Beschluss vom Oberlandesgericht Bamberg - 2 WF 111/22

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Obernburg a. Main vom 20.05.2022, Az. 1 F 128/21, abgeändert und die Rechtsanwältin Y aus der Staatskasse zu zahlende Verfahrenskostenhilfevergütung auf 1.339,75 Euro festgesetzt.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

In dem Verfahren wegen Trennungsunterhalt und rückständigem Kindesunterhalt vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Obernburg a. Main, Az. 1 F 128/21, wurde der Antragstellerin mit Beschluss vom 16.05.2021 Verfahrenskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwältin Y als Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet.

1. Im Termin vor dem Amtsgericht am 07.07.2021 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, in dem sich der Antragsgegner bei Aufhebung der Verfahrenskosten zur Zahlung von monatlichem Trennungsunterhalt in Höhe von 300,00 Euro ab dem 01.08.2021 sowie zur Zahlung von nachehelichem Ehegattenunterhalt in Höhe von monatlich 300,00 Euro für die Dauer von vier Jahren ab Rechtskraft der Scheidung der Beteiligten verpflichtete. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der verfahrensbeendigenden Vereinbarung wird auf das Terminsprotokoll Bezug genommen (Bl. 113 d.A.). Mit Beschluss vom 07.07.2021 setzte das Amtsgericht den Verfahrenswert auf 12.015,00 Euro fest und stellte einen überschießenden Vergleichswert von 3.600,00 Euro fest. Mit weiterem Beschluss vom 12.07.2021 (Bl. 29 UH VKH) erstreckte das Amtsgericht die der Antragstellerin bewilligte Verfahrenskostenhilfe antragsgemäß auch auf den Vergleich der Beteiligten vom 07.07.2021.

2. Mit Schriftsatz vom 03.08.2021 beantragte die Antragstellervertreterin, die aus der Staatskasse zu erstattende Verfahrenskostenhilfevergütung auf insgesamt 1.339,75 Euro festzusetzen. Sie brachte dabei folgende Gebühren im Rahmen der VKH-Vergütung in Ansatz: 1,3 Verfahrensgebühr (Wert 12.015,00 Euro): 460,20 Euro

0,8 Differenzverfahrensgebühr (Wert: 3.600,00 Euro): 222,40 Euro Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG: ./. 202,90 Euro

1,2 Terminsgebühr (Wert: 15.615,00 Euro): 442,80 Euro

1,0 Einigungsgebühr (Wert 12.015,00 Euro): 354,00 Euro

1,5 Einigungsgebühr (Wert 3.600,00 Euro): 417,00 Euro Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG: ./. 217,50 Euro Fahrtkosten PKW (Nr. 7003 VV-RVG): 17,64 Euro Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV-RVG): 30,00 Euro Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV-RVG): 20,00 Euro Netto gesamt: 1.543,64 Euro

19% Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV-RVG): 293,29 Euro erhaltene Zahlung Landesjustizkasse: ./. 497,18 Euro

Rechnungsbetrag: 1.339,75 Euro Mit Beschluss vom 12.08.2021 setzte die zuständige Rechtspflegerin beim Amtsgericht Obernburg a. Main die aus der Staatskasse zu zahlende Verfahrenskostenhilfevergütung auf 1.120,20 Euro fest. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass bei einem Mehrvergleich die Einigungsgebühr nur aus Nr. 1003, 1000 VV-RVG mit 1,0 aus dem zusammengerechneten Verfahrenswert von 15.615 Euro anfalle und damit 369,00 Euro betrage, während eine gesonderte 1,5 Einigungsgebühr aus dem überschießenden Verfahrenswert von 3.600,00 Euro nicht anzurechnen sei.

3. Gegen diesen der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 31.08.2021 zugestellten Beschluss legte die Verfahrensbevollmächtigte mit taggleich eingegangenem Schriftsatz vom 01.09.2021 im eigenen Namen Erinnerung ein. Nach ihrer Auffassung kommt die Ermäßigung der Einigungsgebühr auf 1,0 nach Nr. 1003 VV-RVG nicht zum Tragen, wenn eine Vereinbarung im Sinne von Nr. 1000 VV-RVG im Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren geschlossen werde. Dieses sei mit der gesetzlichen Neufassung von Nr. 1003 VV-RVG und dem dortigen Verweis auf einen Vertrag nach Nr. 1000 VV-RVG klargestellt worden.

Das Amtsgericht hat der Erinnerung der Beschwerdeführerin mit Beschluss der Rechtspflegerin vom 02.09.2021 nicht abgeholfen und die Akten zunächst unmittelbar dem Senat als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluss des Einzelrichters beim Senat vom 13.09.2021 hat dieser die Entscheidung zur Vorlage gemäß Ziffer 2 des Beschlusses vom 02.09.2021 aufgehoben und das Verfahren zur Entscheidung über die Erinnerung an das Amtsgericht Obernburg am Main zurückverwiesen, da gemäß § 56 Abs. 1 RVG das Gericht des Rechtszuges, bei dem die angegriffene Entscheidung ergangen ist, über die Erinnerung zu befinden hat.

Mit Beschluss vom 17.09.2021 hat die Rechtspflegerin daraufhin die Nichtabhilfeentscheidung bestätigt und das Rechtsmittel dem zuständigen Richter am Amtsgericht vorgelegt. Mit Beschluss vom 20.05.2022 hat das Amtsgericht die Erinnerung der Beschwerdeführerin gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 12.08.2021 unter Bezugnahme auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung zurückgewiesen.

Gegen diesen der Beschwerdeführerin am 23.05.2022 zugestellten Beschluss legte diese mit Schriftsatz vom 23.05.2022 unter Wiederholung der Begründung der Erinnerung Beschwerde ein. Danach sei die entgegenstehende Rechtsprechung des Senats (Beschluss v. 06.07.2018, Az. 2 WF 157/18) durch die Änderung der einschlägigen vergütungsrechtlichen Vorschriften in Übereinstimmung mit neuerer obergerichtlicher Rechtsprechung überholt. Die beantragte Verfahrenskostenhilfevergütung sei auch der Höhe nach zutreffend und zu erstatten.

Der zuständige Einzelrichter hat die Sache gemäß § 56 Abs. 2, § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG dem Senat zur Entscheidung übertragen.

II.

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist zulässig, insbesondere ist sie gemäß § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG innerhalb der 2-Wochenfrist eingelegt worden. Der Beschwerdewert gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG von mehr als 200,00 Euro ist erreicht, da die Beschwerdeführerin weiterhin eine Festsetzung der Vergütung in Höhe von 1.339,75 Euro begehrt, das Amtsgericht aber lediglich eine Vergütung in Höhe von 1.120,20 Euro festgesetzt hat.

1. Im hier vorliegenden Beschwerdeverfahren ist allein streitig, ob für die Mitwirkung am Abschluss des Mehrvergleichs eine 1,5-fache Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG entsteht, oder ob sich diese nach Nr. 1003 VV-RVG auf eine einfache Einigungsgebühr reduziert.

Grundsätzlich beträgt die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG 1,5. Nach Nr. 1003 VV-RVG beträgt diese Gebühr allerdings nur 1,0, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbständiges Beweisverfahren anhängig ist. Dies gilt nach Abs. 1 auch dann, wenn ein Verfahren über die Prozesskostenhilfe (hier: Verfahrenskostenhilfe) anhängig ist. Dieses war vorliegend mit dem Antrag der Antragstellerin im Termin vom 07.07.2021 auf Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe auf den im Termin abzuschließenden Vergleich, der auch die Vereinbarung zum nicht verfahrensgegenständlichen nachehelichen Unterhalt umfassen sollte, der Fall.

Hiermit wurde jedoch die Rückausnahme nach der Anmerkung Abs. 1, Satz 1, 2. Hs. zu Nr. 1003 VV-RVG eröffnet, nach der es unter anderem dann bei der 1,5 Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG verbleibt, wenn sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrages im Sinne der Nummer 1000 VV-RVG erstreckt (§ 48 Abs. 1 und Abs. 3 RVG). Soweit der Senat auf Grundlage der vor dem 01.01.2021 geltenden Fassung von Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG sowie § 48 Abs. 1 RVG die gegenteilige Auffassung vertreten hat (Beschluss v. 06.07.2018, Az. 2 WF 157/18), hält er daran nicht mehr fest.

2. In der vor dem 01.01.2021 geltenden Fassung der Anmerkung zu Nr. 1003 VV-RVG wurde der Nichteintritt der Gebührenreduktion für den (einzigen gesetzlichen) Fall einer Erstreckung der Prozesskostenhilfe kraft Gesetzes nach § 48 Abs. 3 RVG bestimmt. Mit der Regelung sollte vermieden werden, dass sich die Protokollierung eines oft nur schwer zu erreichenden umfassenden Scheidungsvergleichs, den § 48 Abs. 3 RVG mit der Erstreckung der Beiordnung für die Ehesache auf die Einigung über die dort aufgeführten Scheidungsfolgesachen fördern will, zum Nachteil des beigeordneten Rechtsanwalts durch Herabsetzung des Gebührensatzes von 1,5 auf 1,0 auswirkt (vgl. Mayer-Kroiß/Mayer, RVG, 8. Aufl., RVG VV 1003 Rn. 12).

Durch das KostRÄG vom 21.12.2020 wurde die Nichtherabsetzung des Gebührensatzes in der Anmerkung Abs. 1, Satz 1, 2. Hs. zu Nr. 1003 VV-RVG auf die Fälle der Erstreckung der Beiordnung nach § 48 Abs. 1 RVG ausgeweitet. Dieses erfolgte in ausdrücklicher kritischer Auseinandersetzung mit der von Teilen der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass im Umkehrschluss aus der ausdrücklichen gesetzlichen Erstreckung in Ehesachen nach § 48 Abs. 3 RVG in anderen Fällen des Mehrvergleichs in selbständigen Familienstreitsachen ein Gleichlauf des Gebührenanspruchs des beigeordneten mit demjenigen des nicht im Rahmen einer Beiordnung im Verfahren tätigen Rechtsanwalts gesetzlich nicht bestimmt sei (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum KostRÄG 2021, BT-Drs. 19/23484, S. 78). Die gesetzliche Neuregelung von § 48 Abs. 1 RVG sowie der Anmerkung zu Nr. 1003 VV-RVG beruhte demgegenüber auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss v. 17.01.2018, Az. XII ZB 248/16 -, BGHZ 217, 206-218), nach der der unbemittelte Verfahrensbeteiligte in einer selbständigen Familiensache einen Anspruch auf Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten auf sämtliche im Zusammenhang mit einem Mehrvergleich ausgelöste Gebühren hat. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird hierzu ausgeführt:

„Im vorgeschlagenen § 48 Absatz 1 Satz 2 RVG wird nunmehr allgemein für alle Verfahrensarten bestimmt, dass der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse im Falle der Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss eines Vergleichs alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen umfasst, die durch die Tätigkeiten entstehen, die zur Herbeiführung der Einigung erforderlich sind. Dies soll auch dann gelten, wenn sich die Beiordnung oder die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Vergleichs beschränkt. Durch die Regelung ist gewährleistet, dass dies auch gilt, wenn die Bewilligung oder Beiordnung in einem PKH-Bewilligungsverfahren erfolgt.“

§ 48 Abs. 1 Satz 2 RVG umfasst demnach über den in § 48 Abs. 3 RVG geregelten Fall der gesetzlichen Erstreckung der Beiordnung auf bestimmte Folgesachen im Rahmen eines Scheidungsverbundverfahrens hinaus sämtliche Fälle der gerichtlichen Erstreckung der Beiordnung für die Mitwirkung am Abschluss von Verträgen nach Nr. 1000 VV-RVG. Nach der Neufassung der Anmerkung Abs. 1 Satz 1 2. Hs. zu Nr. 1003 VV-RVG gilt die Absenkung der Einigungsgebühr auf 1,0 nicht, soweit sich die Beiordnung gemäß § 48 Abs. 1 RVG auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 VV-RVG erstreckt.

3. Soweit dem in der Rechtsprechung teilweise entgegengehalten wird, dass sich aus der Neufassung von § 48 Abs. 1 RVG durch das KostRÄG 2021 nichts für die konkrete Höhe der Einigungsgebühr ergebe und es diesbezüglich weiterhin bei der Bestimmung der Nr. 1003 VV-RVG verbleibe, ist dieses zwar dem Grunde nach zutreffend (vgl. BeckOK-RVG/Sefrin, 57. Edition Stand 01.09.2022, Nr. 1003 VV-RVG Rn. 11), führt jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut der Anmerkung Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 zu Nr. 1003 VV-RVG zu keinem anderen Ergebnis (entgegen LAG München, Beschluss v. 14.03.2022, Az. 6 Ta 8/22; Beschluss v. 23.03.2022, Az. 6 TA 275/21). Bereits die nach § 48 Abs. 1 Satz 2 RVG erfolgende gerichtliche Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss eines Mehrvergleichs als Vertrag im Sinne von Nr. 1000 VV-RVG führt zur Nichtanwendbarkeit der Ermäßigung nach Nr. 1003 VV-RVG, so dass es bei der 1,5 Gebühr nach Nr. 1000 VV-RVG verbleibt (so auch LAG Nürnberg, Beschluss v. 26.07.2021, Az 3 Ta 68/21; Mayer/Kroiß-Mayer, a.a.O., Nr. 1003 VV-RVG Rn. 12a).

4. Da somit bereits aufgrund der Erstreckung der Beiordnung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 RVG die 1,5 Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG verwirklicht ist, kann dahingestellt bleiben, ob auch ein Fall der Rückausnahme in Anmerkung Abs. 1, Satz 1, Hs. 2 zu Nr. 1003 VV-RVG „soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für (…) die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird“ einschlägig ist.

5. Die auf den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 55 Abs. 1 RVG festzusetzende Vergütung beträgt 1.339,75 Euro. Hinsichtlich der Einzelheiten wird zunächst auf die beanstandungsfreie Berechnung im Festsetzungsantrag vom 03.08.2021 Bezug genommen (Bl. 32 UH VKH). Soweit die Rechtspflegerin insgesamt für einen Gesamtverfahrenswert einschließlich Vergleichsmehrwert von 15.615,00 Euro lediglich eine 1,0 Einigungsgebühr in Höhe von 369,00 Euro (vgl. § 49 RVG) angesetzt hat, ist dieses unzutreffend. Vielmehr ist neben der 1,0 Einigungsgebühr aus dem gegenständlichen Verfahrenswert von 12.015,00 Euro (354,00 Euro) noch eine 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert (nachehelicher Unterhalt) von 3.600,00 Euro anzusetzen (417,00 Euro). Abzüglich des Begrenzungsbetrags gemäß § 15 Abs. 3 RVG von 217,50 Euro [12.015 Euro x 1,0 (354 Euro) + 3.600 Euro x 1,5 (417 Euro) ./. 5615 Euro x 1,5 (553,5 Euro) ] ergibt sich danach zzgl. Umsatzsteuer eine über die mit Beschluss vom 12.08.2021 festgesetzte Vergütung von 1.120,20 Euro hinausgehende weitere Vergütung von 219,55 Euro.

6. Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 56 Abs. 2 und Abs. 3 RVG nicht veranlasst.

7. Eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof findet nicht statt, § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 und Abs. 4 Satz 1 und 3 RVG.

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