Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 12/00
Tenor
Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 17. Juli 2000 (Az. VK 1 - 13/00) dahin abgeändert, dass die Antragstellerin neben den Kosten des Verfahrens auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung not-wendigen Auslagen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu tragen hat und dass die Zuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter für die Antragsgegnerin und die Beigeladene im Nachprüfungsverfahren notwendig war.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 33.000 DM (= 16.872,63 Euro);
Streitwert für die Beschwerde der Antragsgegnerin: bis 17.500 DM
(= 8.947,61 Euro);
Streitwert für die Beschwerde der Beigeladenen: bis 15.500 DM
(= 7.925,02 Euro)
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G r ü n d e :
2I. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin im Vergabeverfahren betreffend die Lieferung von bis zu 28.130 Einsatzanzügen für das T. H. (Vergabebekanntmachung vom 17.3.2000) zurückgewiesen. Hinsichtlich der ihnen durch die Zuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter entstandenen außergerichtlichen Auslagen hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin und der Beigeladenen Erstattungsansprüche gegen die Antragstellerin allerdings versagt. Dies greifen die Antragstellerin und die Beigeladene mit sofortiger Beschwerde an.
3II. Die Rechtsmittel sind begründet.
4Sowohl die Antragsgegnerin als auch die Beigeladene haben gegen die Antragstellerin Anspruch auf Erstattung der ihnen im Nachprüfungsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung entstandenen Aufwendungen. Dazu gehören die Kosten anwaltlicher Bevollmächtigter, deren Zuziehung im vorliegenden Nachprüfungsverfahren als notwendig zu erachten war. Der Senat entscheidet hierüber mit dem erklärten Einverständnis der Verfahrensbeteiligten im schriftlichen Verfahren. Hiervon abgesehen ist über Beschwerden gegen Nebenentscheidungen der Vergabekammern - wie Entscheidungen über die Kosten und die Auslagen, selbst wenn sie isoliert getroffen worden sind - nach der Rechtsprechung des Senats generell ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (vgl. OLG Düsseldorf NZBau 2001, 165, 166 m.w.N.).
51. Nach den vom Senat entwickelten Grundsätzen ist die Frage, ob die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren für den öffentlichen Auftraggeber notwendig war, nicht schematisch, sondern aus prognostischer Sicht (ex ante) stets anhand der Umstände des einzelnen Falles zu beurteilen (vgl. den Beschluss vom 20.7.2000, Az. Verg 1/00 = NZBau 2000, 486, 487 f.). Dabei darf weder die restriktive Tendenz bei der Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren im verwaltungsrechtlichen Vorverfahren nach § 80 Abs. 2 VwVfG - der in § 128 Abs. 4 Satz 3 GWB nur für entsprechend anwendbar erklärt ist - ungeprüft auf das Vergabekammerverfahren übertragen werden, noch ist - praktisch in Umkehrung einer möglichen Auslegung von § 80 Abs. 2 VwVfG - anzunehmen, die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten sei für den öffentlichen Auftraggeber im Vergabenachprüfungsverfahren in der Regel notwendig. Nach der Rechtsprechung des Senats hat vielmehr eine differenzierende Betrachtung zu stattzufinden, die sich an nachstehenden, zueinander in einer Wechselbeziehung stehenden Merkmalen auszurichten hat:
6Konzentriert sich die Problematik eines Nachprüfungsverfahrens auf schlichte auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazu gehörenden Vergaberegeln, wird im Allgemeinen mehr dafür sprechen, dass der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse im Rahmen seines originären Aufgabenkreises selbst organisieren und aufbringen kann, es im Nachprüfungsverfahren eines anwaltlichen Beistands also nicht bedarf. Kommen weitere Rechtsfragen nicht lediglich einfacher Natur - und zwar solche des Nachprüfungsverfahrens und/oder des materiellen Vergaberechts - hinzu, wird dem öffentlichen Auftraggeber die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters - als notwendig im Sinne von § 128 Abs. 4 GWB - oftmals jedoch nicht zu verwehren sein. Eine kleinliche Bewertung ist unangebracht. So stellt ein Beispiel, in dem die Bewältigung eines Nachprüfungsverfahrens in eigener Zuständigkeit von der Vergabestelle nicht ohne Weiteres zu erwarten ist, etwa der Fall dar, dass die verschiedenen im Vergaberecht ineinandergreifenden Rechtsebenen im Verfahren eine Rolle spielen (und zwar die Verdingungsordnungen, die Vergabeverordnung, die §§ 97 ff. GWB und/oder die Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften; vgl. auch BayObLG NZBau 2000, 481). Zu berücksichtigen ist ferner, ob das dem öffentlichen Auftraggeber verfügbare Personal zur Bearbeitung der im jeweiligen Nachprüfungsverfahren relevanten Sach- und Rechtsfragen juristisch hinreichend befähigt ist und eingesetzt werden kann oder nicht. Es ist außerdem die Bedeutung und das Gewicht des in Rede stehenden Auftrags für den Aufgabenbereich der Vergabestelle in die Beurteilung einzubeziehen, so dass unter Umständen eine herausragende Bedeutung des Auftrags schon für sich allein genommen die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als notwendig erscheinen lassen kann. Schließlich ist den in Vergabenachprüfungsverfahren geltenden, regelmäßig kurzen Fristen (§ 113 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB) Rechnung zu tragen. Auch dieses zeitliche Element - vor allen Dingen in Verbindung mit in personeller Hinsicht gegebenenfalls begrenzten eigenen Ressourcen - kann für den öffentlichen Auftraggeber unter dem Gesichtspunkt einer sach- und zeitgerechten Wahrnehmung von Verfahrenspflichten die Beiziehung eines anwaltlichen Vertreters erfordern.
7Die Anwendung dieser - bei Erlass der angefochtenen Entscheidung vom Senat noch nicht ausgesprochenen und der Vergabekammer noch nicht bekannten - Rechtsgrundsätze lässt die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Vergabenachprüfungsverfahren berechtigt und notwendig erscheinen. Zwar trifft es zu - was auch die in der Sache nicht angefochtenen Gründe der Entscheidung der Vergabekammer widerspiegeln -, dass das vorliegende Nachprüfungsverfahren weithin auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen betraf, welche dem Verfahren und den Kriterien der Angebotswertung sowie der Würdigung der von der Antragstellerin mit dem Angebot beizubringenden Nachweise galten. Allein die Beanstandung der Antragstellerin, die Vergabestelle sei zur Vermeidung sie, die Antragstellerin, treffender Wettbewerbsnachteile gehalten gewesen, im Sinne von § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A über den Angebotsinhalt zu verhandeln oder bei der Prüfung der Angebote gemäß § 23 Nr. 2, § 6 VOL/A einen Sachverständigen hinzuzuziehen, da die Beigeladene - was ihren Ausschluss vom Vergabeverfahren habe bewirken müssen - in einem ihre Angebotsabgabe begünstigenden Sinn an der Entwicklung des THW-Schutzanzuges beteiligt gewesen sei, warf indessen keine mehr einfach gelagerten, sondern mehrschichtig unter Berücksichtigung dazu ergangener nationaler sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu klärende Rechtsfragen auf. Hierauf ist in den Gründen ihrer Entscheidung auch die Vergabekammer eingegangen. Bei dieser Sachlage ließ unter Kostenerstattungsgesichtspunkten der von der Antragstellerin aufgezeigte Umstand, dass bei der Vergabestelle zwei "geschulte Volljuristen" beschäftigt waren, nur dann eine Bearbeitung des vorliegenden Nachprüfungsverfahrens in eigener Zuständigkeit der Vergabestelle erwarten, wenn die genannten juristischen Mitarbeiter - oder jedenfalls einer von ihnen - in einem hinreichenden, und zwar auch eine "Waffengleichheit" unter den Verfahrensbeteiligten sichernden Maß, hierfür freigestellt werden konnten. Einer dahingehenden Annahme ist die Antragsgegnerin indes durch die von der Antragstellerin unbestrittene Darlegung entgegengetreten, mit juristischem Fachpersonal nur im Umfang ihrer üblichen Verwaltungstätigkeit ausgestattet gewesen zu sein. Ohnedies steht der Umstand, dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren Beanstandungen unter Bezugnahme auf europäische Rechtsnormen erhoben hat, einer ohne Weiteres zu treffenden Feststellung entgegen, die eigene personelle Ausstattung der Vergabestelle habe in einem der anwaltlichen Vertretung der Antragstellerin ebenbürtigen Maß eine umfassende, gründliche und zuverlässige Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen erlaubt. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die vorliegende - und an die Beigeladene beabsichtigte - Auftragsvergabe für die Antragsgegnerin objektiv von einer nicht unbeträchtlichen Bedeutung war. Es lag auch von daher nahe, sich im Nachprüfungsverfahren kundiger anwaltlicher Vertretung zu versichern. Dazu gab nicht nur der nicht alltägliche Auftragswert von mehr als 15 Millionen DM (einschließlich Umsatzsteuer), sondern vor allem auch der Umstand Anlass, dass das zu überprüfende Vergabeverfahren aus einem früheren, von der Vergabekammer durch Beschluss vom 15.9.1999 (Az. VK 1 - 19/99) für rechtswidrig erklärten Verfahren hervorgegangen war und folglich auf einer wiederholten Ausschreibung beruhte.
82. Die einem Beigeladenen im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren entstandenen Anwaltskosten sind vom unterlegenen Antragsteller unter denselben wie den vorgenannten Voraussetzungen und zusätzlich unter den vom Senat im Beschluss vom 20.7.2000 (Az. Verg 2/99 = NZBau 2001, 165, 166) herausgearbeiteten Erfordernissen nach Billigkeitsgrundsätzen in entsprechender Anwendung von § 162 Abs. 3 VwGO zu erstatten. Danach hat der Beigeladene nicht nur dann, wenn er selbst erfolgreich ein Rechtsmittel eingelegt hat, sondern im Allgemeinen - namentlich im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren - einen Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Aufwendungen, wenn sich der Antragsteller ausdrücklich, bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz zu ihm gestellt hat, und der Beigeladene sich außerdem aktiv am Verfahren beteiligt hat, indem er (erfolgreich) Anträge gestellt und diese begründet hat oder das Verfahren sonst wesentlich gefördert hat.
9Diese - der Vergabekammer bei Erlass des angefochtenen Beschlusses ebenfalls noch unbekannten - Anforderungen sind im Streitfall erfüllt. Die Antragstellerin hat sich mit ihrem Nachprüfungsantrag in einen direkten Interessengegensatz zur Beigeladenen begeben, indem sie den Ausschluss ihres Angebots gefordert hat. Darüber hinaus hat die Beigeladene im Nachprüfungsverfahren Sachanträge gestellt und auf den Vortrag der Antragstellerin - anwaltlich und damit kostenauslösend vertreten - schriftsätzlich entgegnet.
10Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 128 Abs. 3, Abs. 4 GWB (eine entsprechende Anwendung von § 91 ZPO - vgl. BGH, Beschluss vom 9.2.2004, Az. X ZB 44/03 - führt zum selben Ergebnis).
11Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird durch das jeweilige Kostenerstattungsinteresse der Beschwerdeführer bestimmt. Diesem Interesse hat der Senat nach seiner ständigen Rechtsprechung den Nettoauftragswert (ohne Berücksichtigung von Umsatzsteuer) zugrunde gelegt.
12- W.
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