Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 14 U 178/79
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 6. Juni 1979 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu zahlen:10.087,94 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 13. Juni 1977, abzüglich am 10. Juli 2977 gezahlter 7.427,99 DM; ferner 2.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Juli 1977.Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 9.200,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.Die Sicherheit kann auch durch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Bank oder Sparkasse geleistet werden.Die Revision wird zugelassen
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T a t b e s t a n d
3Der Kläger ist selbständiger Apotheker. Er rechnet die an die bei der Beklagten versicherten Patienten ausgegebenen Arzneien gemäß § 3 des zwischen den Parteien geltenden Arznei-Lieferungsvertrages für Nordrhein-Westfalen vom 19. Januar 1973 (ALV) – vgl. Bl. 10 ff. GA – nach der Deutschen Arzneimitteltaxe, letzte Ausgabe 1968 (DAT) – vgl. Bl. 107 ff. GA – ab.
4Die Parteien streiten darüber, wie der Preis von Arzneien zu berechnen ist, die der Kläger aufgrund ärztlicher Verordnungen aus Fertigarzneimitteln der chemischen Industrie (Spezialitäten) unter Zusatz von weiteren Substanzen herstellt. Dabei handelt es sich unstreitig um Arzneien, die nicht in der Preisliste der DAT aufgeführt sind und die der Kläger richtig nach Nr. 16 in Verbindung mit Nr. 9 der DAT berechnet hat.
5Im Anschluss an eine während des Prozesses von der Beklagten geleistete Zahlung steht nach dieser Berechnung unstreitig der mit der Klage weiterverfolgte Betrag noch offen, den das Landgericht dem Kläger bis auf einen Teil des Zinsanspruchs durch Urteil vom 6. Juni 1979 (Bl. 275 ff. GA) zugesprochen hat.
6Wegen der Begründung und wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
7Gegen dieses am 11. Juni 1979 zugestellte Urteil richtet sich die am 5. Juli 1979 eingelegte und am 4. Oktober 1979 begründete Berufung der Beklagten.
8Die Beklagte vertritt weiterhin die Ansicht, für die Berechnung der bezeichneten Arzneien sei allein Nr. 19 der DAT maßgebend, so dass der eingeklagte Differenzbetrag dem Kläger nicht zustehe.
9Die Beklagte beantragt,
101. unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,
112. hilfsweise,die Revision zuzulassensowie ihr zugestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Form der Bank- oder Sparkassenbürgschaft abzuwenden.
12Für den Fall, dass dem Kläger die Abwendung der Zwangsvollstreckung gestattet werde, erbietet sich die Beklagte ihrerseits zur Sicherheitsleistung in Form der Bank- oder Sparkassenbürgschaft.
13Der Kläger beantragt,
14die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, er ermäßigt indes den von ihm verfolgten Zinsanspruch auf 4 %.
15Der Kläger tritt den Ausführungen der Beklagten entgegen und bezieht sich auf die seiner Ansicht nach zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils.
16Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien und die überreichten Unterlagen Bezug genommen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
18Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache nur bezüglich eines Teils des Zinsanspruchs Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.
19Die Klage ist zulässig. Der Rechtsstreit gehört nach § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte. Es handelt sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit, für die eine andere Zuständigkeit nicht besteht (BGHZ 34,53). Die Klage ist begründet, soweit der Kläger sie nach der von der Beklagten geleisteten Zahlung und der Ermäßigung des Zinsanspruchs weiterverfolgt.
20Dem Kläger steht nach §§ 6, 3 ALV in Verbindung mit Nr. 16, 9 DAT die unstreitig rechnerisch richtig berechnete Restklageforderung zu. Die Beklagte kann ihn aus den im Wesentlichen zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils nicht auf eine Berechnung nach Nr. 19 DAT verweisen. Aus diesem Grunde entfällt auch der von der Beklagten geltend gemachte Abschlag nach § 4 Nr. 1 ALV (vgl. § 4 Nr. 3 ALV). Die Nr. 9 DAT enthält Vorschriften über die Ermittlung des Grundansatzes für Arzneimittel, die nicht im eigenen Apothekenbetrieb hergestellt, sondern im rohen oder bearbeiteten Zustand gekauft werden. Nach Nr. 16 DAT gelten diese Vorschriften auch für Arzneimittel, die in der Preisliste – wie unstreitig die vom Kläger verwendeten Arzneimittel – nicht aufgeführt sind. Wie sich aus Nr. 1 und 2 DAT ergibt, ist für die Preisberechnung wesentlich, ob der Apotheker eine Arznei (aus Arzneimitteln) zur Abgabe herrichtet (Nr. 1) oder ob er Arzneimittel oder Arzneien in einer zur Abgabe an das Publikum bestimmten fertigen Packung aus dem Handel bezieht und in dieser Packung abgibt. Ein Faktor des Preises der von dem Apotheker zur Abgabe hergerichteten Arznei erforderlichen Arzneimittel. Bei der Berechnung der Arzneimittelpreise unterscheidet die DAT wiederum zwischen solchen Arzneimitteln, die der Apotheker im eigenen Apothkenbetrieb herstellt und solchen, die er in rohem oder bearbeitetem Zustand kauft (vgl. Nr. 8 – 10 DAT). Die Nr. 19 DAT enthält demgegenüber keine Bestimmung über die Preise von Arzneimitteln, die zur Herstellung einer Arznei durch den Apotheker (Nr. 1 I DAT) erforderlich sind, sondern allein Bestimmungen über die Preise für im Handel bezogene fertige Packungen von Arzneien und Arzneimitteln. Die Vorschrift ergänzt die Nr. 2 DAT soweit es um die Abgabe in anderen als den fertigen, aus dem Handel bezogenen Packungen geht.
21Angesichts dieser Systematik der DAT kommt es in erster Linie darauf an, ob der Kläger aufgrund der streitigen ärztlichen Verordnungen Arzneien zur Abgabe hergerichtet bzw. hergestellt oder ob er Arzneimittel oder Arzneien lediglich aus dem Handel bezogen und abgegeben hat. Dieser dem Wortlaut und der Systematik der DAT entnommenen Auslegung entspricht die Darstellung des Sachverständigen A. in seinem Gutachten vom 4. September 1978 (Bl. 170 GA), die deutschen Arzneitaxen hätten zwei Prinzipien – deutlich getrennt – immer aufrechterhalten: die Kalkulationsvorschriften und Preisangaben für die Herstellung in der Apotheke einerseits und eine einfaches Zuschlagverfahren auf den Einkaufpreis für Arzneispezialitäten, die substantiell unverändert abgegeben werden. Sie wird auch gestützt durch die vom jetzigen Text und der historischen Entwicklung ausgehenden Überlegungen von Rödder (Pharmazeutische Zeitung 1971, Nr. 33 Seite 1166 ff. – Anlage zu dem Gutachten des Sachverständigen B.). Dagegen vermag den Senat die von dem Sachverständigen B. selbst in seinem Gutachten vom 25. November 1978 (Seite 4 – Beiheft in den Gerichtsakten) vorgenommene Differenzierung nach dem Vorhandensein geeigneter Bezugsgrößen entsprechend Nr. 9 Abs. 2 DAT nicht zu überzeugen. Ebensowenig schlüssig ist die Darstellung des Sachverständigen B., Nr. 19 DAT stelle neben Nr. 16, 9 DAT eine „vollwertige Preisbildungsvorschift“ dar, soweit damit gemeint sein soll, dass beide Alternativen im Zusammenhang mit der Berechnung von Arzneimittelpreisen nach Nr. 1 I DAT anzuwenden seien.
22Die Beklagte zieht nun nicht in Zweifel, dass der Kläger aufgrund der streitigen ärztlichen Verordnungen Arzneien „zubereitet“ bzw. „zusammengemischt“ hat (vgl. Klageerwiderung vom 26. Juli 1977 – Bl. 38 GA -, Berufungsbegründung vom 3. Oktober 1979 – Bl. 310 GA). Tatsächlich müssen die von dem Kläger an die Patienten abgegebenen Präparate als Arzneien, nicht als Arzneimittel im Sinne der DAT angesehen werden. Denn aus Nr. 1 DAT ergibt sich, dass Arzneien aus einem oder mehreren Arzneimitteln vom Apotheker (Nr. 1 DAT) oder von der chemischen Industrie (Nr. 2 DAT) hergestellte Präparate sind. Die von Rödder (a.a.O., Seite 1166) vorgenommenen Definition der Arznei ist im Hinblick auf Nr. 2, 19 DAT zu eng. Für die Anwendung von Nr. 9 DAT oder Nr. 19 DAT ist damit entscheidend, ob die von dem Kläger abgegebenen Arzneien von ihm – aus unstreitig nicht im eigenen Betriebe hergestellten Arzneimittel (Nr. 10 DAT) – hergerichtet (Nr. 1 DAT) oder bezogen und abgegeben worden sind. Davon, dass eine Arznei aus dem Handel bezogen und abgegeben worden ist, kann aber schon nach dem Wortlaut der Nr. 2 und 19 DAT – in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen A. und mit Rödder., a.a.O., Seite 1170 – eindeutig nur gesprochen werden, wenn die Arznei substantiell unverändert abgegeben wird. Wird die bezogene Arznei substantiell verändert, so findet sie nunmehr als Arzneimittel im Sinne von Nr. 1 DAT Verwendung (vgl. Rödder, a.a.O., 1167). Es entsteht auf diese Weise eine vom Apotheker hergestellte Arznei. Damit scheidet eine Preisberechnung für die von dem Kläger abgegebenen Arzneien nach Nr. 19 DAT aus. Dabei ist unerheblich, ob die verwendeten Arzneimittel in der Preisliste der DAT aufgeführt sind oder nicht. Daraus, dass Nr. 16 DAT im letzteren Falle nur sinngemäß gilt, kann eine andere Auslegung nicht hergeleitet werden.
23Aber auch die von der Beklagten vorgetragenen weiteren Umstände rechtfertigen es nicht, den Kläger auf eine Berechnung nach Nr. 19 DAT zu verweisen. Die allgemeine Diskussion um die Dämpfung der Kosten im Gesundheitswesen gibt dem Senat keine Möglichkeit, die zwischen den Parteien vereinbarte Abrechnungsgrundlage entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut zum Nachteil des Klägers auszulegen. Soweit diese Abrechnungsart nicht mehr den heutigen Bedingungen des Gesundheitsmarktes entspricht, haben die Parteien auch unabhängig davon, ob der Verordnungsgeber tätig wird – die Möglichkeit, den Arzneilieferungsvertrag zu ändern.
24Die – bestrittene – Behauptung der Beklagten, der Kläger habe ihre Beanstandungen jahrelang widerspruchslos hingenommen, ist unerheblich. Allein daraus, dass der Kläger durch eine Berechnung nach Nr. 9 der Beklagten laufend Anlass zu Beanstandungen gab, zeigt, dass die Parteien sich nicht abweichend von der DAT auf eine Abrechnung nach Nr. 19 DAT geeinigt haben. Die Beklagte hat auch nicht bewiesen und nicht weiter unter Beweis gestellt, dass die alleinige Anwendung der Nr. 19 DAT auf die umstrittenen ärztlichen Verordnungen jahrzehntelang allgemein von den Apothekern akzeptiert worden ist. Für die Darlegung einer solchen Behauptung reicht auch nicht der Vortrag der Beklagten in dem Schriftsatz vom 12. Dezember 1979 (Bl. 356 ff. GA) aus. Abgesehen davon, dass die von der Beklagten vorgetragenen Vorgänge aus dem Jahre 1970 stammen, also aus einer Zeit vor Abschluss des Arzneilieferungsvertrages für Nordrhein-Westfalen im Jahre 1973, hat die Beklagte nicht dargetan, inwiefern in der Sitzung vom 14. Oktober 1970 die anwesenden Personen ermächtigt waren, ein für alle Apotheker verbindliches Stillhalteabkommen (welchen Inhalts?) zu vereinbaren. Unter diesen Umständen lässt sich den von der Beklagten vorgelegten Urkunden nur entnehmen, dass bereits im Jahre 1970 zwischen den allgemeinen Ortskrankenkassen und den Apothekern Streit über die Anwendung von Nr. 16, 9 DAT einerseits oder Nr. 19 DAT andererseits bestand und dass dieser Streit nicht einvernehmlich beigelegt worden ist. Wenn danach in Kenntnis dieses Streitpunktes in dem Arzneilieferungsvertrag des Jahres 1973 für die Berechnung der Arzneimittelpreise allgemein auf die DAT verwiesen wird, so kann es für die vorliegende Entscheidung nicht mehr auf frühere Erklärungen ankommen, deren Verbindlichkeit insbesondere für die Zeit seit Abschluss des Arzneilieferungsvertrages fraglich bleiben muss. Für die Tatsache, dass der Streit um die Taxierung nach Nr. 16, 9 DAT oder 19 DAT erst in jüngerer Zeit praktische Bedeutung gewonnen hat, haben Rödder (a.a.O., Seite 1166) und der Sachverständige A. (Bl. 180 GA) die einleuchtende Erklärung abgegeben, dass zunächst die Preisliste der DAT und die – auch nach der Darstellung des Sachverständigen B. – nicht nach einheitlichen Grundsätzen verfasste Hilfstaxe ausgereicht hätten.
25Schließlich rechtfertigt auch die Untätigkeit des Verordnungsgebers im Anschluss an einen Vorstoß der Arbeitsgemeinschaft der Berufsvertretungen Deutscher Apotheker im Jahre 1963 zur Klarstellung der Nr. 19 DAT durch Einfügung der Worte „ungemischt und unverarbeitet“ jeweils vor dem Wort „verordnet“ keine abweichende Auslegung. Insbesondere ergibt sich daraus nicht eine bestimmte Interpretation der DAT durch den Verordnungsgeber, an die die Gerichte ohnehin nicht gebunden wären.
26…..
27Der Senat lässt die Revision nach § 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Auslegung einer bundesrechtlichen Rechtsverordnung ab. Über diese Auslegung herrscht Streit zwischen einer Anzahl von Apothekern auf der einen Seite und zumindest eines Teils der Ortskrankenkassen auf der anderen Seite. Die Entscheidung hat daher für eine nicht absehbare Zahl von Rechtsverhältnissen Bedeutung. Sie kann darüber hinaus – wie die von der Beklagten vorgetragenen Beispiele zeigen – nicht unerhebliche Auswirkungen auf das Kostengefüge des Gesundheitswesens haben.
28Streitwert für die Berufungsinstanz: 4.695,95 DM.
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