Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 78/04
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 23. September 2004 (VK 1 - 192/04) aufgehoben.
Die Antragsgnerin wird verpflichtet, das am 1. September 2004 eingeleitete freihändige Vergabeverfahren zum Abschluss von Verträgen über die Konzeption und Durchführung von berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen gemäß § 61 SGB III des Regionalen Einkaufszentrums B. bezüglich der Lose 253 und 254 aufzuheben.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB sowie die in beiden Instanzen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Antragstellers.
Die Beigeladene trägt ihre Auslagen selbst.
III. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für
den Antragsteller in beiden Instanzen notwendig.
IV. Beschwerdewert: bis 90.000 EUR.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Antragsgegnerin schrieb im Jahr 2004 bundesweit die Vergabe "Abschluss von Verträgen über die Konzeption und Durchführung von berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen" öffentlich aus. Zeitgleich führte die Antragsgegnerin wegen eines Teils solcher Leistungen bundesweit die Beschaffung im Wege Freihändiger Vergabe durch. Hieran beteiligte sich auch der Antragsteller.
4Zur Feststellung der Anzahl der Maßnahmen, für die teils eine Öffentliche Ausschreibung, teils eine Freihändige Vergabe erfolgen sollte, hatte die Antragsgegnerin eine Markterkundung durchgeführt. Noch bevor es zu einem Zuschlag kam, gab die 1. Vergabekammer des Bundes durch Beschluss vom 13.5.2004 in einem von einer anderen Antragstellerin initiierten Nachprüfungsverfahren (VK 1 - 42/04) dem Nachprüfungsantrag statt, weil jene Bieterin von der Antragsgegnerin zu Unrecht gemäß § 7 Nr. 6 VOL/A vom Bieterwettbewerb ausgeschlossen worden war.
5Im Hinblick hierauf gab die Antragsgegnerin die Freihändige Vergabe auf und schrieb den Großteil auch dieser Maßnahmen unter der Bezeichnung "BvB neu 2" öffentlich aus. Die Leistungen waren in Lose (200 - 307) unterteilt. Los 253 betraf berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen in den Berufsfeldern Wirtschaft und Verwaltung, Hotel/Gaststätten/Hauswirtschaft, Lager/Handel und Kosmetik/Körperpflege. Los 254 hatte die Berufsfelder Garten- und Landschaftsbau, Metall, Farbe/Raumgestaltung, Holz sowie Installationstechnik zum Gegenstand.
6Innerhalb der Angebotsfrist gaben der Antragsteller und die Beigeladene für die Lose 253 und 254 Angebote ab. Beide Angebote gelangten in die Wertung. Mit Schreiben vom 19.7.2004 informierte die Antragsgegnerin den Antragsteller, dass sie beabsichtige, den Zuschlag auf die Angebote der Beigeladenen zu erteilen. Der Antragsteller beanstandete die beabsichtigte Vergabeentscheidung mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 30.7.2004 und beantragte unter dem 2.8.2004 eine Nachprüfung, unter anderem mit der Begründung, die Beigeladene verfüge nicht über geeignetes Lehrpersonal. Die Vergabekammer stellte die Antragsschrift, mit der der Antragsteller begehrte, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm den Zuschlag zu erteilen, hilfsweise die Wertung zu wiederholen, am 2.8.2004 zu.
7Mit zwei Faxschreiben vom 1.9.2004 (15:19 Uhr und 15:38 Uhr) teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sie die Ausschreibung der Lose 253 und 254 aufhebe. Zur Begründung führte sie an, dass die Vergabekammer des Bundes die in § 4 Abs. 2 des Vertragsentwurfs enthaltene Wagnisverlagerung für unzulässig erachtet habe. Auch könne mit Blick auf die noch anhängigen Nachprüfungsverfahren nicht sichergestellt werden, dass die Bildungsmaßnahmen zu einem in fachlicher Hinsicht sinnvollen Termin beginnen könnten. Beide Faxschreiben der Antragsgegnerin waren auch Gegenstand der Erörterungen in der Vergabekammerverhandlung am 2.9.2004, in welcher der Vertreter der Antragsgegnerin ankündigte, dass die Maßnahmen nunmehr freihändig vergeben würden. Unter Bezugnahme auf diese Ankündigung bat der Antragsteller die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 3.9.2004, ihn an der Freihändigen Vergabe zu beteiligen und ihm die Vergabeunterlagen zuzusenden. Vorsorglich rügte er die beabsichtigte Freihändige Vergabe der Lose 253 und 254 als verfahrensfehlerhaft. Auf eine Nachfrage teilte die Antragsgegnerin ihm mit, dass die Zuschläge zu den Losen 253 und 254 bereits am 1.9.2004 auf die Angebote der Beigeladene erteilt worden seien.
8Daraufhin hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren die erneute Vergabenachprüfung beantragt und im Wesentlichen geltend gemacht: Die mit der Beigeladenen geschlossenen Verträge seien gemäß § 13 S. 6 VgV nichtig, weil er, der Antragsteller, nicht über die beabsichtigten Zuschläge informiert worden sei. Die Nichtigkeit der Verträge ergebe sich auch aus § 138 Abs. 1 BGB. Die Leistungen der Lose 253 und 254 hätten nicht freihändig vergeben werden dürfen. Die Antragsgegnerin habe die Gründe für die Aufhebung der Öffentlichen Ausschreibung zu vertreten. Die zu beschaffenden Leistungen seien auch nicht besonders dringlich. Jedenfalls habe die Antragsgegnerin auch ihn, den Antragsteller, zur Abgabe eines Angebotes auffordern müssen.
9Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen und im Wesentlichen ausgeführt: Ein Nachprüfungsantrag sei unstatthaft, wenn er sich gegen ein bei seiner Einreichung schon beendetes Vergabeverfahren richte. Im Entscheidungsfall sei die Zuschlagserteilung an die Beigeladene rechtmäßig erfolgt. Die Zuschläge seien aus keinem der von dem Antragsteller genannten Gründe zu beanstanden.
10Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortige Beschwerde.
11Der Antragsteller beantragt,
121. den angefochtenen Beschluss aufzuheben,
132. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren im Wege der Freihändigen Vergabe zum Abschluss von Verträgen über die Konzeption und Durchführung von berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen gemäß § 61 SGB III des Regionalen Einkaufszentrums B. bezüglich der Lose 253 und 254 aufzuheben,
14Antragsgegnerin und Beigeladene stellen keinen Antrag.
15II.
16Die zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers ist begründet.
171. Der Nachprüfungsantrag des Antragstellers ist statthaft. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer ist das Nachprüfungsverfahren gemäß §§ 102 ff GWB eröffnet.
18a) Zu den zeitlichen und persönlichen Voraussetzungen, unter denen einem Unternehmen das Vergabenachprüfungsverfahren zur Verfügung steht, sowie zum Gegenstand einer Vergabenachprüfung hat der Europäische Gerichtshof zuletzt in seinem Urteil vom 11.1.2005 (Rs C-26/03, Stadt Halle, RPL GmbH ./. Arbeitsgemeinschaft Leuna) Ausführungen gemacht. Nachprüfbar sind alle Willensäußerungen des öffentlichen Auftraggebers im Zusammenhang mit einem Auftrag, die auf irgendeine Weise den interessierten Personen zur Kenntnis gelangen, sofern sie über das Stadium der Vorbereitung und Sondierung hinausgegangen sind und Rechtswirkungen entfalten können. Schon die Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen mit einem Interessenten stellt eine solche Willensäußerung dar (Tz. 39). Was die Personen angeht, denen ein Nachprüfungsverfahren zugänglich ist, genügt es, wenn das Unternehmen an dem bestimmten öffentlichen Auftrag ein Interesse hat oder hatte und ihm durch den behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Nicht erforderlich ist eine formale Bieter- oder Bewerbereigenschaft (Tz. 40).
19Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist für den Antragsteller die Nachprüfung eröffnet. Unerheblich ist, dass er sich nicht formal durch Angebotsabgabe an dem freihändigen Vergabeverfahren beteiligte. Die Antragsgegnerin hat eine nachprüfungsfähige Willensäußerungen, die über das Stadium der Vorbereitung und Sondierung hinausging, getätigt, und zwar schon mit ihrer Entscheidung, die Leistungen der Lose 253 und 254 ohne ein förmliches Verfahren aufgrund von Verhandlungen mit einem einzigen Bieter - der Beigeladenen - zu vergeben.
20b) Die am 1.9.2004 der Beigeladenen erteilten Zuschläge stehen der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages nicht entgegen.
21aa) Allerdings ist nach deutschem Vergaberecht ein Nachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht eröffnet, wenn einem Unternehmen vor Einreichung des Nachprüfungsantrags der Zuschlag wirksam erteilt worden ist. §§ 114 Abs. 2 S. 1, 123 S. 3 GWB ordnen an, dass ein bereits erteilter Zuschlag durch die Nachprüfungsinstanzen nicht aufgehoben werden kann. Ferner kann gemäß §§ 114 Abs. 2 S. 2, 123 S. 2 GWB nach Zuschlagserteilung nur noch festgestellt werden, dass das Unternehmen, das die Nachprüfung beantragt hat, durch den Auftraggeber in seinen Rechten verletzt ist. Auch nach der neueren EuGH-Rechtsprechung ist entgegen der Ansicht des Antragstellers nach wirksamer Zuschlagserteilung kein primärer Vergaberechtschutz geboten. Zwar hat der EuGH in seinen Urteilen vom 9.9.2004 (Rs. C-125/03, Kommission gegen Deutschland, NZBau 2004, 563) und 18.11.2004 (Rs. C-126/03, dito, IBR 2005, S. 35) entschieden, dass die Mitgliedsstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, Verträge zu beenden, wenn der Vertrag unter Verletzung der Vergaberechtsvorschriften zustande gekommen ist. Daraus ist indes nicht zu folgern, dass die Mitgliedsstaaten den Unternehmen unter allen Umständen die Möglichkeit primären Rechtsschutzes eröffnen müssen. Vielmehr hat der EuGH in seinem Urteil vom 9.9.2004 (a. a. O., Tz. 15) ausdrücklich bestätigt, dass Artikel 2 Absatz 6 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (Abl. L 395, S. 33) die Mitgliedstaaten ermächtigt, nach Vertragsschluss den nationalen Rechtsschutz auf Schadensersatz für die durch einen solchen Verstoß geschädigten Personen zu begrenzen (vgl. hierzu auch Heuvels NZBau 2005, 32, 33). Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber Gebrauch gemacht.
22bb) Indes sind die Verträge zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gemäß § 13 Satz 6 VgV nichtig, so dass sie aus diesem Rechtsgrund der Vergabenachprüfung nicht entgegenstehen.
23Nach § 13 Satz 6 VgV ist ein Vertrag nichtig, den der öffentliche Auftraggeber unter Verletzung seiner gegenüber den Bietern bestehenden Informationspflicht abschließt. So verhält es sich hier. Die Antragsgegnerin hätte (u. a.) den Antragsteller vorab über die beabsichtigten Zuschläge informieren müssen.
24Der Senat teilt die Ansicht des OLG Dresden im Beschluss vom 16.10.2001 - WVerg 0009/01 (VergabeR 2002, 142 f), das einen ähnlich gelagerten Fall zu entscheiden hatte. Dort ging es um die Freihändige Vergabe von Leistungen nach Aufhebung eines erfolglos gebliebenen nicht offenen Verfahrens mit Teilnahmewettbewerb - ohne Hinzuziehung und Benachrichtigung von Bietern, die sich an dem aufgehobenen nicht offenen Verfahren beteiligt hatten. Das OLG Dresden bejahte die Anwendbarkeit des § 13 VgV mit der Begründung, der Auftraggeber habe zumindest diejenigen Unternehmen an der Verhandlung beteiligen müssen, die er im Rahmen des nicht offenen Verfahrens zur Abgabe von Angeboten aufgefordert hatte. Jene Unternehmen seien nach dem Schutzzweck des § 13 VgV Adressaten der dort begründeten Informationsverpflichtung des öffentlichen Auftraggebers. Ebenso wie im Fall des OLG Dresden ging auch im Streitfall der Freihändigen Vergabe ein Vergabeverfahren mit Bieterwettbewerb voraus, an dem der Antragsteller sich durch ein Angebot beteiligt hatte, und ebenso wie im Fall des OLG Dresden hatte sich auch hier im Zuge der Aufhebung des Verfahrens und der Einleitung des Verhandlungsverfahrens der Beschaffungsbedarf nicht geändert. Insoweit lässt sich bei funktionaler Betrachtung von einer Leistungsbeschaffung in einem einheitlichen materiellen Vergabeverfahren sprechen. Dies hat entsprechende Konsequenzen für die Frage, wer im - formell - zweiten Vergabeverfahren materiell als zu informierender "Bieter" im Sinne von § 13 VgV anzusehen ist, nämlich zumindest auch dasjenige Unternehmen, das sich, wie der Antragsteller, an der aufgehobenen Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt hat. Dieser Betrachtung steht die Entscheidung des Senats vom 3.12.2003 (VII - Verg 37/03) nicht entgegen. Dort hatte der Senat im Fall einer "de-facto-Vergabe" die Informationspflicht des öffentlichen Auftraggebers nach Verhandlung mit einem einzigen Bieter verneint. Der Vergabe war indes kein Vergabeverfahren mit Bieterwettbewerb vorausgegangen. Insoweit war als Interessent nur das Unternehmen hervorgetreten, das später auch den Zuschlag erhielt. Im Hinblick hierauf hätte der öffentliche Auftraggeber nur mutmaßen können, welche anderen Unternehmen als potentielle Bieter zu informieren gewesen wären. Im Streitfall liegen die Dinge anders. Hier hatten bestimmte Bieter ihr Interesse an der Leistung durch Abgabe von Angeboten konkret bekundet. Haben Unternehmen ihr Interesse an der Leistung gegenüber dem Auftraggeber derart deutlich gemacht, sind sie bei materiell unverändertem Beschaffungsbedarf gemäß § 13 Satz 1 VgV über einen beabsichtigten Zuschlag zu informieren, unabhängig davon, ob sie zu dem (formell) zweiten Vergabeverfahren hinzugezogen worden sind oder der Auftraggeber sogar mit nur einem Unternehmen verhandelt hat (vgl. auch OLG Thüringen vom 28.1.2004, 6 Verg 11/03, sowie weitergehend für den Fall einer "vorgezogenen Bewerbung": VergabeR 2004, 113, 117/118; vgl. auch Senat, Beschluss vom 30.4.2003, NZBau 2003, 400). Soweit der Senat in der Entscheidung vom 19.11.2003 (VII - Verg 59/03) ganz allgemein dahin zu verstehen sein könnte, dass eine Informationspflicht des Auftraggebers nach § 13 VgV immer dann nicht besteht, wenn Leistungen in Verhandlungen mit nur einem Bieter vergeben worden sind, hält er daran nicht fest.
252. Der Nachprüfungsantrag des Antragstellers ist begründet.
26Zu Recht rügt der Antragsteller die Entscheidung der Antragsgegnerin, den Auftrag ohne seine Beteiligung am Verhandlungsverfahren zu vergeben.
27a) Nach § 3 Nr. 4 VOL/A soll eine Freihändige Vergabe nur in bestimmten Fällen stattfinden, unter anderem dann, wenn die Leistung "besonders dringlich ist" (Buchst. f). Schon hinsichtlich der diesbezüglichen Voraussetzungen bestehen erhebliche Bedenken gegen das Vorgehen der Antragsgegnerin.
28Die Antragsgegnerin führt an, die Leistungen der Lose 253 und 254 seien "besonders dringlich" gewesen, weil eine Notwendigkeit bestanden habe, die berufsvorbereitenden Maßnahmen zum geplanten bzw. einem anderen zeitnahen Termin zu beginnen. Dies sei unabweisbar wichtig gewesen, damit die Jugendlichen unmittelbar im Anschluss an die berufsvorbreitenden Maßnahmen mit dem Beginn des Ausbildungsjahres im September 2005 rechtzeitig eine Ausbildung oder Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufnehmen konnten. Dieses Argument trägt schon deswegen nicht, weil nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragstellers ein Teil der Leistungen ohnehin erst ab dem 8.11.2004 begannen. Zudem waren die Maßnahmen auf "maximal" 11 Monate ausgelegt (B.1.3 der Verdingungsunterlagen), konnten also auch in einem kürzeren Zeitraum durchgeführt werden, was wiederum entsprechende zeitliche Spielräume eröffnete.
29Dieser Wertung steht der Senatsbeschluss vom 17.7.2004 (VII - Verg 52/04) nicht durchgreifend entgegen. Dort hatte der Senat zwar im Rahmen eines Eilverfahrens ein Überwiegen des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens gegenüber dem Bieterinteresse auf Primärrechtsschutz mit dem nahe bevorstehenden Anfangstermin einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme begründet, dabei jedoch den Ausnahmecharakter der Entscheidung betont und zudem nur auf der Grundlage des Vortrags der Antragsgegnerin entschieden. Ferner hatte der Fall die Besonderheit, dass die Erfolgsaussicht zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung durchaus offen war, während es vorliegend im Ergebnis gerade anders liegt: Ein Vergaberechtsfehler ist der Antragsgegnerin unzweifelhaft unterlaufen. Der Beschluss betraf schließlich eine nicht verallgemeinerungsfähige, einzelfallbezogene Abwägung im Rahmen eines Eilverfahrens nach § 118 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2 GWB. Die von der Antragsgegnerin gezogene generalisierende Schlussfolgerung auf die "besondere Dringlichkeit der Leistung" im Sinne der § 3 Nr. 4 Buchst. f VOL/A, dessen enge Auslegung ohnehin dem Ausnahmecharakter der Freihändigen Vergabe Rechnung zu tragen hat (vgl. hierzu EuGH vom 18.11.2004 - Rs. C-126/03 - mit Hinweis auf Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 92/50/EWG, VergabeR2005, 57, 59), ist daher nicht zulässig, da die anzuwendenden Maßstäbe schon im Ansatz unterschiedliche sind.
30Die Freihändige Vergabe auf das Angebot der Beigeladenen am 1.9.2004 war zudem nicht das am besten geeignete und zugleich mildeste Mittel, um die benötigten Leistungen alsbald und auf sicherstem Wege zu erlangen. Vor die Wahl einer Freihändigen Vergabe oder öffentlichen Neuausschreibung sah sich die Antragsgegnerin nur deshalb gestellt, weil sie das weit vorangeschrittene förmliche Verfahren "BvB neu 2" am selben Tage aufgehoben hatte. Letzteres hatte sie ohne zwingenden Grund getan. Sie hat die Aufhebung darauf gestützt, dass § 4 Abs. 2 des Vertragsentwurfes ein vergaberechtlich unzulässiges Wagnis enthielt. Zur Beseitigung dieses Mangels war es jedoch nicht erforderlich, von dem förmlichen Verfahren Abstand zu nehmen. Vielmehr hätte es genügt, die Bestimmung des § 4 Abs. 2 aus dem Vertragswerk zu streichen und die Bieter zur Abgabe eines überarbeiteten Preisangebots aufzufordern. Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang ergänzend auf noch anhängige andere Nachprüfungsverfahren verweist, deren alsbaldiger Abschluss am 1.9.2004 nicht sicher gewesen sei, war auch dies kein zwingender Grund, das förmliche Vergabeverfahren aufzuheben. Denn zur Abwehr von verfahrensbedingten Verzögerungen stand der Antragsgegnerin die Möglichkeit der Ge- stattung des Vorabzuschlags nach § 115 Abs. 2 GWB zur Verfügung, sofern dessen Voraussetzungen wirklich vorlagen.
31b) Jedenfalls war es vergaberechtswidrig, den Antragsteller nicht an dem freihändigen Vergabeverfahren als Bieter zu beteiligen. Auch eine Freihändige Vergabe hat grundsätzlich unter Beteiligung mehrerer Unternehmen im Rahmen eines Bieterwettbewerbs stattzufinden. Auf diese Regel zu verzichten, bedarf besonderer vergaberechtlicher Rechtfertigung. Ausnahmen sind nur dann zuzulassen, wenn die Beteiligung mehrerer Unternehmen im Einzelfall nicht möglich oder sonst untunlich wäre (vgl. Schaller VOL Teil A und B, 2. Aufl., § 7 RN. 40; Müller-Wrede, § 2 RN. 8 a. E.; für die VOB: Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB/A, § 8 RN. 62). Dies folgt insbesondere aus § 7 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A, wonach bei Freihändiger Vergabe möglichst Angebote im Wettbewerb eingeholt werden sollen.
32Die Einholung von Angeboten im Bieterwettbewerb war der Antragsgegnerin am 1.9.2004 möglich. Gemäß § 4 Nr. 1 VOL/A hat der Auftraggeber im Falle einer Freihändigen Vergabe den in Betracht kommenden Bewerberkreis zu erkunden, sofern er keine ausreichende Marktübersicht hat. Im vorliegenden Fall war eine Erkundung nicht einmal erforderlich, denn die Antragsgegnerin kannte den in Betracht kommenden Bieterkreis schon aus dem förmlichen Verfahren. Daher hätte sie am 1.9.2004 nicht nur die Beigeladene, sondern auch die übrigen Bieter, den Antragsteller eingeschlossen, nach Maßgabe eines geänderten oder gestrichenen § 4 Abs. 2 des Vertragsentwurfes zu neuen Preisangeboten mit kurzer Frist auffordern können und müssen. Sodann wäre eine Wertung und Entscheidung innerhalb weniger Tage möglich gewesen. Auch ein Abwarten der 14-tägigen Frist gemäß § 13 VgV nach Benachrichtigung der platzierten Bieter hätte der zeitnahen und sinnvollen Durchführung der berufsbildenden Maßnahmen nicht entgegengestanden. Gegenteiliges zeigt die Antragsgegnerin nicht überzeugend auf, namentlich nicht mit dem Hinweis auf die besondere Dringlichkeit der Leistung. Soweit die Antragsgegnerin der Auffassung gewesen sein sollte, dass eine Vergabeentscheidung im Bieterwettbewerb womöglich neue Nachprüfungsverfahren ausgelöst und eine Durchführung der Maßnahmen verzögert hätte, war auch dies eine Erwägung, der bei wirklichem Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 GWB hätte hinreichend Rechnung getragen werden können.
333. Gemäß §§ 123 Abs. 1 S. 1 und 2, 114 Abs. 1 GWB kann der Senat - unter Aufhebung des angefochtenen Vergabekammerbeschlusses - als geeignete Maßnahme zur Beseitigung des Vergabefehlers die Antragsgegnerin nur verpflichten, das konkrete rechtswidrige Verhandlungsverfahren, das den vollen Leistungsumfang der Lose 253 und 254 zum Gegenstand hatte, aufzuheben. Eine Fortsetzung jenes Verfahrens kommt nicht in Betracht. Die Leistungen der Lose 253 und 254 sind bis heute auf der Grundlage der vermeintlich wirksamen Verträge durch die Beigeladene ausgeführt worden, womit sich ein wesentlicher Teil des ursprünglichen Beschaffungsbedarfes erledigt hat. Da sich der Gegenstand der Beschaffung wesentlich verändert hat, ist er im Falle einer erneuten Vergabe neu zu definieren. Insofern steht die Antragsgegnerin vor der Frage, welche Leistungen sie jetzt noch benötigt, ob sie diese am Markt beschaffen will und kann, und welches Vergabefahren sie dabei anzuwenden hat. Möglicherweise kommt aus der Sicht "per heute" z. B. aus pädagogischen Gründen nur noch eine Freihändige Vergabe an die Beigeladene in Betracht. All dies sind Entscheidungen und Erwägungen, die die Antragsgegnerin in eigener Zuständigkeit zu treffen hat.
34III.
35Die Kostenentscheidung beruht auf § 128 Abs. 3, 4 GWB, § 91 Abs. 1 ZPO.
36Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 50 Abs. 2 GKG.
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