Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 61/02
Tenor
Der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 13.11.2002 wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die sachliche Wertung der An-gebote im Vergabeverfahren zur Versorgung des Einsatzkontingents der Bundeswehr im Rahmen der I... (I...) - Transporte nach K...- un-ter Einschluss des Angebots der Antragstellerin vom 20.8.2002 er-neut vornehmen zu lassen.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die An-tragstellerin im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren notwendig.
Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens in beiden Rechtszügen und die in beiden Rechtszügen entstandenen notwendigen Aufwendun-gen der Antragstellerin werden der Antragsgegnerin auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 800.000 Euro
1
G r ü n d e :
2I. Die Vergabestelle (das Bundesamt für Wehrverwaltung) führte die Auftragsvergabe zur Versorgung der im Rahmen der I... (I...) in A... eingesetzten Einheiten der Bundeswehr im Wege einer Beschränkten Ausschreibung ohne öffentlichen Teilnahmewettbewerb durch. Gegenstand des hier interessierenden Verfahrens waren der Lufttransport von Versorgungsgütern vom Flugplatz Köln-Wahn nach K... sowie der Zu- und Abtransport zwischen dem Flugplatz Köln-Wahn und den Versorgungsdepots der Bundeswehr. Es sollte hierüber ein Rahmenvertrag mit einer Laufzeit bis zum 25.3.2003 und der Möglichkeit einer Verlängerung geschlossen werden. Die Vergabestelle forderte 17 im Inland ansässige Transportunternehmen unter Übersendung der Verdingungsunterlagen zur Abgabe von Angeboten auf. Hierauf gingen neun Angebote ein, unter anderem das Angebot der Antragstellerin vom 20.8.2002.
3Von den eingegangenen Angeboten schloss die Vergabestelle vier Angebote wegen formeller Mängel sowie zwei weitere Angebote wegen Fehlens von Nachweisen, die in den Verdingungsunterlagen gefordert waren, von der sachlichen Angebotswertung aus. Davon war auch das Angebot der Antragstellerin betroffen. Es wurde als unzulässiges Nebenangebot von der Wertung ausgeschlossen.
4Die drei verbleibenden Angebote wertete die Vergabestelle anhand einer in den Verdingungsunterlagen nicht bekannt gegebenen sog. Bewertungsmatrix, mit der Punktzahlen für die Leistungsfähigkeit der Bieter vergeben wurden, und auf Grund der Angebotspreise aus. Beide Bewertungen brachten das Angebot der Beigeladenen auf den ersten Platz. Den zweiten Platz nahm jeweils das Angebot der Bieterin ein, die im bisherigen Nachprüfungsverfahren als "Bieterin A" bezeichnet worden ist.
5Der Vergabevermerk vom 29.8.2002 sprach sich dem entsprechend für eine Auftragsvergabe an die Beigeladene aus. Mit Schreiben vom selben Tag informierte die Vergabestelle die Bieterin A und den dritten Bieter, dessen Angebot sachlich gewertet worden war, "gemäß § 13 VgV" darüber, dass ihre Angebote nicht berücksichtigt werden sollten. Die Antragstellerin erhielt keine Nachricht.
6Die Antragstellerin forderte die Vergabestelle unter Bezugnahme auf ein vorangegangenes Telefonat mit Schreiben vom 2.9.2002 auf, "uns die Absage zu diesen Transporten schriftlich mit entsprechender Begründung mitzuteilen". Nachdem sie diese Aufforderung unter dem 12.9.2002 schriftlich wiederholt hatte, gab ihr die Vergabestelle am 1.10.2002 bekannt, ihr Angebot sei als unzulässiges Nebenangebot ausgeschlossen worden.
7Im abschließenden Vergabevermerk vom 20.9.2002 bewertete die Vergabestelle zwischenzeitlich das Angebot der Beigeladenen weiterhin als das wirtschaftlichste. Mit Schreiben vom selben Tage erteilte sie der Beigeladenen den Zuschlag mit der Ankündigung, ihr den Entwurf des abzuschließenden Rahmenvertrags zu übersenden. Den Rahmenvertrag unterzeichnete der Vertreter der Beigeladenen am 24.9.2002 und der Bevollmächtigte der Vergabestelle am 8.10.2002.
8Am 11.10.2002 ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin bei der Vergabekammer eingegangen.
9Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit dem angefochtenen Beschluss (als unzulässig) verworfen, da die Antragstellerin nicht antragsbefugt sei. Ihr sei durch den Ausschluss ihres Angebots weder ein Schaden entstanden, noch drohe solcher zu entstehen. Denn es habe ein Angebot der Bieterin A vorgelegen, welches auch in Anbetracht dessen, dass die Vergabestelle gegen den Transparenzgrundsatz des Vergaberechts verstoßen habe, indem sie ihrer Angebotswertung eine zuvor nicht bekannt gemachte Bewertungsmatrix zugrunde gelegt habe, preislich günstiger gewesen sei als ihr, der Antragstellerin, eigenes Angebot und das deshalb jedenfalls bevorzugt hätte berücksichtigt werden müssen.
10Mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde beantragt die Antragstellerin,
11- den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer aufzuheben,
- die Vergabestelle zu verpflichten, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Vergabevorschriften fortzuführen,
hilfsweise,
13festzustellen, dass sie, die Antragstellerin, durch das Verfahren der Vergabestelle in ihren Rechten verletzt worden sei.
14Die Antragsgegnerin beantragt,
15die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
16Die Antragsgegnerin hält ein Nachprüfungsverfahren für unstatthaft, da vorliegend der Ausnahmefall des § 100 Abs. 2 Buchst. d) GWB eingreife: der Auftrag sei außerhalb eines Vergabeverfahrens nach dem vierten Teil des GWB zu vergeben, da der Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit des Staates dies gebiete. Hilfsweise will die Antragsgegnerin den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unzulässig verworfen sehen, weil der Antrag erst nach Abschluss des Vertrages mit der Beigeladenen angebracht worden sei, der Antragstellerin - wie die Vergabekammer mit Recht entschieden habe - eine Antragsbefugnis nicht zukomme und sie auch ihre Rügeobliegenheit nicht erfüllt habe. In der Sache - so trägt die Antragsgegnerin vor - sei das Angebot der Antragstellerin zu Recht von einer Wertung ausgeschlossen worden, da es als Nebenangebot nicht zureichend gekennzeichnet gewesen sei.
17Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze sowie auf die informationshalber beigezogenen Vergabeakten und die Akten der Vergabekammer Bezug genommen.
18II. Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist nach den Hauptanträgen der Antragstellerin begründet.
19Es führt dazu, dass das Vergabeverfahren in den Stand der sachlichen Angebotswertung zurückzuversetzen ist, bei der die Vergabestelle auch das Angebot der Antragstellerin zu berücksichtigen hat.
20a) Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags:
211. Die vorliegende Vergabe unterliegt den Vergabevorschriften des vierten Teils des GWB und demnach auch den Bestimmungen der §§ 102 ff. GWB über das Nachprüfungsverfahren. Ein Ausnahmefall im Sinne des § 100 Abs. 2 Buchst. d) GWB, bei dem - trotz öffentlichen Auftrags und Erreichens oder Überschreitens der Schwellenwerte - der vierte Teil des GWB nicht anzuwenden ist, sofern es der Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit des Staates gebietet, kann im Streitfall nicht festgestellt werden.
22Dem Sicherheitsinteresse des Staates kann in den Formen der inneren und/oder der äußeren Sicherheit Geltung zu verschaffen sein. Dieses Interesse muss nach dem Wortlaut des Gesetzes aber "gebieten", dass die Vergabevorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung und der Verdingungsordnungen in einem Einzelfall einer Auftragsvergabe nicht angewendet werden. Es kann deshalb nur durch eine objektiv gewichtige Gefährdung oder Beeinträchtigung der Sicherheitslage gerechtfertigt sein, von einer Anwendung der Bestimmungen des Vergaberechts abzusehen. Da hierdurch der Bieterschutz entscheidend verkürzt wird, darf der öffentliche Auftrageber, der einen Ausnahmefall im Sinne des § 100 Abs. 2 Buchst. d) GWB annehmen will, diese Entscheidung auch nicht ohne eine Abwägung der Sicherheitsbelange gegen die Interessen der Bieter treffen. Es ist hierbei außerdem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns zu beachten. Eine Beeinträchtigung der staatlichen Sicherheitsinteressen, die bereits eingetreten oder zu besorgen ist, und deswegen zu einer Nichtanwendung des zweiten Abschnitts namentlich der Verdingungsordnungen VOB/A und VOL/A führen soll, muss demnach so schwerwiegend sein, dass demgegenüber die Bieterinteressen an einem nach den genannten Verdingungsordnungen förmlichen und mit subjektivem Rechtsschutz ausgestatteten Vergabeverfahren zurückzutreten haben. Auch in einem Fall, in dem die Sicherheitsbelange des Staates dem Grunde nach schwerer wiegen als die Bieterinteressen, hat der öffentliche Auftraggeber darüber hinaus diejenige Art der Vergabe zu wählen, die die geringstmöglichen Einschränkungen für die Bieter mit sich bringt, gleichwohl aber das staatliche Sicherheitsinteresse wahrt. Der öffentliche Auftraggeber hat daher zu bedenken, dass den Sicherheitsbelangen unter Umständen auch durch ein Nichtoffenes Verfahren oder durch ein Verhandlungsverfahren mit Vergabebekanntmachung genügt werden kann. Die tatsächlichen Gründe, die im Interesse der Sicherheit des Staates eine Einschränkung der Bieterbelange erfordern, sind vom öffentlichen Auftraggeber tunlichst in einem Vergabevermerk zu dokumentieren. Für die Gründe obliegt dem öffentlichen Auftraggeber im Streitfall die Darlegungs- und im Fall einer Nichterweislichkeit die Beweislast.
23Eine überzeugende Darlegung, dass Gründe der staatlichen Sicherheit es geboten, an Stelle eines Vergabeverfahrens nach dem zweiten Abschnitt der hier einschlägigen VOL/A zu einer Beschränkten Ausschreibung ohne öffentlichen Teilnahmewettbewerb gemäß dem ersten Abschnitt der VOL/A zu greifen, ist der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall nicht gelungen. Die Vergabevermerke vom 29.8. und 20.9.2002 geben über die Gründe keinen Aufschluss. Allerdings werden nach den aus den Vergabeakten bekannten Umständen durch die vorliegende Auftragsvergabe die äußeren Sicherheitsbelange des Staates in der Form der militärischen Sicherheit objektiv berührt. Gegenstand des Vergabeverfahrens ist die Versorgung der im Rahmen der I... in A... eingesetzten Einheiten der Bundeswehr mit militärischen und nichtmilitärischen Gütern, die der Herstellung und Aufrechterhaltung der militärischen Einsatzbereitschaft dient. Die Ausführung des militärischen Auftrags ist komplex und gefährlich. Das Gelingen hängt deshalb sowie wegen der großen geographischen Entfernung des Einsatzorts von den Versorgungsquellen entscheidend von einem tadellos funktionierenden Nachschub ab. Die den militärischen Einsatz unterstützende Funktion dieses Nachschubs erfordert ohne Weiteres, dass die Einzelheiten der Ausführung im Interesse der militärischen Sicherheit geheim zu halten sind.
24Indes erschöpft sich die spezifische Begründung, die die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren für die Nichtanwendung des vierten Teils des GWB gegeben hat, in dem Vortrag, es habe durch die Wahl der Vergabeart sicher gestellt werden sollen, dass sicherheitsrelevante Informationen durch eine Vergabebekanntmachung nicht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurden. Diese Begründung reicht nicht aus. Sie lässt nicht ersehen, dass die zu Lasten der Bieter weniger schwer wirkenden Einschränkungen im Rahmen eines Nichtoffenen Verfahrens oder eines Verhandlungsverfahrens mit vorheriger Vergabebekanntmachung und die Möglichkeiten, den Auftrag in einem derartigen Verfahren zu vergeben, erwogen worden sind, bevor die Vergabestelle sich entschieden hat, die Auftragsvergabe im Beschränkten Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach dem ersten Abschnitt der VOL/A durchzuführen. Es ist von der Antragsgegnerin auch nicht vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, welche konkreten Tatsachen sicherheitsrelevant waren und durch die dann erscheinenden Vergabebekanntmachungen (siehe zum Inhalt die Anhänge B und C zu § 17 a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A) öffentlich hätten bekannt werden können, jedoch tatsächlich geheim zu halten gewesen wären. Nicht zuletzt hat die Vergabestelle selbst, indem sie die vollständigen Verdingungsunterlagen nebst Aufforderung zur Abgabe von Angeboten ohne eine weitere Vorsorge für einen Geheimnisschutz immerhin 17 Unternehmen der Transport- und Speditionsbranche hat zukommen lassen, nichts dagegen unternommen, dass bei weitem mehr an sicherheitserheblichen Tatsachen öffentlich bekannt werden konnten, als solches durch eine bloße Vergabebekanntmachung hätte geschehen müssen. Unabhängig hiervon ist nach den Umständen anzunehmen, dass das staatliche Sicherheitsinteresse weit weniger durch eine Vergabebekanntmachung als durch die Ausführung des Versorgungsauftrags selbst tangiert wird. Es ist weniger geheimhaltungsbedürftig, dass die in A... eingesetzten Einheiten der Bundeswehr überhaupt auf dem Luftweg versorgt werden (weil das eigentlich selbstverständlich ist). Ein starkes Sicherheitsinteresse besteht hingegen daran, dass der Gegenstand der Fracht, die Start- und Landeplätze, Start- und Landezeiten sowie die Flugrouten nicht bekannt werden. Dem kann unter anderem jedoch durch eine Eignungsprüfung der Bieter Rechnung getragen werden. Hierfür, für den erforderlichen Geheimschutz und für den Schutz von Sicherheitsinteressen bieten die Vergabeverfahren nach dem zweiten Abschnitt der VOL/A - namentlich auch das Nichtoffene Verfahren und das Verhandlungsverfahren nach vorheriger Vergabebekanntmachung - hinlängliche Möglichkeiten, die die Vergabestelle durch das von ihr beschrittene Verfahren einer Übersendung der Verdingungsunterlagen nicht nur nicht ausgeschöpft, sondern ungenutzt gelassen hat. Es kann deshalb auch nicht festgestellt werden, staatliche Sicherheitsinteressen hätten eine Nichtanwendung der Vergabevorschriften des vierten Teils des GWB geboten.
252. Der Zuschlag vom 20.9.2002 und der Abschluss des Rahmenvertrages mit der Beigeladenen vom 24.9./8.10.2002 haben das Vergabeverfahren nicht wirksam beendet. Der Zuschlag und der Vertragsschluss sind gemäß § 13 Satz 4 VgV nichtig, da die Antragstellerin von der beabsichtigten anderweitigen Erteilung des Zuschlags vor dem Zuschlag vom 20.9.2002 nicht benachrichtigt worden ist und die (verspätete) Benachrichtigung vom 1.10.2002 nicht 14 Tage vor Abschluss des Rahmenvertrages mit der Beigeladenen an sie ergangen ist.
26Die Antragstellerin war von der beabsichtigten Zuschlagserteilung und vom Vertragsschluss nach § 13 VgV vorab zu informieren. Dafür ist allein die objektive Rechtslage entscheidend. Objektiv ging es im Streitfall um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag, durch den der maßgebende Schwellenwert von 200.000 Euro überschritten war, und der daher nach den Vorschriften des vierten Teils des GWB, nach der Vergabeverordnung und nach dem zweiten Abschnitt der VOL/A abzuwickeln war. Auch gehörte die Antragstellerin zu jenen Bietern, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollten und die deshalb gemäß § 13 VgV zu benachrichtigen waren.
27Die Antragsgegnerin wendet gegen die eingetretene Nichtigkeitsfolge zu Unrecht ein, die Antragstellerin habe - was die Nichtbeachtung der Informationspflicht nach § 13 VgV durch die Vergabestelle anbelangt - eine rechtzeitige Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB versäumt. Ob die Antragstellerin insoweit überhaupt eine Rügeobliegenheit hatte, nachdem die Vergabeentscheidung bereits gefallen war, ist in rechtlicher Hinsicht fraglich. Jedoch kann diese Rechtsfrage offen bleiben, denn die Antragstellerin hat gegenüber der Vergabestelle tatsächlich jedenfalls rechtzeitig gerügt, dass sie gemäß § 13 VgV nicht benachrichtigt worden war. Sie hat unter Bezugnahme auf ein Telefonat vom 30.8.2002 (anlässlich dessen ihr ersichtlich der Misserfolg ihres Angebots mitgeteilt worden war) mit ihrem Telefaxschreiben an die Vergabestelle vom 2.9.2002 gefordert, "uns die Absage zu diesen Transporten schriftlich mit entsprechender Begründung mitzuteilen". Im Wortlaut dieses Schreibens kam klar zum Ausdruck, dass die Antragstellerin - so wie § 13 VgV es dem öffentlichen Auftraggeber vorschreibt - eine schriftliche Information und eine Begründung für die Nichtberücksichtigung ihres Angebots begehrte und der Vergabestelle damit zugleich die Gelegenheit gab, ihr, der Antragstellerin, diese Informationen in der gebotenen Form noch zu erteilen. Das Telefaxschreiben der Antragstellerin vom 2.9.2002 ist demnach sachlich als eine Rüge im Rechtssinn zu werten.
28Im tatsächlichen Zusammenhang hiermit ist außerdem zu bemerken, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin auch durch die Befristung des mit der Beigeladenen abgeschlossenen Rahmenvertrages bis zum 25.3.2002 nicht gegen- standslos geworden ist (siehe dazu § 13 Abs. 1 des Rahmenvertrags). Im Senatstermin ist von Seiten der Antragsgegnerin vorgetragen und unstreitig gestellt worden, dass die Vergabestelle die in der Bestimmung des § 13 Abs. 1 des Rahmenvertrags vereinbarte Verlängerungsoption wahrgenommen hat, und dass der Vertrag mit der Beigeladenen noch bis zum 25.9.2003 läuft.
293. Die Antragsbefugnis der Antragstellerin (§ 107 Abs. 2 GWB) ist im Gegensatz zu dem im angefochtenen Beschluss eingenommenen Standpunkt der Vergabekammer nicht zu verneinen. Die Antragstellerin hat eine Verletzung von Bieterrechten durch die Vergabestelle behauptet (§ 107 Abs. 2 Satz 1 GWB), nämlich eine Verletzung des Transparenzgebots (§ 97 Abs. 1 GWB) durch eine Angebotswertung nach einer den Bietern unbekannten sog. Bewertungsmatrix, einen Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB), da das Angebot der sog. Bieterin A trotz Verweisung auf die ADSp (insofern ähnlich wie das Angebot der Antragstellerin) von der sachlichen Wertung nicht ausgeschlossen worden sei, und eine Verletzung des Grundsatzes, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen sei (§ 25 Nr. 3 VOL/A). Die Normen, gegen die nach dem Vortrag der Antragstellerin verstoßen worden sein soll, haben bieterschützenden Charakter.
30Der Antragstellerin droht bei Nichtberücksichtigung ihres Angebots auch ein Schaden (§ 107 Abs. 2 Satz 2 GWB), da ihr Angebot in die sachliche Angebotswertung hätte gelangen müssen und Aussichten auf einen Zuschlag sich nicht gänzlich verneinen lassen. Die Antragstellerin behauptet, ihr Angebot liege bei einer gebotenen Berücksichtigung allein preislicher Faktoren im Bieterfeld auf dem zweiten Platz. Nach ausschließlich preislichen Gesichtspunkten hat die Vergabestelle die Angebote noch nicht gewertet. Unter diesem Blickwinkel ist insbesondere das Angebot der Antragstellerin noch nicht gewertet worden, da die Vergabestelle es als unzulässiges Nebenangebot von der Wertung ausgeschlossen hat (§ 25 Nr. 1 Abs. 3 Buchst. d) VOL/A). Dieser Ausschluss war nicht rechtens.
31Nebenangebote waren gemäß dem Angebotsvordruck (dort Gliederungspunkt 4) - auch ohne Hauptangebot - zugelassen (vgl. §17 Nr. 3 Abs. 5 VOL/A). Ihre Zulässigkeit war ausweislich der Angebotsaufforderung vom 17.7.2002 (dort S. 2, Gliederungspunkt 4.) nur daran geknüpft, dass Änderungen an den Verdingungsunterlagen selbst nicht statthaft sein (vgl. § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A) und Änderungsvorschläge sowie Nebenangebote auf besonderer Anlage gemacht und deutlich gekennzeichnet sein sollten (vgl. § 21 Nr. 2 VOL/A).
32Das Angebot der Antragstellerin wies im Angebotsschreiben vom 20.8.2002 (also auf einer Anlage zum Angebotsvordruck) unter der fett gedruckten Überschrift
33"5. Änderungen zum Rahmenvertrag und zur Leistungsbeschreibung"
34unter anderem folgende Änderungen auf:
35- "Zu § 10 Abs. 1 (Bemerkung: des Rahmenvertrages - Haftung und Haftungsumfang):
... Zu und Nachlauftransport ... ausschließlich nach Maßgabe der ADSp ...";
37- "Zu § 15 Abs. 3 (des Rahmenvertrages):
Im Gegenzug verzichtet der AG auf Aufrechnung, Zurückbehaltung pp".
39Das Angebot der Antragstellerin stellt wegen dieser Änderungsvorschläge ein (bloßes) Nebenangebot dar (vgl. Daub/Eberstein, § 17 VOL/A Rn. 44). Es erfüllte aber die hieran zu richtenden förmlichen Zulassungsvoraussetzungen, da es sich auf einer Anlage (nämlich im Schreiben vom 20.8.2002) befand und Änderungen dort unter einer entsprechenden Überschrift hinreichend deutlich gekennzeichnet waren (vgl. zu diesem Erfordernis auch Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl., § 21 Rn. 21). Die Überschrift und der Inhalt des darunter stehenden Abschnitts des Schreibens der Antragstellerin machten zweifelsfrei klar, dass sie hier ihre eigenen abweichenden Vorstellungen zum Inhalt der Leistung und zum Rahmenvertrag angebracht hatte. Der Angebotsausschluss wegen "unzulässigen Nebenangebots" ist danach zu Unrecht erfolgt. Das Angebot der Antragstellerin war in die sachliche Wertung der Angebote einzubeziehen.
40Das Angebot der Antragstellerin ließ sich ebenso wenig unter dem Gesichtspunkt ausschließen, dass ihm zum Zeichen des Einverständnisses mit den Vertragsbedingungen die mit einer Unterschrift ihres rechtsgeschäftlichen Vertreters versehene letzte Seite des - in Folge von Änderungen - nicht mehr aktuellen Rahmenvertrages, der den Bietern mit der Angebotsaufforderung der Vergabestelle übersandt worden war, beigefügt war (§ 25 Nr. 1 Abs. 2 Buchst. a) VOL/A). Es lässt sich - anders als die Vergabekammer in ihrem Beschluss aus der Formatierung des Rahmenvertrages geschlossen hat - nicht feststellen, die Antragstellerin habe einen inaktuellen Rahmenvertragsentwurf zum Gegenstand ihres Angebots gemacht. Die Antragstellerin hat dies im ersten Rechtszug des Nachprüfungsverfahrens in Abrede gestellt. Das Druckbild der Rahmenverträge ist nicht geeignet, dieses Bestreiten zu widerlegen. Denn die Rahmenverträge weisen in ihrer ersten (und mit der Angebotsaufforderung übersandten) Fassung sowie in der von der Vergabestelle geänderten dritten und letztlich aktuellen Fassung auf der jeweils letzten Seite dasselbe Druckbild auf. Die letzte Seite besteht in beiden Fällen nur aus dem Feld für die Unterschriften der Vertragsparteien. Hiervon abgesehen ist ohnedies zu überlegen, ob - hätte die Antragstellerin sich bei der Fassung des Rahmenvertrags irrtümlich tatsächlich vergriffen - im Rahmen von § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A hierüber von der Vergabestelle nicht zulässig aufzuklären gewesen wäre.
414. Die Rügeobliegenheit gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 GWB ist von der Antragstellerin entgegen der Meinung der Antragsgegnerin nicht verletzt worden. Die Beanstandung, der Zuschlag sei nicht auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt worden (§ 25 Nr. 3 VOL/A) konnte - wozu die Antragstellerin rechtlich nicht verpflichtet war - nur auf Verdacht erhoben werden. Von den Umständen, dass das Angebot der Bieterin A trotz Verweisung auf die ADSp (und anders als das Angebot der Antragstellerin) unter möglichem Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nicht ausgeschlossen worden war, und dass die Vergabestelle der Wertung der Angebote eine den Bietern vorher nicht bekannt gegebene Bewertungsmatrix zugrunde gelegt hatte, hat die Antragstellerin erst durch den Beschluss der Vergabekammer erfahren. Auch insoweit hat deshalb eine Rügeobliegenheit nicht bestanden.
42b) Begründetheit des Nachprüfungsantrags:
43Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist begründet mit der Folge, dass ihr Angebot von der Vergabestelle sachlich zu werten ist (§ 25 Nr. 4 VOL/A). Von einer Wertung ihres Angebots ist nicht abzusehen, weil die Antragstellerin zur Zeit nicht - wie die Vergabestelle in ihrer Angebotsaufforderung vom 17.7.2002 vorausgesetzt hat - in das sog. Betreuungsverfahren bei Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit aufgenommen ist. Wie die Vertreter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt haben, besteht für die Antragstellerin die tatsächliche Möglichkeit, in dieses Betreuungsverfahren noch aufgenommen zu werden.
44Die Vergaberechtsverstöße, die zu einer Wiederholung der Angebotswertung durch die Vergabestelle zwingen, sind darin zu sehen, dass das Angebot der Antragstellerin als Nebenangebot ausgeschlossen worden ist, obwohl die Bestimmungen der VOL/A (siehe oben unter a) 3.) dazu keine Handhabe boten, und dass die Vergabestelle unter Verletzung des Gleichbehandlungsgebots (§ 97 Abs. 2 GWB) nur das Angebot der Antragstellerin von der Wertung ausgeschlossen hat, obwohl auch die Bieterin A (nur) ein Nebenangebot abgegeben hat, indem sie die Bestimmungen der ADSp in einen noch abzuschließenden Rahmenvertrag hat einbezogen sehen wollen (dieses sogar in einem noch weiter gehenden Umfang als die Antragstellerin). Darüber hinaus hat die Vergabestelle die Angebote einer unzulässigen Prüfung anhand einer Bewertungsmatrix unterzogen, die den Bietern zuvor nicht bekannt gegeben worden war (Verstoß gegen das Transparenzgebot, § 97 Abs. 1 GWB und § 9 a VOL/A). Auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Beschluss der Vergabekammer, denen der Senat beipflichtet, wird verwiesen (Beschlussabdruck S. 10 f.). Die Vergabestelle hat die eingegangenen Angebote, die in die sachliche Angebotswertung zu gelangen haben, deswegen allein unter preislichen Gesichtspunkten zu bewerten.
45Bei der erneuten sachlichen Wertung der Angebote, die die Vergabestelle vorzunehmen hat, und die der Senat an ihrer Stelle nicht vornehmen darf, wird vor allem zu überprüfen sein, ob das Nebenangebot der Antragstellerin trotz der vorgeschlagenen Änderungen, die unter anderem mit dem Vorschlag einer Einbeziehung der ADSp in einen abzuschließenden Rahmenvertrag verbunden wären, als ein "gleichwertiges" Angebot gelten kann. Immerhin betreffen die durch eine Vereinbarung der ADSp vorgeschlagenen Vertragsänderungen nicht unwesentliche Regelungsmerkmale des von der Vergabestelle zum Gegenstand der Verdingungsunterlagen gemachten Rahmenvertrages, nämlich die Beweislast bei Schäden (siehe § 10 Abs. 1 des Rahmenvertrages und die Umkehr der Beweislast in Nr. 22.4.4. ADSp), die Haftung des Auftragnehmers für Erfüllungsgehilfen (§ 10 Abs. 3 des Rahmenvertrages und Nr. 22.2.ADSp) sowie eine Begrenzung der Höhe der Haftung des Auftragnehmers (§ 10 Abs. 1 des Rahmenvertrages und Nr. 23.1 ADSp). Ein weiterer Änderungsvorschlag der Antragstellerin liegt darin, dass nach ihrem Willen die Aufrechnung und das Zurückbehaltungsrecht des Auftraggebers abbedungen werden sollen (im Anschluss an § 15 Abs. 3 des Rahmenvertrages).
46Die Entscheidung über die Kosten und Aufwendungen beruht auf einer unmittelbaren und entsprechenden Anwendung der §§ 128 Abs. 3 und 4 GWB. Die Beigeladene, die sich am Nachprüfungsverfahren nicht beteiligt hat, ist zu den Verfahrenskosten nicht heranzuziehen. Ihr ist auch keine Aufwendungserstattung zuzuerkennen.
47- D... K...
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