Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 11 U 13/02
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 25.01.2002 verkündete Vorbehaltsurteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Duisburg
- 22 O 122/01 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird als im Urkundenprozess unstatthaft abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
G r ü n d e
2I.
3Die Klägerin begehrt im vorliegenden Rechtsstreit im Wege des Urkundenprozesses von dem Beklagten die Herausgabe mehrerer Maschinen, wobei sie sich auf ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO i.V.m. § 985 BGB beruft. Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme des Antrags auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Duisburg vom 17.08.2001 (22 O 111/01) durch Urkunden-Vorbehaltsurteil vom 25.01.2002 stattgegeben und dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorbehalten. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
4Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten.
5Nach Erlass des angefochtenen Urteils hat der Senat in dem einstweiligen Verfügungsverfahren LG Duisburg (22 O 111/01) durch Urteil vom 19.06.2002
6(11 U 36/01) die Berufung des Beklagten gegen das die einstweilige Verfügung des LG Duisburg vom 17.08.2001 bestätigende Urteil des LG Duisburg vom 07.09.2001 zurückgewiesen.
7Der Beklagte begründet die Berufung damit, das Landgericht habe zu Unrecht die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Urkundenprozesses gemäß § 592 ZPO angenommen. Bei im Wege eines insolvenzrechtlichen Aussonderungsanspruchs gemäß § 47 InsO heraus verlangten Gegenständen handele es sich stets um unvertretbare Sachen; gemäß § 592 ZPO sei ein Urkundenprozess aber nur zulässig, wenn der Anspruch auf eine bestimmte Menge vertretbarer Sachen gerichtet sei. Daher sei die Klage gemäß § 597 Abs. 2 ZPO als in der gewählten Prozessart unstatthaft abzuweisen, da eine Abstandnahme vom Urkundenprozess gemäß § 596 ZPO in der Berufungsinstanz unzulässig sei.
8Der Beklagte rügt des Weiteren die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Duisburg als Gericht des ersten Rechtszuges.
9Der Beklagte beantragt,
10das Vorbehaltsurteil des Landgerichts Duisburg vom 25.01.2002
11(22 O 122/01) aufzuheben und die Klage als in der gewählten Prozessart unstatthaft abzuweisen.
12Die Klägerin beantragt,
13die Berufung zurückzuweisen.
14Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und tritt der Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen.
15II.
16Die zulässige Berufung des Beklagten, die insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, hat in der Sache Erfolg mit der Folge, dass die Klage gemäß § 597 Abs. 2 ZPO als in der gewählten Prozessart unstatthaft abzuweisen ist.
17Das Landgericht hat zu Unrecht die Statthaftigkeit des Urkundenprozesses bejaht. Die Klägerin hat im Urkundenprozess einen Anspruch geltend gemacht, der in diesem Verfahren nicht eingeklagt werden kann.
18Der Urkundenprozess ist gemäß § 592 Abs. 1 ZPO nur dann zulässig, wenn ein Anspruch geltend gemacht wird, welcher die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder – was vorliegend einzig in Betracht kommt – die Leistung einer bestimmten Menge anderer vertretbaren Sachen oder Wertpapiere zum Gegenstand hat. Der mit der Klage geltend gemachte Aussonderungsanspruch ist nicht auf Herausgabe von vertretbaren Sachen gerichtet. Vertretbare Sachen sind gemäß § 91 BGB solche, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen. Das Landgericht hat die Vertretbarkeit der von der Klägerin heraus verlangten Maschinen mit der Erwägung bejaht, bei diesen handele es sich zwar um gebrauchte Maschinen, allerdings lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gebrauch dieser Maschinen zu einer individuellen Anpassung an individuelle Eigenschaften des Gebrauchenden geführt habe. Diese Erwägung mag zwar für sich gesehen zutreffen, da auch Maschinen gewöhnlicher Art und üblicher Beschaffenheit vertretbar sind, sofern sie nicht auf spezielle Wünsche des Bestellers ausgerichtet und insbesondere nicht einem bestimmten Raum oder Betrieb angepasst sind (Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 91 Rdnrn. 1 bis 3).
19Das Landgericht hat indessen außer Acht gelassen, dass der im vorliegenden Fall streitgegenständliche Aussonderungsanspruch gemäß § 47 InsO seiner Natur nach auf Herausgabe individuell bestimmter und nicht etwa nur gattungsmäßig bestimmbarer Gegenstände gerichtet ist; die Leistungspflicht des Beklagten – ihr Bestehen unterstellt – ist auf die Herausgabe ganz bestimmter Gegenstände konkretisiert, d.h. es wird nicht lediglich die Herausgabe einer ohne weiteres ersetzbaren, lediglich durch ihre Gattungszugehörigkeit bestimmten Sache geschuldet. In einem solchen Fall, in dem die Leistungspflicht einer Partei auf ganz bestimmte Gegenstände konkretisiert ist und die herauszugebende Sache nicht beliebig durch eine andere Sache der gleichen Gattung ersetzt werden kann, ist der Urkundenprozess mangels Vertretbarkeit der heraus verlangten Gegenstände nicht gemäß § 592 ZPO statthaft (Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 592 Rdnr. 1; MünchKomm/Braun, ZPO, 2. Aufl., § 592 Rdnr. 3; Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 592 Rdnr. 6 mit Fn. 30; vgl. auch OLG Celle, OLGR 1996, 32f.).
20Eine - von der Klägerin auf entsprechenden Hinweis des Senats unterlassene - Abstandnahme vom Urkundenprozess gemäß § 596 ZPO mit dem damit verbundenen Übergang in das ordentliche Verfahren wäre kein gangbarer Weg gewesen. Der Senat folgt insoweit der von Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 596 Rdnr. 4 und von Musielak-Voit, ZPO, 3. Aufl., § 596 Rdnr. 7 vertretenen Auffassung, wonach im zweiten Rechtszug auf Grund dessen neuer Funktionsbestimmung durch das Zivilprozess-Reformgesetz (vgl. § 533 ZPO n.F.) eine Abstandnahme vom Urkundenprozess nicht mehr als zulässig anzusehen ist (ebenso bereits für das alte Recht MünchKomm/Braun, ZPO, 2. Aufl., § 596 Rdnr. 3; anderer Auffassung Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., § 596 Rdnr. 2; und Baumbach/Lauterbach, ZPO, 61. Aufl., § 596 Rdnr. 4, die - ohne nähere Begründung - an der für die bisherige Rechtslage vertretenen herrschenden Auffassung (vgl. BGHZ 29, 337 ff.; 69, 66 ff.) festhalten, wonach die Zulässigkeit einer Abstandnahme vom Urkundenprozess in der Berufungsinstanz analog § 263 ZPO zu behandeln sei). Während nach bisherigem Recht (vgl. z.B. §§ 523, 263; 530 ZPO a.F.) die Bestimmungen über die Einführung von Klageänderungen, Widerklage und Aufrechnung als Sonderregelungen gegenüber den Präklusionsvorschriften angesehen wurden und der Prozessökonomie zur Vermeidung doppelter Prozesse der Vorrang gegenüber der innerprozessualen Beschleunigung durch Präklusion gegeben wurde, verschränkt das neue Recht (§ 533 ZPO n.F.) die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer neu eingeführten Klageänderung, Widerklage und Aufrechnung mit der Zulässigkeit der Berücksichtigung neuer Tatsachen nach § 529 ZPO. Neuer Tatsachenstoff, der der Begründung einer Klageänderung, Widerklage oder Aufrechnungserklärung dient, muss nach § 529 ZPO in den Prozess eingeführt werden dürfen, ansonsten bleibt er unberücksichtigt, selbst wenn die Gegenseite einwilligt oder Sachdienlichkeit vorliegt; den Parteien soll also die Möglichkeit genommen werden, durch geänderte Anträge die Beschränkung des Tatsachenstoffes in der Berufungsinstanz zu umgehen (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 533 Rdnr. 1). Dies ist die Folge der vom Gesetzgeber beabsichtigten Zurückführung des Berufungsverfahrens auf eine reine Kontrollfunktion.
21Im Urkundsverfahren besteht aber gerade die Besonderheit der Beweismittelbeschränkung auf den Urkundenbeweis und den Antrag auf Parteivernehmung (vgl. §§ 592, 595, 598 ZPO); dies hat zur Folge, dass regelmäßig eine Partei Sachvortrag, den sie nicht mit im Urkundenverfahren zulässigen Beweismitteln zu beweisen vermag, nicht bereits im Urkundenverfahren, sondern erst im Nachverfahren (§ 600 ZPO) oder nach Abstandnahme vom Urkundenprozess (§ 596 ZPO) vorbringen wird. Die Beschränkung auf bestimmte Beweismittel führt also de facto regelmäßig zu einer damit korrespondierenden Beschränkung des Sachvortrages, die im Fall der Abstandnahme von Urkundenprozess zwangsläufig den Zugriff auf neuen Tatsachenstoff erforderlich macht. Verbieten aber die §§ 531, 529 ZPO die "Nachbesserung" von Angriffs- und Verteidigungsmitteln – wozu auch neue Beweismittel gehören – innerhalb der selben Klageart, muss dies erst recht bei einer Änderung der Klageart, die mit der Abstandnahme vom Urkundsverfahren und dem Übergang in das ordentliche Verfahren verbunden ist, gelten. Ob und inwieweit neues Vorbringen erfolgen wird, ist aber im Zeitpunkt der Erklärung der Abstandnahme vom Urkundenprozess regelmäßig noch nicht absehbar. Dieser Gesichtspunkt steht daher im Hinblick auf § 533 Nr. 2 ZPO generell der Zulässigkeit einer Abstandnahme vom Urkundenprozess in der Berufungsinstanz entgegen.
22Ist danach vorliegend eine Abstandnahme der Klägerin vom Urkundenprozess im Berufungsverfahren unzulässig, bleibt der Rechtsstreit im Urkundenprozess anhängig (OLG Frankfurt MDR 1988, 326, 327) mit der Folge, dass die Klage gemäß § 597 Abs. 2 ZPO unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils als im Urkundenprozess unstatthaft abzuweisen ist. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht mit Rücksicht auf eine Erklärung der Abstandnahme vom Urkundenprozess kommt dagegen nicht in Betracht (vgl. OLG Frankfurt MDR 1988, 326, 327). Eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 5 ZPO ist vielmehr nur möglich, wenn das Berufungsgericht ein in erster Instanz erlassenes Urkunden-Vorbehaltsurteil bestätigt oder wenn es selbst unter Aufhebung eines klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils erstmals ein solches Vorbehaltsurteil erlässt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
24Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO liegen nicht vor.
25Wert der Beschwer für die Klägerin: 204.516,75 € (= 400.000,- DM)
26Dr. B. S. B.
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