Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - I-19 U 3/04
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.04.2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld – Einzelrichterin – wird zurück gewie-sen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
G r ü n d e
2I.
3Die Klägerin, eine Krankenversicherung, verlangt von der Beklagten, dem Träger eines Alten- und Pflegeheimes, Schadensersatz aus gemäß § 116 SGB X auf sie übergegangener Ansprüche ihrer Versicherten, Frau I... E.... Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte hafte gegenüber Frau E... wegen positiver Vertragsverletzung des Heimbetreuungsvertrages und aus unerlaubter Handlung, weil die Beklagte es wegen Verletzung ihrer Aufsichtspflichten zu verantworten habe, dass Frau E... in den Räumlichkeiten der Beklagten am 26. Februar 2003 während einer Karnevalsfeier zu Fall kam und sich eine Oberschenkelhalsfraktur zuzog.
4Mit Urteil vom 13.04.2004, auf dessen Inhalt gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht Krefeld die Klage abgewiesen.
5Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin.
6Die Klägerin ist der Auffassung, das Landgericht habe die Aussagen der Zeugen falsch bewertet und aus ihnen fehlerhafte Schlussfolgerungen gezogen. So habe das Landgericht vordergründig zu sehr darauf abgestellt, dass Frau E... noch über eine gewisse mechanische Gehfähigkeit verfügte, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass sie aufgrund ihrer Demenz geistig zu zielorientiertem Handeln nicht mehr fähig war. Aufgrund der Orientierungslosigkeit der Frau E... habe ihre Betreuerin, die Zeugin W..., es für erforderlich gehalten, dass Frau E... jeweils zu Aufenthaltsräumen oder zur Cafeteria vom Pflegepersonal begleitet werde. In dieser Hinsicht habe sich auch der Zeuge K... geäußert, der ausgesagt habe, "dass Frau E... im Speisesaal alleine wohl nie angekommen wäre, weil sie zu einer zielgerichteten Bewegung nicht mehr in der Lage war."
7Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte ihre Versicherte einem Gefahrenbereich ausgesetzt habe, der durch Bereitstellen einer Wachperson am Ausgang zu dem Treppenbereich oder durch Verschließen der Türe leicht habe beherrscht werden können. Die Beklagte habe damit rechnen müssen, dass Frau E... – verwirrt durch des ungewohnte Treiben auf der Karnevalsfeier – nicht auf ihrem Stuhl sitzen blieb und den Aufenthaltsraum verließ. Wahrscheinlich habe Frau E... die Karnevalsfeier auch nur deshalb verlassen, weil sich der Zeuge M..., der zunächst beaufsichtigend neben ihr gesessen habe, von seinem Platz entfernt habe, ohne zu veranlassen, dass sich eine andere Aufsichtsperson neben Frau E... setzte.
8Die Klägerin beantragt,
9das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 13.04.2004 aufzuheben und die Beklagte kostenfällig und vorläufig vollstreckbar zur Zahlung von 9.092,61 € nebst 5 % Zinsen über dem derzeit gültigen Basiszinssatz seit dem 24.06.2003 an die Klägerin zu verurteilen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Berufung zurückzuweisen.
12Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Rechtsausführungen der Klägerin entgegen.
13II.
14Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
15Frau E... hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB oder aus § 280 Abs.1 BGB n.F., der hier gemäß Artikel 229 § 5 EGBGB auf das im Februar 2003 geschehene Unfallereignis als Anspruchsgrundlage in Betracht käme. Insoweit fehlt es an einem Anspruch, der gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf die Klägerin hätte übergehen können.
16Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht entschieden, dass die Beklagte die ihr gegenüber Frau E... obliegenden Aufsichtspflichten nicht verletzt hat.
17Zwar ist der Träger eines Altenheims nicht nur zur Betreuung und Versorgung der Heimbewohner verpflichtet; vielmehr hat er als Nebenpflicht auch dafür zu sorgen, dass die alten und teils gebrechlichen Menschen nicht bedingt durch ihren Zustand oder die baulichen Gegebenheiten der Einrichtung Schaden nehmen. Diese Schutzpflicht des Heimträgers ist allerdings beschränkt auf das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist das Sicherheitsgebot auf der einen Seite gegen Gesichtspunkte der Einschränkung des Freiheitsrechtes (Artikel 2 Abs. 1 GG) und der Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 GG) auf der anderen Seite abzuwägen. Zu welchem Ergebnis diese Abwägung führt, kann nicht generell, sondern nur aufgrund einer sorgfältigen Würdigung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalles entschieden werden. Wird in einer derartigen Situation eine Entscheidung im Rahmen des Vertretbaren getroffen, kann diese nicht im Nachhinein mit dem Stempel der Pflichtwidrigkeit belegt werden, wenn es zu einem Unfall kommt (so auch OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 867 ff.). Denn nahezu jeder Unfall lässt sich letztlich durch weitergreifende Sicherungsmaßnahmen vermeiden. Ein allumfassender Schutz kann jedoch im Spannungsfeld zwischen Freiheitsrecht und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht gewährt werden. Dies führte zwangsläufig dazu, dass sich eine Unterbringung im Altenheim auf die sichernde Verwahrung der Senioren beschränkte, statt ihnen einen würdevollen Lebensabend zu bereiten.
18Angesichts der vorgenannten Grundsätze und des Ergebnisses der Beweisaufnahme war es vertretbar, dass die Beklagte Frau E... an der Karnevalsfeier teilnehmen ließ, ohne für eine enge lückenlose persönliche Überwachung zu sorgen.
19Nach der insoweit übereinstimmenden Aussage der Zeugen K..., M... und W... steht fest, dass Frau E... durchaus in der Lage war, kleinere Strecken innerhalb des Hauses eigenständig zurückzulegen. Sie konnte sich innerhalb des Altenheims frei bewegen und hat hiervon auch Gebrauch gemacht, ohne dass es seit ihres Einzuges in das Heim im April 2002 zu Stürzen gekommen wäre. Diesen Feststellungen zur Gehfähigkeit steht das medizinische Gutachten des Zeugen Dr. L... vom 29.07.2002 nicht entgegen. Zwar heißt es auf Seite 3 unten des Gutachtens, es bestehe keine Gehfähigkeit. Auf Seite 6 oben des Gutachtens ist in der Tabelle aber festgehalten, dass Frau E... für Stehen, Treppensteigen und Verlassen bzw. Wiederaufsuchen des Wohnbereiches keiner Unterstützung bedarf. Soweit dort für den Bereich "Gehen" eine Beaufsichtigung empfohlen wird, beruht dies offensichtlich darauf, dass Frau E... bedingt durch ihre Demenz die Orientierung fehlt und sie zu zielorientiertem Verhalten nicht mehr in der Lage ist, wie dies insbesondere der Zeuge K... in seiner Aussage bestätigt hat. Wenn Frau E... deshalb aufgrund ihrer physischen Konstitution in der Lage war, auch sonst sich im Aufenthaltsraum aufzuhalten und an Gruppenveranstaltungen teilzunehmen, bestand für die Leitung des Altenheims keine Veranlassung, sie aufgrund ihrer altersbedingten Verwirrtheit von der Karnevalsveranstaltung fernzuhalten.
20Auch die weitergehenden, von der Klägerin angesprochenen Sicherungsmaßnahmen – etwa das Verschließen der Türe des Saales oder das Aufstellen von Wachpersonal an den Türen – waren nicht angezeigt. Ein Verschließen der Türe dürfte sich schon im Hinblick auf Brandschutzvorschriften verbieten. Im übrigen stellte dies eine freiheitsentziehende Maßnahme dar, die gemäß § 1906 Abs. 2 BGB nicht nur der Zustimmung der Betreuerin, sondern auch einer richterlichen Genehmigung bedurft hätte. Gleiches gilt hinsichtlich des Aufstellens von "Wachposten" an den Türen. Bei der Einrichtung der Beklagten handelt es sich nicht um eine geschlossene Anstalt, sondern um ein Altenwohnheim, dass jeder – auch ein gebrechlicher Mensch – jederzeit verlassen darf und kann. Selbst wenn man die Bereitstellung von Pflegekräften in der Nähe von Treppen und Fahrstühlen als Hilfestellung für die Heimbewohner für wünschenswert erachtet, lässt sich dies schon aufgrund der angespannten Personalsituation und des bekannten Kostendruckes im Pflegebereich nicht darstellen. Insoweit greift auch die Argumentation der Klägerin zu kurz, wenn sie geltend macht, das Aufstellen nur einer Pflegekraft an der Schwingtür zum Treppenbereich hätte im konkreten Fall genügt, um den Unfall ihrer Versicherten zu vermeiden. Wenn die Klägerin das Aufstellen von Pflegepersonal an Treppen und Liften für notwendig hält, um den Sturz gebrechlicher Senioren in diesen "Gefahrenbereichen" nach Kräften zu verhindern, kann dies nicht allein auf die Karnevalsveranstaltung und auf die fragliche Treppe beschränkt werden, sondern müsste konsequenterweise rund um die Uhr an allen Treppen des Gebäudes erfolgen. Denn da sich alle Bewohner, sofern sie nicht mit richterlicher Genehmigung z.B. im Rollstuhl durch Beckengurte fixiert sind, ständig im Gebäude frei bewegen dürfen, könnte sich das hier bedauerlicherweise realisierte Risiko jeden Tag von neuem auch mit anderen Heimbewohnern ereignen. Eine derartige enge Überwachung ist – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat – weder leistbar noch verhältnismäßig.
21Dies gilt um so mehr, als im vorliegenden Fall nicht vorhersehbar war, dass sich Frau E... eigenmächtig von der Karnevalsveranstaltung entfernen werde. Unstreitig hat Frau E... auch an sonstigen Gemeinschaftsveranstaltungen im Pflegeheim teilgenommen, ohne eigenmächtig die Veranstaltung zu verlassen. Auch hat sie ihr Zimmer, welches nicht verschlossen ist, nicht aus eigenem Antrieb verlassen. Es musste daher aus den Erfahrungen der zurückliegenden Zeit nicht dafür Sorge getragen werden, dass mindestens ein Mitarbeiter der Beklagten Frau E... auf Schritt und Tritt beobachtete.
22Ein effektiver Schutz vor Stürzen sturzgefährdeter alter Menschen lässt sich nur durch eine richterlich genehmigte Fixierung z.B. im Rollstuhl erreichen. Zu dieser Maßnahme hatte die Beklagte indes keinen Anlass, nachdem dies weder von Dr. L... in seinem Gutachten vom 29.07.2002 zur Prävention empfohlen worden war noch von der mit der gesundheitlichen Konstitution der Frau E... vertrauten Betreuerin befürwortet wurde. Die Betreuerin, die Zeugin W..., hat in ihrer Aussage vom 10.03.2004 deutlich gemacht, dass sie selbst nach dem streitgegenständlichen Unfallereignis eine Fixierung von Frau E... tagsüber nicht für angezeigt halte. Bei dieser Sachlage ist der Träger des Pflegeheims nicht gehalten, von sich aus entsprechende Maßnahmen zu initiieren (so auch OLG Schleswig OLGR 2004, 85 f.).
23Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 04.10.2004 gibt dem Senat keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, weil er keinen neuen Sachvortrag enthält.
24III.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
26Gründe, die gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Zulassung der Revision gebieten würden, liegen nicht vor.
27Streitwert: 9.092,61 €
28P... L... F...
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.