Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 30/02
Tenor
1.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Be-schluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 31. Mai 2002 (VK 2 – 20/02) wird zurückgewiesen.
2.
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der vorge-nannte Beschluss aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
3.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge einschließlich der durch den gemäß § 121 GWB gestellten Antrag verursachten Kos-ten werden der Antragstellerin auferlegt.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I. Die Vergabestelle (das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Inneren) gab im März 2002 die Absicht der Vergabe eines Rahmenvertrages zur Lieferung und Einrichtung von polizeilichen Einsatz-, Leit- und Unterstützungssystemen für Dienststellen des Bundesgrenzschutzes im Wege eines Nichtoffenen Verfahrens bekannt. Die ersten drei Systeme (von insgesamt 14 Gesamt- und 10 Teilsystemen) dieses (auf einen Wert von etwa 20 Millionen Euro geschätzten) Beschaffungsvorhabens sollten bis Ende des Monats Oktober 2002, die übrigen sollten in den Folgejahren geliefert werden. Die Frist für den Eingang der Teilnahmeanträge war auf 17 Tage abgekürzt worden (bis zum 15.3.2002, gerechnet vom Tag der Absendung der Bekanntmachung, dem 26.2.2002, an). Als Begründung für die Beschleunigung des Verfahrens war in der Bekanntmachung angegeben: "Die Leistung ist Bestandteil von Maßnahmen, die im Sicherheitspaket der Bundesrepublik Deutschland zur Gewährleistung einer jederzeitigen hohen öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Rahmen der Anti-Terror-Maßnahmen verankert" sind.
3Die Antragstellerin stellte neben mehr als 20 weiteren Bewerbern fristgerecht einen Teilnahmeantrag. Mit Schreiben an die Vergabestelle vom 8.3.2002 rügte sie die Wahl der Vergabeart, die Ausschreibung eines Rahmenvertrages, die Unbestimmtheit der Bekanntmachung in zeitlicher Hinsicht und die Verkürzung der Frist für den Antrag auf Teilnahme, worauf die Vergabestelle die Antragstellerin mit Antwortschreiben vom 14.3.2002 abschlägig beschied.
4Die Vergabestelle bewertete im Folgenden fünf Bewerber auf Grund ihrer Teilnahmeanträge als geeignet und sechs weitere als bedingt geeignet. Die Antragstellerin befand sich nicht in diesem Kreis von Bewerbern, was die Vergabestelle ihr mit Schreiben vom 28.3.2002 mitteilte. Die auf mehrere Beanstandungen am Vergabeverfahren gestützte Rüge der Antragstellerin vom 4.4.2002 wies die Vergabestelle mit Schreiben vom 5.4.2002 zurück.
5Daraufhin hat die Antragstellerin Nachprüfungsantrag gestellt, mit dem sie unter anderem eine Unklarheit der Bekanntmachung, die Abkürzung der Frist zur Einreichung von Teilnahmeanträgen sowie eine ermessensfehlerhafte Auswahlentscheidung der Vergabestelle unter den eingegangenen Bewerbungen beanstandet und mit dem sie in der Hauptsache beantragt hat,
6der Vergabestelle aufzugeben, in der genannten Vergabesache (Geschäftszeichen 2002/S 45-035264) das Vergabeverfahren ab der Bekanntmachung zu wiederholen.
7Die Antragsgegnerin, vertreten durch die Vergabestelle, ist dem Nachprüfungsbegehren entgegen getreten und hat dessen
8Zurückweisung beantragt.
9Die Vergabekammer hat die Frist für den Antrag auf Teilnahme für zu kurz bemessen erachtet. Mit ihrem Beschluss vom 31.5.2002 hat sie der Antragsgegnerin/Vergabestelle (in der Sache unter Zurückweisung des weitergehenden Antrages der Antragstellerin) in der Hauptsache im Wesentlichen aufgegeben:
10- Die Antragstellerin erhält Gelegenheit, innerhalb einer Frist von 20 Tagen einen neuen Teilnahmeantrag einzureichen. Es steht der Antragstellerin frei, hierzu eine Bietergemeinschaft einzugehen. ... Die Vergabestelle hat einen fristgerecht bei ihr eingehenden Teilnahmeantrag der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu werten.
- Stellt die Vergabestelle bei dieser Wertung die Eignung der Antragstellerin bzw. der unter Beteiligung der Antragstellerin gebildeten Bietergemeinschaft fest, so hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer darüber zu entscheiden, ob sie die Antragstellerin bzw. die unter Beteiligung der Antragstellerin gebildete Bietergemeinschaft zur Angebotsabgabe auffordert.
- Im Falle der Aufforderung zur Angebotsabgabe gilt:
Die Vergabestelle hat die Angebotsfrist für die Antragstellerin auf 40 Tage, gerechnet vom Tag der Absendung der schriftlichen Aufforderung zur Angebotsabgabe an, festzusetzen. Die Antragstellerin ist den übrigen zur Angebotsabgabe aufgeforderten Bietern gleichzustellen. ... Ein fristgerecht eingehendes Angebot der Antragstellerin bzw. der unter ihrer Beteiligung gebildeten Bietergemeinschaft ist zusammen mit den bereits vorliegenden Angeboten der übrigen Bieter zu werten.
14Gegen diese Entscheidung haben beide Beteiligten sofortige Beschwerde eingelegt – die Antragstellerin, weil ihr die Entscheidung der Vergabekammer nicht weit genug geht, die Antragsgegnerin mit dem Ziel einer Zurückweisung des Nachprüfungsantrages.
15Die Antragstellerin beantragt,
16unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der Vergabekammer und Zurückweisung der sofortigen Beschwerde der Antragsgegnerin, der Vergabestelle Folgendes aufzugeben:
17- Die Antragstellerin erhält Gelegenheit, innerhalb einer Frist von 20 Tagen einen neuen Teilnahmeantrag einzureichen. Es steht der Antragstellerin frei, hierzu eine Bietergemeinschaft einzugehen. Die Frist beginnt mit der Absendung einer entsprechenden schriftlichen Aufforderung der Vergabestelle an die Antragstellerin. Geht der Antragstellerin eine solche Aufforderung nicht vor dem Eintritt der Bestandskraft dieses Beschlusses zu, so beginnt die Frist mit dem Eintritt der Bestandskraft. Die Vergabestelle hat einen fristgerecht bei ihr eingehenden Teilnahmeantrag der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu werten.
- Stellt die Vergabestelle bei dieser Wertung die Eignung der Antragstellerin bzw. der unter Beteiligung der Antragstellerin gebildeten Bietergemeinschaft fest, so hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats darüber zu entscheiden, ob sie die Antragstellerin bzw. die unter Beteiligung der Antragstellerin gebildete Bietergemeinschaft zur Angebotsabgabe auffordert.
- Im Falle der Aufforderung der Antragstellerin bzw. der unter Beteiligung der Antragstellerin gebildeten Bietergemeinschaft zur Angebotsabgabe ist das Vergabeverfahren beginnend mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen.
Der Antrag zu c) kennzeichnet die Zielrichtung der sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die damit erreichen will, dass der gesamte, teilweise von der Vergabestelle schon vollzogene Vorgang der Wertung bereits eingegangener Angebote wiederholt wird.
21Die Antragsgegnerin beantragt,
22unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der Vergabekammer und Zurückweisung des Rechtsmittels der Antragstellerin den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
23Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin den Antrag gestellt,
24ihr den weiteren Fortgang des Vergabeverfahrens und Erteilung des Zuschlags vorab zu gestatten.
25Die Antragstellerin tritt diesem Antrag entgegen.
26Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
27II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Dagegen hat das Rechtsmittel der Antragsgegnerin Erfolg. Infolgedessen ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen. Mit dem diesbezüglichen Ausspruch in der Hauptsache ist der die Vorabentscheidung über den Zuschlag gemäß § 121 GWB betreffende Antrag der Antragsgegnerin gegenstandslos.
28a) Gemäß der Entscheidung der Vergabekammer hatte die Wertung des Teilnahmeantrags der Antragstellerin durch die Vergabestelle allein deswegen keinen Bestand, weil die Frist für den Antrag auf Teilnahme am Vergabeverfahren zu kurz bemessen gewesen sei (abgekürzt von 37 auf 17 Tage, gerechnet vom Tag der Absendung der Bekanntmachung an). Die weiteren das Verfahren be-treffenden Rügen der Antragstellerin hat die Vergabekammer für unbegründet gehalten. Gegen diesen Teil der angefochtenen Entscheidung ist nichts einzuwenden. Die Antragstellerin, die hierauf mit ihrem Rechtsmittel auch nicht beharrt, hat mit Erfolg weder die Wahl der Vergabeart des Nichtoffenen Verfahrens, noch die Absicht der Vergabestelle, einen Rahmenvertrag abzuschließen, noch eine Unklarheit der Bekanntmachung beanstandet. Hierzu ist auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses zu verweisen (unter 2. a), c), d), Beschlussabdruck S. 14 bis 17, 19 bis 21).
29b) Auch die der Abkürzung der Frist zur Einreichung von Teilnahmeanträgen geltende Beanstandung der Antragstellerin ist indessen unbegründet. Gemäß § 18 a Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 der auf den vorliegenden Fall anzuwendenden VOL/A beträgt beim Nichtoffenen Verfahren die vom Auftraggeber festzusetzende Frist für den Antrag auf Teilnahme mindestens 37 Tage, in Fällen besonderer Dringlichkeit mindestens 15 Tage, jeweils gerechnet vom Tag der Absendung der Bekanntmachung an.
301. Die Antragsgegnerin hat die Abkürzung der Regelfrist auf 17 Tage damit gerechtfertigt, die beabsichtigte Vergabe der Lieferung und Einrichtung von elektronischen Systemen zur Unterstützung der polizeilichen Einsatzleitung des Bundesgrenzschutzes sei als Bestandteil der Anfang des Jahres 2002 in Kraft getretenen Maßnahmen des so genannten zweiten Anti-Terror-Pakets der Bundesregierung besonders dringlich. Es sollten zunächst, und zwar bis zum 31.10.2002, die Dienststellen des Bundesgrenzschutzes an den als besonders gefährdet eingestuften Standorten in Berlin, Frankfurt am Main/Flughafen und Köln mit den neuen Systemen ausgerüstet werden. Im übrigen zwinge die derzeitige Haushaltslage des Bundes dazu, die weitere Beschaffung auf die Folgejahre zu verteilen.
31Die Vergabekammer hat diese Begründung im Anschluss an den Vortrag der Antragstellerin nicht überzeugt (Beschlussabdruck S. 17 bis 19). Sie hat allerdings eine abstrakte Gefahrenlage dahingehend gesehen, dass sich in Deutschland nicht ausschließbar künftig terroristische Anschläge ereignen könnten, womit eine jederzeit realisierbare Gefahr für hochrangige Rechtsgüter gegeben sei. Dieser Befund – so die Vergabekammer – erfordere es jedoch nicht, in Vergabeverfahren der vorliegenden Art die Mindestfrist für die Einreichung von Teilnahmeanträgen abzukürzen. Es seien keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die zu beschaffenden Einsatzleitsysteme für eine erfolgreiche Gefahrenabwehr oder Schadensminderung unerlässlich seien. Die Vorzüge solcher Anlagen wirkten sich nämlich nicht nur bei Gefahrenabwehrmaßnahmen aus Anlass terroristischer Anschläge, sondern gleichermaßen bei der Abwehr nicht-terroristischer Gefahren aus, welche die Einsatzmöglichkeiten des Bundesgrenzschutzes zum weitaus größten Teil binde. Für diesen Einsatzbereich habe man die Einsatzleitsysteme, die Gegenstand des Vergabeverfahrens sind, aber offenbar nicht für unerlässlich gehalten. Im Übrigen seien – von den drei genannten Standorten abgesehen – die meisten Dienststellen des Bundesgrenzschutzes darauf angewiesen, ihre polizeilichen Aufgaben zunächst noch mit den herkömmlichen Mitteln zu erfüllen. Dass diese Mittel ungeeignet seien, habe die Antragsgegnerin nicht behauptet. Unabhängig hiervon wirke sich eine beschleunigte Beschaffung von Einsatzleitsystemen auf Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nur aus, wenn sich die festgestellte Gefahr - und zwar innerhalb desjenigen Zeitraums, um den die Frist zur Einreichung von Teilnahmeanträgen verkürzt worden sei (20 Tage), d.h. in der Zeit vom 1.11. bis zum 20.11.2002 - an einem jener drei Standorte verwirkliche, die als erste mit den neuen Systemen ausgestattet werden sollten. Damit erweise sich der Nutzen der Fristverkürzung jedoch als zu gering und zu unsicher. Da der voraussichtliche Nutzen eine Abkürzung der Frist zur Einreichung von Teilnahmeanträgen nicht rechtfertige, sei das Merkmal der besonderen Dringlichkeit in § 18 a Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A auch mit Rücksicht auf die dadurch für die Bewerber eintretende Erschwernis, innerhalb der abgekürzten Frist einen aussagekräftigen Teilnahmeantrag zu stellen, hier zu verneinen.
32Dieser Beurteilung der Sachlage und der rechtlichen Bewertung durch die Vergabekammer ist nicht beizupflichten. Die Vergabekammer hat einerseits akzeptiert, dass im Hinblick auf terroristische Gewaltakte in der Bundesrepublik Deutschland eine Gefährdungslage besteht. Bei dem der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt ist ihre Schlussfolgerung indes wenig lebensnah und allzu engherzig, die Beschleunigung einer Beschaffung von Einsatzleitsystemen sei allenfalls an jenen 20 Tagen, um welche die Frist zur Einreichung von Teilnahmeanträgen abgekürzt worden sei, und nur an denjenigen drei Standorten von Dienststellen des Bundesgrenzschutzes, die bestimmungsgemäß als erste mit den neuen Systemen auszurüsten seien, geeignet, Maßnahmen der Gefahrenabwehr sinnvoll zu unterstützen. Der unter anderem hieraus abgeleiteten Bewertung der Vergabekammer, wonach diese Beschaffung nicht besonders dringlich sei, folgt der Senat demnach nicht.
332. Der Senat stimmt der Antragsgegnerin darin zu, dass in der Bundesrepublik Deutschland eine (latente) Gefahrenlage besteht, der zu Folge es jeder Zeit zu terroristischen Anschlägen kommen kann, die ähnliche Ziele und ähnliche Auswirkungen haben können wie diejenigen, die sich am 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika ereignet haben. Dies entspricht der Einschätzung der politischen Instanzen in der Bundesrepublik (namentlich der Bundesregierung) und der sie unterstützenden Sicherheitsbehörden, denen im Rahmen dieser Beurteilung eine Einschätzungsprärogative zuzuerkennen ist, mit der Folge, dass ihre Beurteilung der Sicherheitslage von den Betroffenen hingenommen werden muss. Unabhängig hiervon wird die dargestellte Bewertung der Sicherheitslage in Deutschland ganz überwiegend für zutreffend gehalten und von der öffentlichen Meinung mit Recht geteilt. Das kann der Senat aus eigener Wahrnehmung und Sachkenntnis feststellen. Diese Gefahr ist nicht lediglich ab-strakter Natur, sondern ist als eine hinlänglich konkrete einzustufen, was sich daran erweist, dass sich ein Teil jener Attentäter, die an den Anschlägen vom 11. September 2001 beteiligt waren, vor der Tat in Deutschland aufhielt, dass – in einem die Tat fördernden Sinn - folglich Verbindungen zu anderen in Deutschland lebenden Personen sowie unter diesen bestanden und nach der Lebenserfahrung nicht anzunehmen ist, derartige Beziehungen seien nach dem Datum des 11. September 2001 abgebrochen. Ungeachtet dessen sind diese Terroranschläge in ihrer zeitlichen und räumlichen Dimension nicht isoliert, sondern – wie deutlich wird an den schon in der Vergangenheit weltweit verübten Terrorakten - als Teil einer internationalen Bedrohung zu sehen. Das von der festzustellenden Gefahrenlage ausgehende Bedrohungspotential für hochwertige immaterielle und materielle Rechtsgüter ist außergewöhnlich groß und – dieses vor allen Dingen von den Sicherheitsbehörden – so ernst zu nehmen, dass darüber schlechterdings nicht hinweggesehen werden kann. Auf diese Bedrohungslage hat der Gesetzgeber mit dem Anfang des Jahres 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9.1.2002 reagiert (BGBl. I 361 – auch "zweites Anti-Terror-Paket" genannt). Im Zuge dessen ist der Vergabestelle die Beschaffung aufgegeben worden, die den Gegenstand des vorliegenden Vergabeverfahrens bildet und einerseits den erweiterten Befugnissen des Bundesgrenzschutzes Rechnung tragen sowie andererseits auch den Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden und innerhalb des Bundesgrenzschutzes verbessern soll.
34Von dieser vom Senat geteilten Darstellung der Antragsgegnerin weicht die Beurteilung der Antragstellerin im Kern nicht erheblich ab. Die Antragstellerin trägt vor, durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 sei die seit Jahren gleichermaßen bestehende Gefährdungssituation in der Bundesrepublik Deutschland der Bevölkerung in erhöhtem Maß bewusst geworden. Eine konkrete Gefahrenlage steht als solche jedoch außer Streit. Darüber hinaus macht die Antragstellerin geltend, die konkrete Gefahr terroristischer Aktivitäten sei nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eher gesunken, da diese zu einer Vielzahl geheimdienstlicher und polizeilicher Maßnahmen (beispielweise zu so genannten Rasterfahndungen und zu einer wesentlich erhöhten Wachsamkeit bei den Sicherheitsbehörden) geführt hätten, durch welche die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung von Terrorvorbereitungen erheblich gestiegen sei (GA 84). In dieser Einschätzung ist der Antragstellerin indes nicht zu folgen. Denn es sind schlechterdings keine zureichenden Tatsachengrundlagen für eine verlässliche Feststellung dahin vorhanden, die konkrete Gefahr terroristischer Aktivitäten und Anschläge habe sich seit dem 11. September 2001 in der Bundesrepublik Deutschland spürbar vermindert.
353. Bei dieser Sachlage ist die Beschaffung der Einsatzleitsysteme, die Gegenstand des vorliegenden Vergabeverfahrens sind, als besonders dringlich im Sinne des § 18 a Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A einzustufen. Das Tatbestandsmerkmal der besonderen Dringlichkeit kennzeichnet die nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilende Eilbedürftigkeit der beabsichtigten Beschaffung. Ein messbarer Unterschied zu der Voraussetzung der (bloßen) Dringlichkeit, die nach § 18 a Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 VOB/A eine Abkürzung der Bewerbungsfrist rechtfertigt, ist dem Merkmal der besonderen Dringlichkeit in der genannten Bestimmung der VOL/A dagegen nicht zuzuerkennen.
36aa) Die besondere Dringlichkeit der Beschaffung ergibt sich aus dem Grad der dargestellten Gefahrenlage sowie aus dem Umstand, dass diese Gefahrenlage hochwertige Rechtsgüter (vor allem Leib und Leben der Bevölkerung) bedroht. Die erkannte Gefahr gebot Erfolg versprechende und rasch wirkende, also eilbedürftige Gegenmaßnahmen. Die Gegenmaßnahmen sind in Gestalt des so genannten zweiten Anti-Terror-Pakets im Rahmen der nach den Art. 73 und 74 des Grundgesetzes gegebenen Zuständigkeit vom Bundestag und von der Bundesregierung getroffen worden. Im Zuge dieser Maßnahmen ist – was außer Streit steht - die Anordnung über die Beschaffung neuer Einsatzleitsysteme für den Bundesgrenzschutz ergangen. Die Ausstattung des Bundesgrenzschutzes mit solchen Einsatzleitsystemen ist im Zusammenwirken mit den anderen Maßnahmen des Anti-Terror-Pakets sachlich geeignet, jedenfalls eine gewisse und rasch wirkende Abwehr gegen terroristische Aktivitäten zu errichten.
37Die Antragsgegnerin hat die Vorzüge der zu beschaffenden Einsatzleitsysteme dahin zusammengefasst, dass sie erlauben:
38- eine Verdichtung einsatzrelevanter Informationen (insbesondere im Fall komplexer Einsatzlagen) bei den handelnden Dienststellen des Bundesgrenzschutzes,
- einen schnellen zielgerichteten Zugriff der Sachbearbeiter auf aktuelle Daten und damit
- sichere Entscheidungsgrundlagen,
die bei einer Umsetzung in Einsatzmaßnahmen
40- eine effektivere Zuordnung der Einsatzmittel zu den Einsatzaufträgen sowie
- eine wesentlich raschere Bearbeitung sicher stellen (GA 19).
Solche Einsatzleitsysteme – so trägt die Antragsgegnerin unwidersprochen vor – seien insbesondere unmittelbar vor, während sowie unmittelbar nach Anschlägen besonders effizient. So könnten im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld terroristischer Anschläge mit Unterstützung durch ein Einsatzleitsystem vielfältige und wirksame Maßnahmen zur Gefahrenabwehr getroffen werden (GA 107).
42Die Antragstellerin hat diese von der Antragsgegnerin dargestellten Vorzüge von Einsatzleitsystemen nicht in Abrede gestellt. Ihre Beurteilung, eine dadurch bewirkte Beschleunigung des Einsatzes sei gerade im Hinblick auf ein früheres Eintreffen von Beamten am Einsatzort nicht überzubewerten (GA 84), mag für sich allein betrachtet zutreffen; sie geht jedoch nur auf einen Teilaspekt der oben wiedergegebenen Vorzüge der Beschaffung ein. Nach dem unstreitigen Sachverhalt ist – was der Senat selbst feststellen kann - die den Streitfall bildende Auftragsvergabe mithin nachvollziehbar und zu Recht als eilbedürftig und damit als besonders dringlich im Sinne von § 18 a Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A behandelt worden. Denn geeignete Abwehrmaßnahmen gegen den internationalen Terrorismus versprechen um so mehr Erfolg, je eher die Sicherheitsbehörden über sie verfügen können. Als Folge dessen ist eine Abkürzung der Frist zur Einreichung von Teilnahmeanträgen rechtens und von den Bewerbern hinzunehmen, ungeachtet dessen, dass eine Bewerbung damit Erschwernissen unterliegt. Nach der der genannten Vorschrift der VOL/A zugrunde liegenden Wertung findet hier eine Abwägung des Interesses an der in Rede stehenden Beschaffung und der Belange potentieller Bewerber um eine Auftragsvergabe nicht statt. Es ist auch dem von ihnen selbst zu tragenden unternehmerischen Risiko möglicher Bewerber zuzuordnen, dass die Abkürzung der Bewerbungsfrist die zur Verfügung stehende Zeit beschränkt, mit anderen interessierten Bewerbern Bietergemeinschaften einzugehen.
43Unter diesen Voraussetzungen ist auch der vorstehend wiedergegebenen Zeitrechnung der Vergabekammer nicht zu folgen. Die von der Vergabekammer angestellte vorausschauende Betrachtung und Bewertung, ob gerade in jenem Zeitraum, um den die Frist für den Teilnahmeantrag verkürzt worden ist (also vom 1.11. bis zu 20.11.2002), die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland so hoch und so konkret zu bewerten ist, dass von daher eine Ausstattung der ersten drei Dienststellen des Bundesgrenzschutzes, und zwar in Berlin, Frankfurt am Main und Köln, mit den neuen Einsatzleitsystemen als besonders vordringlich zu behandeln ist, ist nicht entscheidend. Denn es lässt sich auch nicht annähernd voraussehen und hat demnach aus den Überlegungen auszuscheiden, ob sich die festgestellte Terrorismusgefahr in dem genannten Zeitraum oder in einem der drei genannten Standorte realisieren wird. Für die Entscheidung ist vielmehr allein bedeutsam, dass die getroffene Maßnahme im Zusammenwirken mit anderen Maßnahmen des Sicherheitspakets eine geeignete und erfolgreiche Abwehr gegen Einwirkungen des internationalen Terrorismus verspricht. Dies ist nicht zu verneinen. Dann ist die Beschaffung aber als besonders dringlich im Sinne von § 18 a Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A einzustufen, denn die geeigneten Abwehrmaßnahmen versprechen eine um so höhere Wirkung, je eher die Sicherheitsbehörden über die entsprechenden Mittel verfügen.
44Die von der Antragstellerin gegen diese Überlegungen angeführte Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts vom 14.11.2001 (Az. 6 Verg 6/01 = Anl. BG 5) rechtfertigt keine andere Beurteilung der Sachlage. Der Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts betraf die Beschaffung eines Einsatzleitsystems für die Thüringer Polizei und von daher schon eine andere Sache als das vorliegende Verfahren. Gegenstand jenes Verfahrens war die Entscheidung über die vom dortigen Antragsgegner beantragte Gestattung eines Vorabzuschlages nach § 121 GWB, die das Gericht abgelehnt hat. Diese Entscheidung richtet sich nach anderen und strengeren Voraussetzungen als die Beurteilung der Rechtsfrage, ob die Abkürzung der Frist für den Antrag auf Teilnahme nach § 18 a Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A zu beanstanden ist. Der Senat stellt sich mit seiner Entscheidung demnach auch nicht in einen Widerspruch zu der genannten Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts. Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof ist daher nicht veranlasst (§ 124 Abs. 2 GWB).
45bb) Unabhängig von den vorstehenden Überlegungen und von der eigenen Feststellung des Senats, dass die vorliegend zu beurteilende Beschaffungsmaßnahme einer besonderen Dringlichkeit unterlag, ist gegen eine Beschaffung von Einsatzleitsystemen in einem (durch Abkürzung der Frist zur Einreichung von Teilnahmeanträgen) beschleunigten Vergabeverfahren jedenfalls auch deswegen nichts einzuwenden, weil den mit der Gewährleistung der innerstaatlichen Sicherheit befassten Stellen und der von diesen beauftragten Vergabestelle ein – nur in gewissen Grenzen rechtlich nachprüfbarer – Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung zuzuerkennen ist, welche Maßnahmen mit welchen Prioritäten als Reaktion auf die durch den internationalen Terrorismus erzeugte Bedrohungslage ergriffen werden sollen, und ob diese durch eine Auftragsvergabe in einem beschleunigten Vergabeverfahren umgesetzt werden sollen. Die Einschätzung der Sicherheitslage obliegt ohnedies den staatlichen Sicherheitsbehörden, namentlich dem Bundesministerium des Inneren als der zuständigen Vertretungsbehörde der Antragsgegnerin. Die Sicherheitsbehörden sind ebenfalls zuständig, im Allgemeininteresse geeignete Maßnahmen gegen eine erkannte und die Allgemeinheit bedrohende Gefahr zu ergreifen. Dann ist es nur folgerichtig, dass ihnen und den mit der Umsetzung betrauten Vergabestellen in einem rechtlich nur beschränkt nachprüfbaren Rahmen auch die Wahl der zweckentsprechenden Mittel und Maßnahmen sowie die Entscheidung übertragen ist, ob und mit welchem wo ansetzenden Beschleunigungsgrad diese beschafft und/oder verwirklicht werden sollen. Damit ist – wie die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hiergegen eingewandt hat – nicht die Möglichkeit zu einer willkürlichen Handhabung eines Vergabeverfahrens und der anschließenden Auftragsvergabe eröffnet. Denn die das Vergabeverfahren betreffenden Entscheidungen, bleiben nach den allgemeinen Grundsätzen darauf überprüfbar, ob die Vergabestelle ihre Entscheidung auf der Grundlage eines zutreffend ermittelten Sachverhalts getroffen und diese nicht mit sachfremden Erwägungen und willkürfrei begründet hat. Unter diesem Blickwinkel ist die Abkürzung der Frist für den Antrag auf Teilnahme vertretbar und nicht zu beanstanden, und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass zunächst nur die Dienststellen des Bundesgrenzschutzes in Berlin, Frankfurt am Main/Flughafen und Köln mit den neuen Einsatzleitsystemen ausgestattet werden sollen und der Schutzzweck für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hierdurch noch nicht erreicht wird. Die vorrangige Ausstattung der genannten drei Standorte erscheint jedenfalls nicht willkürlich deshalb, weil das Gefährdungspotential – von der Antragstellerin unangegriffen – an jenen Standorten als besonders hoch eingestuft worden ist und – wie ebenfalls unstreitig ist – die beschränkten Haushaltsmittel des Bundes eine sofortige flächendeckende Einführung der neuen Einsatzleitsysteme nicht zulassen.
464. Die Antragstellerin hat – wie die Vergabekammer mit Recht entschieden hat - ebenfalls ohne Erfolg die Wertung der übrigen Teilnahmeanträge durch die Vergabestelle beanstandet (Gründe des angefochtenen Beschlusses S. 21 f.). Dies ist auch nicht Gegenstand des Rechtsmittels der Antragstellerin, so dass es genügt, auf die von der Vergabekammer gegebene Begründung zu verweisen. Hiervon abgesehen ist die Antragstellerin durch die Bewertung der Teilnahmeanträge anderer Bewerber – da sie selbst die Eignungsanforderungen nicht erfüllt – in ihren Rechten als Bewerberin um die vorliegend in Frage stehende Auftragsvergabe nicht verletzt (vgl. BayObLG NZBau 2000, 259, 260).
47Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer beruht auf § 128 Abs. 3 und 4 GWB. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften.
48Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 155.000 Euro
49Die Streitwertfestsetzung gründet sich auf § 12 a Abs. 2 GKG.
50J...
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.