Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 8 U 10/02
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. November 2001 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreck-baren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
1Die Klägerin ist die Witwe und Erbin des am 14. November 1933 geborenen und am 14. Juli 1988 verstorbenen Herrn E. B.. Der Erblasser war während seiner Berufstätigkeit als Bergmann unter Tage sowie insbesondere als Sandstrahler über lange Jahre einem Kontakt mit Quarzsandstäuben sowie kurzfristig auch einer Asbestfeinstaubexposition ausgesetzt. Auf Veranlassung der Bau-Berufsgenossenschaft wurden seit den 50iger Jahren regelmäßige Röntgenkontrollen bei dem Erblasser durchgeführt, aufgrund derer sich Anfang der 70iger Jahre der Verdacht einer Silikose ergab. Ein hierauf im Jahre 1979 von Herrn B. durchgeführtes Verfahren zur Anerkennung einer Berufskrankheit hatte keinen Erfolg. In der Folgezeit wurde eine Vielzahl weiterer Gutachten zur Ermittlung des Vorliegens einer Berufskrankheit eingeholt; Ende des Jahres 1995 wurde der Erblasser im Auftrage der Bau-Berufsgenossenschaft untersucht; dabei wurden im Rahmen der Diagnostik am 6. Dezember 1995 Röntgenaufnahmen des Thorax gefertigt, sowie am 16. Januar 1996 eine Computertomographie der Thoraxorgane durchgeführt. Am 2. Dezember 1997 beauftragte die Bau-Berufsgenossenschaft Rheinland und Westfalen den Beklagten, einen niedergelassenen Facharzt für innere Medizin und Pneumologie, damit, ein Gutachten zu erstatten und unter anderem folgende Fragen zu beantworten:
2„1. Welche Beschwerden werden von dem Erkrankten vorgetragen?
32. Welche Befunde haben sie erhoben?
43. Werden die von dem Erkrankten vorgetragenen Beschwerden durch die
5erhobenen Befunde erklärt?
64. Wie lautet die Diagnose?
75. Ist die diagnostizierte Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch
8die berufliche Tätigkeit verursacht worden; gegebenenfalls welche Berufs-
9krankheit liegt vor?
10....
117. Welche Befunde sind nicht Folge der Berufskrankheit?
128. Sind Heilbehandlungsmaßnahmen angezeigt, ggf. welche?
139. Ist eine Nachuntersuchung erforderlich, ggf. welche?“
14Der Beklagte nahm am 14. Januar 1998 die Untersuchung des Erblassers vor und fertigte zwei Röntgenaufnahmen der Lunge an; außerdem lag ihm zur Diagnostik das Röntgenbild aus der Klinik B. vom Dezember 1995 vor. Auf dieser – früheren – Aufnahme zeigte sich im Bereich des rechten Obergeschosses der Lunge eine Strukturverdichtung, die auch auf den aktuellen Bildern vom 14. Januar 1998 sichtbar war, von dem Beklagten aber nicht als bedenklich bewertet wurde. Zur zusätzlichen Absicherung seines Befundes überwies der Beklagte den Erblasser in die Klinik Bergmannsheil zur Durchführung einer Computertomographie, die am 19. Januar 1998 vorgenommen wurde. Bei der Beurteilung der aktuellen CT-Aufnahmen gelangten die Ärzte der Klinik B. zu dem Ergebnis, dass die flächigen Verdichtungen im rechten Lungenspitzenoberfeld „am ehesten mit postentzündlichen Residuen zu vereinbaren seien“. Sie empfahlen in ihrem Gutachten vom 20. März 1998 zur Verlaufsbeurteilung einer Befundänderung dieser Verdichtungen dringend den Vergleich mit den Voraufnahmen von Dezember 1995 und Januar 1996.
15Im Mai 1998 begab der Erblasser sich aufgrund von Beschwerden in das K..-Krankenhaus R.; dort wurde ein Bronchial-Karzinom mit Hirn- und Knochenmetastasen sowie einem Verdacht auf eine Lebermetastasierung diagnostiziert. Am 2. Juni 1998 erstattete der Beklagte sein Gutachten für die Bau-Berufsgenossenschaft und führte darin zum Ergebnis seiner Röntgenuntersuchung aus, dass sich die Strukturverdichtung in der Lunge im Vergleich zu den Voraufnahmen von Dezember 1995 in der Größe und Konfiguration unverändert zeige. Die Krebserkrankung des Erblassers wurde im K.-Krankenhaus R. mit einer Chemotherapie sowie Kobaltbestrahlungen behandelt; darunter entwickelte sich eine käsige tuberkulöse Pneumonie, die schließlich zum Tode des Patienten führte.
16Die Klägerin macht Ersatzansprüche geltend. Sie hat behauptet, der Beklagte habe grob fahrlässig verkannt, dass es sich bei der Verdichtung der rechten oberen Lunge um ein Karzinom gehandelt habe, deshalb sei die Behandlung verspätet erfolgt. Bei rechtzeitiger Diagnose der Krebserkrankung hätte noch vor der Entstehung von Metastasen ein erfolgversprechender chirurgischer Eingriff erfolgen können; einer Chemo- und Strahlentherapie, die wegen der Immunsupression die Lungenentzündung ausgelöst habe, hätte es nicht bedurft; der Erblasser hätte über viele Jahre hinweg weiterleben können. Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld von mindestens 30.000 DM für angemessen erachtet und vorgetragen, der Erblasser habe während seines Krankenhausaufenthaltes bis zu seinem Todestag unter starken Schmerzen gelitten, die auch mit Morphinen nicht hätten beherrscht werden können. Des weiteren hat sie Ersatz der entfallenen Mithilfe ihres Ehemannes im Haushalt sowie eines Barunterhaltes für die Zeit vom 4. Juli 1998 bis einschließlich März 2000 begehrt und beantragt,
171.
18den Beklagten zu verurteilen, an sie ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 6. Juli 1999 zu zahlen;
192.
20den Beklagten zu verurteilen, an sie 65.762,52 DM nebst 4 % Zinsen wie folgt zu zahlen:
21- aus 39.997,40 DM seit dem 6. Juli 1999
22- 4 % von jeweils 3.220,64 DM seit dem 31. August, 30. September,
2331. Oktober, 30. November und 31. Dezember 1999 sowie
2431. Januar, 29. Februar und 31. März 2000;
253.
26festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, ihr sämtlichen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Fehlbehandlung des verstorbenen Ehegatten E. B. aus der Zeit von 1997/1998 entstanden sei und noch entstehen werde.
27Der Beklagte hat beantragt,
28die Klage abzuweisen.
29Der Beklagte hat vorgetragen; eine Haftung seinerseits komme schon deswegen nicht in Betracht, weil er mit dem Erblasser weder einen Behandlungsvertrag abgeschlossen, noch dessen Behandlung übernommen, sondern lediglich im Auftrage der Bau-Berufsgenossenschaft ein Gutachten erstattet habe. Im übrigen hat er die Erkennbarkeit eines Lungenkarzinoms bereits im Januar 1998 bestritten und vorgetragen, dass sich auch bei einer Feststellung des Tumors zu diesem Zeitpunkt kein anderer günstigerer Verlauf für den Patienten ergeben hätte.
30Das Landgericht hat durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Beweis erhoben und sodann die Klage abgewiesen.
31Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, wendet sich gegen die Ausführungen des Gutachters Dr. W. und die Beweiswürdigung des Landgerichts und beantragt,
32unter Abänderung des angefochtenen Urteils
331.
34den Beklagten zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des erkennende Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 6. Juli 1999 zu zahlen;
352.
36den Beklagten zu verurteilen, an sie 65.762,52 DM = 33.623,84 € nebst 4 % Zinsen aus 39.997,40 DM = 20.450,34 € seit dem 6. Juli 1999 und aus jeweils 3.220,64 DM = 1.646,69 € seit dem 31. August, 30. September, 31. Oktober, 30. November, 31. Dezember 1999, 31. Januar, 29. Februar und 31. März 2000 zu zahlen;
373.
38ihr sämtlichen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen der ihr aus der Fehlbehandlung ihres verstorbenen Ehegatten, E. B., durch den Beklagten im Jahre 1998 entstanden sei und noch entstehen werde.
39Der Beklagte beantragt,
40die Berufung zurückzuweisen.
41Er verteidigt die Entscheidung des Landgerichts
42Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
43A.
44Die Berufung der Klägerin ist zulässig; sie hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Klage ist nicht begründet; der Beklagte ist nicht passivlegitimiert:
451.)
46Er hat den Erblasser nicht aufgrund eines zwischen ihnen geschlossenen Behandlungsvertrages untersucht, sondern aufgrund eines Auftrages der Bau-Berufsgenossenschaft Rheinland und Westfalen, die ihn mit der Begutachtung und Prüfung beauftragt hatte, ob bei dem Patienten eine Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheiten-Verordnung vorlag.
472.)
48Der Beklagte übte mit dieser Begutachtung und Prüfung eine öffentlich-rechtliche Funktion aus. Die Entschädigung wegen einer Berufskrankheit ist gemäß § 1 Nr. 2 SGB VII Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung, deren Träger nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Anlage 1 Nr. 23 SGB VII die Bau-Berufsgenossenschaft ist. Zu den Aufgaben des Unfallversicherers gehört gemäß § 9 SGB VII die Prüfung und Anerkennung des Vorliegens einer Berufskrankheit. Beauftragt er mit dieser Prüfung einen Arzt, überträgt er diesem ihm, dem Versicherer, selbst obliegende hoheitliche Aufgaben mit der Folge, dass der Arzt nunmehr selbst ein (schlicht-) hoheitliches Amt ausübt. Die Pflicht zu sorgfältiger und sachgemäßer Untersuchung oblag dem begutachtenden Arzt dem Patienten gegenüber sodann als Amtspflicht.
493.)
50Diese Amtspflicht umfasste im Falle des Erblassers nicht nur die Überprüfung des Vorliegens einer Silikose oder Asbestose; der Gutachterauftrag war nämlich nach dem Wortlaut der Fragen nicht auf bestimmte Erkrankungen der Atmungsorgane beschränkt. Aus dem Fragenkatalog ergibt sich vielmehr, dass der Beklagte eine umfassende Untersuchung des Gesundheitszustandes des Erblassers sowie eine entsprechende Diagnostik vorzunehmen hatte: Er hatte die Beschwerden des Patienten zu ermitteln, Befunde zu erheben, mitzuteilen, ob die vorgetragenen Beschwerden durch die erhobenen Befunde erklärt wurden, eine entsprechende Diagnose zu stellen und sodann zu beurteilen, ob die diagnostizierte Erkrankung durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden war, sowie darzustellen, um welche Berufskrankheit es sich handelte. Nachfolgend hatte er des weiteren die Fragen zu beantworten, welche Befunde nicht als Folge einer Berufskrankheit einzuordnen seien, und sich zu gegebenenfalls erforderlichen Heilbehandlungsmaßnahmen sowie zur Notwendigkeit von Nachuntersuchungen zu äußern. .
51Bei einer Verletzung dieser Amtspflichten durch Verkennung eines gravierenden Krankheitsbefundes in Form eines Lungenkarzinoms haftet nicht der Beklagte selbst sondern gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG unmittelbar und ausschließlich die Bau-Berufsgenossenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, in deren Amtsbereich der Beklagte tätig geworden ist.
52B.
53Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
54Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.
55Die Beschwer der Klägerin liegt über 30.000 €.
56B. S. S.-B.
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