Beschluss vom Oberlandesgericht Celle (2. Strafsenat) - 2 Ws 17 - 21/13

Tenor

Auf die sofortigen Beschwerden der Nebenkläger wird der Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Stade - Schwurgericht - vom 28. November 2012 aufgehoben.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Stade vom 5. April 2012 wird zugelassen. Das Hauptverfahren wird vor der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Stade als Schwurgericht eröffnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger fallen dem Angeklagten zur Last.

Gründe

I.

1

Mit ihren sofortigen Beschwerden wenden die Nebenkläger sich gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Stade vom 28. November 2012, mit dem diese die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt hat. Der Nichteröffnungsbeschluss bezieht sich auf die Anklage der Staatsanwaltschaft Stade vom 5. April 2012, mit der diese dem Angeschuldigten zur Last legt, einen Menschen getötet zu haben, ohne Mörder zu sein. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeschuldigten vor, am 13. Dezember 2010 den L. S. - der den Angeschuldigten zuvor gemeinsam mit H. Y., B. K., S. K. und G. K. auf dessen Grundstück überfallen hatte - durch ein aus seiner Pistole Sig-Sauer abgefeuertes Projektil, das den S. in den Rücken traf, getötet zu haben. Y., K., Kh. und Ki. sind mittlerweile durch Urteil des Landgerichts Stade vom 13. Juli 2011 wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Angeschuldigten rechtskräftig zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden. In diesem Urteil heißt es zu dem Kerngeschehen des dem Angeschuldigten angelasteten Tatvorwurfs wie folgt:

2

„Als der Nebenkläger - auf seine Krücken gestützt - etwa gegen 21:00 Uhr das Haus durch die Hintertür des Gebäudes in Richtung des Hundezwingers verließ, stürzte sich der Angeklagte Ki. auf ihn, nahm ihn in eine Art „Polizeigriff“ und warf ihn zu Boden. Dabei verlor der Nebenkläger seine Krücken und verletzte sich durch den Sturz an dem frisch operierten Knie. Am Boden liegend klagte der Nebenkläger über Schmerzen.

3

Der Angeklagte K. hob die Krücken des Nebenklägers vom Boden auf und ging als erster in das Haus, gefolgt von dem Angeklagten Ki., der den Nebenkläger vom Boden hochgezogen hatte und in das Haus zerrte. Der S. rief zunächst dem Angeklagten Y. zu: „G. hat ihn gepackt“ und ging dann ebenfalls in das Haus, wohin ihm der Angeklagte Y. folgte.

4

Begleitet von den Angeklagten Y. und K., dem S. und dem Angeklagten Ki., der den Nebenkläger weiterhin im „Polizeigriff“ hielt, ließ sich der Nebenkläger zu einem Stuhl im Wohnzimmer führen, an dem dieser eine scharfe und geladene Pistole Sig-Sauer (Asservaten-Nr. 1.4.10) in einem Stoffbeutel aufbewahrte. Den Stuhl und den Stoffbeutel wollte der Nebenkläger erreichen, um zu verhindern, dass die Täter an die Pistole in dem Stoffbeutel gelangen würden. Die Täter setzten den Nebenkläger auf den betreffenden Stuhl, bemerkten von der in dem Stoffbeutel befindlichen Pistole aber nichts. (…)

5

Mit einem - wie die Angeklagten meinten - russischen Akzent redeten sie auf den Nebenkläger ein, er solle ihnen sagen, wo das Geld sei. Der Nebenkläger sagte u. a., dass er Bargeld in seiner Garage aufbewahre und sich die Schlüssel zu den Geldschränken auf dem Tisch in der Küche befänden.

6

Der Angeklagte Kh. und der S. verblieben währenddessen bei dem Nebenkläger, den sie entgegen dem zuvor gemeinsam gefassten Entschluss nicht fesselten, sondern nur jeweils an einem - der Angeklagte Kh. den rechten, der S. den linken - Arm des Nebenklägers festhielten und ihn weiterhin anschrieen, dass er ihnen sagen solle, wo das Geld sei. (…)

7

Danach durchsuchten die Angeklagten Y., K. und Ki. das Obergeschoss des Hauses und fanden dort eine Tüte mit Geldmünzen und eine silberne Uhr und legten sie bereit, damit sie diese beim Verlassen des Hauses später mitnehmen könnten.

8

Der Angeklagte Y. suchte den Schalter für die Alarmanlage, von dem die Angeklagte P. berichtet und ihnen anhand der mit ihrem Mobiltelefon aufgenommen Aufnahmen auch gezeigt hatte. Der Angeklagte Y. fand im Obergeschoss den Schalter, auf dem sich ein grünes und eine rotes Licht sowie die Beschriftung „auf“ und „ab“ befanden, den er auf den von der Angeklagten P. gefertigten Aufnahmen gesehen hatte. Er drehte den im Schalter steckenden Schlüssel, woraufhin das rote Licht erlosch und sich eine bis dahin verschlossene Türe öffnete.

9

Die Angeklagten K., Y. und Ki. gingen durch diese Tür hindurch und waren im Begriff den in dem dahinter liegenden Raum stehenden Geldschrank zu durchsuchen, als plötzlich ein ohrenbetäubendes Geräusch durch das Haus erklang. Die Angeklagten K., Y. und Ki. verließen den Raum in Panik, rannten die Treppe herunter und an dem Angeklagten Kh. und dem S. vorbei, die den Nebenkläger festhielten, um zur Hauseingangstür zu gelangen und das Gebäude durch diese zu verlassen.

10

Der Angeklagte Kh. und der S. ließen daraufhin von dem Nebenkläger ab und rannten den Angeklagten K., Y. und Ki. in Panik zur Hauseingangstür hinterher, die jedoch verschlossen war, weshalb die Angeklagten wie ein „Hühnerhaufen“ im Erdgeschoss des Hauses durcheinander liefen und nach einem Ausgang suchten, den der Angeklagte Y. schließlich in der Terrassentür fand, die er öffnete und durch die die Angeklagten das Haus der Reihe nach verließen.

11

Ob zunächst der Angeklagte Y. durch die Terrassentür lief und dann der Angeklagte K. oder anders herum, konnte nicht mehr festgestellt werden. An dritter Stelle lief der Angeklagte Ki., diesem folgend der S. und zuletzt der Angeklagte Kh. durch die Terrassentür. Die Vorgenannten liefen in den Garten und wollten durch diesen das Grundstück verlassen und zu dem PKW Alfa Romeo zurückgelangen, um mit diesem davon zu fahren, als sie plötzlich zwei in kurzem Abstand aufeinander folgende Schüsse und direkt danach einen Aufschrei hörten. Dann hörten sie noch weitere zwei bis vier Schüsse.

12

Der Nebenkläger hatte zwischenzeitlich seine Pistole Sig-Sauer ergriffen und feuerte mit dieser den Tätern hinterher. Eines der abgefeuerten Geschosse traf den L. S., als dieser die Terrassentür bereits passiert hatte und über die Terrasse in den Garten gelaufen war, in den Rücken, durchtrennte das Rückenmark und verletzte ihn tödlich. Er verstarb wenige Augenblicke, nachdem das Geschoss ihn getroffen hatte."

13

Der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stade vom 5. April 2012 liegen neben diesen Urteilsfeststellungen die Angaben des Angeschuldigten in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 14. Dezember 2010, 01:35 Uhr (Bl. 4 ff. Bd. III), zugrunde. Der Angeschuldigte hat angegeben, dass er am Abend des 13. Dezember 2010 vor das Haus getreten sei, um seinen Hund zu füttern. Plötzlich hätten ihn zwei Personen links und rechts am Arm gepackt, er sei hingefallen, die beiden hätten ihn dann ins Haus gezerrt. Drei weitere Leute seien an ihm vorbei ins Haus reingesaust. Bei dem Geschehen draußen habe einer seiner Meinung nach eine Pistole in der Hand gehabt. Er habe die Waffe in der Hand des Täters gesehen, sie sei ihm an den Kopf gehalten worden, es sei eine Pistole, kein Revolver gewesen. Sie sei ihm an die rechte Schläfe gehalten worden. Im Wohnhaus habe er sich von den Tätern absichtlich in Richtung eines Stuhls schieben lassen, auf dem sich in einer Tasche eine Waffe befunden habe, die er, seit er erpresst worden sei, immer griffbereit dort liegen habe. Er habe die Waffe vor dem Zugriff der Täter sichern wollen. Einer der beiden Täter, die ihn bewacht hätten, habe einen Schal, den er getragen habe, zusammengezogen, so dass er um sein Leben gefürchtet habe. Plötzlich sei die Alarmanlage losgegangen. In diesem Moment seien drei der Täter von oben herunter gelaufen und schließlich durch die Terrassentür aus dem Haus gerannt. Die beiden Täter, die ihn zuvor bewacht hätten, seien hinterhergelaufen. Im Weglaufen sei dann, als er seine Waffe bereits aus der Tasche geholt habe, entweder im Kaminzimmer oder draußen auf der Terrasse plötzlich ein Schuss gefallen. Er habe kein Mündungsfeuer gesehen, sondern nur einen Knall gehört. Er habe pure Angst gehabt und - letztendlich - den Tätern durch die geöffnete Terrassentür hinterher geschossen. Er habe vielleicht zwei Schüsse auf die Personen abgegeben. Bei Abgabe der Schüsse habe er in dem zwischen dem Wohnzimmer und dem Kaminzimmer gelegenen Flur mit Blick auf die Terrassentür gestanden. Er habe die ganze Zeit Todesangst gehabt, insbesondere als ihm die Waffe an den Kopf gehalten worden sei. In dem Moment, als geschossen worden sei, habe er gar nicht anders gekonnt, als zurückzuschießen. Er habe aus Furcht um sein Leben gehandelt und nicht auf eine Person gezielt, sondern nur in die Fluchtrichtung gehalten. Er habe niemanden treffen wollen und bedauere den Tod des Schussopfers.

14

Die Feststellungen in dem Gutachten des LKA vom 14. Juni 2011 (Bl. 272c ff., Bd. IV) bestätigen die Angaben des Angeschuldigten zu seinem Standort bei Abgabe der Schüsse aus seiner Pistole.

15

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stade vom 05. April 2012 geht davon aus, dass der Angeschuldigte in Bezug auf die Tötung des S. vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt habe. Seine Tat sei nicht gerechtfertigt, weil ein gegenwärtiger Angriff auf ein im Sinne von § 32 StGB geschütztes Rechtsgut zum Zeitpunkt der Schussabgabe allenfalls auf sein Eigentum, ein auf dem Küchentisch abgelegtes und vom Getöteten eingestecktes Portemonnaie, vorgelegen habe. Diesbezüglich habe der Angeschuldigte aber keinen Verteidigungswillen gehabt, denn es sei ihm zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannt gewesen, dass der Getötete sein Portemonnaie zuvor eingesteckt hatte und damit weglaufen wollte. Der Angeschuldigte habe nicht zum Schutz seines Eigentums gehandelt, sondern vielmehr erklärt, dass er aus Angst um sein Leben geschossen habe und weil er einen Schuss gehört habe.

16

Der Angeschuldigte sei auch nicht nach § 33 StGB entschuldigt, weil er nicht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken gehandelt habe. Er habe erst geschossen, als die Täter flohen und ihm bereits buchstäblich den Rücken zugewandt hatten. Gegen einen asthenischen Affekt spreche, dass es sich um eine zielgerichtete und genaue Schussabgabe gehandelt habe. Der Angeschuldigte habe mehrere Schüsse in einer Höhe von 120 bis 168 cm Höhe abgegeben und mithin gerade nicht auf die Beine der Flüchtenden gezielt.

17

Die Kammer hat die Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 204 Abs. 1 StPO aus tatsächlichen Gründen abgelehnt, da der Angeschuldigte der ihm vorgeworfenen Tat nicht hinreichend verdächtig im Sinne von § 203 StPO sei.

18

Die Kammer prüft zunächst hinreichenden Tatverdacht bezüglich eines vollendeten Totschlags nach § 212 StGB und hält eine Verurteilung des Angeschuldigten nach dieser Vorschrift für nicht wahrscheinlich. Zwar lägen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Voraussetzungen der Verwirklichung des objektiven und auch des subjektiven Tatbestandes des § 212 StGB vor, da dem Angeschuldigten bei der Schussabgabe überwiegend wahrscheinlich bewusst gewesen sei, dass einer oder mehrere der Flüchtenden von dem/den abgefeuerten Projektilen getroffen und verletzt oder möglicherweise sogar getötet werden könnten. Es sei jedoch ferner ebenfalls überwiegend wahrscheinlich, dass von einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff auf das Eigentum des Angeschuldigten und damit von einer Rechtfertigungslage nach § 32 StGB auszugehen sei.

19

Es sei nämlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Getötete das Portemonnaie des Angeschuldigten, in dem sich Bargeld in Höhe von ca. 2.000 € befunden hatte, in dessen Wohnhaus an sich genommen und bei der Flucht mitgenommen habe. Das Portemonnaie mit dem Bargeld sei von dem Polizeibeamten PK S. in der Jacke des Getöteten aufgefunden worden.

20

Dieser Angriff des Getöteten auf das Eigentum des Angeschuldigten sei auch noch nicht beendet gewesen.

21

Der Schuss des Angeschuldigten sei in Bezug auf diesen Angriff ferner als eine erforderliche Verteidigungshandlung anzusehen, weil er zur Beendigung des Angriffs auf das Eigentum führte und alternative, mildere und gleichgeeignete Handlungsalternativen nicht bestanden hätten. Die Kammer werde überwiegend wahrscheinlich feststellen können, dass nicht der erste der von dem Angeschuldigten abgegebenen Schüsse den Flüchtenden S. getötet habe, sondern erst der dritte oder vierte Schuss. Daraus folge, dass die vorherigen Schüsse den Flüchtenden, insbesondere dem Getöteten, keinen Anlass gaben, anzuhalten. Die Kammer werde daher überwiegend wahrscheinlich, letztlich nach dem Grundsatz in dubio pro reo, davon ausgehen müssen, dass etwaige zuvor abgegebene Warnschüsse nicht zur Beendigung des Angriffs auf das Eigentum geführt hätten. Die vorherige Abgabe eines Warnschusses sei daher nicht geboten gewesen. Es sei ferner überwiegend wahrscheinlich, dass die Schussabgabe nicht deshalb als nicht gerechtfertigt angesehen werden könne, weil der Angeschuldigte nicht auf die Beine geschossen habe. Zwar seien drei der abgefeuerten Geschosse in einer Höhe von 1,35 bis 1,68 m vom Fußboden aus gemessen durch den Vorhang und zum Teil in die Zarge bzw. die Laibung der Terrassentür eingeschlagen. Gleichwohl werde die Kammer überwiegend wahrscheinlich nicht schließen können, dass der Angeschuldigte gezielt in den Rücken geschossen und nicht auf dessen Beine gezielt habe. Dies ergebe sich aus seiner Einlassung, sowie daraus, dass nach vorläufiger Einschätzung auch der Vorhang vor der geöffneten Terrassentür flatterte und auch der Schuss z. B. durch den Rückstoß der Waffe verrissen worden sein könnte. Eine Einschränkung des Notwehrrechts im Hinblick auf den Wert des gestohlenen Gutes oder eine Notwehrprovokation sei nicht vorzunehmen.

22

Da jedoch dem Angeschuldigten die Kenntnis von dem tatsächlich vorliegenden Angriff auf sein Eigentum fehlte, was sich aus seiner Einlassung ergebe, habe er nicht gehandelt, um dieser Rechtsgutsverletzung durch seine Tat entgegenzutreten. Daher entfalle die Vollendungsstrafbarkeit und komme allenfalls eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags in Betracht.

23

Die Kammer verneint sodann einen hinreichenden Tatverdacht im Hinblick auf das Vorliegen einer versuchten Tötung gemäß § 212 Abs. 1, § 12 Abs. 1, § 23 Abs. 1 StGB. Es seien keine Umstände dafür ersichtlich, aufgrund derer die Kammer die Einlassung des Angeschuldigten, dass er einen Schuss gehört habe, werde widerlegen können. Der Angeklagte habe daher in einem Erlaubnistatbestandsirrtum gehandelt, was zur Fahrlässigkeitsstrafbarkeit führe. Dabei komme es nach Einschätzung der Kammer letztlich nicht darauf an, ob tatsächlich ein Schuss abgegeben worden sei. Nach Ansicht der Kammer bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Getötete oder einer seiner Mittäter eine scharfe Schusswaffe am Tatort bei sich geführt habe. Die am 20. Dezember 2010 im Rahmen einer Nachschau in der Nähe des Fundortes des Leichnams des Getöteten auf dem Grundstück des Angeschuldigten gefundene Gaspistole, die dem Angeschuldigten gehört, habe aber wohl, überwiegend wahrscheinlich, nicht erst nach dem Vorfall vom 13. Dezember 2010 im Garten des Angeschuldigten gelegen. Nach dem Zweifelssatz müsse die Kammer davon ausgehen, dass der Getötete diese Gaspistole im Haus des Angeschuldigten an sich genommen und sie anschließend mitgenommen habe.

24

Die Kammer setzt sich zuletzt mit dem Vorwurf einer fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB auseinander, weist jedoch darauf hin, dass eine versuchte fahrlässige Tötung nach dem Gesetz nicht strafbar sei. Eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung durch den Angeschuldigten sei auch nicht feststellbar.

25

Gegen diesen Beschluss wenden die Nebenkläger sich mit ihren rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortigen Beschwerden aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses als unbegründet zu verwerfen.

II.

26

Die sofortigen Beschwerden sind gemäß § 400 Abs. 2 StPO zulässig und erweisen sich auch als begründet. Entgegen der Auffassung der Kammer liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens vor.

27

1. Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Hinreichender Tatverdacht besteht, wenn eine Verurteilung des Angeschuldigten überwiegend wahrscheinlich erscheint oder ein Zweifelsfall mit ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung vorliegt, zu dessen Klärung die besonderen Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung notwendig sind (vgl. dazu OLG Stuttgart, NStZ-RR 2011, 318; NStZ-RR 2012, 117; OLG Koblenz, NJW 2013, 98; KG, Beschluss vom 1. Februar 2002, 1 AR 19/02, zitiert nach juris). Auch bei der Eröffnungsentscheidung ist der Tatrichter dabei nicht gehalten, entlastende Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit es keine zureichenden Anhaltspunkte gibt, seinen Feststellungen ohne weiteres zugrunde zu legen (vgl. dazu BGHSt 54, 275 ff., Rdnr. 78, zitiert nach juris; BGHSt 51, 324 ff.).

28

2. Der Angeschuldigte hat sich hier dahingehend eingelassen, er habe einen Schuss gehört und wegen der daraus resultierenden Gefährlichkeit zurückgeschossen. Für die Richtigkeit dieser Einlassung gibt es keinerlei Anhaltspunkte. So ist auch die Kammer der Auffassung, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Getötete oder einer seiner Mittäter eine scharfe Schusswaffe am Tatort bei sich geführt haben (Beschlussgründe S. 20, dritter Abs.). Dementsprechend ist das Landgericht auch in dem Verfahren gegen die vier Mittäter des Opfers nicht zu einer Verurteilung wegen räuberischer Erpressung mit Waffen gekommen. Im Übrigen haben die vier Mittäter des Opfers in ihren Zeugenvernehmungen, darunter auch der Vernehmung, als sie bereits rechtskräftig verurteilt waren, übereinstimmend ausgesagt, dass sie selbst keine Waffe, insbesondere nicht die im Handschuhfach des Autos verbliebene Softairwaffe, mit an den Tatort genommen haben. Auch von einem Schuss, der den Schüssen des Angeschuldigten vorausgegangen sein könnte, hat keiner der Zeugen etwas berichtet.

29

Die Kammer meint, nicht ausschließen zu können, dass der Getötete die am 20.12.2010 aufgefundene Gaspistole an sich genommen und schließlich mitgenommen habe. Dies ist jedoch nach Auffassung des Senates fernliegend und daher nicht geeignet, die Einlassung des Angeschuldigten zu stützen. Dagegen spricht insbesondere der Umstand, dass im Rahmen der polizeilichen Spurensicherung, in der insbesondere nach Fußabdruckspuren und nach Patronenhülsen am Tatort gesucht wurde, die doch wesentlich größere und deutlich sichtbarere Gaspistole nicht gefunden wurde. Dagegen spricht ferner, dass keiner der Mittäter des Getöteten einen einzelnen Schuss, der den Schüssen des Angeschuldigten vorausging, gehört hat. Dagegen spricht außerdem, dass das Gutachten des LKA vom 17. Februar 2011 (Bl. 153 Bd. IV d. A.) ergeben hat, dass ein Kontakt zwischen den Handschuhen des Getöteten und der Gaspistole nach der Faseruntersuchung nicht wahrscheinlich ist. Und dagegen spricht schließlich auch, dass die Einlassung des Angeschuldigten, ihm sei gleich zu Beginn des Überfalls eine Waffe an den Kopf gehalten worden, mit Sicherheit als widerlegt gelten kann, denn, so auch die Kammer, jedenfalls am Anfang dürfte definitiv keiner der Mittäter des Opfers oder das Opfer selbst eine Waffe bei sich gehabt haben. Wenn der Angeschuldigte aber hinsichtlich des Vorhandenseins der Waffe zu diesem Zeitpunkt die Unwahrheit gesagt hat, lässt sich darauf schließen, dass dies auch für den späteren Schuss gelten kann.

30

Somit sind nach vorläufiger Würdigung der Beweise keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Getötete oder seine Mittäter tatsächlich einen Schuss abgegeben haben.

31

Genauso wenig sind Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Angeschuldigte sich im Hinblick darauf tatsächlich geirrt haben könnte. Zum einen hat keiner der vier Mittäter des Getöteten von einem lauten Geräusch berichtet, dass mit einem Pistolenschuss hätte verwechselt werden können, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Angeschuldigte ausgesagt hat, es habe sich um einen Schuss aus einer Kurzwaffe und nicht aus einer Langwaffe gehandelt, er also das Schussgeräusch genau abgegrenzt hat. Zum andern muss ein solcher Irrtum nicht die einzige Erklärung für das Verhalten des Angeschuldigten sein. Denn der Angeschuldigte wird, wie das Landgericht bei der Verurteilung der Mittäter des Getöteten festgestellt hat, jedenfalls von der dort mitangeklagten P. so beschrieben, dass er ein „gefährlicher, aggressiver Mann“ sei, der sich mit Schusswaffen wehren werde und die Angeklagten töten werde, wenn er sie entdecken sollte. Nach dieser Einschätzung der Persönlichkeit des Angeschuldigten erscheint auch ein Motiv des Angeschuldigten nicht ausgeschlossen, wonach er aus Rache den Schuss abgegeben haben könnte, ohne dazu durch einen anderen Schuss provoziert worden zu sein. Gegen eine Absicht des Angeschuldigten, sein Eigentum zu verteidigen, spricht schon seine eigene Einlassung, wonach er angegeben hat, dass die Situation „immer brenzliger wurde, weil die kein Geld gefunden haben“ (Bd. III, Bl. 11 d. A.). Er ging also gerade nicht davon aus, dass ihm etwas gestohlen wurde.

32

Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Einlassung des Angeschuldigten, er habe einen Schuss gehört und sich gegen diesen Schuss verteidigt, sind daher nicht erkennbar. Demnach besteht nach Aktenlage eine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Angeschuldigte nicht auf einen Erlaubnistatbestandsirrtum wegen eines Angriffs auf Leib oder Leben berufen kann.

33

3. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, ob hinreichender Tatverdacht im Hinblick auf einen vollendeten oder möglicherweise nur im Hinblick auf einen versuchten Totschlag anzunehmen ist, da die Kammer mit zutreffenden Erwägungen davon ausgeht, dass der Angeschuldigte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf sein Eigentum ausgesetzt war. Da die Kammer auch mit zutreffenden Erwägungen verneint, dass das Notwehrrecht im Hinblick auf mögliche sozial-ethische Einschränkungen eingeschränkt gewesen sein könnte, hängt die Frage, ob von einem hinreichenden Tatverdacht bezüglich eines vollendeten oder nur eines versuchten Totschlagsdeliktes auszugehen ist, davon ab, ob die Abgabe des Schusses erforderlich im Sinne des § 32 StGB gewesen ist.

34

Liegen die objektiven Voraussetzungen der Notwehr vor und fehlt es allein an den subjektiven Voraussetzungen des Notwehrtatbestandes, so entfällt das Erfolgsunrecht der begangenen Tat und bleibt es bei einer Strafbarkeit wegen Versuchs (Roxin, AT I, 4. Aufl., § 14 Rdnr. 104; LK-Rönnau/Hohn, § 32 Rdnr. 268; BGHSt 38, 144). Auch aus der von den Nebenklägern zitierten Entscheidung BGH, NStZ 2005, 332 lässt sich nicht schließen, dass der BGH bei Vorliegen aller objektiven Notwehrvoraussetzungen und Fehlen des Verteidigungswillens zu einer Vollendungsstrafbarkeit kommt, da der BGH in dieser Entscheidung nicht auf die auch bei der dortigen Fallkonstellation problematische Voraussetzung der Erforderlichkeit der Verteidigung eingeht. Vielmehr prüft der BGH dort nur, dass ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf das Eigentum bestanden hat und stellt dann fest, dass kein Verteidigungswille vorlag, was zu einer Vollendungsstrafbarkeit führte. Auf die Frage, ob die Notwehrhandlung auch erforderlich gewesen wäre, geht der BGH dort nicht ein. Dies ist jedoch notwendige Voraussetzung dafür, dass von der Vollendungsstrafbarkeit zur Versuchsstrafbarkeit übergegangen wird, denn nur dann, wenn alle objektiven Notwehrvoraussetzungen gegeben sind, also auch die Erforderlichkeit, entfällt das Erfolgsunrecht, sodass es bei einer Versuchsstrafbarkeit bleibt. Dementsprechend kommt es im vorliegenden Fall darauf an, ob die Abgabe des Schusses im Hinblick auf den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des Getöteten auf das Eigentum des Angeschuldigten eine erforderliche Verteidigungshandlung war, um den Angriff auf das Eigentum sofort und mit Sicherheit zu beenden.

35

Bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung ist nach ständiger Rechtsprechung beim Einsatz einer Schusswaffe zu berücksichtigen, dass der Angegriffene in der Regel gehalten ist, den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen, oder, sofern dies nicht ausreicht, wenn möglich vor dem tödlichen einen weniger gefährlichen Einsatz zu versuchen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001, 4 StR 256/01; BGH, NStZ 2012, 272). Im Hinblick auf den danach grundsätzlich zunächst abzugebenden Warnschuss ist aber zu berücksichtigen, dass ein solcher Warnschuss in der gegebenen Situation nicht sicher zur Beendigung des Angriffs geführt hätte. Die Täter waren bereits auf der Flucht und hatten das Haus des Angeschuldigten bereits verlassen oder waren gerade dabei. In dieser Situation hätten die Täter bei einem Warnschuss ihre Flucht fortsetzen und daher „im Dunkel der Nacht verschwinden können“, wie der BGH dies in einer ähnlichen Konstellation bereits ausgeführt hat, NStZ 2001, 590. Ein Warnschuss hätte also hier nicht sicher zur Beendigung des Angriffs geführt und möglicherweise keine weiteren Verteidigungsmittel mehr zugelassen, da die Täter dann hätten außerhalb des Schussfelds sein können, sodass dem Angeschuldigten dann keine weiteren Verteidigungsmittel zur Verfügung gestanden hätten.

36

Anders verhält sich dies jedoch hinsichtlich des grundsätzlich zu verlangenden zunächst weniger gefährlichen Einsatzes der Schusswaffe.

37

Die Kammer führt dazu aus, dass dem Angeschuldigten vermutlich nicht widerlegt werden könne, dass er tatsächlich versucht habe, auf die Beine des Getöteten zu zielen, und lediglich versehentlich den Rücken getroffen habe. Dies ist jedoch ein Umstand, der den besseren Erkenntnismöglichkeiten der Hauptverhandlung überlassen werden muss. Die Frage, ob von einem gezielten Schuss in den Rücken oder in die Beine auszugehen ist, ist von zahlreichen Umständen abhängig, insbesondere vom Schusskanal und von den Schießqualitäten des Schützen. Aus der Höhe aller Schussspuren im Haus folgt jedenfalls ein wichtiges Indiz dafür, dass der Angeschuldigte in Rückenhöhe gezielt hat. Auch der Umstand, dass es auf der Terrasse hell erleuchtet war, spricht dafür, dass der Angeschuldigte sehen konnte und damit auch zielen konnte, wohin er schießt. Schließlich wird es aber bei der Würdigung der Frage der Erforderlichkeit entscheidend auf die Aussagen der Mittäter des Getöteten ankommen dazu, wo sie und der Getötete sich zum Zeitpunkt der Schussabgabe befanden. Aus den bisherigen Aussagen aller Mittäter kann geschlossen werden, dass der Angeschuldigte zunächst zweimal in kurzer Folge und dann nach einer kurzen Pause weitere Schüsse abgegeben hat, wobei der Getötete vom dritten Schuss getroffen worden sein dürfte, so jedenfalls die übereinstimmenden bisherigen Aussagen der Mittäter des Getöteten. Ferner ergibt sich aus diesen Aussagen, dass der Getötete der vorletzte der Einbrecher war, also gerade nicht der letzte, der den Raum verlassen hat, dies war vielmehr der Zeuge Kh. Dieser wiederum hat ausgesagt, sich während der ersten beiden Schüsse auf der Terrasse befunden zu haben (Bd. III, Bl. 203 d. A.), danach, also bei den weiteren Schüssen, sei er bereits bei der Hecke gewesen. Wenn der Zeuge Kh. während dieses Vorgangs ununterbrochen weitergelaufen ist, muss der Getötete aus irgendeinem Grund von ihm überholt worden sein. Dies lässt den Schluss zu, dass der Getötete möglicherweise nach den beiden ersten Schüssen stehengeblieben ist. Ein Grund dafür, dass er alternativ etwa erst in die falsche Richtung gelaufen sein sollte, ist nicht erkennbar, denn die Flucht führte alle Täter zum Auto und in dieser Situation lag nichts näher, als den Vorderleuten hinterherzulaufen. Somit erscheint es durchaus denkbar, dass der Getötete auf der hell erleuchteten Terrasse nach den ersten beiden Schüssen jedenfalls kurzzeitig stehengeblieben ist, während der Zeuge Kh. ihn überholt hat. Wenn der Getötete aber stehengeblieben ist, dann bot er ein leichtes Ziel für den Angeschuldigten, sodass es diesem zuzumuten gewesen wäre, auf die Beine zu schießen, die eine kaum geringere Trefferfläche bieten, als der Oberkörper und damit auch kein höheres Fehlschlagrisiko, das der Angeschuldigte grundsätzlich nicht eingehen muss (vgl. dazu BGH, NJW 2001, 3200). Zur Klärung der Frage, ob ein gezielter Beinschuss ausgereicht hätte, den Angriff auf das Eigentum des Angeschuldigten sofort und sicher zu beenden und ob der Angeschuldigte tatsächlich auf die Beine des Getöteten geschossen hat, und dieser Schuss nur verunglückt ist, bedarf es der Klärung durch die Hauptverhandlung, naheliegenderweise auch unter Heranziehung eines Schusssachverständigen vom Landeskriminalamt.

38

Nach Aktenlage ist demnach jedoch gegenwärtig von einem hinreichenden Tatverdacht auch eines vollendeten Tötungsdeliktes auszugehen.

39

4. Dieser Tatverdacht wird auch nicht deshalb ausgeräumt, weil mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen wäre, dass die Voraussetzungen des § 33 StGB gegeben wären. Auch § 33 StGB setzt nämlich voraus, dass der Verteidiger bei tatsächlich bestehender Notwehrlage im Exzess mit Verteidigungsabsicht handelt (LK-Zieschang, § 33 Rdnr. 48; BGHSt 3, 194, 198). Die Notwehrüberschreitung muss auf einer Wahrnehmung des Angriffs beruhen (vgl. dazu Schönke/Schröder/Peron, StGB, § 33 Rdnr. 3). Diesbezüglich ist gegenwärtig davon auszugehen, dass der Angeschuldigte sich eines Angriffs auf sein Eigentum gerade nicht bewusst war und ein Angriff auf Leib oder Leben nicht vorlag.

40

5. Der Senat hält es nicht für geboten, die Sache vor einer anderen Kammer des Landgerichts oder vor einem anderen Landgericht zu eröffnen. Zwar hat die Kammer in dem angefochtenen Beschluss gemeint, die Einlassung des Angeschuldigten werde in der Hauptverhandlung nicht zu widerlegen sein. Jedoch kann erwartet werden, dass die Kammer nach durchgeführter Hauptverhandlung und unter Berücksichtigung der in diesem Beschluss dargelegten Rechtsauffassungen in ihrer dann neu vorzunehmenden Beweiswürdigung nicht beeinflusst sein wird.

III.

41

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO entsprechend (vgl. dazu OLG Koblenz, NJW 2013, 98).

 


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