Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 8 U 26/84
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 16. Dezember 1983 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger war seit Mitte Juni 1981 als Dachdecker bei der H… C… Bedachungsgeschäft GmbH in R…/W… beschäftigt. Am 11. Juli 1981 zog er sich bei einem Unfall ein Schädelhirntrauma mit intracerebraler Blutung zu. Infolge der Verletzung war er arbeitsunfähig. Nach stationärer Behandlung wurde er seit dem 06. Oktober 1981 von Dr. med. K… versorgt, der als niedergelassener Arzt mit Kassenarztzulassung in V… praktiziert. Am 04. März 1982 suchte der Kläger im Rahmen des laufenden Behandlungsverhältnisses die Praxis von Dr. K… auf, der sich damals im Urlaub befand. Dort wurde er von dem Beklagten, der noch keine Kassenarztzulassung besaß und aufgrund Privatdienstvertrages als ärztlicher Vertreter für Dr. K… in der Praxis tätig war, untersucht.
3Auf dem Vordruck für die Innungskrankenkasse in R… als Krankenversicherer nach der Reichsversicherungsordnung vermerkte der Beklagte, dass der Kläger arbeitsfähig sei. Der Kläger, der bis zum 04. März 1982 Krankengeld von der Innungskrankenkasse bezogen hatte (Kalendertäglich 65,03 DM), und dessen Arbeitsverhältnis gekündigt worden war, erhielt ausweislich der Bescheinigung der Innungskrankenkasse vom 19. Januar 1983 (Bl. 47 GA) seit dem 05. März 1982 Arbeitslosengeld in geringer Höhe (44,-- DM und später 46,53 DM Werktäglich).
4Vom 31. März bis 28. April 1982 hielt sich der Kläger zur Durchführung eines von der Landesversicherungsanstalt angeordneten Heilverfahrens in der Klinik A… auf. Am 29. April 1982 stellte er sich bei Dr. K… vor, der nach Untersuchung eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit feststellte und bescheinigte.
5Im Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten 8.129,60 DM als Schadensersatz. Er hat ausgeführt: Aufgrund der Verletzungen aus dem Unfall vom 11. Juli 1981 sei er durchgehend bis zum 14. Januar 1983 arbeitsunfähig gewesen. Die Stellungnahme des Beklagten vom 04. März 1982 sei – wie die späteren Beurteilungen zeigten – sachlich unzutreffend. Sie beruhe auf einer schuldhaften Verletzung ärztlicher Sorgfaltspflichten. In Folge dieses ärztlichen Fehlers habe er (der Kläger) mit Ablauf des 04. März 1982 das nach dem letzten Arbeitseinkommen berechnete höhere Krankengeld eingebüßt. bis zum 14. Januar 1983 würden auf der Grundlage des höheren Krankengeldes 20.449,48 DM angefallen sein. Bezogen habe er über das Arbeitslosengeld nur 12.419,88 DM, also 8.129,60 DM weniger.
6Nach Abweisung der zunächst auf 7.183,75 DM beschränkten Zahlungsklage durch Versäumnisurteil vom 16. September 1983 hat der Kläger Einspruch eingelegt und beantragt,
7das Versäumnisurteil aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 8.129,60 DM zu zahlen nebst 4 % Zinsen seit dem 09. März 1983.
8Der Beklagte hat beantragt das Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten.
9Er hat das Vorbringen zum Grund und zur Höhe des Klagebegehrens bestritten und ein vorwerfbares Fehlverhalten geleugnet.
10Am 16. Dezember 1983 hat das Landgericht das Versäumnisurteil aufrecht erhalten und in den Gründen ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob der Beklagte den Kläger am 04. März 1982 zu Unrecht Gesund geschrieben habe. Finanzielle Einbußen in Folge einer fehlerhaften Beurteilung der Arbeitsfähigkeit müsse der Kläger alleine tragen, weil er es unterlassen habe, die unrichtige ärztliche Beurteilung und deren Auswirkungen zu beseitigen (§ 254 BGB).
11Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Er ergänzt den Sachvortrag und führt aus: Er habe dem Beklagten bei der Untersuchung am 04. März 1982 von der Fortdauer der Unfallverletzungen und Unfallfolgen berichtet. Von der "Gesundschreibung" durch den Beklagten habe er erst nachträglich erfahren. Dem Vorwurf eines die Haftung ausschließenden Mitverschuldens stehe die durch den Unfall vom 11. Juli 1981 ausgelöste Störung des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit entgegen. Für den Schaden habe der Beklagte jedenfalls nach den Vorschriften über die unerlaubte Handlung einzustehen.
12Der Beklagte beantragt,
13das angefochtene Urteil abzuändern, das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 16. September 1983 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen ,an ihn 8.129,60 DM zu zahlen nebst 4 % Zinsen seit dem 09. März 1983.
14Der Beklagte beantragt,
15die Berufung des Klägers zurück zu weisen.
16Er wiederholt den Sachvortrag und tritt dem Klagebegehren mit Rechtsausführungen entgegen.
17Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19Die Berufung ist zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Der Beklagte ist aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zum Ersatz des Vermögensschadens verpflichtet, der nach der Darstellung des Klägers dadurch ausgelöst worden ist, das der Beklagte am 04. März 1982 den Gesundheitszustand des Patienten verkannt, eine Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit verneint und durch Mitteilung dieser Beurteilung die Einstellung der nach dem letzten Arbeitseinkommen berechneten Krankengeldzahlungen durch die Innungskrankenkasse herbeigeführt hat.
201.)
21Eine Haftung des Beklagten wegen schuldhafter Verletzung vertraglicher Sorgfaltspflichten scheidet aus, weil zwischen den Prozessparteien vertragliche Beziehungen nicht bestanden haben. Mit der Übernahme der Heilbehandlung wird zwischen dem Arzt und dem Patienten grundsätzlich ein privatrechtlicher Dienstvertrag begründet. Das gilt – nach § 368 b Abs. 4 RVO – auch für die Beziehungen zwischen dem zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenen niedergelassenen Arzt und dem Patienten der Krankenversicherungsschutz nach der Reichsversicherungsordnung in Anspruch nimmt (Laufs Arztrecht 2. Aufl., Rdnr. 18). Mit der 1955 eingeführten Regelung, dass der Kassenarzt mit der Übernahme der Behandlung zur Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechtes verpflichtet sei, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass der Kassenpatient, der in der Arztwahl nach § 368 b Abs. 1 RVO frei ist, mit dem Kassenarzt einen privatrechtlichen Dienstvertrag schließt, der sich in der Pflichtenstellung nicht von dem Behandlungsvertrag mit dem sogenannten Selbstzahler unterscheidet (Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 1984, Abschnitt A I 2 S. 8 unter dem Stichwort "Kassenpatient"; Haueisen in NJW 1956, 1745). für Schäden, die in einem derartigen Behandlungsvertrag aus Fehlern von Hilfspersonen erwachsen, hat alleine der Kassenarzt einzustehen. Erfüllungsgehilfe des Kassenarztes ist auch der ärztliche Urlaubsvertreter der aufgrund Dienstvertrages in der Praxis des abwesenden Kassenarztes Patienten behandelt (BGH NJW 1956, 1834 Nr. 2). Unterlaufen hierbei Fehler, so hat allein der Kassenarzt selbst unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Sorgfaltspflichten für den entstandenen Schaden einzustehen.
222.)
23Die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz kann auch nicht auf die Vorschriften über die unerlaubte Handlung gestützt werden.
24a)
25Voraussetzung für eine Inanspruchnahme nach § 823 Abs. 1 BGB wäre, dass der im Rechtstreit geltend gemachte Vermögensnachteil durch eine vom Beklagten als Arzt verschuldete Körperverletzung oder Gesundheitsbeeinträchtigung verursacht worden ist. hieran fehlt es nach der eigenen Darstellung des Klägers. Sein Vorwurf geht ausschließlich dahin, dass der Beklagte am 04. März 1982 die damals noch vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen verkannt und insbesondere deren Auswirkungen auf die Arbeitsunfähigkeit fehlerhaft beurteilt habe.
26b)
27Entgegen der Ansicht des Klägers erfüllt die behauptete fehlerhafte Beurteilung des Gesundheitszustandes und der Arbeitsfähigkeit auch nicht den Tatbestand eines haftungsbegründenden Schutzgesetzverstosses im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Danach ist schadensersatzpflichtig, wer gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Für die Qualifizierung einer Rechtsnorm als Schutzgesetz in diesem Sinn ist ausschlaggebend, ob sie nach ihrem Inhalt und nach dem Willen des Gesetzgebers ein bestimmtes Gebot oder Verbot enthält, das neben anderen Zwecken auch gegen eine bestimmte Art der Schädigung individueller Rechtsgüter gerichtet ist.
28Der vom Kläger als Schutzgesetz in Anspruch genommene § 23 des Heilberufsgesetzes für Nordrhein-Westfalen (vom 30. Juli 1975) deckt sich nach Wortlaut und Stellung innerhalb des Gesetzes mit der Regelung, die für Niedersachsen in § 28 des Kammergesetzes für die Heilberufe vom 30. Mai 1980 getroffen worden ist. Beide Gesetze behandeln die Errichtung der Ärztekammern die unter anderem zuständig sind für den Erlaß der ärztlichen Berufsordnungen und damit für die Normierung der ärztlichen Berufspflichten. Die Bestimmungen (§ 23 des Heilberufsgesetzes und § 28 des Kammergesetzes) sind im jeweiligen Gesetz die Einleitung des Abschnittes über die "Berufsausübung". Mit der Formulierung, die Kammerangehörigen (dazu gehören unter anderem die Ärzte) seien verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, hat der Gesetzgeber lediglich allgemein umschrieben, was zum Berufsethos gehört. Ein Gebot oder Verbot zum Schutz der Patienten ist nicht ausgesprochen worden. Das war auch nicht der Wille des Gesetzgebers. Wollte man für die Ärzte auf den allgemeinen Grundsatz des "nihil nocere" abstellen, so könnte allenfalls an ein allgemeines Verbot der Schädigung von Körper und Gesundheit durch ärztliche Tätigkeit gedacht werden, nicht aber an den Schutz von Vermögensinteressen (soweit sie nicht die Folge einer Gesundheitsschädigung oder Körperverletzung sind).
293.)
30Da das Landgericht somit im Ergebnis richtig entschieden hat, ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
31Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
32Beschwer des Klägers: 8.129,60 DM
33Richter am Landgericht W….
34K…. B….. ist in seine Planstelle zurückge- treten und ist deshalb gehindert
35zu unterschreiben.
36K…..
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.