Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 41/04
Tenor
Das Nachprüfungsverfahren wird dem Bundesgerichtshof zur Entschei-dung vorgelegt.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2A.
3Die Antragsgegnerin ist als kreisfreie Stadt gemäss § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG i.V.m. § 5 Abs. 1 LAbfG NRW öffentlich-rechtliche Entsorgungsträgerin und damit zuständig für die Entsorgung der in ihrem Gebiet anfallenden und ihr überlassenen Abfälle.
4Die Antragstellerin, ein in H. ansässiges Entsorgungsunternehmen, ist von der Antragsgegnerin bis zum Ablauf des Jahres 2004 mit dem Einsammeln, Transport und der Verwertung von Altpapier beauftragt, das im Gebiet der Antragsgegnerin anfällt. Die Sammlung des Altpapiers erfolgt über Altpapiercontainer, die im Gebiet der Stadt Hm. aufgestellt sind (sog. Bringsystem). Ab Januar 2005 möchte die Antragsgegnerin die Sammlung des Altpapiers auf eine haushaltsnahe Erfassung im sog. Holsystem umstellen. Auf der Grundlage der Beschlussvorlage der Verwaltung vom 13.11.2003 (Vorlage Nr. 3666/03, Bl. 64 VK-Akte) hat der Rat der Antragsgegnerin beschlossen, dass der Abfallwirtschafts- und Stadtreinigungsbetrieb der Stadt Hm. (nachfolgend ASH) den Haushalten Altpapierbehälter zur Verfügung stellt, das Altpapier sammelt und es in die Verwertung bringt.
5Im Zusammenhang mit der beabsichtigten Einführung des Holsystems nahm die Antragsgegnerin Kontakt mit mindestens vier Entsorgungsunternehmen einschließlich der Beigeladenen und der Antragstellerin auf, in dessen Folge jedenfalls die Z. Recycling GmbH, die Fa. Recycling K.S. und die Antragstellerin ein Angebot über die "Papiervermarktung" bzw. "Altpapierentsorgung" unterbreiteten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Angebot der Z. Recycling GmbH vom 16.12.2003 (Bl. 79 VK-Akte), das Angebot der Fa. Recycling K.S. vom 26.01.2004 (Bl. 80 VK-Akte) und das Angebot der Antragstellerin vom 12.03.2004 (Bl. 3 Vergabe-Akte) Bezug genommen.
6Ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens schlossen am 27./28.04.2004 die ASH und die Beigeladene für die Dauer von fünf Jahren einen als "Kaufvertrag" überschriebenen Vertrag über das im Stadtgebiet der Antragsgegnerin erfasste Altpapier (Bl. 10-14 Vergabe-Akte).
7Nachdem die Antragstellerin von der beabsichtigten Auftragsvergabe Kenntnis erlangt hatte, rügte sie mit anwaltlichem Schreiben vom 30.04.2004, dass ein Vertrag über die Altpapierverwertung nicht ohne vorheriges Ausschreibungsverfahren abgeschlossen werden dürfe. Nach Erhalt der schriftlichen Information der Antragsgegnerin vom 06.05.2004 über den Vertragsschluss, reichte sie am 10.05.2004 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein.
8Die Vergabekammer hat durch Beschluss vom 17.06.2004 dem Nachprüfungsantrag im Ergebnis stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossene Vertrag sein ein öffentlicher Auftrag im Sinne von § 99 Abs. 1 GWB, da er in wesentlichen Teilen Dienstleistungselemente enthalte. Die Beigeladene solle für die Antragsgegnerin eine Art Maklertätigkeit erbringen, indem sie den Markt erkunde, welche Charge des Altpapiers an wen zu welchem Zeitpunkt verkauft werden solle. Außerdem schlage die Beigeladene das Altpapier um, indem sie es zum Weitertransport an ihre Kunden vorbereite. Der geschlossene Vertrag sei entweder gemäß § 13 VgV oder gemäß § 138 BGB nichtig, weil die Vergabestelle nicht begründet darlegen könne, warum sie von der Durchführung eines Vergabeverfahrens abgesehen habe.
9Gegen diese Entscheidung wenden sich sowohl die Antragsgegnerin als auch die Beigeladene mit der sofortigen Beschwerde.
10Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
11den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 17. Juni 2004 - Az.: VK 2 - 6/04 - aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
12Die Antragstellerin beantragt,
13die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 17. Juni 2004 - Az.: VK 2 - 6/04 - zurückzuweisen.
14B.
15Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin und die der Beigeladenen haben nach Ansicht des Senates keinen Erfolg, weil der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig und begründet ist. Der Senat sieht sich aber durch die dem Beschluss des OLG Celle vom 1. Juli 2004 (Az.: 13 Verg 8/04) zu Grunde liegende Rechtsauffassung an einer Entscheidung gehindert und gemäß § 124 Abs. 2 GWB zur Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof veranlasst.
16Nach dieser Vorschrift legt ein OLG, das über ein sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vergabekammer zu befinden hat, die Sache dem BGH vor, wenn es von einer Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will. Das ist der Fall, wenn das vorlegende Gericht als tragende Begründung seiner Entscheidung einen Rechtssatz zu Grunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt (BGH NZBau 2004, 458). Eine solche Divergenz liegt hier vor.
17I.
18Die Entscheidung des OLG Celle vom 1. Juli 2004 befasst sich ebenso wie in dem hier zur Beurteilung anstehenden Fall mit einem Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Entsorgungsunternehmen über das im Entsorgungsgebiet eingesammelte und dem Entsorgungsunternehmen anschließend zu überlassene Altpapier. Nach § 1 des Vertrages war ausdrücklich vorgesehen - insoweit weichen beide Vertragskonstellationen voneinander ab -, dass das Entsorgungsunternehmen das gesammelte Papier übernimmt und einer stofflichen Verwertung zuführt. In § 3 .1 des Vertrages verpflichtete sich das Entsorgungsunternehmen, einen Festpreis von 48,25 EUR/t zu zahlen.
19Das OLG Celle hat die Ansicht vertreten, bei dem Vertrag handele es sich nicht um einen öffentlichen Vertrag im Sinne von § 99 GWB, weil es an der Entgeltlichkeit der vereinbarten Verwertungsdienstleistung fehle. Das vertraglich vereinbarte Entgelt entspreche dem Wert des Abfallpapiers. Ein höherer Wert könne dem Altpapier nicht beigemessen werden, weil das vereinbarte Entgelt das höchste gewesen sei, das von sechs überregional tätigen Unternehmen für das Altpapier angeboten worden sei. Ein Entgelt für die stoffliche Verwertung könne allenfalls dann angenommen werden, wenn der öffentliche Auftraggeber dem Entsorgungsunternehmen über den Verkauf des Altpapiers gegen einen angemessenen Preis hinaus etwas zuwende. Dies sei allerdings nicht der Fall. Auch in Vollzug des Vertrages werde dem Entsorgungsunternehmen nichts zugewandt. Zwar erhalte es durch die Überlassung des Papiers die Chance, dieses zu veredeln und dadurch höhere Erlöse zu erzielen. Diese Chance habe aber bereits das Angebot und die Höhe des Entgelts beeinflusst. Auch wenn das Entgelt des Auftraggebers in einem Verzicht auf Ansprüche bestehe, werde sein Wert durch den Wert der Ansprüche durch den Auftraggeber bestimmt.
20Diesem Ergebnis vermag sich der Senat - wie nachfolgend unter II. 1. b. cc. ausgeführt - nicht anzuschließen. Vielmehr möchte er seiner Entscheidung als tragende Begründung den Rechtssatz zu Grunde legen, dass die Verwertungsdienstleistung bei Fehlen einer ausdrücklichen Vereinbarung der Unentgeltlichkeit entgeltlich erfolgt, auch wenn das Entsorgungsunternehmen seinerseits verpflichtet ist, ein Entgelt an den Entsorgungsträger für das überlassene Altpapier zu zahlen.
21II.
221.
23Die streitbefangene Auftragsvergabe unterliegt den Bestimmungen des Kartellvergaberechts (§§ 97 ff. GWB) und kann durch die Vergabenachprüfungsinstanzen überprüft werden kann.
24Der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts erschließt sich aus den Vorschriften der §§ 99 und 100 GWB. Danach muss ein entgeltlicher Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen vorliegen (§ 99 Abs. 1 GWB), die Beschaffung muss auf eine Lieferung, Bauleistung, Dienstleistung oder Auslobung gerichtet sein (§ 99 Abs. 2 - 5 GWB), die Schwellenwerte müssen erreicht sein (§ 100 Abs. 1 GWB), und es darf kein Ausnahmetatbestand des § 100 Abs. 2 GWB vorliegen.
25a.
26Die Antragsgegnerin ist öffentlicher Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 1 GWB.
27b.
28Bei dem am 27./28.04.2004 zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossenen Vertrag handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 99 GWB. Er ist ein entgeltlicher Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen, der eine - hier allein in Betracht kommende - Dienstleistung zum Gegenstand hat.
29Eine Auslegung des als "Kaufvertrag" bezeichneten Vertrages vom 27./28.04.2004 führt zu dem Ergebnis, dass nicht nur den Verkauf von Altpapier gemäß § 433 BGB geregelt ist, sondern der Vertrag darüber hinaus die Verpflichtung des Auftragnehmers enthält, für den Auftraggeber Dienstleistungen zu erbringen, mithin ein sog. typengemischter Vertrag vorliegt.
30Die Zuordnung eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses zu einem bestimmten Typ geschieht, indem der Inhalt der zugrundeliegenden Willenserklärungen ermittelt und festgestellt wird, zu welcher Leistung sich die beteiligten Personen verpflichtet haben. Entspricht diese einem bestimmten Vertragstyp, so ist ihm das Schuldverhältnis zuzuordnen, auch wenn der Vertrag anders bezeichnet ist (Palandt-Putzo, 61. Aufl., Überbl. Einf. v. § 433 BGB Rn. 3).
31aa.
32Nach § 1 Abs. 1 des Vertrages verkauft und veräußert die Antragsgegnerin der Beigeladenen das gesamte von ihr oder Unterauftragnehmern im Stadtgebiet Hm. erfasste Altpapier. Sie verschafft der Beigeladenen Eigentum und Besitz an dem Altpapier, indem sie es bei der Z. Recycling GmbH, Betriebsstätte Pf., in Hm. anliefert (§ 1 Abs. 2). Die Beigeladene verpflichtet sich, im Gegenzug für das angelieferte Papier ein Entgelt zu zahlen (§ 3 Abs. 1).
33bb.
34Darüber hinaus hat sich die Beigeladene gegenüber der Antragsgegnerin vertraglich verpflichtet, das verkaufte Altpapier einer Verwertung zuzuführen und damit eine Dienstleistung für die Antragsgegnerin zu erbringen.
35Zwar findet sich eine ausdrückliche vertragliche Regelung dieses Inhalts in dem schriftlichen Vertrag vom 27./28.04.2004 nicht. Sowohl der Vertragsinhalt als auch außerhalb des Vertrages liegende Umstände und insbesondere die abfallwirtschaftsrechtliche Situation sprechen dafür, dass sich die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrages darüber einig waren, dass die Beigeladene das Altpapier einer Verwertung zuführt, es ihr also gerade nicht freigestellt ist, was sie mit dem angekauften Altpapier macht. Es steht nur in ihrem Belieben, wie sie die Verwertung organisiert, ob sie also das Altpapier selbst auf dem Gelände der Fa. Z. Recycling GmbH umlädt und zur Papierfabrik transportiert, Dritte damit beauftragt, das Papier von den Käufern abholen lässt oder es zuvor veredelt/veredeln lässt.
36(1)
37In folgenden vertraglichen Regelungen finden sich Hinweise darauf, dass auch die Verwertung des Altpapiers Gegenstand des Vertrages ist.
38So lautetet die Überschrift von § 1 "Sammlung und Verwertung von Altpapier". In § 1 Abs. 3 ist vorgesehen, dass die Beigeladene "die Verwertung auch ohne vorhergehende Vorsortierung und/oder Umladung auf dem Betriebsgelände der Firma Z. organisieren kann". § 2 Abs. 1 Satz 2 regelt für den Fall, dass eine Umladung auf dem Betriebsgelände der Firma Z. nicht mehr stattfindet, dass die Beigeladene der Antragsgegnerin innerhalb einer bestimmten Frist durch die Überlassung entsprechender Wiegebelege nachzuweisen hat, "welche Altpapiermengen direkt der Verwertung zugeführt worden sind". Nach § 2 Abs. 2 hat die Beigeladene zudem "die verkehrsüblichen Nachweise und Belege über die Verwertung" der von der Antragsgegnerin gesammelten und angelieferten Verkaufsverpackungen aus PPK vorzulegen. Die genannten Regelungen verdeutlichen, dass die Vertragsparteien übereinstimmend davon ausgehen, dass das von der Beigeladenen angekaufte Altpapier verwertet werden soll und die Beigeladene für die Wertung sorgt bzw. sie organisiert.
39(2)
40Auch außerhalb des Vertrages liegende Umstände belegen, dass die Antragsgegnerin das Altpapier nicht nur verkaufen, sondern den Käufer für diesen erkennbar zusätzlich mit der Verwertung des überlassenen Papiers beauftragen wollte und beauftragt hat.
41(a)
42So heißt es in dem "Aktenvermerk Arbeitsschritte Einführung Papiertonne" der Antragsgegnerin auf Seite 2 zu Punkt 3.1:
43"Vor einer Entscheidung sollten bei drei bis fünf Anbietern die derzeit erzielbaren Konditionen bei einem 5-Jahresvertrag über die vollständige Verwertung des gesammelten Altpapiers eingeholt werden."
44In der Beschlussvorlage der Verwaltung (Vorlage-Nr.: 3666/03) vom 13.11.2003 ist auf Seite 2 drittletzter Absatz ausgeführt:
45" Des weiteren wird ein Papierverwertungsvertrag mit einer Mindestlaufzeit von fünf Jahren und einem über diesen Zeitraum garantierten Erlös abgeschlossen."
46(b)
47Der Wortlaut der eingeholten Angebote enthält Anzeichen dafür, dass es auch aus Sicht der Bieter nicht nur um den Abschluss eines Kaufvertrages sondern zusätzlich um die Übernahme von Entsorgungspflichten ging.
48So ist das Angebot der Z. Recycling GmbH vom 16.12.2003 mit "Papiervermarktung" überschrieben und das der Firma Recycling K.S. vom 26.01.2004 mit "Altpapierentsorgung/Angebot". Das Angebot der Fa. G. GmbH & Co. KG vom 12.03.2004 enthält die Überschrift "Angebot zur Verwertung von Altpapier". Zudem wird ausdrücklich die "Verwertung von kommunalem Altpapier" zu einem bestimmten "Verwertungspreis" angeboten.
49(3)
50Vor allem aber spricht die Interessenlage und die zugrundeliegende Rechtslage dafür, den Käufer des gesammelten Altpapiers mit der Verwertung zu beauftragen. Die Antragsgegnerin erfüllt allein durch den Verkauf des unsortierten Altpapiers an Dritte die ihr als öffentlich-rechtlichem Entsorgungsträger auferlegte Verwertungspflicht nicht und hat deshalb dafür Sorge zu tragen, dass ein Dritter diese Pflichten für sie erfüllt.
51Die Antragsgegnerin ist gemäß § 5 Abs. 1 LAbfG NRW i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger von Abfällen aus privaten Haushaltungen. Sie ist in dieser Eigenschaft gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG verpflichtet, die in ihrem Gebiet angefallenen und überlassenen Abfälle zu verwerten (§§ 4 - 7 KrW-/AbfG) oder zu beseitigen (§§ 10 - 12 KrW-/AbfG). Gemäß § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG kann der zur Verwertung und Beseitigung Verpflichtete auch Dritte mit der Erfüllung seiner Pflichten beauftragen, wobei die Verantwortlichkeit für die Erfüllung ihrer Pflichten hiervon unberührt bleibt (§ 16 Abs. 1 Satz 2 KrW-/AbfG).
52(a)
53Die Antragsgegnerin kann nicht mit Erfolg einwenden, das von ihr eingesammelte unsortierte Altpapier sei nicht mehr als Abfall, sondern als Wirtschaftsgut anzusehen, weshalb bei Abschluss des Vertrages aus abfallrechtlicher Sicht eine Pflicht zur Verwertung nicht mehr bestanden habe.
54Die Dauer der Abfalleigenschaft hängt von der Art und Weise der Verwertung oder Beseitigung ab. Erst mit der Beendigung des konkreten Beseitigungs- oder Verwertungsvorgangs entfällt die Abfalleigenschaft des Stoffes. Ein Vorgang stofflicher Abfallverwertung ist abgeschlossen (und damit der Zugriff des Abfallrechts auf die in Rede stehende Sache beendet), sobald ein "sekundärer" Rohstoff als zielgerichtet hergestelltes Ergebnis eines Verwertungsvorgangs gewonnen ist bzw. nach einer Behandlung des Abfalls die Sache wieder für ihren ursprünglichen oder einen anderen Zweck eingesetzt werden kann (Kunig in Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl., § 4 Rn. 24; Beckmann/Kersting-Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. 3., § 3 KrW-/AbfG Rn. 68).
55Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen ist mit dem Befördern des eingesammelten Altpapiers zum Betriebsgelände der Z. Recycling GmbH und der Übergabe an die Beigeladene das damit eingeleitete Verwertungsverfahren im Sinne von Anhang II. B des KrW-/AbfG noch nicht abgeschlossen. Aus dem unsortierten Altpapier ist allein durch das Einsammeln und das Entfernen grober Störstoffe wie es in § 1 Abs. 2 Satz 5 des Vertrages vorgesehen ist, noch kein Stoff mit Rohstoffqualität im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KrW-/AbfG geworden. Zwar kann das Altpapier, das nach übereinstimmenden Vortrag der Verfahrensbeteiligten den Anforderungen der europäischen Standardpapiersorte "5.01 Altpapier und Pappe, gemischt" entspricht, ohne weitere Sortierung zur Gewinnung von Faltschachtelkarton eingesetzt werden, wie sich aus dem Schreiben der niederländischen Firma D.E. Karton vom 01.06.2004 ergibt. Allerdings ergibt sich aus dem Schreiben auch, dass das Altpapier zunächst zu Faserbrei und dann zu gereinigtem Faserstoff aufbereitet werden muss, bevor er zusammen mit anderen Stoffen zu Faltkarton verarbeitet werden kann. Nach Ansicht des Senates ist daher frühestens mit der Herstellung des Faserbreis ein sekundärer Rohstoff gewonnen worden und die stoffliche Abfallverwertung abgeschlossen. Erst nachdem das Altpapier im Auflöseaggregat (Pulper) zu Faserbrei verarbeitet worden ist, kann er als Rohstoff zur Gewinnung von Kartonage benutzt werden.
56An den gesetzlichen Voraussetzungen über die Abfallverwertung und deren Beendigung vermag der Inhalt des Schreibens des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2004 und der Inhalt des beigefügten Vereinbarungsentwurfes zwischen dem Ministerium und dem Wirtschaftsverband der Rheinisch-Westfälischen Papiererzeugenden Industrie nichts zu ändern. Nach den Vorstellungen des Ministeriums sollen bestimmte Altpapierqualitäten, die den Anforderungen der europäischen Altpapiersortenliste genügen, dann rechtlich nicht mehr als Abfall angesehen werden, wenn sie ohne weitere Aufbereitungsmaßnahmen für den Einsatz in der Papierfabrik zur Verfügung stehen und die Zuführung zum Verwendungszweck gesichert ist. Unabhängig davon, dass die hier in Rede stehende Sorte 5.01 nach den Ausführungen des Ministeriums hiervon nicht erfasst sein soll, kann in den vorbereitenden Maßnahmen zum Einsatz der Altpapiers in der Papierfabrik nur ein erster Teilschritt mit dem Ziel gesehen werden, den angestrebten Verwertungserfolg zu erreichen. Beendet ist die Verwertungsvorgang damit nach den gesetzlichen Vorgaben des KrW-/AbfG noch nicht.
57(b)
58An der Einstufung als Abfall ändert auch die Tatsache nichts, dass das unsortierte Altpapier einen Marktwert hat und Veräußerungserlöse erzielt werden können.
59Zwar wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass nur dann, wenn der Stoff keinen positiven Marktwert habe, die abfallspezifische Gefahr bestehe, dass er nicht genutzt oder illegal beseitigt werde (Beckmann/Kersting in Landmann/Rohmer, aaO., § 3 KrW-/AbfG Rn. 73 m.w.Nachw.). Bewegliche Sachen, die von einem Handelsvertrag erfasst würden, seien demgegenüber nicht als Abfall, sondern als Produkt zu bezeichnen (Fluck, DVBL 1995, 537, 541). Das BVerwG führt in seinem Urteil vom 19. November 1998 (NVwZ 1999, 1111) unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom 25. Juni 1997 - Rs. C-304/94, C-330/94, C-342 /94 und C-224/95 - indes aus:
60"Da auch die Verwertung von Abfällen Teil des Wirtschaftsgeschehens ist, schließt der bloße Umstand, dass Stoffe Gegenstand eines Rechtsgeschäfts oder einer Notierung in amtlichen oder privaten Kurszetteln sein können, deren Abfalleigenschaft nicht aus. Sowohl das europäische als auch das deutsche Abfallrecht wollen im Interesse der Schonung der natürlichen Ressourcen die Gewinnung von sekundären Rohstoffen oder von Energie aus dafür geeigneten Abfällen fördern. Um dies sicherzustellen, soll der betreffende Stoff so lange den spezifischen Anforderungen des Abfallrechts an eine ordnungsgemäße und schadlose, möglichst ressourcenschonende Verwertung unterliegen, bis der Verwertungserfolg eingetreten ist. Ob auf dem Weg zu diesem Verwertungserfolg Veräußerungsgeschäfte stattfinden, ist grundsätzlich ohne Belang." Diesen Ausführungen schließt sich der Senat uneingeschränkt an, zumal das Marktwertkriterium im KrW-/AbfG keinen Niederschlag gefunden hat.
61Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des EuGH vom 18. April 2002 (Az.: C-9/00, Palin Granit, Slg. 2002, I - 3533). Zwar wird darin ausgeführt, dass es grundsätzlich keine Rechtfertigung gebe, den Bestimmungen der Richtlinie 75/442, die die Beseitigung oder Verwertung von Abfällen regeln sollen, Gegenstände, Materialien oder Rohstoffe zu unterwerfen, die unabhängig von jeder Bearbeitung wirtschaftlich einen Warenwert haben. Jedoch wird im Hinblick auf die Verpflichtung, den Abfallbegriff weit auszulegen, zusätzlich auf den Grad der Wahrscheinlichkeit der Wiederverwendung des Stoffes ohne vorherige Bearbeitung abgestellt. Der EuGH hat danach die Abfalleigenschaft von Bruchgestein, das beim Abbau von Granit anfällt, im Sinne der Richtlinie 75/442 bejaht, weil sich der Besitzer des für unbestimmte Zeit bis zu einer möglichen Verwendung gelagerten Bruchgesteins entledigen will, auch wenn das Material ohne vorherige Bearbeitung etwa für Auffüllungen oder Bauarbeiten für Häfen und Wellenbrecher wiederverwendet werden kann und dementsprechend wirtschaftlich einen Warenwert hat.
62Dem hier zu beurteilende Sachverhalt liegt jedoch eine völlig andere Ausgangssituation zu Grunde. Im Gegensatz zu dem genannten Bruchgestein handelt es sich bei dem Altpapier weder um einen Rückstand aus der Gewinnung eines Rohstoffes noch kann das Papier - wie bereits ausgeführt - ohne vorherige Bearbeitung wiederverwendet werden. Im übrigen stellt sich nicht die Frage, ob das von den privaten Haushaltungen überlassene Altpapier überhaupt dem Abfallbegriff unterfällt, sondern ab wann die Abfalleigenschaft des Papiers endet.
63cc.
64Steht damit fest, dass sich die Beigeladene nach dem übereinstimmenden Willen der vertragsschließenden Parteien verpflichtet hat, als Dritte gemäß § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG Verwertungsdienstleistungen für die Antragsgegnerin zu erbringen, ist weitere Voraussetzung für einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 99 GWB die Entgeltlichkeit der Dienstleistung. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.
65Der Begriff des Entgelts ist weit auszulegen und nicht im wörtlichen Sinn zu verstehen. Erfasst ist bei wirtschaftlicher Betrachtung jede Art von Vergütung, die einen Geldwert haben kann (OLG Düsseldorf WuW/E Verg 350 f. ; OLG Düsseldorf OLGR 2004, 301 f. m.w.Nachw.).
66Der Vertrag vom 27./28.04.2004 enthält in § 3 eine Entgeltregelung. Danach zahlt die Beigeladene an die Antragsgegnerin je angelieferte Tonne Altpapier ein Entgelt von 50,00 EUR. Eine ausdrückliche Vereinbarung des Inhalts, dass die Antragsgegnerin ihrerseits für die von der Beigeladenen zu erbringenden Dienstleistungen eine Vergütung zu entrichten hat, enthält der Vertrag nicht. Dies bedeutet aber nicht, dass die Beigeladene die übernommenen Verwertungsdienstleistungen unentgeltlich zu erbringen hat. Folgende Erwägungen sprechen vielmehr dafür, dass das für die Verwertungsdienstleistung von der Antragsgegnerin geschuldete Entgelt als Verrechnungsposten Eingang in die Kalkulation des nach § 3 des Vertrages von der Beigeladenen zu entrichtenden Entgelts gefunden hat. Gemäß §§ 612 Abs. 1, 632 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung stillschweigend als vereinbart, wenn die Dienst- oder Werkleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Voraussetzung für die Vergütungspflicht ist danach, dass objektiv von Seiten dessen, für den die Dienst- oder Werkleistung erbracht wird, ohne Rücksicht auf dessen persönliche Meinung die Entgeltlichkeit zu erwarten ist. Maßgebend hierfür ist die Verkehrssitte, die Stellung der Beteiligten untereinander sowie der Umfang und die Dauer der Dienst- oder Werkleistung. Gehören die Leistungen zum Beruf des Verpflichteten, kann im allgemein nicht von einer unentgeltlichen Dienst- oder Werkleistung ausgegangen werden, es sei denn, dass dies besonders vereinbart wird (Palandt-Putzo, aaO., § 612 BGB Rn. 4; MünchKomm-Schaub, BGB, 3. Aufl., § 612 Rn. 14).
67Ausgehend hiervon konnte die Antragsgegnerin bei objektiver Betrachtung nicht davon ausgehen, dass die Beigeladene unentgeltlich, d.h. ohne die Zuwendung eines Vermögensvorteils dafür sorgt, dass das erworbene Altpapier einer Verwertung zugeführt wird. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass beim Ankauf von Altpapier von einem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger die vom Käufer geschuldeten Entsorgungsdienstleistungen üblicherweise unentgeltlich zu erbringen sind. Die Beigeladene ist ein gewerbliches Entsorgungsunternehmen und hat keine Veranlassung, die Entsorgungsleistungen unentgeltlich für die Antragsgegnerin zu erbringen. Auch der Umfang und die Dauer der geschuldeten Tätigkeit sprechen für eine Vergütungspflicht. Die Beigeladene muss, wenn sie keine weiteren Veredelungsschritte durchführen möchte, wenigstens dafür sorgen, dass das bei der Z. Recycling GmbH angelieferte Papier umgeschlagen, d.h. umgeladen und zur Papierfabrik transportiert wird. Sie kann diese Tätigkeit selbst durchführen, Dritte damit beauftragen oder das Papier von der Papierfabrik abholen zu lassen. In jedem Fall wird die Beigeladene aber mit den hierfür anfallenden Kosten belastet. Diese Kosten sind nicht von unwesentlicher Bedeutung. Allein für den Umschlag des Papiers fallen nach dem Vorbringen der Antragstellerin (Bl. 178 VK-Akte, Bl. 231 GA) etwa 6,00 EUR - 8,00 EUR pro t an. Hinzu kommen von der Länge des Transportweges abhänge Transportkosten. Dies bedeutet, dass allein für den Umschlag des Altpapiers ohne Transport bei einer Gesamtjahresmenge von 10.000 t Kosten in Höhe von insgesamt 60.000 EUR anfallen. Hinzu kommt die vereinbarte Vertragslaufzeit von fünf Jahren. Unter diesen Umständen könnte eine Unentgeltlichkeit nur dann angenommen werden, wenn die vertragschließenden Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben. Eine solche ausdrückliche Vereinbarung haben sie aber gerade nicht getroffen und sie kann entgegen den Ausführungen des OLG Celle auch nicht konkludent in der Höhe des vereinbarten Entgelts pro t Altpapier gesehen werden. Es vermag schon nicht zu überzeugen, wie das OLG Celle zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das vereinbarte Entgelt dem Wert des Altpapiers ohne Berücksichtigung der zu erbringenden Verwertungsleistung entsprechen soll. Auf die Angebotspreise der übrigen Bieter kann nicht abgestellt werden, weil sie genauso wie der letztlich zum Zuge gekommene Bieter bei der Kalkulation des Preises ihre Verpflichtung zur stofflichen Verwertung des Papiers mit zu berücksichtigen hatten. Welchen Marktpreis das Altpapier ohne die Übernahme einer Dienstleistungsverpflichtung hat, kann sich daraus deshalb nicht ergeben. Anhaltspunkte für den marktgerechten Preis ergeben sich auch nicht aus den veröffentlichten Preisübersichten des Europäischen Wirtschaftsdienst Recycling (EUWID). Es handelt sich hierbei um die Preise, die beim Verkauf an die Papierfabrik durchschnittlich erzielt worden sind und nicht um die Durchschnittspreise, die ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger beim Verkauf an ein Entsorgungsunternehmen erzielen kann. Zudem verhält sich die Statistik nicht über die hier in Rede stehende Papiersorte 5.01. Zu ersehen ist aus der Statistik nur der Preis für die nächst höhere Papiersorte 1.02 (sortiert und in Ballen verpresst, frei Haus), der zwischen 50,00 und 55,00 EUR liegt. Dies besagt aber nicht, dass der für das qualitativ geringwertigere Altpapier der Sorte 5.01 vereinbarte Preis von 50,00 EUR/t der marktgerechte Preis für Altpapier dieser Sorte ohne die Berücksichtigung der Verwertungskosten ist. Mit der Übereignung des Altpapiers ist die Chance verknüpft, durch eine weitere Veredelung des Papiermaterials Gewinne zu erzielen. Der Käufer kann deshalb ein Interesse daran haben, für unsortiertes Altpapier der Sorte 5.01 einen Preis der zahlen, der gflls. höher liegt als sein Wiederverkaufswert. Dies besagt aber nicht, dass die für die Verwertungsleistung anfallenden Kosten bei der Bemessung des an den Verkäufer zu zahlenden Entgelts unberücksichtigt bleiben; sie fließen vielmehr in die Kalkulation als Verrechnungsposten mit ein und werden nur deshalb nicht gesondert ausgewiesen, weil sie geringer sind, als der derzeitige Marktpreis. Nichts anderes ergibt sich aus der Entscheidung des Senates vom 12. Januar 2004 (Az.: VII Verg 71/03). Der zu erzielende Verwertungserlös sollte nicht, wie das OLG Celle, meint als Maßstab für die Bestimmung des marktgerechten Kaufpreises angesehen werden, sondern als Indiz dafür, dass die vom Auftraggeber zu zahlende Vergütung der Verwertungsdienstleistung mit dem vom Auftragnehmer zu zahlenden marktgerechten Kaufpreis verrechnet worden sind, mithin die Dienstleistung entgeltlich erfolgt ist.
68dd.
69Gegenstand des Vertrages vom 27./28.04.2004 ist keine sog. Dienstleistungskonzession, auf welche die Normen des Vergaberechts - und insbesondere auch die Dienstleistungsrichtlinie 92/50 EWG (EuGH 2. Kammer, Beschluss vom 30.05. 2002 - Rs. C-358/00 Buchhändler-Vereinigung GmbH/Saur Verlag GmbH & Co. KG) - nicht anwendbar sind. Der Unterschied zwischen einer Dienstleistungskonzession und dem entgeltlichen Vertrag nach § 99 GWB liegt im Kern darin, dass bei der Konzession der Private als Gegenleistung für seine Leistung statt (oder neben) einer Vergütung das ausschließliche Recht zur (kommerziellen) Nutzung und Verwertung des Leistungssubstrats erhält. Das impliziert eine Verlagerung der mit der Leistung verbundenen wirtschaftlichen Risiken auf den Konzessionär, der seine Vergütung über den Benutzer der Leistung (vor allem durch die Erhebung von Gebühren) erzielt (EuGH, Urteil vom 07.12.2000, Rs. C-324/98 "Teleaustria Verlags GmbH und Telefonadress GmbH gegen Post & Telekom Austria GmbH"; implizit EuGH, Urteil vom 10.11.1998, Rs. C-360/96, "Gemeente Arnheim, Gemeente Rheden gegen BFI Holding BV", Tz. 25, NVwZ 1999, 397; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1998 Nr. C 21/53 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 2002, Verg 22/02; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rn. 32 m.w.Nachw.; Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, § 99 Rn. 27).
70Diese Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt. Die Beigeladene erbringt ihre Leistungen (Übernahme des Altpapiers, ggflls. weitere Veredelung und Transport zur Papierfabrik) für die entsorgungspflichtige Antragsgegnerin, die ihrerseits gegenüber den überlassungspflichtigen Abfallbesitzern und -erzeugern kraft Gesetzes leistungsverpflichtet ist. Von den Abfallbesitzern und -erzeugern erhält die Beigeladene jedoch keine Vergütung, sondern von der ankaufenden Papierfabrik, dergegenüber sie ihre Leistung jedoch nicht erbringt.
71c.
72Der gemäß § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 3 VgV erforderliche Schwellenwert von 200.000 EUR ist erreicht. Für die Vertragsdauer von fünf Jahren fallen allein an Umladekosten in etwa 300.000 EUR an (10.000 t x 6,00 EUR x 5 Jahre).
73d.
74Ein Ausnahmefall des § 100 Abs. 2 GWB liegt nicht vor.
752.
76Der Nachprüfungsantrag ist nicht deshalb unzulässig, weil die Antragstellerin das Nachprüfungsverfahren erst am 10.05.2004 und damit nach Abschluss des Vertrages am 27./28.04.2004 eingeleitet hat.
77Zwar ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn sich das als fehlerhaft beanstandete Vergabeverfahren bereits vor der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erledigt hat. Erledigung ist hier aber nicht eingetreten, weil der mit der Beigeladenen geschlossene Vertrag nicht wirksam ist.
78Insoweit kann dahin stehen, ob der Vertrag gemäß § 138 BGB wegen sittenwidrigen Verhaltens der vertragschließenden Parteien nichtig ist. Jedenfalls ergibt sich die Nichtigkeit des Vertrages aus § 13 Satz 6 VgV, weil die Antragsgegnerin vor Abschluss des Vertrages mit der Beigeladenen ihrer (auch) gegenüber der Antragstellerin bestehenden Informationspflicht gemäß § 13 Satz 1 VgV nicht nachgekommen ist.
79Nach der Rechtsprechung des Vergabesenates reicht es zur Anwendung von § 13 VgV aus, wenn der öffentliche Auftraggeber zwar in Verkennung der Rechtslage von einem förmlichen Vergabeverfahren abgesehen, er aber ein "wettbewerbliches Verfahren" durchgeführt hat, in dem es mehrere Bieter und Angebote gegeben hat (OLG Düsseldorf NZBau 2003, 401, 405; offengelassen im Beschluss vom 3. Dezember 2003, Az.: VII - Verg 37/03, Seite 12). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch nach neuerlicher Prüfung fest.
80Die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit von § 13 VgV sind hier erfüllt, wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat. Die Antragstellerin hat als Bieterin in einem "wettbewerblichen" Verfahren ein Angebot abgegeben. Der Antragsgegnerin lagen neben dem Angebot der Beigeladenen noch drei weitere Angebote vor. Die Antragstellerin kann nicht mit Erfolg einwenden, die Angebote seien nur zur Markterkundung eingeholt worden. Der Einholung der Angebote lag ein konkretes Beschaffungsvorhaben der Antragsgegnerin zu Grunde, da sie ab dem 1.1.2005 die Altpapierentsorgung vom Hol- zum Bringsystem umstellen und für eine Verwertung des Altpapiers sorgen wollte. Aktivitäten des öffentlichen Auftraggebers, die eine Markterkundung oder Marktbeobachtung zum Gegenstand haben, zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass ihnen gerade keine konkrete Beschaffungsinitiative zu Grunde liegt (OLG Düsseldorf NZBau 2001, 696; OLG Düsseldorf VergR 2003, 435, 442; Reidt/Stickler/Glahs-Reidt, Vergaberecht, 2. Aufl., § 107 Rn. 13 a).
813.
82An der Antragsbefugnis der Antragstellerin nach § 107 GWB bestehen keine Zweifel.
83a.
84Die Antragsgegnerin kann nicht mit Erfolg einwenden, die Antragstellerin habe auf Grund ihres Angebotes vom 12.03.2004 keine Chancen auf Zuschlagserteilung; sie habe daher nicht gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB dargelegt, dass ihr durch die unterbliebene Durchführung eines Vergabeverfahrens ein Schaden entstanden sei oder zu entstehen drohe.
85Die Angebote der übrigen zwei Bieter - ein Angebot der Beigeladenen befindet sich nicht bei den Akten -, geben keine verlässliche Auskunft darüber, ob die Antragstellerin bei der Durchführung eines formalisierten Vergabeverfahrens Chancen auf Erteilung des Zuschlags haben würde. Zum einen gehen die Angebote von unterschiedlichen Vorleistungen der Antragsgegnerin aus. Zum anderen hat die Antragsgegnerin das Beschaffungsvorhaben so unzureichend dokumentiert, dass nicht festgestellt werden kann, daß allen Bietern in den der Angebotsabgabe vorausgegangenen Gesprächen dieselben Vorgaben gemacht worden sind, sie mithin dieselben Chancen hatten. Die durch die fehlende Dokumentation bewirkte Intransparenz geht hierbei zu Lasten der Antragsgegnerin. Gerade weil eine Dokumentation fehlt, kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß die Antragstellerin in einem förmlichen Vergabeverfahren mit für alle Bieter feststellbar gleichen Vergabebedingungen nicht doch ein chancenreiches und zuschlagsfähiges Angebot hätte abgeben können. Auch die insoweit verbleibenden Ungewißheiten wirken sich zu Lasten der Antragsgegnerin aus.
86b.
87Die Antragstellerin ist mit dem geltend gemachten Vergaberechtsverstoß auch nicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert. Dass die mit anwaltlichem Schriftsatz vom 30.04.2004 erhobene Rüge nicht unverzüglich nach Kenntnis von dem Vergabefehler erfolgt ist, kann nicht festgestellt werden.
884.
89Die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens war auch nicht wegen widersprüchlichen Verhaltens der Antragstellerin gemäß § 242 BGB unzulässig, weil sie in einem nichtförmlichen Vergabeverfahren ein Angebot abgegeben hat und nunmehr, nachdem ihr Angebot unberücksichtigt geblieben ist, geltend macht, die Antragsgegnerin habe vergaberechtsfehlerhaft kein Vergabeverfahren durchgeführt.
90Widersprüchliches Verhalten ist missbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere bestimmte Umstände die Rechtsausübung treuwidrig erscheinen lassen. Notwendig ist daher, dass der Auftraggeber darauf vertrauen durfte, dass das Unternehmen seine Schutzansprüche nicht mehr geltend machen wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Ein solcher Vertrauenstatbestand könnte nur dann angenommen werden, wenn die Antragstellerin trotz positive Kenntnis von dem Erfordernis eines förmlichen Vergabeverfahrens ein Angebot eingereicht und von der Rüge des Vergabefehler abgesehen hat und der Antragsgegnerin dies bekannt war. Es fehlen aber jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin vor Einschaltung ihrer jetzigen Verfahrensbevollmächtigten Kenntnis von dem Rechtsverstoß hatte.
91Der somit nach alledem zulässige Nachprüfungsantrag hätte nach Auffassung des Senates auch der Sache nach Erfolg, weil es die Auftraggeberin vergabefehlerhaft unterlassen hat, den Auftrag, das verkaufte Altpapier einer Verwertung zuzuführen, in einem förmlichen Vergabeverfahren zu vergeben.
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