Beschluss vom Oberlandesgericht Oldenburg (4. Senat für Familiensachen) - 13 UF 23/18

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nordhorn vom 31. Januar 2018 zurückzuweisen.

2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme oder Rücknahme des Rechtsmittels unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen.

Gründe

1

Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

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Eine mündliche Verhandlung hat bereits in erster Instanz stattgefunden. Weitere Erkenntnisse sind nicht zu erwarten.

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Durch hiermit vollinhaltlich in Bezug genommenen Beschluss vom 31. Januar 2018 hat das Amtsgericht den Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der am 04. August 2017 in H. …/Rumänien geschlossene Ehe des am 20. Juni 1995 geborenen Ehemannes. und der am 15. Dezember 2000 geborenen Ehefrau, beide rumänische Staatsangehörige, zurückgewiesen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Aufhebung der Ehe für die minderjährige Ehefrau eine schwere Härte darstellen würde, da ihr als EU-Bürgerin verbrieftes Recht auf Freizügigkeit verletzt würde. Auch rechtfertigten die Umstände, dass sie im Dezember 2018 volljährig werde, Mutter eines in Deutschland geborenen Kindes sei, sich in Deutschland eingelebt habe und die Eheschließung ohne Zwang erfolgt sei, ein Absehen von der Aufhebung der Ehe.

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Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner form- und fristgerecht eingegangenen und auch im Übrigen zulässigen Beschwerde, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Unter Hinweis auf § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) BGB trägt er vor, dass im vorliegenden Fall kein unter diese Vorschrift fallender Härtefall gegeben sei. Insbesondere erhebe das Amtsgericht mit seiner Begründung den gesetzgeberischen Ausnahmefall im Falle von freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern zur Regel. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf die Beschwerdeschrift vom 16. März 2018 Bezug genommen.

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Das Rechtsmittel ist unbegründet. Das Amtsgericht hat den Antrag auf Aufhebung der Ehe zu Recht zurückgewiesen.

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Gemäß § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB kann eine Ehe aufgehoben werden, wenn sie entgegen § 1303 Satz 1 BGB mit einem Minderjährigen geschlossen worden ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte. Dies gilt auch für nach ausländischem Recht wirksam geschlossene Ehen (vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drucksache 18/12086, S. 15) Mit der Aufhebung, die grundsätzlich immer zu erfolgen habe, soll dem Schutzbedürfnis der Minderjährigen, die verheiratet in der Bundesrepublik Deutschland ankommen, Rechnung getragen werden (vgl. näher BT-Drucksache 18/12086, S. 1 f., 15, 21 f.). Gleichwohl ist nach § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) BGB bei Verstoß gegen § 1303 Satz 1 BGB eine Aufhebung der Ehe ausgeschlossen, wenn auf Grund außergewöhnlicher Umstände die Aufhebung der Ehe eine so schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 18/12086, S. 22) führt zu dieser Härteregelung aus:

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Bei dieser Regelung handelt es sich um eine Härteklausel, die es dem Familiengericht, das über den Aufhebungsantrag zu entscheiden hat, in besonderen Ausnahmefällen ermöglichen soll, zur Wahrung des Kindeswohls von der Aufhebung der Ehe abzusehen. Dabei muss es sich allerdings um gravierende Einzelfälle handeln, in denen die Aufhebung der Ehe eine so schwere Härte für den betroffenen minderjährigen Ehegatten darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe zu seinem Schutz ausnahmsweise geboten erscheint. Zu denken wäre hier beispielsweise an eine schwere und lebensbedrohliche Erkrankung oder eine krankheitsbedingte Suizidgefahr des minderjährigen Ehegatten. Eine außergewöhnliche Härte könnte sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass die Aufhebung einer unter Beteiligung eines Unionsbürgers geschlossenen Ehe dessen Freizügigkeitsrecht verletzen würde.

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Im vorliegenden Einzelfall ergibt sich eine außergewöhnliche Härte für die Ehefrau daraus, dass für den Fall der Aufhebung der Ehe ihr über die Ehe vermitteltes unbedingtes Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit und Aufenthalt in Deutschland nach Art. 45 Abs. 3 lit. b) und c) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verletzt wäre. Der Ehemann lebt seit vier Jahren im Landkreis …, wo er durchgehend einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und weiterhin nachgeht. Seine Eltern wohnen ebenfalls in N. und seine Mutter unterstützt die Eheleute sowie deren am 03. November 2017 geborenes Kind. Die Beteiligten kennen sich bereits seit über zweieinhalb Jahren und haben sich im Frühjahr 2017 zur Heirat entschlossen, nachdem sie von der Schwangerschaft der Ehefrau erfahren haben. Nach deren Angaben ist sie von keiner Seite unter Druck gesetzt worden, ihren jetzigen Ehemann zu heiraten. Nach der Stellungnahme des zuständigen Jugendamtes des Landkreises … lebt die junge Familie in geordneten Verhältnissen.

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Diesem Zusammenleben als Familie mit verheirateten Eltern und Kind würde durch die Aufhebung der Ehe zumindest die rechtliche Grundlage entzogen; dies stellte eine Verletzung der durch die Ehe vermittelten Arbeitnehmerfreizügigkeit der Ehefrau nach Art. 45 Abs. 3 lit. b) und c) AEUV dar. Denn die Kenntnis von einem Aufhebungsverfahren und einer eventuellen Aufhebbarkeit hätte die beteiligten Eheleute nach Einschätzung des Senats davon abgehalten, nach der Eheschließung nach Deutschland einzureisen und sich hier niederzulassen und - im Falle des Ehemannes - zu arbeiten.

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Eine Rechtfertigung dieser Verletzung des Freizügigkeitsrechts der Ehefrau ist nicht ersichtlich. Zwar wird - wie ausgeführt - durch die Aufhebbarkeit einer Ehe nach den oben genannten Vorschriften der Schutz von über 16jährigen minderjährigen Eheleuten bezweckt, die nach Deutschland kommen. Im vorliegenden Fall ist die Ehefrau aber nicht in dem Maße schutzbedürftig, wie dies dem Gesetzgeber bei Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vorschwebte. Denn im vorliegenden Fall bestehen keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass sie zur Eheschließung gezwungen wurde und die Aufrechterhaltung der Ehe ihre Entwicklungschancen beeinträchtigen kann. Gleichfalls ist nicht ersichtlich, dass die Ehefrau nicht in der Lage war, die Tragweite der Rechtsfolgen einer Eheschließung zu erfassen. Insbesondere haben die Eheleute in der Anhörung vom 29. Januar 2018 erklärt, an der Ehe festhalten zu wollen und auch für den Fall der Aufhebung der Ehe weiter zusammenleben und nach Erreichen der Volljährigkeit der Ehefrau erneut heiraten zu wollen.

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Auch die Milderung der aufenthaltsrechtlichen Folgen durch die Ergänzung in § 31 Absatz 2 Satz 2 AufenthG, wonach dem durch die Eheaufhebung betroffenen Minderjährigen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erteilt werden kann, selbst wenn die nach § 31 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich erforderliche dreijährige Ehebestandszeit im Bundesgebiet noch nicht gegeben ist, vermag die rechtlichen Folgen der Eheaufhebung allenfalls zu mindern, aber die Aufhebung der Ehe als auch emotionales Band der Eheleute nicht zu kompensieren.

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Vor diesem Hintergrund braucht die Frage, ob das Recht auf Freizügigkeit von EU-Bürgern, deren Ehe in den Anwendungsbereich der §§ 1303 Satz 1, 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB fällt, durch diese Vorschriften generell verletzt ist (vgl. hierzu Bongartz, NZFam 2017, 541-546; Coester, FamRZ 2017, 77-80; Pfeiffer, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, abrufbar unter http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/ProfPfeiffer_Kinderehen.pdf - hier Abruf vom 18. April 2018), im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden.

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Ferner kann dahinstehen, ob die vom Amtsgericht genannten weiteren Gesichtspunkte ebenfalls außergewöhnliche Umstände i.S.v. § 1315 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) BGB darstellen.

 


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