Beschluss vom Oberlandesgericht Celle (1. Strafsenat) - 1 Ws 319/12 (StrVollz)
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim zurückverwiesen.
Gründe
I.
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Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Vollzugslockerungen. Im aktuellen Vollzugsplan vom 26. April 2012 hat die Antragsgegnerin die Eignung für Vollzugslockerungen des Antragstellers aufgrund bestehender Flucht- und Missbrauchsgefahr verneint. Hiergegen hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung erhoben, der durch Beschluss der Kammer vom 7. Juni 2012 zurückgewiesen worden ist. Auf die Gehörsrüge des Antragstellers hat die Kammer am 29. Juni 2012 das Verfahren in die Lage vor Erlass des Beschlusses vom 7. Juni 2012 zurückversetzt, diesen Beschluss jedoch mit dem angefochtenen Beschluss aufrechterhalten.
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Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers. Mit seiner Verfahrensrüge erhebt er Einwendungen gegen die Besetzung der Strafvollstreckungskammer, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht genügen würde. Diese sei nämlich zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 7. Juni 2012 mit einem Vorsitzenden und fünf Beisitzern bzw. zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 17. Juli 2012 mit einem Vorsitzenden und sechs Beisitzern besetzt gewesen. Eine derartige zahlenmäßige Überbesetzung eines Spruchkörpers genüge nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Zudem dürfe die Regelung, welcher Einzelrichter für welche Sache in der kleinen Strafvollstreckungskammer zuständig sei, nicht der kammerinternen Geschäftsverteilung nach § 21g GVG überlassen bleiben.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig erhoben.
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a. Sie genügt zum einen den sich aus § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG ergebenden Anforderungen, da die darin erhobene Verfahrensrüge alle erforderlichen Informationen zum Zustandekommen des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts Hildesheim für das Jahr 2012, der diesen betreffenden Änderungsbeschlüsse und den für die Besetzung der Strafvollstreckungskammer maßgeblichen Inhalt enthält. Die unterlassene Mitteilung des kammerinternen Geschäftsverteilungsplans ist unschädlich, weil nach dem Vortrag des Antragstellers bereits der Präsidiumsbeschluss an einem unbehebbaren Mangel leidet, der die Rechtsfehlerhaftigkeit des angefochtenen Beschlusses begründet.
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b. Dass der Verfahrensrüge nicht zu entnehmen ist, ob der Antragsteller die Rüge der fehlerhaften Besetzung vor der angefochtenen Entscheidung erhoben hat, steht der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht entgegen. Die Sondernorm des § 222a StPO ist im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer nicht anwendbar. Zwar verweist § 120 Abs. 1 StVollzG pauschal auf die Vorschriften der StPO. Bei deren Anwendung ist jedoch jeweils zu prüfen, ob eine uneingeschränkte Übernahme mit dem Sinn und Inhalt des Strafvollzugsrechts in Einklang steht (vgl. Schwindt/Böhm/Jehle/Laubental-Schuler/Laubental, StVollzG, 5. Aufl., § 120 Rdnr. 2).
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Die auf eine Hauptverhandlung zugeschnittene Norm des § 222a StPO, bei der einem Angeklagten die Gelegenheit zum Einwand fehlerhafter Besetzung des Gerichts unschwer zur Verfügung steht, kann in dem schriftlich ausgestalteten Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG keine Bedeutung haben.
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c. Die Rechtsbeschwerde unterlag auch nicht den Beschränkungen des § 116 StVollzG. Der Antragsteller macht die Verletzung elementarer Verfahrensprinzipien geltend.
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In diesem Fall, bei dem es nicht unzweifelhaft erscheint, dass die Entscheidung einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten würde, ist die Rechtsbeschwerde zulässig, auch wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 116 StVollzG nicht vorliegen (vgl. Schwindt/Böhm/Jehle/Laubental-Schuler/Laubental, a. a. O., § 116, Rdnr. 7).
- 10
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG i. V. m. § 16 Satz 2 GVG. Vorliegend gehörten der Strafvollstreckungskammer im maßgeblichen Zeitraum außer dem Vorsitzenden fünf bzw. sechs Richter an. Dies ist mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters unvereinbar (vgl. OLG Koblenz, NStZ 1982, 301). Zwar ist die Überbesetzung eines Spruchkörpers grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfG NJW 1997, 1497; NJW 2004, 3482). Eine Zusammensetzung des Spruchkörpers eines Kollegialgerichts ist jedoch dann mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters unvereinbar, wenn die Zahl der dem Spruchkörper zugeteilten Mitglieder es gestattet, dass sie in zwei personell voneinander (einschließlich des Vorsitzenden) verschiedenen Sitzgruppen verhandeln und entscheiden können oder dass drei Spruchkörper mit jeweils verschiedenen Beisitzern gebildet werden können (vgl. LR-Breitling, 26. Aufl., § 21 e GVG Rdnr. 11 m. w. N.). Auch für die Strafvollstreckungskammer gilt, dass sie nicht im unzulässigen Umfang überbesetzt sein darf (vgl. LR-Siolek, § 78 b GVG, Rdnr. 11). Ausgehend von der Höchstbesetzung der Strafvollstreckungskammer bei einer Entscheidung mit drei Richtern (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG) darf die Gesamtzahl der der Kammer angehörenden Richter nicht mehr als einen - wegen § 21f Abs. 1 GVG notwendigen - Vorsitzenden und vier Beisitzer betragen (vgl. LR-Breidling, § 21e GVG, Rn. 11). Diese Zahl ist zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung überschritten gewesen. Dass sämtliche Richter nur mit Bruchteilen ihrer Arbeitskraft der Strafvollstreckungskammer zugewiesen worden sind, ist bei der Bewertung, ob eine Kammer überbesetzt ist, unerheblich (vgl. BGH DRiZ 1965, 239 (240)). Folglich entsprach der maßgebliche Teil des Geschäftsverteilungsplans nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Hierauf beruht auch die angefochtene Entscheidung. Zwar ist diese von der kleinen Strafvollstreckungskammer beschlossen worden, die von Gesetzes wegen nur mit einem Richter besetzt ist (§ 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG). Der aufgezeigte Mangel wirkt sich aber auch auf derartige Entscheidungen aus, da eine Differenzierung in der Besetzung zwischen großer und kleiner Strafvollstreckungskammer im Geschäftsverteilungsplan nicht vorgenommen worden ist.
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3. Soweit die Rechtsbeschwerde verfassungsrechtliche Bedenken dagegen erhebt, dass die Aufteilung auch der Geschäfte des Einzelrichters nach § 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG einem kammerinternen Geschäftsverteilungsplan nach § 21g GVG überlassen werden, folgt dem der Senat nicht. Es entspricht nach wie vor der herrschenden Meinung, dass es sich bei großer und kleiner Strafvollstreckungskammer um einen einheitlichen Spruchkörper handelt (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1982, 301; OLG Hamm NStZ 1981, 452; SchlHOLG, Beschluss vom 25. Mai 1981, 1 StrAR 19/81 - juris; Meyer-Goßner, 55. Aufl., § 78b GVG, Rn. 1; KK-Diemer, 6. Aufl., § 78b GVG Rn. 1; Radtke/Hohmann-Rappert, § 78b GVG Rn. 1; LR-Siolek, Vor § 78a, Rn. 7 ff.). Diese Ansicht ist vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden (vgl. BVerfG NStZ 1983, 44). Auch mit der Neufassung des § 78b Abs. 1 GVG durch Art. 3 Nr. 9 RpflEntlG vom 11. Januar 1993 ist keine förmliche Aufspaltung in große und kleine Strafvollstreckungskammern erfolgt. Zwar ist das vormalige Argument einer generell gegebenen (Rück)Übertragungskompetenz des Einzelrichters auf seinen Spruchkörper als Begründung entfallen, da anders als etwa in den Fällen des § 348 Abs. 3 ZPO, § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG, § 42 Abs. 3 Satz 2 RVG, § 80a Abs. 3 OWiG eine Übertragung von Aufgaben der kleinen Strafvollstreckungskammer auf die Kammer in der Besetzung mit drei Richtern gesetzlich nicht mehr vorgesehen ist. Die Begründung im Gesetzesentwurf (BT-Drs. 12/1217, S. 48) bietet jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass mit der Neufassung der Vorschrift im Jahre 1993 ein dogmatischer Wechsel beabsichtigt gewesen ist (vgl. Siegesmund/Wickern, wistra 1993, 136 (140), Fußnote 261; LR-Siolek, § 76 GVG Rn. 28). Selbst bei abweichender Auffassung wäre indessen keine detaillierte Verteilung einzelner Geschäfte der kleinen Strafvollstreckungskammer auf den originären Einzelrichter durch das Präsidium vorzunehmen. Um die von den §§ 21e und 21g GVG sachgerecht vollzogene Trennung der Geschäftsverteilung im Gerichtsinternum und im Spruchkörperinternum, die eine Beschränkung der Geschäftsverteilungshoheit des Präsidiums bewirkt, nicht zu unterlaufen, wäre aufgrund einer analogen Anwendung von § 21g Abs. 3 GVG auch in diesem Fall von Seiten des Präsidiums nur die Besetzung der Kammer, nicht aber die dem Spruchkörper vorbehaltene interne Verteilung der Geschäfte vorzunehmen (vgl. Remus, Präsidialverfassung und gesetzlicher Richter, 2008, S. 160 f.; LR-Siolek, § 78b GVG, Rn. 11).
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Referenzen
- GVG § 21g 4x
- GVG § 21f 1x
- GVG § 76 1x
- 1 StrAR 19/81 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 348 Originärer Einzelrichter 1x
- StVollzG § 118 Form. Frist. Begründung 1x
- GVG § 21e 3x
- StVollzG § 120 Entsprechende Anwendung anderer Vorschriften 1x
- §§ 109 ff. StVollzG 1x (nicht zugeordnet)
- StVollzG § 116 Rechtsbeschwerde 2x
- StPO § 222a Mitteilung der Besetzung des Gerichts 2x
- § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- RVG § 42 Feststellung einer Pauschgebühr 1x
- GVG § 78b 9x
- § 80a Abs. 3 OWiG 1x (nicht zugeordnet)
- GVG § 16 1x