Beschluss vom Oberlandesgericht Braunschweig (6. Zivilsenat) - 6 SchH 2/13

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

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Der Antragsteller begehrt im vorliegenden und in - derzeit - weiteren 265 beim Oberlandesgericht Braunschweig anhängigen Verfahren die Gewährung von Prozesskostenhilfe für Klagen auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Rechtsstreits (§§ 198 ff. GVG). Die in den Entschädigungsverfahren mandatierten Rechtsanwälte M. (6 SchH 1/13 bis 6 SchH 9/13 sowie 6 SchH 11/13 bis 6 SchH 266/13) und M. (6 SchH 10/13) haben jeweils mitgeteilt, dass sie beauftragt seien, sukzessive Prozesskostenhilfeanträge für insgesamt 2.441 Entschädigungsklagen und somit für weitere 2.175 Einzelverfahren anzubringen.

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Die Entschädigungssachen 6 SchH 1/13 bis 6 SchH 46/13 sind bereits im Jahr 2012 beim Oberlandesgericht Braunschweig eingegangen, die übrigen Verfahren (6 SchH 47/13 bis 6 SchH 266/13) erst im Jahr 2013, und zwar bis zum 3. April (6 SchH 266/13). Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Jahres 2012 ist ursprünglich der 4. Zivilsenat für die Verfahren 6 SchH 1/13 bis 6 SchH 46/13 zuständig gewesen. Das Präsidium des Oberlandesgerichts hat dann am 5. Dezember 2012 die Jahresgeschäftsverteilung für das Geschäftsjahr 2013 beschlossen und dabei die Entschädigungsverfahren wegen überlanger Gerichtsverfahren dem 6. Zivilsenat zugewiesen.

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Lediglich die „bis zum 30.06.2012 anhängig gewordenen Verfahren“ - so die unter VI Nr. 1 des Geschäftsverteilungsplans getroffene Übergangsregelung - sind bei dem 4. Senat verblieben. Von dieser Fortdaueranordnung werden die Verfahren 6 SchH 1/13 bis 6 SchH 46/13 aber nicht erfasst, weil das erste jener Verfahren (6 SchH 1/13) am 21. August 2012 eingegangen ist; die weiteren Verfahren sind dann später - ab dem 24. August 2012 (6 SchH 2/13) - angebracht worden.

4

In den Ausgangsverfahren geht es um Schadensersatzklagen von Anlegern gegen den Antragsteller, die seit den Jahren 2007 und 2008 beim Landgericht Göttingen anhängig sind. Die Verfahren betreffen jeweils die persönliche Haftung des Antragstellers als Verantwortlicher („Konzeptant“) des Unternehmensverbundes der sog. „G. Gruppe“. Allein in den Jahren 2007 und 2008 sind beim Landgericht Göttingen 2.441 Verfahren gegen den Antragsteller eingegangen. Insgesamt sind einschließlich der in späteren Jahren erhobenen Schadensersatzklagen sogar weit über 4.000 solcher Verfahren von Anlegern gegen den Antragsteller angebracht worden. Diese Klagen, die noch unerledigt sind, wurden ursprünglich von der allein zuständigen 2. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen bearbeitet. Ein Teil der Verfahren wurde Anfang 2012 von der 14. Zivilkammer übernommen.

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Die verfahrensgegenständlichen 266 Ausgangsverfahren sind dadurch gekennzeichnet, dass in der Zeit vom Eingang der Klagen (in den Jahren 2007 und 2008) bis in das Jahr 2012 hinein nie eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde; auch fand bisher noch keine Beweisaufnahme statt. Die Kammer veranlasste nach Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens jeweils die Zustellung der ursprünglichen Zahlungsklagen, stellte später eine Klageerweiterung (Feststellungsantrag) zu, übermittelte weitere Schriftsätze der Parteien (Klageerwiderungen, Befangenheitsanträge der klagenden Partei etc.), entschied über Prozesskostenhilfegesuche (des Antragstellers und des in den Ausgangsverfahren ebenfalls verklagten Zeugen S). Ferner gab das Landgericht (im Jahr 2009) in sämtlichen Verfahren einen Hinweis auf die Unschlüssigkeit der Klage.

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Erst im Jahr 2012 führten sowohl die 2. als auch die 14. Zivilkammer in allen 266 Verfahren einen Termin zur mündlichen Verhandlung durch, wobei die Termine - offenkundig wegen der Anzahl der anhängigen Verfahren - nicht am selben Tag durchgeführt wurden. Im Anschluss verkündeten die genannten Kammern, die das Klagevorbringen nunmehr in Abkehr von der ursprünglichen Einschätzung als schlüssig einordneten, dann in den 266 Verfahren einen Auflagen- und Beweisbeschluss (Einholung eines Sachverständigengutachtens).

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In sämtlichen 266 Ausgangsverfahren wurden gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren jeweils wenige Tage nach der Verkündung des Gesetzes (am 3. Dezember 2011, Art. 24) die erforderlichen Verzögerungsrügen (§ 198 Abs. 3 S. 1 GVG) erhoben. Vor Inkrafttreten des genannten Gesetzes hatte sich der Antragsteller bereits in insgesamt 1.415 Ausgangsverfahren mit einer Beschwerde wegen Verstoßes gegen Art. 6, 13 EMRK an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt; der Gerichtshof verwies den Antragsteller indes im Jahr 2012 auf die nunmehr gemäß §§ 198 ff. GVG gegebene Rechtsschutzmöglichkeit und erklärte die Beschwerden deshalb für unzulässig.

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Der Antragsteller rügt - ausdrücklich allerdings nur in den Verfahren 6 SchH 1/13 bis 6 SchH 9/13 sowie 6 SchH 11/13 bis 6 SchH 147/13 - die Zuständigkeit des 6. Senats. Die vom Präsidium durch Beschluss vom 5. Dezember 2012 getroffene Regelung im Geschäftsverteilungsplan für das Geschäftsjahr 2013, wonach die Entschädigungsverfahren wegen überlanger Gerichtsverfahren dem 6. Zivilsenat zugewiesen seien und gemäß der getroffenen Übergangsregelung lediglich die „bis zum 30.06.2012 anhängig gewordenen Verfahren“ bei dem 4. Senat verbleiben, verstoße gegen Art 101 Abs. 1 GG. Der genannte Präsidiumsbeschluss sei nicht durch die einschlägige Vorschrift des § 21 e Abs. 3 GVG gedeckt, weil er ohne Begründung rückwirkend in die Zuständigkeitsregelung für 2012 eingreife. Eine Überlastung des 4. Zivilsenats sei auszuschließen, eine solche des 6. Zivilsenats hingegen durch die Umverteilung zu befürchten. Es sei deshalb nicht erkennbar, dass die „Abgabe“ der 46 Verfahren sachlich gerechtfertigt sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehe eine Dokumentationspflicht des Präsidiums, wenn bereits anhängige Verfahren umverteilt würden. Weil die Änderung der Geschäftsverteilung nicht die bis zum 30.06.2012 anhängig gewordenen Verfahren betreffe und sämtliche Verfahren des Antragstellers dem 6. Senat zugewiesen worden seien, fehle die erforderliche generelle Regelung. Die Zuständigkeit des 4. Zivilsenats für die Verfahren 6 SchH 1/13 bis 6 SchH 46/13 führe auch in den Folgeverfahren (6 SchH 47/13 ff.), die erst im Jahr 2013 eingegangen sind, zur Zuständigkeit des 4. Zivilsenats. Denn der Geschäftsverteilungsplan des Jahres 2013 begründe die Zuständigkeit des 4. Zivilsenats wegen Sachzusammenhangs. Ein „unmittelbarer Sachzusammenhang“ liege vor, weil die bereits 2012 angebrachten 46 Altverfahren sowie die erst im Jahr 2013 eingegangen neuen Verfahren „zwischen denselben Parteien (dem Antragsteller und Kläger einerseits sowie dem Land Niedersachsen andererseits) geführt werden und in den - getrennten - Verfahren dieselben Parteien Rechtsfolgen aus denselben tatsächlichen Gründen, dem Verstoß des Landgerichts Göttingen gegen § 198 GVG wegen überlanger Verfahrensdauern“, herleiten würden.

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Der Antragsteller hält es trotz des Sachzusammenhangs für geboten, die insgesamt 266 Entschädigungsansprüche gesondert geltend zu machen, weil ihm der Regelentschädigungsbetrag von 1.200,- € pro Jahr (§ 198 Abs. 2 S. 3 GVG) in jedem einzelnen Fall zustehe. Ihm sei es nicht zuzumuten, die gesamte Entschädigung gemäß § 260 ZPO in einem Verfahren einzuklagen. Dadurch werde ihm der Zugang zum Gericht in verfassungswidriger Weise erschwert, zumal kein Rechtsanwalt bereit sein werde, ihn angesichts der Deckelung des Gegenstandswertes auf maximal 30.000,- € (§ 49 RVG) in nur einem - dann sehr umfangreichen - Verfahren zu vertreten. Wenn er gezwungen würde, sämtliche 2.441 Entschädigungsansprüche, die er geltend machen möchte, in einem Verfahren einzuklagen, müsste - so die Behauptung des Antragstellers - allein die Klageschrift mindestens 10.000 Seiten lang sein. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO nur bei Erfolgsaussicht bewilligt werde. Bei einer erfolgversprechenden Klage sei aber von einem Kostenerstattungsanspruch auszugehen (§ 91 Abs.1 ZPO). Aus diesem Grund würde auch eine Partei, die die Kosten des Rechtsstreits selbst zu tragen habe, gesonderte Entschädigungsklagen ohne Sorge um das Kostenrisiko erheben, wie der 8. Senat des Oberlandesgerichts Braunschweig in einem Beschluss vom 23. Juni 2009 (8 W 19/09) entschieden habe.

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Der Antragsteller begehrt in allen 266 Entschädigungsverfahren zunächst die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Leistungsantrag, mit dem er jeweils monatliche Zahlungen von 100,- € für den gesamten Zeitraum von der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens (in den Jahren 2007 und 2008) bis zum Eingang des Prozesskostenhilfegesuchs für die vorliegenden Entschädigungsklagen verlangt. Die Prozesskostenhilfe sei für die begehrte monatliche Entschädigung schon ab Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens zu bewilligen, weil das Landgericht Göttingen die Verfahren von Anfang an nicht gefördert habe. Seine Existenz sei durch die permanente Medienberichterstattung über die Ausgangsverfahren und die Tatsache, dass er wegen der über 4.000 anhängigen Verfahren einer Gesamtschadensersatzforderung von rund 100.000.000,- € ausgesetzt sei, bedroht.

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Die zögerliche Sachbehandlung betreffe nicht nur die Zeit, in der allein die 2. Zivilkammer zuständig gewesen sei. Die Verzögerungen hätten sich vielmehr auch in der Zeit nach dem 01. Januar 2012, in der die Verfahren sowohl von der 2. Zivilkammer als auch von der 14. Zivilkammer bearbeitet wurden, fortgesetzt. Weil der Eintritt weiterer Verfahrensverzögerungen wegen der Verfahrensweise der Zivilkammern, die sich bei ihren Entscheidungen erkennbar abgesprochen hätten, sicher abzusehen sei, beantragt der Antragsteller zudem Prozesskostenhilfe für einen weiteren Antrag, mit dem er gemäß §§ 256 Abs. 1 ZPO, 201 Abs. 2 S. 1 GVG die Feststellung verlangt, dass der Antragsgegner verpflichtet sei, ihm künftige (also nach Eingang der Prozesskostenhilfegesuche für die Entschädigungsklagen) noch entstehende Nachteile mit monatlich jeweils weiteren 100,- € zu vergüten. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Antragstellers wird auf den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Klage (jeweils Bl. 1 ff d.A.) und die Schriftsätze vom 15. April 2013 (6 SchH 2/13 bis 6 SchH 46/13) sowie vom 17. April 2013 (6 SchH 47/13) und vom 22. April 2013 (6 SchH 48 ff.) verwiesen.

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Wegen des im vorliegenden Verfahren „für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe“

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angekündigten Klageantrags wird auf Bl.1 ff. d.A. verwiesen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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das Prozesskostenhilfegesuch zurückzuweisen.

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Nach seiner Auffassung ist der 6. Zivilsenat zur Entscheidung über das Gesuch berufen. Die Besetzungsrüge sei unbegründet, weil § 21 e Abs. 3 GVG nicht einschlägig sei. Denn das Präsidium habe durch den Beschluss vom 5. Dezember 2012 die Jahresgeschäftsverteilung geregelt und damit auch eine konstitutive Entscheidung für die bisher dem 4. Zivilsenat zugewiesenen Geschäfte getroffen. Die Übergangsregelung beruhe auf § 21 e Abs. 4 GVG.

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Das Prozesskostenhilfegesuch sei zurückzuweisen, weil keine Aussicht auf Erfolg bestehe. Zunächst sei es rechtsfehlerhaft, dass der Antragsteller für den gesamten Zeitraum ab Anhängigkeit Prozesskostenhilfe verlange, weil die Verzögerungszeit nicht mit der gesamten Verfahrensdauer identisch sei. Das Verfahren hätte auch bei korrekter Prozessförderung durch das Landgericht Göttingen eine bestimmte Zeit gedauert. So könnten beispielsweise Zeiträume, in denen dem Antragsteller durch richterliche Verfügungen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei, nicht berücksichtigt werden. Bei der Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer müsse zudem gesehen werden, dass sich für das Landgericht Göttingen durch die ab 2007 eingegangene „Klageflut“ von insgesamt 4.100 Verfahren eine unvorhergesehene Mehrbelastung ergeben habe, die im normalen Geschäftsablauf in keiner Weise aufzufangen gewesen sei. Eine Übergangszeit von zumindest 2 Jahren sei anzusetzen, weil die notwendigen personellen und sächlichen Voraussetzungen erst hätten geschaffen werden müssen.

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Außerdem habe das Landgericht Göttingen zwar die vorliegenden Verfahren über eine längere Zeit nicht betrieben, jedoch - nach konkludenter Einigung der Verfahrensbeteiligten - Pilotprozesse geführt, um die Rechtslage zu klären. Dass diese Pilotprozesse andere Konzeptanten und nicht den Antragsteller betroffen hätten, schade nicht. Sie seien u.a. gegen den in den Ausgangsverfahren ebenfalls verklagten Zeugen S. geführt worden, um Erkenntnisse zu gewinnen, die auch für die gegen den Antragsteller gerichteten Klagen von Bedeutung seien.

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Der Antragsgegner ist des Weiteren der Auffassung, dass bei Massenentschädigungsverfahren eine „Gesamtbetrachtung“ geboten sei. Die permanente Medienberichterstattung über die Ausgangsverfahren, die der Antragsteller beklage, habe ihre Ursache nicht in einem Einzelverfahren, sondern in der Masse der Verfahren. Dasselbe gelte für die Tatsache, dass sich der Antragsteller wegen der über 4.000 anhängigen Verfahren einer existenzbedrohenden Gesamtschadensersatzforderung von rund 100.000.000,- € ausgesetzt sehe. Die Entschädigung, die der Antragsteller insgesamt verlange, übersteige den Entschädigungsbetrag, der von den Gerichten bei schwersten Beeinträchtigungen körperlicher und seelischer Art zugesprochen werde, erheblich.

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Darüber hinaus sei die gesonderte Erhebung der Entschädigungsklagen mutwillig i. S. d. § 114 ZPO. Eine vermögende Partei, die Rücksicht auf die Kosten des Rechtstreits nehmen müsse, würde die Entschädigungsansprüche im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO) geltend machen. § 198 GVG zwinge nicht zur gesonderten Geltendmachung. Außerdem würde eine kostenbewusste Partei lediglich Pilotprozesse führen, zumal das Land Niedersachsen ein solventer Schuldner sei und Verjährung nicht drohe.

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Wegen des weiteren Vorbringens des Antragsgegners wird in den Verfahren 6 SchH 2/13 bis 6 SchH 46/13, in denen das Land Niedersachsen von Rechtsanwalt W. vertreten wird, auf die Schriftsätze vom 27. März 2013 und in den übrigen Verfahren auf den Schriftsatz der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig vom 3. April 2013 (6 SchH 47/13 Bl. 68), auf den die Behörde in den Folgeverfahren (6 SchH 48/13 ff.) Bezug genommen hat, verwiesen.

II.

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1. Der 6. Senat ist zur Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch berufen.

23

Die Regelung im Geschäftsverteilungsplan für das Geschäftsjahr 2013, wonach die Entschädigungsverfahren wegen überlanger Gerichtsverfahren dem 6. Zivilsenat zugewiesen wurden, wurde durch den Präsidiumsbeschluss vom 5. Dezember 2012 getroffen, weil der nur als Jahresplan zulässige (§ 21 e Abs. 1 S. 2 GVG) Geschäftsverteilungsplan am Ende des Jahres 2012 automatisch außer Kraft getreten ist und sämtliche Geschäfte - auch die anhängigen - mit konstitutiver Wirkung neu zu verteilen waren (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.1984, 9 C 67/82, juris, Rn. 9 = NJW 1985, 822; BVerwG, Urteil vom 18.10.1990, 3 C 19/88, juris, Rn. 38 = NJW 1991, 1370; Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl., § 21 e GVG, Rn. 97; Lückemann in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 21 e GVG Rn. 14 b). Auf die Voraussetzungen des § 21 e Abs. 3 GVG kommt es nicht an. Diese Vorschrift ist nicht einschlägig, weil sie die Änderung des Geschäftsverteilungsplanes während des laufenden Geschäftsjahres betrifft, hier wurde jedoch die Jahresgeschäftsverteilung neu geregelt. Eine Dokumentationspflicht, wie sie der Antragsteller einfordert, bestand ebenfalls nicht. Die Dokumentation der Gründe für die getroffene Entscheidung ist zwar zu verlangen, wenn der Geschäftsverteilungsplan während des laufenden Geschäftsjahres geändert wird, weil das Motiv für die an § 21 e Abs. 3 GVG zu messende Ausnahme vom Jährlichkeitsprinzip zu belegen ist (Kissel/Mayer, GVG, 7.Aufl., § 21 e GVG, Rn. 115; Lückemann in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 21 e GVG Rn. 42). Die Zuweisung der Entschädigungssachen erfolgte indes durch den neuen Jahresplan, dessen vielfältige Regelungen nicht kommentiert werden müssen.

24

Es ist von § 21 e Abs. 4 GVG gedeckt, dass das Präsidium für die bis zum 30.06.2012 anhängig gewordenen Sachen die fortwirkende Zuständigkeit des 4. Senats angeordnet und lediglich die übrigen Verfahren dem 6. Zivilsenat zugewiesen hat. § 21 e Abs. 4 GVG gilt sowohl für Korrekturen der Geschäftsverteilung während des Geschäftsjahres nach § 21 e Abs. 3 GVG als auch - wie hier - für die „Änderungen“, die der neue Jahresgeschäftsverteilungsplan bringt (Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl., § 21 e GVG, Rn. 149; Zimmermann in Münchner Kommentar, ZPO, 3. Aufl., § 21 e GVG Rn. 38). Bei der Bestimmung, in welchen Verfahren die bisherige Zuständigkeit fortdauert, darf - auch dies ist anerkannt - nach dem Eingangsdatum differenziert werden (Kissel/Mayer, GVG, 7.Aufl., § 21 e GVG, Rn. 149; Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 22.Aufl. § 21 e GVG Rn. 28). Eine Regelung, wie sie hier getroffen wurde, ist in der Jahresgeschäftsverteilung der Gerichte „allgemein üblich“ (Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl., § 21 e GVG, Rn. 149).

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Selbst wenn man anderer Auffassung wäre und eine auf § 21 e Abs. 4 GVG gestützte Fortdauerentscheidung des Präsidiums nur für zulässig erachten würde, sofern der bisher befasste Spruchkörper bei den eingegangenen Sachen auch tatsächlich „tätig geworden ist“ (so: Breidling in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 21 e GVG Rn. 55), führte dies für die konkreten Verfahren zu keiner anderen Bewertung. Diese Auffassung hätte vielmehr nur die Unwirksamkeit der Übergangsregelung zur Konsequenz, so dass der 6. Senat wegen der konstitutiven Wirkung des Jahresgeschäftsverteilungsplans 2013 auch für die vor dem 30.06.2012 eingegangen Sachen zuständig geworden wäre, sofern der 4. Senat insoweit noch nicht tätig war (vgl. hierzu: Zimmermann in Münchner Kommentar, ZPO, 3. Aufl., § 21 e GVG Rn. 38).

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Das Urteil des BGH vom 16. Oktober 2008 (IX ZR 183/06, juris = NJW 2009, 1351), auf das der Antragsteller für seine Auffassung abstellt, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Denn in jener Sache ging es um die unwirksame Korrektur der Geschäftsverteilung durch einen Präsidiumsbeschluss, der während des laufenden Geschäftsjahres (nämlich am 31. Januar [BGH, a. a. O. Rn. 5]) gefasst wurde, was dann zur Folge hatte, dass es bei der Jahresgeschäftsverteilung verblieb.

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2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen, weil die gesonderte Geltendmachung der Entschädigung mutwillig ist (§ 114 S.1 ZPO).

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Die Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine wirtschaftlich leistungsfähige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht, der ebenso erfolgversprechend ist. Mutwilligkeit liegt daher - wegen des degressiven Anstiegs der Gebührentabellen für die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten - vor, wenn keine nachvollziehbaren Gründe dafür vorliegen, warum eine Partei mehrere Ansprüche nicht in einer Klage geltend macht, sondern gesonderte Prozesse anstrengt (BAG, Beschluss vom 17.02.2011, 6 AZB 3/11, juris, Rn. 9 = NJW 2011, 1161; OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.12.2010, 12 W 2270/10, juris, Rn. 21 ff. = MDR 2011, 256; LAG Rheinland Pfalz, Beschluss vom 05.11.2010, 9 Ta 218/10, juris, Rn. 7 ff.; Hessisches LAG, Beschluss vom 15.10.2012, 13 Ta 303/12, juris, Rn. 14; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.06.1992, 16 E 1481/91.A, juris, Rn. 2; Geimer in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 114, Rn. 30 m. w. N.; Motzer in Münchner Kommentar, ZPO, 4. Aufl., § 114 Rn. 90; Völker/Zempel in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 114 Rn. 37). Die objektive Klagehäufung ist bedeutend kostengünstiger, weil die Werte mehrerer Streitgegenstände gemäß §§ 39 Abs. 1 GKG, 22 Abs. 1 RVG zusammengerechnet werden, wenn die Ansprüche in einem Gerichtsverfahren geltend gemacht werden. Die Gerichtskosten entstehen dann nur in einem Verfahren und es liegt auch nur eine Angelegenheit i. S. d. § 15 RVG vor (Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl., § 15 Rn. 11). Hier steht dem Antragsteller die Möglichkeit offen, die jeweiligen Entschädigungsanträge im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO) zu verfolgen, weil er die Klage in dem zuerst (am 21. August 2012) eingegangenen Verfahren 6 SchH 1/13, für das der Senat teilweise (u. a. nicht wegen des Feststellungsantrags) Prozesskostenhilfe bewilligt hat, erweitern kann. Sachgerechte Gründe für die gesonderte Geltendmachung bestehen nicht. Es besteht sogar ein besonders enger Sachzusammenhang zwischen den Verfahren, was der Antragsteller selbst im Zusammenhang mit seiner Rüge der Geschäftsverteilung einräumt. Denn alle Ausgangsverfahren, in denen die gemäß § 198 Abs.3 S.1 GVG erforderlichen Verzögerungsrügen erhoben wurden, betreffen Schadensersatzklagen eines Anlegers gegen den Antragsteller, die seit den Jahren 2007 und 2008 beim Landgericht Göttingen anhängig sind. Auch geht es in allen Ausgangsverfahren um die Stellung des Antragstellers als Verantwortlicher der sog. „G. Gruppe“ und sämtliche Entschädigungsklagen richten sich gegen das Land Niedersachsen als Antragsgegner.

29

Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, dass die Entschädigungsklage einen erheblichen Umfang einnehmen würde, wenn die Ansprüche gemeinsam in nur einem Verfahren geltend gemacht würden, führt das zu keiner anderen Bewertung. Zunächst ist diesem Argument entgegenzuhalten, dass ein großer Verfahrensumfang, der bei gemeinsamer Geltendmachung sämtlicher Entschädigungsansprüche angeblich zu besorgen wäre, jedenfalls nicht dazu berechtigen kann, alle 266 Entschädigungsklagen gesondert zu führen. Vor allem aber ist schon der Ausgangspunkt der Argumentation unzutreffend, weil eine objektive Klagehäufung vorliegend zu einer wesentlichen Vereinfachung der Sachdarstellung führt. Denn bei einer solchen Vorgehensweise kann ein allgemeiner Sachverhalt vorangestellt werden, der für alle Entschädigungsansprüche gleichermaßen zutreffend ist, weil sich die unter I dargestellte Sachbehandlung der Ausgangsverfahren nicht maßgeblich unterscheidet. Sämtliche 266 Verfahren, die derzeit anhängig sind, wurden vom Landgericht nach demselben Schema bearbeitet. Bei allen 266 Verfahren unterscheiden sich nur die Daten. Diese Daten - also beispielsweise der Zeitpunkt der Anhängigkeit der Ausgangsverfahren in den Jahren 2007 und 2008 - können durch eine Tabelle im Anschluss an den allgemeinen Sachverhalt dargestellt werden.

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Dabei wird einigen Verfahrensdaten für die Entschädigungsfrage keine solche Relevanz zukommen, dass sie tatsächlich taggenau vorgetragen werden müssen. Vielmehr kann auch insoweit ein zusammenfassender Vortrag erfolgen. So mag es für den Entschädigungsanspruch zwar bedeutsam sein, dass Verhandlungstermine der Ausgangsverfahren erst im Jahr 2012 stattfanden und es spielt vielleicht auch eine Rolle, in welchem Monat des Jahres 2012 die erste Verhandlung erfolgte. Ohne Relevanz ist es aber beispielsweise, ob die mündlichen Verhandlungen, sofern sie im selben Monat durchgeführt wurden, am 14. August 2012 (6 SchH 7/13, Bl. 4; 6 SchH 8/13, Bl. 4; 6 SchH 9/13, Bl. 4), am 15. August 2012 (6 SchH 2/13, Bl. 5; 6 SchH 4/13, Bl. 5), am 16. August 2012 (6 SchH 5/13, Bl. 4; 6 SchH 6/13, Bl. 4) oder am 28. August 2012 (6 SchH 262/13, Bl. 9; 6 SchH 263/13, Bl. 8; 6 SchH 264/13, Bl. 9; 6 SchH 265/13, Bl. 9; 6 SchH 266/13, Bl. 9) stattgefunden haben.

31

Der Annahme von Mutwilligkeit steht es im Gegensatz zur Auffassung des Antragstellers nicht entgegen, dass Prozesskostenhilfe nur bei Erfolgsaussicht zu bewilligen ist und im Erfolgsfall ein Kostenerstattungsanspruch besteht (§ 91 Abs. 1 ZPO). Es trifft zwar zu, dass eine wirtschaftlich leistungsfähige Partei im konkreten Fall nicht wegen des Beitreibungsrisikos von der gesonderten Geltendmachung absehen würde, weil von der Solvenz des Antragsgegners (Land Niedersachsen) auszugehen ist. Ein vermögender Kläger, der im Übrigen auch seine Vorschusspflicht (§ 12 GKG) in den Blick nehmen würde (dazu: OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.12.2010, 12 W 2270/10, juris, Rn. 23 = MDR 2011, 256), würde den erheblich kostengünstigeren Weg der objektiven Klagehäufung aber deshalb wählen, weil die Rechtslage in den vorliegenden Fällen in mehrfacher Hinsicht ungeklärt ist. In solchen Fällen ist zwar vorbehaltlich der übrigen Voraussetzungen des § 114 ZPO wegen Erfolgsaussicht Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BGH, Beschluss vom 21.11.2002, V ZB 40/02, juris, Rn. 8), der Erfolgseintritt jedoch keinesfalls sicher.

32

Hier besteht eine offenkundig ungeklärte Rechtslage. So ist es bisher nicht höchstrichterlich entschieden, ob es Einfluss auf die angemessene Verfahrensdauer eines (bei isolierter Betrachtung nicht geförderten) Verfahrens i. S. d. § 198 GVG haben kann, wenn ein Gericht bei Massenverfahren ohne ausdrückliche Absprache zwischen den Verfahrensbeteiligten andere Verfahren als Pilotverfahren herausgreift. Darüber hinaus ist die Rechtslage jedenfalls deshalb unklar, weil eine „Gesamtbetrachtung“ gemäß der Rechtsauffassung des Antragsgegners aus mehreren Gründen nahe liegt: Dafür spricht zunächst, dass die permanente Medienberichterstattung über die Ausgangsverfahren, die der Antragsteller beklagt, ihre Ursache gerade in der Masse der Verfahren hat. Auch die Tatsache, dass sich der Antragsteller nach seinem eigenen Vortrag wegen der über 4.000 anhängigen Verfahren einer existenzbedrohenden Gesamtschadensersatzforderung von rund 100.000.000,- € ausgesetzt sieht, spricht gegen eine rein isolierte Betrachtung jedes Ausgangsverfahrens. Vor allem aber streitet ein Vergleich der Entschädigungssummen, die vorliegend insgesamt begehrt werden, mit jenen, die von den Gerichten bei schwersten Beeinträchtigungen körperlicher und seelischer Art zugesprochen werden, für eine „Gesamtbetrachtung“. Würde man eine rein isolierte Betrachtung auf der Grundlage des Regelentschädigungsbetrags (§ 198 Abs. 2 S. 3 GVG) vornehmen, errechnet sich allein bei den anhängigen 266 Verfahren ein Jahresentschädigungsbetrag von 319.200,- € (266 x 1.200,- €). Bei allen 2.441 in den Jahren 2007 und 2008 eingegangenen Ausgangsverfahren, zu deren Geltendmachung der Antragsteller ein Mandat erteilt hat, ergibt sich ein Jahresentschädigungsbetrag von 2.929.200,- € (2.441 x 1.200,- €). Der Antragsteller begehrt die Entschädigung - jedenfalls in den anhängigen 266 Verfahren - jeweils für rund 5 Jahre.

33

Soweit sich der Antragsteller für seine Auffassung auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig stützt (Beschluss vom 23.06.2009, 8 W 19/09, juris), führt dies zu keinem anderen Ergebnis. In jenem Verfahren ging es nicht um ungeklärte Rechtsfragen in einem neuen Rechtsgebiet, so dass bei Bewilligung der Prozesskostenhilfe tatsächlich mit einem Obsiegen gerechnet werden konnte. Außerdem hat der 8. Senat nachvollziehbar dargelegt, warum die Klagehäufung, bei der es zudem - anders als vorliegend - um die gemeinsame Inanspruchnahme mehrere Streitgenossen (subjektive Klagehäufung, §§ 59 ff. ZPO) ging, nicht sachgerecht ist (Beschluss vom 23.06.2009, 8 W 19/09, juris, Rn. 5).

34

Der Umstand, dass die Geltendmachung einer zivilprozessualen Scheidungsfolgensache außerhalb des Verbundverfahrens vom Bundesgerichtshof nicht als mutwillig im Sinne des § 114 ZPO erachtet wird (BGH NJW 2005, 1497, 1498), führt im Übrigen ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung, obgleich der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung auch auf den Kostenerstattungsanspruch (§ 91 Abs. 1 ZPO) hinweist. Zum einen ging es in jener Entscheidung wiederum nicht um offenkundig ungeklärte Rechtsfragen in einem neuen Rechtsgebiet. Zum anderen beruht diese Rechtsprechung auf den für den Scheidungsverbund geltenden kostenrechtlichen Sonderregelungen (§ 93 a ZPO a. F.).

35

Der verfassungsrechtlich geschützte Zugang des Antragstellers zum Gericht wird im Gegensatz zur Auffassung des Antragstellers durch die Einordnung der getrennten Geltendmachung als mutwillig i. S. d. § 114 ZPO nicht versperrt. Das Vorbringen des Antragstellers, er werde wegen der Deckelung des Gegenstandswertes auf maximal 30.000,- € (§ 49 RVG) keinen Rechtsanwalt finden, der bereit sein werde, seine Vertretung zu übernehmen, zeigt zwar, dass er den Ausgang des Prozesses angesichts der ungeklärten Rechtsfragen offenbar selbst als risikoreich einstuft. Wäre dies anders, würde er wegen der Regelung des § 126 Abs.1 ZPO darauf vertrauen, dass ein Rechtsanwalt zur freiwilligen Übernahme des Mandats bereit sein werde, weil er im Erfolgsfall bei dem - vorliegend solventen - Antragsgegner die vollen Gebühren beitreiben kann (vgl. hierzu: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31.10.2007, 1 BvR 574/07, juris, Rn. 11 = NJW 2008, 1063). Ungeachtet des Umstandes, dass § 49 RVG jedenfalls einer gewissen Bündelung der Entschädigungsverfahren nicht entgegensteht und deshalb nicht zur gesonderten Geltendmachung jedes einzelnen Anspruchs zwingt, ist die bloße Einschätzung des Antragstellers, er werde keinen vertretungsbereiten Rechtsanwalt finden, für die Frage des Zugangs zum Gericht ohne Bedeutung. Der Zugang des Antragstellers zum Gericht wäre nicht einmal dann gefährdet, wenn er tatsächlich mehrfach erfolglos einen Anwalt gesucht hätte, um die Ansprüche im Wege der objektiven Klagehäufung geltend zu machen, weil ihm dann gemäß § 121 Abs. 5 ZPO ein Notanwalt beizuordnen wäre (vgl. hierzu: Geimer in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 121 Rn. 25). Die verfassungsrechtlich zweifelhafte Frage, ob ein Notanwalt die Gebührendeckelung akzeptieren muss (offen gelassen: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31.10.2007, 1 BvR 574/07, juris, Rn. 9 = NJW 2008, 1063), änderte nichts an der Wirksamkeit seiner Beiordnung, sondern könnte allenfalls dazu führen, dass der Notanwalt seine Gebühren aus verfassungsrechtlichen Gründen ohne die Beschränkung des § 49 RVG verlangen kann. Denn die Regelung in § 49 RVG kann nicht zur Konsequenz haben, dass eine - hier sachwidrige - gesonderte Geltendmachung nur aus Gründen des Gebührenrechts hinzunehmen wäre.

36

Letztlich kommt es auf die Frage, ob von dem Antragsteller die gemeinsame Geltendmachung der 266 Entschädigungsansprüche trotz des Verfahrensumfangs verlangt werden kann, ohnehin nicht an. Denn die Verfahrensweise des Antragstellers ist aus einem weiteren Grund mutwillig i. S. d. § 114 ZPO, weil eine bemittelte Partei, die die Kosten des Rechtsstreits im Blick hat, nicht 266 Verfahren betreiben würde. Sie würde wenige „unechte Musterverfahren“ durchführen, denen die Regelung des § 49 RVG nicht entgegenstünde. Eine vermögende Partei wählt „unechte Musterverfahren“ aus, wenn das Pilotverfahren wertvolle Erkenntnisse für die weiteren Verfahren liefert und die Folgeverfahren noch nach Ergehen der Musterentscheidung betrieben werden können, ohne dass sich das Zuwarten nachteilig auswirkt (BVerfG, Beschluss vom 18.11.2009, 1 BvR 2455/08, juris, Rn. 10 f. = NJW 2010, 988). Eine solche Situation liegt hier vor: Durch das Führen „unechter Musterverfahren“ erleidet der Antragsteller keinen Nachteil, weil der Antragsgegner solvent ist und noch ausreichend Zeit zur Durchsetzung der Entschädigungsansprüche verbleibt (§ 198 Abs. 5 S. 2 GVG). Ein solches „unechtes Musterverfahren“ bietet für den Antragsteller den Vorteil, dass der Antragsgegner, sollten im Musterverfahren durch das Oberlandesgericht oder - ggf. nach Revisionszulassung - den Bundesgerichtshof Entschädigungsansprüche zugesprochen werden, die höchstrichterlich geklärten Kriterien auf die weiteren Verfahren übertragen und ohne erneute gerichtliche Geltendmachung zahlen wird. Der Antragsteller kann die Frage, ob ihm der Entschädigungsbetrag von 1.200,- € pro Jahr (§ 198 Abs. 2 S. 3 GVG) für jedes der Ausgangsverfahren gesondert zusteht, wie es seiner Auffassung entspricht, oder ob bei der Bemessung der Entschädigung eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, bereits dadurch klären lassen, dass er einen Musterprozess führt, in dem er gemäß § 260 ZPO die Entschädigung für zwei Ausgangsverfahren geltend macht. Im Rahmen dieses Rechtsstreits würde dann auch geklärt werden, ob eine „konkludente“ Auswahl von Pilotverfahren oder das Verhalten der Kläger des Ausgangsverfahrens Einfluss auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer hat. Die Grundsätze, die in jenem Verfahren erarbeitet würden, sind auf die Entschädigungsansprüche für weitere Ausgangsverfahren übertragbar, weil die Ausgangsverfahren nach demselben Schema bearbeitet wurden. Es würde entschieden werden, welche Zeiträume in die Berechnung der unangemessenen Verfahrensdauer nicht eingerechnet werden dürfen (Klageerwiderungsfristen, Terminsvorlauf etc.).

37

Der Senat hat davon abgesehen, sämtliche oder zumindest einige der Prozesskostenhilfeverfahren gemäß § 147 ZPO zu verbinden. Dabei kann es dahin stehen, ob diese Vorschrift überhaupt anwendbar ist, wenn die Klage wie hier „für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe“ erhoben wird und der Rechtsstreit damit als solcher noch nicht anhängig ist (zur Problematik: Geimer in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 117 Rn. 7), weil der Wortlaut von § 147 ZPO für die Verbindung einen anhängigen Prozess voraussetzt. Auch kommt es nicht darauf an, ob es Aufgabe des Senats ist, durch die Verbindung erst die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu schaffen (vgl. hierzu: LAG Rheinland Pfalz, Beschluss vom 05.11.2010, 9 Ta 218/10, juris, Rn. 11; Hessisches LAG, Beschluss vom 15.10.2012, 13 Ta 303/12, juris, Rn. 14). Jedenfalls hält der Senat die Verfahrensverbindung nicht für sinnvoll, weil die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist (vgl. dazu: IV) und dem Antragsteller durch die unanfechtbare (Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 147 Rn. 9) Verbindung die Möglichkeit genommen wird, beim Bundesgerichtshof das Recht zur gesonderten Geltendmachung durchzusetzen. Für eine Verbindung sämtlicher Prozesskostenhilfegesuche von Amts wegen besteht schließlich auch deshalb kein Anlass, weil aus Sicht des Senats - wie dargelegt - wenige „unechte Musterverfahren“ genügen. Dem Antragsteller steht es frei, die Klage im Verfahren 6 SchH 1/13 zu erweitern.

III.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 1 Abs. 1 S. 1 GKG, 118 Abs. 1 S. 4 ZPO.

IV.

39

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Var. 3, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 ZPO zuzulassen. Die Prozesskostenhilfe ist wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung abgelehnt worden, so dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde gestattet ist (vgl. dazu: BGH, Beschluss vom 22.11.2011, VIII ZB 81/11, juris, Rn.10 = NJW-RR 2012, 125). Die Zulassung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache geboten, weil bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen Mutwilligkeit bei der gesonderten Geltendmachung einer Vielzahl von Entschädigungsansprüchen i. S. d. § 198 GVG bei Massenverfahren anzunehmen ist.

 


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