefüllt bei den zuständigen Kommunen eingereicht werden kann.

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Weiterhin besteht für Sie die Möglichkeit der Beantragung eines Darlehens zur Begleichung der Kosten durch die entstandenen Unwetterschäden beim Jobcenter.

16

Die Gewährung des Darlehens erfolgt zur kurzfristigen Behebung Ihrer Notlage und liegt im Ermessen des Jobcenter ..., ein Rechtsanspruch auf die Ausreichung des Darlehens besteht nicht.

17

Ein Zuschuss durch das Jobcenter ist nicht möglich. Nach § 22 Abs. 2 SGB II ist zwar ein Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur geregelt. Dieser umfasst jedoch nur den Verschleiß des Wohneigentums, der durch bestimmungsgemäßen Gebrauch eintritt.

18

Hinweis: Eine angemessene Wohngebäudeversicherung wird im Rahmen der laufenden Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II vom Jobcenter übernommen.

19

Grundsätzlich übernimmt das Jobcenter § 22 Abs. 1 SGB II nur für eine Unterkunft die angemessenen Aufwendungen. Ist das Wohneigentum durch das Unwetter unbewohnbar geworden, kann für einen vorübergehenden Zeitraum bis zur Wiederherstellung der Bewohnbarkeit des Wohnhauses auch die Übernahme angemessener Mietkosten/Pensionskosten dem Grunde nach erfolgen. Auch dies bedarf einer Einzelfallprüfung durch die Jobcenter."

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Dem Schreiben beigefügt war ein Formular "Antrag auf Gewährung eines Darlehens", das bereits mit Namen und Adresse der Kläger sowie deren Kundennummer vorausgefüllt war. Dieses reichten die Kläger unter dem 22. September 2011 unterschrieben dem Beklagten zurück und baten unter dem 23. September 2011 um Fristverlängerung für die Vorlage der Kostenvoranschläge, da Handwerker und Baumärkte überlastet seien.

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Mit Bescheid vom 29. September 2011 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung eines Darlehens ab. Er führte aus, als KdU seien unabweisbare Aufwendungen für die Instandhaltung und Reparatur zu berücksichtigen, die aus dem bestimmungsgemäßen Gebrauch des Wohneigentums resultierten. Eine Beseitigung von Unwetterschäden sei nicht umfasst. Der Bescheid enthielt einen Hinweis auf das vom Land Sachsen-Anhalt am 27. September 2011 beschlossene Darlehensprogramm für die vom Unwetter Betroffenen und eine Liste von Beratungsstellen.

22

Am 27. Oktober 2011 legten die Kläger "Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 29.09.2011 auf Gewährung eines Darlehens zur Übernahme von Kosten zur Beseitigung der Unwetterschäden vom 11.09.2011" ein. Sie führten aus, nach dem Beschluss der Landesregierung vom 27. September 2011 sei der Beklagte für die Schadensregulierung zuständig.

23

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2012 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

24

Am 8. März 2012 haben die Kläger Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) "wegen Darlehensgewährung Unwetterschäden" erhoben und zunächst die Gewährung eines Darlehens geltend gemacht. In der Begründung vom 3. August 2012 haben sie ausgeführt, dass sie "eigentlich" einen Zuschuss begehrten. Ein Darlehen hätten sie bereits von der Investitionsbank S. erhalten. Hilfsweise werde die Bescheidung des Antrags auf Zuschussleistungen vom 12. September 2011 begehrt. Der Beklagte habe nach mehr als sechs Monaten noch nicht entschieden.

25

Am 28. Februar 2018 haben die Kläger beim Beklagten die Übernahme der monatlichen Darlehenszinsen (13,12 EUR) im Rahmen der KdU geltend gemacht. Nach den beigefügten Belegen fielen für das Darlehen der Investitionsbank S. über 14,583,33 EUR 1,08% Zinsen an. Das im ersten Jahr tilgungsfreie Darlehen war in (229) monatlichen Raten von 70,73 EUR zurückzuzahlen. Mit Änderungsbescheid vom 23. März 2012 berücksichtigte der Beklagte ab März 2012 bei den KdU zusätzlich die Darlehenszinsen.

26

Im Erörterungstermin des SG vom 12. September 2013 haben die Kläger ausgeführt, den Darlehensantrag hätten sie auf Aufforderung des Beklagten gestellt. Trotz des Schreibens des Beklagten vom 20. September 2011 seien sie davon ausgegangen, dass weiterhin geprüft werde, ob und in welchen Umfang eine Übernahme der Reparaturkosten als Zuschuss erfolgen könne. Der Beklagte hat klargestellt, dass er mit dem streitigen Bescheid vom 29. September 2011 nicht über Zuschussleistungen entschieden habe. Da er die Schuldzinsen für das Darlehen der Investitionsbank S. im Rahmen der KdU voll übernehme, stünden die Kläger nicht schlechter als mit einem Darlehen des Beklagten. Daraufhin haben die Kläger erklärt, es gehe ihnen nicht (mehr) um die Gewährung eines Darlehens. Es komme jedoch zumindest eine anteilige Zuschussleistung in Betracht, über die der Beklagte noch entscheiden müsse.

27

Mit Urteil vom 29. Oktober 2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, den Klägern fehle insgesamt das Rechtschutzbedürfnis. Denn aufgrund der Gewährung des Darlehens durch die Investitionsbank S. bestehe für die Durchsetzung einer Darlehensleistung vom Beklagten kein Rechtsschutzinteresse mehr. Die Untätigkeitsklage auf Erlass eines Bescheids zum Zuschussantrag sei unzulässig, weil der Beklagte mit Bescheid vom 20. September 2011 über diesen Antrag entschieden habe. Das Schreiben vom 20. September 2011 sei ein Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), denn es handle sich um die Regelung des Einzelfalls der Kläger. Das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung sei unerheblich. Der Bescheid vom 20. September 2011 sei bestandskräftig geworden, weil die Kläger keinen Widerspruch eingelegt hätten. Der Klageschriftsatz könne nicht als Widerspruch gegen den Bescheid ausgelegt werden. Die Ankündigung des Klageantrags im Schriftsatz vom 5. März 2013 sei erst nach Ablauf von mehr als einem Jahr erfolgt.

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Gegen das ihnen am 10. November 2014 zugestellte Urteil haben die Kläger am 4. Dezember 2014 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das Schreiben vom 20. September 2011 sei kein Bescheid, sondern eine allgemeine "Erstinformation für Hartz-IV-Empfänger", die vorsorglich an alle Eigenheimbesitzer im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gesandt worden sei.

29

Auf Nachfrage der Berichterstatterin hat der Beklagte bestätigt, das Schreiben vom 20. September 2011 sei als allgemeine Information an die Hauseigentümer und daher auch an die Kläger gesandt worden. Da die Kläger als Reaktion auf das Schreiben vom 15. September 2011 einen Darlehensantrag gestellt hätten, sei er davon ausgegangen, dass dies ihr einziges Begehren sei. Im Erörterungstermin am 13. Dezember 2016 haben die Kläger erklärt, sie hätten im Zeitpunkt des Unwetters keine Wohngebäudeversicherung gehabt und daher keine Versicherungsleistungen erhalten. Im Termin haben sie die Berufung in Ansehung des Darlehnsantrags zurückgenommen.

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Die Kläger beantragen,

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das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Oktober 2014 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Antrag der Kläger vom 12. September 2011 auf Übernahme der Kosten zur Beseitigung der Hagelschäden vom 11. September 2011 zu bescheiden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

34

Nach dem Erörterungstermin hat der Beklagte eine vergleichsweise Einigung durch Zahlung weiterer KdU-Zuschussleistungen von 513,29 EUR angeboten. Für den Fall, dass ein Vergleich nicht zustande komme, hat er auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Kläger haben unter dem 12. April 2017 den Vergleichsvorschlag abgelehnt und ebenfalls auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe

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Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 in Verbindung mit § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

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Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist sie form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG erhoben worden sowie im Sinne von § 143 SGG statthaft. Die Berufung ist nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, denn der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 750 EUR. Mit der – allein noch streitgegenständlichen – Untätigkeitsklage verfolgen die Kläger wirtschaftlich das Begehren, SGB II-Zuschussleistungen für die Beseitigung der Sturmschäden an ihrem Einfamilienhaus zu erhalten. Für die Reparaturen haben sie ein Darlehen über 14.583,33 EUR von der Investitionsbank S. erhalten. Im Zweifel begehren sie einen Betrag in derselben Höhe als Zuschuss.

38

Streitgegenständlich ist – nach Teilrücknahme der Berufung im Hinblick auf die ursprünglich im Hauptantrag verfolgte Gewährung eines Darlehens im Erörterungstermin am 13. Dezember 2016 – allein die Verpflichtung des Beklagten zur Bescheidung des Antrags auf Zuschussleistungen im Wege der Untätigkeitsklage.

39

Die Berufung ist begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage in Bezug auf die hilfsweise geltend gemachte Verpflichtung des Beklagten zur Bescheidung ihres Antrags vom 12. September 2011 auf Zuschussleistungen abgewiesen.

40

Soweit die Kläger im Wege der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG die Bescheidung ihres Antrags auf die Gewährung weiterer KdU-Leistungen zur Beseitigung der Unwetterschäden als Zuschussleistungen geltend machen, ist die Berufung begründet. Der Beklagte war zur Bescheidung des am 12. September 2011 gestellten Antrags zu verpflichten.

41

Die von den Klägern – spätestens im Erörterungstermin des SG am 12. September 2013 – erhobene Untätigkeitsklage ist zulässig. Eine Untätigkeitsklage ist gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässig, wenn

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ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts vorliegt,

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hierüber noch nicht entschieden worden ist und

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seit Stellung dieses Antrags sechs Monate verstrichen sind (sog. Sperrfrist).

45

Diese Voraussetzungen liegen vor, insbesondere fehlt es nicht an einem Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes. Die Kläger haben am 12. September 2011 einen Antrag auf Gewährung von Zuschussleistungen nach dem SGB II zur Beseitigung der Unwetterschäden an ihrem Einfamilienhaus gestellt. Diesen Antrag haben sie auch nicht zurückgenommen. Insbesondere stellt der Umstand, dass sie nach dem Hinweis bzw. der Aufforderung des Beklagten (im Schreiben vom 15. September 2011) einen Antrag auf Darlehensleistungen zur Beseitigung der Unwetterschäden gestellt haben, keine (konkludente) Rücknahme des ursprünglichen Antrags auf Zuschussleistungen dar. Eine Leistungsgewährung in Form eines rückzahlbaren Darlehens stellt ein aliud dar zu der im SGB II üblicherweise erfolgenden Leistungsgewährung mittels verlorenen Zuschusses. Der Rechtsgrund der Leistungsgewährung ist unterschiedlich. Eine Darlehensleistung soll nicht dauerhaft beim Leistungsberechtigten verbleiben, sondern stellt eine Art Überbrückungsleistung dar, ohne dass es zu einer dauerhaften Vermögensverschiebung kommt, weil der Leistungsberechtigte die erhaltenen Leistungen zurückzuzahlen hat. Aus Sicht des Leistungsberechtigten sind Zuschussleistungen, die ihm dauerhaft belassen werden, günstiger. Daher lässt die Gewährung eines Darlehens ein rechtlich schützenswertes Interesse des Leistungsberechtigten an Zuschussleistungen nicht entfallen. Dementsprechend konnte der Beklagte bei Eingehen des Darlehensantrags nicht von einer konkludenten Rücknahme des Antrags auf Zuschussleistungen ausgehen.

46

Über den Antrag auf Zuschussleistungen vom 12. September 2011 hat der Beklagte bislang noch nicht entschieden. Insbesondere stellt das Schreiben des Beklagten vom 20. September 2011 – entgegen der Auffassung des SG im angegriffenen Urteil – keinen Verwaltungsakt dar. Es fehlt an einer nach außen wirksamen rechtsverbindlichen Regelung eines Einzelfalls. Bereits nach seinem Titel "Erstinformation für Hartz IV-Empfänger" handelt es sich um ein allgemeines Informationsschreiben, das nach den Angaben des Beklagten nach dem Unwetter vom 11. September 2011 an alle leistungsberechtigten – und potentiell vom Unwetter betroffenen – Hauseigentümer im Landkreis A. versandt worden ist.

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Seinem Inhalt nach befasst es sich mit den von der Landesregierung in Aussicht gestellten Hilfsmaßnahmen, denkbaren Darlehen durch die Kommunen und dem SGB II-Leistungsträger. Es enthält den Hinweis, dass SGB II-Leistungen nachrangig sind gegenüber allen anderen Leistungen Dritter. Auf der zweiten Seite wird ausgeführt, dass eine Gewährung von Zuschüssen durch den Beklagten nach § 22 Abs. 2 SGB II nicht möglich sei, weil die gesetzliche Regelung nur Reparaturleistungen am Wohneigentum erfasse, die Folge des Verschleißes durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch erfasse. Schließlich wird auf mögliche SGB II-Leistungen für die Kosten einer Ersatzwohnung bzw. sonstige Übernachtungskosten bei Unbewohnbarkeit des Wohnhauses und für die Ersatzbeschaffung für unbrauchbar gewordene Einrichtungsgegenstände hingewiesen.

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Mithin bietet das Schreiben Informationen für verschiedene nach dem Unwetter eingetretene Bedarfslagen in Bezug auf die Unterkunft; eine Entscheidung über den konkreten Leistungsantrag der Kläger enthält es jedoch nicht. Auch die Ausführungen zu den Zuschussleistungen nach § 22 SGB II sind allgemeiner Art und lassen kein Eingehen auf den Einzelfall der Kläger erkennen. Es ist keine Entscheidung über den von den Klägern gestellten Antrag auf Zuschussleistungen erfolgt. Mangels Regelung eines Einzelfalls hat das Schreiben keine Verwaltungsaktqualität.

49

Der Antrag der Kläger vom 12. September 2011 wurde vom Beklagten bislang noch nicht beschieden. Die sog. Sperrfrist von sechs Monaten seit Stellung des Leistungsantrags ist verstrichen.

50

Die zulässige Untätigkeitsklage ist auch begründet. Eine Untätigkeitsklage ist gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGG jedenfalls dann begründet, wenn ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung nicht vorliegt. Auch diese Voraussetzung liegt vor. Denn einen sachlichen Grund für die Nichtbescheidung des Leistungsantrags hat der Beklagte nicht vorgetragen. Ein solcher Grund ist auch für den Senat nicht ersichtlich. Allein die (rechtsirrige) Auffassung des Beklagten, die Kläger hätten mit der Stellung des Darlehensantrags ihren Antrag auf Zuschussleistungen (konkludent) zurückgenommen, bzw. kein Interesse mehr an Zuschussleistungen, stellt keinen hinreichenden Grund für die Nichtbescheidung dar.

51

Der Beklagte war daher – nachdem die Kläger sein Vergleichsangebot abgelehnt haben – zur Bescheidung des gestellten Antrags zu verpflichten.

52

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt die unterschiedlichen Obsiegensanteile der Beteiligten in den Instanzen.

53

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG) liegen nicht vor.


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