Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 9 W 55/02
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - vom 24. April 2002 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Die am 18.06.1916 geborene Klägerin war bis zum Jahre 1970 Eigentümerin des bebauten Grundstücks K... in N.... Gemäß notarieller Urkunde vom 30.07.1970 übertrug sie dieses Grundstück mit aufstehenden Gebäulichkeiten auf ihre Tochter E... A.., die in der Zwischenzeit verstorbene Ehefrau des Antragsgegners.
4Als Gegenleistung übernahm die Tochter der Antragstellerin Grundschulden und Hypotheken, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch in Höhe von jeweils 4.728,29 DM, 10.169,10 DM sowie 1.700 DM valutierten. Im übrigen vereinbarten die Parteien des notariellen Vertrages folgendes:
5"III.
6Die Beteiligte zu 2. räumt ihrer Mutter, der Beteiligten zu 1., ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnungsrecht an sämtlichen Räumen in der ersten Etage, mit Ausnahme eines Zimmers straßenwärts gelegen, ein.
7IV.
8Die Beteiligte zu 2. verpflichtet sich auf jederzeit zulässiges Verlangen der Beteiligten zu 1., dieser bis zum Lebensende unentgeltlich Pflege und Aufwartung zu gewähren."
9Am 21.11.1994 verstarb die Tochter der Antragstellerin, Ehefrau des Antragsgegners. Dieser wurde allein von seiner Ehefrau beerbt und im Grundbuch als Eigentümer eingetragen.
10Der Antragsgegner verließ im Februar 1998 das Anwesen. Die Antragstellerin nutzte das Objekt bis Ende März 2001 hinsichtlich der 1. Etage.
11Nach dem Vortrag der Antragstellerin war ab dem 01.04.2001 eine Betreuung in dem St.-...-Altenheim erforderlich, da sie auf ständige Pflege und Kontrolle angewiesen sei. Sie vertritt die Ansicht, dass ihr gemäß Art. 15, § 9 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 des Preußischen Allgemeinen Landrechtes eine Geldrente zustehe, da sie aufgrund der gesundheitlichen Situation gezwungen sei, das Grundstück K... 30 in N... dauernd zu verlassen und neuen Wohnsitz im Altenheim zu begründen.
12Da sie das Objekt seit dem 01.04.2001 nicht mehr nutze und dem Antragsgegner ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit zur Verfügung stehe, die im 1. Obergeschoss gelegenen Räumlichkeiten zu vermieten, müsse der Entfall des Wohnrechtes anhand der fiktiven Miete ermittelt werden. Dieser betrage 277,44 EUR.
13Im übrigen benötige sie umfassende Pflege, die pro Kalendertag einen Aufwand von 48,26 EUR erforderte und von denen der Beklagte befreit sei. Den Gesamtbetrag beziffert sie mit 1.872,53 EUR.
14Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der der zurückliegende Neunmonatszeitraum bis Dezember 2001 in Höhe von 16.852,77 EUR sowie ab dem 01.01.2002 eine monatliche Geldrente in Höhe von 1.872,53 EUR geltend gemacht wird.
15Das Landgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen.
16Gegen den zurückweisenden Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.
17II.
18Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
19Die beabsichtigte Klage der Antragstellerin bietet keine Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).
20Es ist bereits zweifelhaft, ob die durch den notariellen Vertrag begründeten Verpflichtungen auf unentgeltliche Pflege und Aufwartung gemäß §§ 1922, 1967 BGB auf den Beklagten übergegangen sind. Ein an die Person geknüpftes Altenteilsrecht ist grundsätzlich unvererblich (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 61. Aufl., § 1922 Rdnr. 41). Dass die Parteien des Übertragungsvertrages zumindest die Vorstellung hatten, dass auch der Antragsgegner Versorgungsleistungen zu erbringen hatte (vgl. OLG Hamm, OLGR 1999, 113), ist seitens der Antragstellerin nicht vorgetragen. Letztlich kann dieser Gesichtspunkt jedoch offen bleiben, da der Einzug der Antragstellerin in ein Altenheim keine Zahlungsansprüche begründet. Aus der notariellen Vereinbarung war die verstorbene Ehefrau des Antragsgegners lediglich verpflichtet, bestimmte Versorgungsleistungen zu erbringen und der Antragstellerin ein Wohnungsrecht zu gewähren. Zahlungsverpflichtungen waren vertraglich nicht vereinbart.
21Zahlungsansprüche stehen der Antragstellerin gegen den Antragsgegner auch nicht infolge einer Umwandlung der Versorgungspflichten in Zahlungsverpflichtungen zu. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, dass sich Versorgungsansprüche in Zahlungsansprüche umwandeln. Diese Voraussetzungen für eine solche Umwandlung liegen jedoch im vorliegenden Fall nicht vor.
22Nach Art. 15 § 9 Abs. 3 und 2 des Preußischen Ausführungsgesetzes zum BGB
23- einer nach Art. 96 EGBGB fortgeltenden und räumlich anwendbaren landesrechtlichen Vorschrift - hat der aus einem Leibgedingevertrag Verpflichtete dem Berechtigten eine Geldrente zu gewähren, wenn der Berechtigte durch andere Umstände als durch das Verhalten des Verpflichteten ohne eigenes Verschulden genötigt ist, das Grundstück dauernd zu verlassen.
24Bei dem hier zu beurteilenden Schuldverhältnis zwischen der Antragstellerin und der verstorbenen Ehefrau des Antragsgegners aufgrund der notariellen Vereinbarung handelt es sich hingegen nicht um einen solchen Altenteilsvertrag. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH (BGH MittRhNotK 2000, 203) wird eine Grundstücksübertragung allein durch eine Wohnrechtsgewährung mit Pflege und Versorgungsverpflichtung im Bedarfsfall noch nicht zum Altenteilsvertrag. Dieser hat in der Regel die Gewährung des vollen Unterhalts mit Wohnrechtsgewährung zum Inhalt, wobei dem Übernehmer ein Gut oder Grundstück überlassen wird, kraft dessen Nutzen er sich eine eigene Lebensgrundlage verschaffen und gleichzeitig den dem Altenteil geschuldeten Unterhalt gewinnen kann. Der Wesenszug eines solchen Altenteils liegt in dem Nachrücken der folgenden Generation in eine die Existenz - wenigstens teilweise - begründende Wirtschaftseinheit (vgl. BGH
25NJW-RR 1989, 451 f.; BGH NJW-RR 1995, 77 f.; OLG Düsseldorf, OLGR 2001, 523; OLG Celle, OLGR 2000, 63 f.; OLG Karlsruhe, OLGR 1999, 41 f.; OLG Köln, FamRZ 1998, 431 f.; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 1360 f.; OLG Celle, OLGR 1996, 14 ff.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 201 f.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, 326 f.; großzügiger offenbar: OLG Köln, NJW-RR 1989, 138; OLG Köln, OLGR 1993, 107 ff.).
26Dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind, hat die Antragstellerin nicht dargetan. Es ist nicht dargetan, dass das übertragene Grundstück geeignet war, sowohl der verstorbenen Ehefrau des Antragsgegners eine eigene Lebensgrundlage zu verschaffen noch auch gleichzeitig hieraus für die Antragstellerin den geschuldeten Unterhalt zu gewinnen.
27Eine entsprechende Anwendung von Art. 15 § 9 Abs. 3 Preußisches AGBGB kommt nicht in Betracht (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR 2001, 523).
28Ein Zahlungsanspruch wegen Wegfalls der Versorgungspflichten ist auch nicht unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung, die immer dann vorzunehmen ist, wenn der Vertrag eine Lücke enthält, gegeben. Es kann hier letztlich dahinstehen, ob eine entsprechende Lücke vorliegt, ob nämlich die Vertragsparteien den eingetretenen Fall nicht bedacht und deshalb keine Regelung darüber getroffen haben, was hinsichtlich des Wohnrechts und der Verpflichtung zur Betreuung und Pflege zu geschehen habe, wenn der Verpflichteten eine Betreuung und Pflege nicht mehr möglich sein sollte, weil die Berechtigte aufgrund einer Erkrankung in einem Krankenhaus oder Pflegeheim untergebracht werden müsste.
29Geht man davon aus, dass eine Lücke vorliegt, so ist diese nachträglich nach Treu und Glauben entsprechend dem hypothetischen Parteiwillen zu ergänzen (vgl. OLG Köln, FamRZ 1998, 431). Jedoch darf eine solche Ergänzung nicht zu einer über den Vertragsinhalt hinausgehenden Bindung und zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen. Da die von der Verpflichteten übernommene Pflege und Betreuungspflicht nicht etwa alsbald nach Vertragsschluss sinnlos geworden ist, handelt es sich hier nicht darum, eine sinnlos gewordene Verpflichtung im Wege der Auslegung durch eine andere zu ersetzen (vgl. OLG Köln, a.a.O.).
30Eine Auslegung mit dem von der Antragstellerin angenommenen Inhalt ist nicht zulässig. Sie würde zu einer wesentlich über den Vertragsinhalt hinausgehenden Bindung und einer inhaltlichen Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen, nämlich zu einer erheblichen, letztlich nicht absehbaren Zahlungspflicht der Verpflichteten. Zugunsten der Antragstellerin würden bei einer solchen Auslegung aus dem Vertrag wesentliche Rechte zusätzlich hergeleitet, für die der Vertragsinhalt keine Grundlage bietet (vgl. OLG Köln, a.a.O.).
31Diese Auslegung läuft auch nicht darauf hinaus, dass die Vertragspartner hinsichtlich der Verpflichtung zur Tragung der Kosten für die Unterbringung der Antragstellerin in einem Pflegeheim einen Vertrag zu Lasten Dritter, nämlich des zuständigen Trägers der Sozialhilfe, abgeschlossen haben (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH MDR 2002, 271). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhersehbar war, dass die Antragstellerin heimpflege- und sozialhilfebedürftig werden würde und die Vertragsparteien diese Regelung bewusst zu Lasten der öffentlichen Hand getroffen haben (vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 1041, 1042). Auch liegt kein Fall einer Hofübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vor, bei der gegebenenfalls eine andere Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen wäre (vgl. BGH MDR 2002, 271).
32Schließlich scheidet auch eine Umwandlung der vertraglichen Versorgungsansprüche der Antragstellerin in einen Zahlungsanspruch nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage aus.
33Es mag zutreffen, dass grundsätzlich die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage angewandt werden können, wenn die Sondervorschriften über Altenteilsverträge nicht anwendbar sind, und dass der Gesichtspunkt des Wegfalles der Geschäftsgrundlage, der bei Altenteilsverträgen im Falle einer wesentlichen Änderung in den allgemeinen oder auch nur in den persönlichen Verhältnissen der Beteiligten eine Vertragsanpassung durch Zubilligung von Geldbezügen anstelle der ausbedungenen Sach- und Dienstleistungen rechtfertigen kann, in gleicher Weise auch für eine Versorgungsabrede in Verträgen rechtlich anderer Art gelten kann (vgl. BGH DB 1981, 1614 f.; BGH NJW-RR 1989, 451; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, 326 f.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 201 f.; OLG Celle, OLGR 1996, 14; OLG Celle, OLGR 2000, 63).
34Die Voraussetzungen eines Zahlungsanspruches nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage liegen aber hier nicht vor. Die Änderung vertraglich vereinbarter Altenteilsleistungen/Versorgungsleistungen nach den Regeln
35über den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist nur dann zulässig, wenn sich die für ihre Festsetzung maßgeblichen allgemeinen Verhältnisse seit Abschluss des Vertrages erheblich verändert haben. Dass die Schwiegermutter des Antragsgegners schließlich in einem Altenheim leben musste, hat die bei Abschluss des Vertrages angenommenen Verhältnisse nicht in diesem Sinne erheblich umgestaltet. Mit einer solchen Entwicklung mussten die Parteien jenes Vertrages bei vernünftiger und realitätsnaher Abschätzung der Zukunft jedenfalls rechnen.
36Gleichwohl sieht jener Vertrag nur solche Leistungen vor, die die Verpflichtete ohne finanzielle Aufwendungen erbringen konnte. Es hätte für die Partner jenes Rechtsgeschäfts nahe gelegen, eine Zahlungspflicht für den Fall zu begründen, dass die Berechtigte des Wohn- und Versorgungsrechts infolge erhöhter Pflegebedürftigkeit auf dem übertragenen Anwesen nicht mehr leben konnte. Dass sie gleichwohl nur solche Leistungen vereinbart haben, die der Verpflichteten einen finanziellen Aufwand nicht abforderten, macht den Willen der Berechtigten deutlich, die mit jenem Vertrag begründeten Versorgungsrechte, die im übrigen nur pauschal beschrieben sind, auf die Zeit begrenzt werden sollten, solange die Begünstigte auf dem übertragenen Grundstück leben konnte (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1996, 1360; OLG Düsseldorf, OLGR 2001, 523).
37Auch hinsichtlich des Wohnungsrechtes kommt eine Umwandlung in einen Zahlungsanspruch nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass trotz der Unterbringung der Antragstellerin in einem Altenheim das Wohnungsrecht weiter besteht. Die bloße Nichtausübung des Wohnungsrechtes führt nur dazu, dass die Wohnung leer steht, nicht aber dazu, dass die Antragstellerin oder gar der Antragsgegner berechtigt wäre, die Wohnung zu vermieten und so das Wohnungsrecht wirtschaftlich zu verwerten. Das Wohnungsrecht gibt der Berechtigten lediglich das Recht, die Wohnung unter Ausschluss des Eigentümers zu nutzen; ihr ist nicht gestattet, die Ausübung anderen Personen als Familienangehörigen zu überlassen, § 1093 Abs. 2 BGB. Zieht die Berechtigte in ein Altenheim, wird ihr die Ausübung des Wohnungsrechtes zwar subjektiv unmöglich; das Wohnungsrecht erlischt deswegen jedoch nicht (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR 2001, 523, 524; OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 1041 f.; Schneider, MDR 1989, 87).
38Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 3 ZPO n.F. zu.
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P... | RaOLG Dr. W... ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben P... | T... |
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