Beschluss vom Brandenburgisches Oberlandesgericht (1. Strafsenat) - (1) 53 Ss 19/19 (14/19)

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 1. März 2018 aufgehoben, soweit eine Aussetzung der Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Potsdam hat den Angeklagten mit Urteil vom 24. November 2015 (89 Ls 4130 Js 46547/14 (25/15)) wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in (weiterer) Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr vier Monaten verurteilt. Auf die gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten hat die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam das Urteil des Amtsgerichts mit Urteil vom 10. Januar 2017 (26 b Ns 3/17) dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Neuruppin vom 17. November 2015 (80 Ds 39/15) und des Amtsgerichts Potsdam vom 1. November 2016 (82 Ds 381/16) zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt wurde.

2

Der Senat hat auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 4. Januar 2018 ((1) 53 Ss 49/17 (89/17)) das Urteil der Berufungskammer vom 10. Januar 2017 im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben, die weitergehende Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet verworfen und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

3

Die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat mit Urteil vom 1. März 2018 (27 Ns 14/18) das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 24. November 2015 im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und den Angeklagten unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 17. November 2015 (3104 Js 1917/15, 80 Ds 39/15, 120 Tagessätze) zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt.

4

Das Berufungsgericht hat eine günstige Sozial- und Legalprognose verneint. Es hat dabei zu Gunsten des Angeklagten unter anderem erwogen, dass er „als alleinerziehender Vater für sein [vierjähriges] Kind sorgt und sich damit möglicherweise an der Begehung weiterer Straftaten gehindert sieht“. Zu Lasten des Angeklagten hat das Tatgericht in die Abwägung eingestellt, dass der Angeklagte mehrfach vorbestraft ist und die abzuurteilende Straftat bereits etwas mehr als drei Monate nach einer voraufgegangenen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung begangen hat. Ferner hat die Strafkammer zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, „dass die letzte abgeurteilte Straftat im Februar 2016, also erst vor zwei Jahren begangen worden ist“ (Bl. 10 UA). Des Weiteren hat die Strafkammer besondere Gründe nach § 56 Abs. 2 StGB, können die eine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten, nicht erkennen.

5

Zuvor war in den Urteilsgründen festgestellt worden, dass der Angeklagte zuletzt am 1. November 2016 durch das Amtsgericht Potsdam wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, begangen am ... Februar 2016, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden war (Datum der Rechtskraft und Aktenzeichen der Entscheidung werden nicht mitgeteilt), deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

6

Gegen das Berufungsurteil hat der Angeklagte mit dem bei Gericht am 5. März 2018 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Nach der am 9. April 2018 erfolgten Urteilszustellung hat der Angeklagte mit dem am 23. April 2018 bei Gericht angebrachten Anwaltsschriftsatz sein Rechtsmittel begründet und mit Anträgen versehen. Dabei hat der Angeklagte sein Rechtsmittel innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt. Hierzu hat der Angeklagte die Aufklärungsrüge erhoben und die Verletzung materiellen Rechts gerügt.

7

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 20. Februar 2019 beantragt, das Berufungsurteil des Landgerichts Potsdam insoweit aufzuheben als die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

II.

8

Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

9

1. Die Revision ist nach § 333 Abs. 1 StPO statthaft und gemäß §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegt worden.

10

2. Die Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der Versagung der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung (vorläufigen) Erfolg.

11

a) Die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten ist durch die Beschränkung der Revision auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung in Rechtskraft erwachsen. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist nicht nur formell, sondern auch materiell wirksam.

12

Die Beschränkung der Revision auf bestimmte Beschwerdepunkte gem. § 344 Abs. 1 Satz 1 StPO („inwieweit“) ist nach der so genannten Trennbarkeitsformel wirksam, soweit sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich zu beurteilen, ohne die Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen. Die den Rechtsmittelberechtigten in §§ 318, 344 Abs. 1 StPO eingeräumte „Macht zum unmittelbaren Eingriff in die Gestaltung des Rechtsmittels“ (vgl. RGSt 69, 110, 111; BGHSt 14, 30, 36) gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck gekommenen Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsgehalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (RGSt 65, 296; RGSt 69, 110, 111; BGHSt 19, 46, 48; BGHSt 24, 185, 187; BGH NJW 1981, S. 589, 590, jeweils m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Problematik der Strafaussetzung zur Bewährung kann im vorliegenden Fall losgelöst von der Frage der Höhe der erkannten (Gesamt-) Freiheitsstrafe beurteilt werden. Strafe und Strafaussetzung stehen - anders als beispielsweise Geldbuße und Fahrverbot im Ordnungswidrigkeitenrecht - nicht in einer Wechselbeziehung, die die Beschränkung des Rechtsmittels ausschließen würde.

13

b) Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung leidet unter einem sachlich-rechtlichen Mangel.

14

Dabei ist es ureigene Aufgabe des Tatrichters, nicht nur bei der Strafzumessung, sondern auch bei der Frage der Strafaussetzung der Bewährung auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die für die Strafaussetzung maßgeblichen Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Für die revisionsgerichtliche Überprüfung der Strafaussetzung zur Bewährung bedeutet dies, dass hinsichtlich des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsspielraums eine exakte Richtigkeitskontrolle zwar nicht möglich ist, Erörterungen oder Erörterungsdefizite die Revision jedoch dann auslösen können, wenn sie rechtsfehlerhaft sind. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn für die Aussetzungsfrage wichtige bzw. sich aufdrängende Aspekte nicht erörtert werden oder „besondere Umstände“ nach § 56 Abs. 2 StGB verkannt werden (vgl. BGHSt 15, S. 372, 375; BGHSt 27, S. 2, 3, BGHSt 29, S. 319, 320).

15

Letzteres ist hier der Fall; das angefochtene Urteil leidet an einem Erörterungsmangel. Ein sachlich-rechtlicher Fehler ist vorliegend darin gegeben, dass sich die Urteilsgründe nicht mit dem Umstand auseinandersetzten, dass das Amtsgericht Potsdam mit Urteil vom 1. November 2016 wegen einer später begangenen Tat, ein am ... Februar 2016 begangenes Fahren ohne Fahrerlaubnis, trotz der im angefochtenen Urteil erwähnten Vorstrafen, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung erneut ausgesetzt hatte, mithin - anders als im späteren, hier angefochtenen Urteil - dem Angeklagten ein positive Sozialprognose gestellt hatte.

16

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 20. Februar 2019 aus:

17

„Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die nach den Feststellungen UA S. 5 mit Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 01.11.2016 wegen einer späteren Tat - Fahren ohne Fahrerlaubnis, Tatzeit: ... 2016 - verhängte Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zum 31.10.2019 zur Bewährung ausgesetzt worden wurde.

18

Nach den Ausführungen UA S. 10 ist diese Tat aber auch als Begründung für die Ablehnung der Strafaussetzung herangezogen worden, obwohl die wegen dieser Tat verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

19

Im Hinblick darauf, dass T... B... im Zeitpunkt der Entscheidung vom 01.11.2016 noch unter Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 28.01.2014 - rechtskräftig seit 05.02.2014 - stand, gleichwohl die Freiheitsstrafe von 6 Monaten zu Bewährung ausgesetzt wurde, hätte dies im Berufungsurteil vom 01.03.2018 als wesentlicher Umstand der Erörterung dahingehend bedurft, warum wegen der hier verfahrensgegenständlich früheren Taten - Tatzeit:... 2014 und ...2014, von einer für eine positive Prognose ausreichenden Wahrscheinlichkeit künftig straffreien Verhaltens (vgl. Fischer, Anm. 4 a zu § 56 StGB, 66. Auflage, 2019) nicht ausgegangen werden konnte.

20

Wird wegen späterer einschlägiger Straftaten in einem rechtskräftigen Urteil Strafaussetzung gewährt, hätte die Versagung der Strafaussetzung wegen früherer einschlägiger Straftaten einer näheren Erörterung bedurft.

21

Bei der Prüfung der Prognose wäre weiter zu berücksichtigen gewesen, dass nach den Feststellungen UA S. 3 T... B... alleinerziehender Vater eines im Zeitpunkt der Entscheidung vom 01.03.2018 4-jährigen Kindes ist.

22

Bei der Prüfung einer günstigen Prognose sind auch die Wirkungen einer Aussetzung für den Täter zu berücksichtigen. Günstige Auswirkungen auf andere (z. B. auf die Familie, die den Ernährer behält) - hier die Möglichkeit, weiterhin für die minderjährige Tochter sorgen zu können - können auch den Täter betreffen, so wenn ihm die Familie erhalten bleibt. Abzustellen ist dabei stets auf die Wirkung der Aussetzung. Die Strafaussetzung darf in diesen Fällen auch nicht mit der Erwägung verwehrt werden, dass der Angeklagte unter den gegebenen Umständen durch die Strafverbüßung nicht unangemessen hart betroffen wird, weil er mit der Einweisung in den offenen Vollzug rechnen könne (vgl.LK-Hubrach, Anm. 28 zu §56 StGB, 12. Auflage, 2007).

23

Dies hätte deshalb der Erörterung bei der Prüfung einer günstigen Prognose bedurft.

24

Dieser Umstand ist erst bei der Prüfung berücksichtigt worden, ob besondere Umstände nach § 56 Abs. 2 StGB vorliegen könnten.

25

Soweit nach den Ausführungen S. 10 bis 11 die Tatsache, dass T... B... alleinerziehender Vater eines vierjährigen Kindes ist, allein ohne das Hinzutreten weiterer Gesichtspunkte nicht als besonderer Umstand nach § 56 Abs. 2 StGB gewertet worden ist, ist hierzu Folgendes auszuführen: § 56 II StGB verlangt nicht ganz außergewöhnliche Umstände, sondern besondere Umstände können sich auch bei Zusammentreffen nicht außergewöhnlicher Umstände ergeben (vgl. Fischer, Anm. 22 zu § 56 StGB, 66. Auflage, 2019). Dabei können auch der Zeitablauf seit den Taten und die Stabilisierung der Lebensverhältnisse als besondere Umstände gelten (vgl. Fischer, Anm. 21 zu § 56 StGB, 66. Auflage, 2019).

26

Diese Voraussetzungen dürften im Hinblick auf die Tatzeitpunkte und im Hinblick auf die persönliche Sorge für die minderjährige Tochter vorliegen.

27

Hinzuweisen ist insoweit darauf, dass auch erhebliche wirtschaftliche Nachteile für die Familie besondere Umstände nach § 56 Abs. 2 StGB sein können (vgl. NK-Ostendorf, Anm. 28 zu § 56 StGB, 4. Auflage, 2013).

28

Dieser Grundsatz muss entsprechend gelten, wenn aufgrund der Nichtaussetzung zur Bewährung das Kindeswohl gefährdet sein könnte.

29

Bei der nach § 56 Abs. 2 StGB vorzunehmenden Abwägung sind auch die Folgen, die die Strafvollstreckung für die Familie des Angeklagten haben wird, zu berücksichtigen (vgl. OLG Hamm StV 2003, 671 f.).“

30

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei, sie entsprechen der Sach- und Rechtslage. Da bereits die Sachrüge zum Erfolg der Revision führt, bedarf es eines Eingehens auf die Aufklärungsrüge (Unterlassen der zeugenschaftlichen Vernehmung der „langjährigen“ Bewährungshelferin ...) nicht.


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