Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 40-04
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 15. Juni 2004 (Az.: VK 2 40/03) wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.
Beschwerdewert: bis 96.000 EUR
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Antragsgegnerin schrieb unter dem 15.1.2003 im Offenen Verfahren die Lieferung von Toner- und Tintenpatronen sowie Drucker-Farbbändern für verschiedene Laser-, Tinten- Nadeldrucker ihrer ca. 300 Dienststellen in den Wehrbereichen Süd, Nord und West aus. Die Beschaffungsinitiative wurde von der Wehrbereichsverwaltung Süd eingeleitet, die anderen Wehrbereichsverwaltungen schlossen sich an. Der Rahmenvertrag sollte auf 1 Jahr mit Verlängerungsoption geschlossen werden. Die Angebotsfrist endete am 5.3.2003. Ende des Jahres 2002 führten die Wehrbereichsverwaltungen in ihren Dienststellen eine Bedarfserhebung durch.
4Nach Auswertung der Angebote teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werde. Im dem daraufhin von der Antragstellerin angestrengten Nachprüfungsverfahren gab die 2. Vergabekammer des Bundes dem Nachprüfungsantrag im Wesentlichen statt (VK 2 40/03). Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Durch Beschluss vom 1.10.2003 (Az.: Verg 45/03) ordnete der Senat an, dass die Antragsgegnerin die Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu werten habe. Daraufhin führte die Antragsgegnerin eine neue Bedarfsermittlung durch, die ein deutlich verändertes Ergebnis erbrachte. Mit Schreiben vom 23.2.2004 teilte sie den Bietern mit, dass die Ausschreibung gemäß § 26 Nr. 1 lit. b VOL/A aufgehoben worden sei und die Leistung alsbald neu ausgeschrieben werde. Die Antragstellerin rügte die Aufhebung und beantragte unter dem 1.4.2004 erneut die Durchführung einer Vergabenachprüfung.
5Sie hat beantragt,
61. die Antragsgegnerin zu verpflichten, binnen zwei Wochen die Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats des OLG Düsseldorf zu werten und diese Wertung vorzulegen, und für den Fall, dass die Wertung innerhalb der Frist nicht vorgelegt wird, die Festsetzung eines Zwangsgeldes anzudrohen,
72. hilfsweise,
8die Antragsgegnerin anzuweisen, das Ausschreibungsverfahrens unter Neubewertung der Angebote unter Beachtung der Rechtauffassung des OLG Düsseldorf fortzusetzen,
93. hilfsweise,
10festzustellen, dass die Aufhebung des Ausschreibungsverfahrens rechtswidrig war.
11Die Antragsgegnerin hat die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages begehrt.
12Die Vergabekammer des Bundes hat die Anträge zu 1 und 2 mit der Begründung zurückgewiesen, es liege in der Entscheidungskompetenz der Antragsgegnerin, die Leistungen auf der Grundlage des zuletzt festgestellten Bedarfs neu auszuschreiben. Hingegen sei das Feststellungsbegehren begründet, weil der Antragsgegnerin kein Aufhebungsgrund gemäß § 26 Nr. 1 VOL/A zur Seite gestanden habe. Sie habe ihren Beschaffungsbedarf im Jahre 2002 nicht ordnungsgemäß ermittelt.
13Gegen die Feststellung der Rechtsverletzung wendet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin.
14II.
15Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist zulässig, aber unbegründet.
161. Der Feststellungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Die Bestimmung des § 114 Abs. 2 S. 2 GWB steht der Statthaftigkeit nicht durchgreifend entgegen. Zwar hat sich entgegen der Annahme der Vergabekammer das ursprüngliche Nachprüfungsverfahren (VK 2 40/03) durch die Aufhebung der Ausschreibung vom 23.2.2004 nicht erledigt, denn der Nachprüfungsantrag ist durch die Überprüfungsinstanzen - zuletzt durch den Beschluss des Senats vom 1.10.2003 - beschieden worden und sodann erst erfolgte die Aufhebung des Vergabeverfahrens. Dessen ungeachtet war die Vergabekammer nicht gehindert, im zweiten Nachprüfungsverfahren (mit gleichem Aktenzeichen VK 2 - 40/03) die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung zu beschließen. Gemäß § 104 Abs. 2 S. 1 GWB können Rechte aus § 97 Abs. 7 GWB, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind, außer vor den Vergabeprüfstellen nur vor den Vergabekammern und den Beschwerdegerichten geltend gemacht werden. Insoweit besteht eine "abdrängende Zuständigkeit" der Vergabenachprüfungsinstanzen (Vergabekammer und Beschwerdegericht) gegenüber anderen zu einer Überprüfung berufenen Behörden. Zu den vor den Überprüfungsinstanzen geltend zu machenden Handlungen gehört nach der neueren Rechtsprechung auch die Aufhebung der Aufhebung eines Vergabeverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 18.6.2002, NZBau 2002, 458; BGH, Beschluss vom 18.2.2003, NZBau 2003, 293 = VergabE B-2-1/03). Dann ist aber nicht zu sehen, weshalb die auf primären Vergaberechtschutz gerichtete Überprüfung einer Aufhebung (nur) durch die Vergabenachprüfungsinstanzen erfolgen darf, diese aber nicht befugt sein sollen, auf Antrag die Rechtswidrigkeit der Aufhebung festzustellen. Für eine solche Befugnis sprechen zudem Gründe der Prozessökonomie, denn mit der Kernfrage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Aufhebung wird die Vergabekammer zuständigkeitshalber bereits im Rahmen der Gewährung primären Vergaberechtsschutzes befasst. Daher gilt: Hat ein Unternehmen mit dem Ziel der Erlangung primären Vergaberechtsschutzes die Aufhebung des ausgeschriebenen Vergabeverfahrens zum Gegenstand einer Nachprüfung gemacht, ist die Vergabekammer bei Vorliegen eines Feststellungsinteresses des Unternehmens auf dessen Antrag auch zur Feststellung der durch die Aufhebung eingetretenen Rechtsverletzung befugt, wenn sich - wie hier - herausstellt, dass trotz des Vergabeverstoßes aufgrund des dem Auftraggeber zustehenden Entscheidungsspielraums eine auf die Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens gerichtete Anordnung nicht ergehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 18.2.2003, VergabE B-2-1/03, Rn. 19 a. E.; ferner: OLG Dresden, VergabeR 2004, 92 ff, das das erledigende Ereignis im Sinne des § 114 Abs. 2 S. 2 GWB in einer im Verlaufe des Nachprüfungsverfahren erklärten endgültigen Abstandnahme des Auftraggebers vom ausgeschriebenen Vorhaben sieht, an der es im vorliegenden Streitfall fehlt).
17Das erforderliche Feststellungsinteresse der Antragstellerin resultiert aus der Bindungswirkung der getroffenen Feststellung für einen späteren Schadensersatzprozess (vgl. Jaeger in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 123 GWB Rn. 1237 m.w.N.). Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kommt ein Schadensersatzanspruch nicht nur dann in Betracht, wenn dem übergangenen Bieter bei einer Fortsetzung des Vergabeverfahrens der Zuschlag zwingend zu erteilen gewesen wäre. Dies ist nur Voraussetzung für die Zuerkennung des positiven Schadensersatzinteresses eines Bieters, nicht aber für den Ersatz des Vertrauensschadens. Für diesen genügt das Bestehen einer "echten Zuschlagschance" (§ 126 S. 1 GWB).
182. Der Feststellungsantrag ist begründet.
19Die im Februar 2004 durchgeführte Bedarfserhebung ergab einen deutlich höheren Bedarf an Tonern, was aus Sicht der Antragsgegnerin rechtfertigte, die ursprüngliche Ausschreibung fallen zu lassen. Ein zureichender Aufhebungsgrund gemäß § 26 Nr. 1 VOL/A war damit jedoch nicht gegeben. Aufhebungsgründe im Sinne dieser Vorschrift scheiden generell aus, wenn sie dem Auftraggeber als Verschulden oder Obliegenheitsverletzung zurechenbar sind (vgl. Senat, Beschluss vom 16.2.2005, VII - Verg 72/04; Daub/Eberstein VOL/A, 5. Aufl., § 26 Rn. 20, 27 a. E. m. w. N.). So verhält es sich hier. Die Antragsgegnerin hatte die Fehleinschätzung des ausgeschriebenen Bedarfs nach den Umständen des Falles zu vertreten.
20Ein öffentlicher Auftraggeber hat eine Auftragsvergabe mit Sorgfalt zu planen, vorzubreiten und zu erstellen. Der zu deckende Beschaffungsbedarf ist vorab zutreffend zu ermitteln (vgl. § 16 Nr. 1 VOL/A). Soweit es hierfür einer Schätzung bedarf, sind die relevanten Grundlagen im zumutbaren Rahmen unter Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen vollständig zu erheben und sachgerecht auszuwerten. Sich abzeichnende Bedarfsveränderungen sind rechtzeitig zu berücksichtigen, nötigenfalls auch noch während des Ausschreibungsverfahrens. Daran hat es die Antragsgegnerin fehlen lassen.
21Die Vergabekammer hat ausgeführt, dass die erste Bedarfsermittlung der Antragsgegnerin im Jahre 2002 unzureichend gewesen sei, weil die beteiligten Verwaltungen und deren Außenstellen teilweise nicht über aktuelle Bestandslisten von Druckern verfügten, weil ferner die Dienststellen Bedarfszahlen anhand alter Rahmenvertragspreislisten mitteilten, so dass neue Typen von Druckerpatronen nicht erfasst wurden, und weil unklare Schreibweisen von Typenbezeichnungen zu Fehlangaben führten. Ob nur diese die diesbezüglichen, von der Antragsgegnerin als "neu" reklamierten Erkenntnisse den neu bestimmten, wirklichen Beschaffungsbedarf verursachten, kann im Ergebnis offen bleiben, wenngleich der Vermerk der Antragsgegnerin vom 12.2.2004 auf weitere diesbezügliche Unzulänglichkeiten hindeutet, wo es heißt:
2223
...
244. Bei der Meldung der ASt Kiel 2002 blieb der Bereich "Tintenpatronen" damals unberücksichtigt; es handelt sich hierbei um einen Mehrbedarf von ca. 13.000 Stück.
25(Unterstreichung durch den Senat)
26Denn die Einlassung der Antragsgegnerin offenbart einen weiteren Mangel der Vergabevorbereitung und zeigt, dass die späteren Erkenntnisse über den wirklichen Bedarf keineswegs unvorhersehbar waren. Den überreichten Unterlagen ist zu entnehmen, dass im Hause der Antragsgegnerin keine ausreichende Planungsabstimmung stattgefunden hat. Aus dem Schreiben ihres Fachbereiches IT, Wehrbereichsverwaltung Süd, vom 1.7.2004 (GA 12 - 14) geht hervor, dass man dort für die Jahre 2003 und 2004 einen Schwerpunkt auf die Beschaffung von Laserdruckern und die dadurch mögliche Ablösung veralteter Drucker gelegt hatte. "Im Regelfall", so heißt es in dem Schreiben weiter, führten solche Neuanschaffungen dazu, dass sich die betroffenen Dienststellen mit einer entsprechend hohen Grundausstattung an Tonern eindeckten. Ferner sei "im Regelfall" mit der erhöhten Leistungsfähigkeit der neuen Geräte auch eine Steigerung des Tonerverbrauchs verbunden. Es sei davon auszugehen, dass in den anderen Wehrbereichsverwaltungen und den militärischen Dienststellen ähnliche Erkenntnisse vorlagen. Weiterer Grund für die Bedarfssteigerung soll nach dem genannten Schreiben gewesen sein, dass gemäß einer Verfügung des BAWV vom 11.2.2003 die Regeneration der IT-Plattform "ITU-Verpflegung" einen Schwerpunkt im Jahr 2003 bilden sollte, weshalb im Wehrbereich Süd der größte Teil der vorhandenen Drucker gegen neue Systeme ausgetauscht worden sei. Auch diese Maßnahme habe mit Sicherheit zu einem Ansteigen des Bedarfs an Tonern - auch in den anderen Wehrbereichen - geführt.
27Jene ihren Beschaffungsbedarf beeinflussenden Planungen hätte die Antragsgegnerin bei der Vorbereitung der Ausschreibung berücksichtigen können und müssen, jedenfalls bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 15.3.2003. Planungen über bevorstehende Anschaffungen in den teilnehmenden Wehrbereichen hätten bei den dafür zuständigen Stellen abgefragt und ausgewertet werden müssen, sofern diese, wie das Großprojekt H..., nicht ohnehin schon allgemein im Hause der Antragsgegnerin bekannt waren. Soweit Aufgaben der Planung und Beschaffung im Hause der Antragsgegnerin auf verschiedene Fachbereiche verteilt worden waren, waren sich berührende Informationen in organisatorisch geeigneter Weise zusammenzuführen. Im Falle eines dementsprechend effizienten Informationsaustausches zwischen den beteiligten Stellen wäre es aller Voraussicht nach nicht zu der so deutlich abweichenden, eine Neuausschreibung erfordernden Bedarfsfeststellung gekommen.
283. Der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung vom 23.2.2004 steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses vom 27.2.2004 mit Wirkung vom 29.2.2004 aufgelöst worden ist. Zwar kann ein Bewerber, der sich in Liquidation befindet, von der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen werden (§ 7 Nr. 5 lit. b VOL/A), worauf sich die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren ausdrücklich beruft. Im Streitfall hat die Gesellschafterversammlung der Antragstellerin die Auflösung jedoch erst nach erfolgter Aufhebung der Ausschreibung und mithin nach Abschluss des Vergabeverfahrens beschlossen. Gegenstand einer Nachprüfung sind indes nur Entscheidungen in einem Vergabeverfahren (§ 104 Abs. 2 S. 1 GWB), nicht aber Maßnahmen, die der öffentliche Auftraggeber aufgrund neuer Umstände bei einer gedachten Fortsetzung des Vergabeverfahrens möglicherweise getroffen hätte. Umfang und Gegenstand einer Vergabenachprüfung werden durch die Umstellung des Rechtsschutzes auf ein Feststellungsbegehren nicht erweitert. Der auf neue Umstände gestützte Einwand der Antragsgegnerin zielt auf das so genannte "rechtmäßige Alternativverhalten" des in Anspruch genommenen Schädigers, dem erst in einem Schadensersatzprozess aus § 126 GWB, §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB nachzugehen sein wird (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 16.2.2005, Az: VI-U (Kart) 06/04, Seite 9 des Urteilsumdrucks). Gleiches gilt, soweit die Antragsgegnerin nunmehr aufgrund der nach Beendigung des Vergabeverfahrens erfolgten "Verschmelzung" der Antragstellerin mit der M... GmbH die Zuverlässigkeit der Antragstellerin in Zweifel zieht.
29II.
30Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Referenzen
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