Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 76/04
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 22. September 2004 (VK VOL 8/2004) wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens ein-schließlich der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin zu tragen.
Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die An-tragsgegnerin in der Beschwerdeinstanz notwendig.
Beschwerdewert: bis 290.000,- EUR
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2A)
3Die Antragsgegnerin schrieb europaweit die Vergabe zur Beschaffung von digitalfunktauglichen Bordrechnern und nachrichtentechnischen Komponenten für ihre Busse und Stadtbahnwagen im Verhandlungsverfahren aus. Die vorhandenen Komponenten des Rechnergesteuerten Beschleunigungs- und Betriebsleitsystems (RBBL) der Antragsgegnerin sollten ersetzt und funktional erweitert werden. In das Verhandlungsverfahren gelangten die Antragstellerin und vier weitere Bieter.
4Nach Auswertung der Angebote beschloss die Antragsgegnerin, das Vergabeverfahren aufzuheben. In einem Vermerk vom 22.3.2004 heißt es hierzu:
5Die Angebotswertung hat erhebliche Unterschiede in den Angeboten ergeben, die darauf zurückzuführen sind, dass wir Eigenlösungen der Anbieter zugelassen haben. So sind wir zum Zeitpunkt der Ausschreibung davon ausgegangen, dass die Fa. S. TTS AG in ihrem RBBK System neben der VDV Schnittstelle auch die weiteren firmenspezifischen Schnittstellen offen legt. Im Zuge der Ausschreibung hat uns die S. TTS AG jedoch schriftlich mitgeteilt, dass sie dieses verweigert. Damit wird einigen Angebotsvarianten die Basis entzogen.
6Daraufhin versuchten wir im Verhandlungsverfahren unsere Bedingungen anzupassen. Uns war bewusst, dass dies vergaberechtlich angezweifelt werden konnte. Zwei Bieter haben bisher daraufhin unsere Vorgehensweise gerügt.
7Mit Schreiben vom 26.3.2004 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass die Ausschreibung aufgehoben und die Beschaffung in Kürze neu ausgeschrieben werde. Dagegen hat Antragstellerin das vorliegende Nachprüfungsverfahren eingeleitet.
8Die Antragsstellerin hat beantragt,
9die Ausschreibung wieder in Kraft zu setzen und ihr den Zuschlag zu erteilen.
10Die Antragsgegnerin hat beantragt,
11den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
12Die Vergabekammer hat, gestützt auf ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K., den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen und ausgeführt: Die Aufhebung sei zu Recht erfolgt. Die Antragsgegnerin sei Sektorenauftraggeberin gemäß § 98 Nr. 4 GWB und als solche gemäß § 7 Abs. 2 VgV nur an die Vorschriften des 4. Abschnittes der VOL/A gebunden, die eine unmittelbare Geltung des § 26 VOL/A nicht vorsehen. Bei entsprechender Anwendung des § 26 Nr. 1 lit. a bis c VOL/A ergebe sich, dass die Antragsgegnerin die Ausschreibung zu Recht aufgehoben habe. Durch die alternativen Schnittstellenanforderungen zu Pos. D 2.1 seien technische Individuallösungen mit eventuell untragbarem Risiko und Wartungsaufwand möglich geworden.
13Gegen diesen Beschluss wendet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Sie beantragt,
14den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren fortzuführen, sowie ihr, der Antragstellerin, den Zuschlag zu erteilen,
15hilfsweise,
16festzustellen, dass sie durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens in ihren Rechten verletzt ist.
17Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
18Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und die mit diesen vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
19B)
20Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
21I. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der Aufhebung und Fortführung des Vergabeverfahrens. Zu Recht hat die Vergabekammer ausgeführt, dass die Antragsgegnerin nicht verpflichtet sei, an ihrer ursprünglichen Ausschreibung festzuhalten. Nach der Rechtsprechung des Senats käme eine diesbezügliche Anordnung allenfalls bei einer Scheinaufhebung oder einer die Antragstellerin diskriminierenden Vorgehensweise der Antragsgegnerin in Betracht. Dahingehende Anhaltspunkte bestehen jedoch nicht. Vielmehr hat der von der Vergabekammer hinzugezogene Sachverständige Prof. Dr. K. die Entscheidung der Antraggegnerin bestätigt. Nach seinen überzeugenden Ausführungen besteht die Möglichkeit, dass die Weiterentwicklungen von Datentelegrammen des RBL-Systems nicht korrekt und/oder unmittelbar zeitnah erfasst werden. Selbst wenn der Auftraggeber hierüber regelmäßig und zumeist rechtzeitig informiert würde, würden diesbezügliche, nicht von der Hand zu weisende Restrisiken für den Bus- und Bahnbetrieb der Antragsgegnerin verbleiben. Es war sachgerecht, dass die Antragsgegnerin daraus folgende Unwägbarkeiten zum Anlass ihrer Aufhebungsentscheidung nahm.
22II. Auch der Hilfsantrag der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
231. Der Feststellungsantrag zulässig. Die Bestimmung des § 114 Abs. 2 S. 2 GWB steht der Statthaftigkeit nicht entgegen. Gemäß § 104 Abs. 2 S. 1 GWB können Rechte aus § 97 Abs. 7 GWB, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind, außer vor den Vergabeprüfstellen nur vor den Vergabekammern und den Beschwerdegerichten geltend gemacht werden. Insoweit besteht eine "abdrängende Zuständigkeit" der Vergabenachprüfungsinstanzen (Vergabekammer und Beschwerdegericht) gegenüber anderen zu einer Überprüfung berufenen Behörden. Zu den vor den Überprüfungsinstanzen geltend zu machenden Handlungen gehört nach der neueren Rechtsprechung auch die Aufhebung der Aufhebung eines Vergabeverfahrens mit dem Ziel seiner Fortsetzung (vgl. EuGH, Urteil vom 18.6.2002, NZBau 2002, 458; BGH, Beschluss vom 18.2.2003, NZBau 2003, 293 = VergabE B-2-1/03). Dann ist aber nicht zu sehen, weshalb die auf primären Vergaberechtschutz gerichtete Überprüfung einer Aufhebung (nur) durch die Vergabenachprüfungsinstanzen erfolgen darf, diese aber nicht befugt sein sollen, auf Antrag die Rechtswidrigkeit der Aufhebung festzustellen. Für eine solche Befugnis sprechen zudem Gründe der Prozessökonomie, denn mit der Kernfrage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Aufhebung werden die Vergabekammer oder das Beschwerdegereicht zuständigkeitshalber bereits im Rahmen der Gewährung primären Vergaberechtsschutzes befasst. Daher gilt: Hat ein Unternehmen mit dem Ziel der Erlangung primären Vergaberechtsschutzes die Aufhebung des ausgeschriebenen Vergabeverfahrens zum Gegenstand einer Nachprüfung gemacht, sind die Vergabekammer oder das Beschwerdegericht bei Vorliegen eines Feststellungsinteresses des Unternehmens auf dessen Antrag auch zur Feststellung der durch die Aufhebung eingetretenen Rechtsverletzung befugt, wenn sich - wie hier - herausstellt, dass trotz des Vergabeverstoßes aufgrund des dem Auftraggeber zustehenden Entscheidungsspielraums eine auf Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens gerichtete Anordnung nicht ergehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 18.2.2003, VergabE B-2-1/03, Rn. 19 a. E.; Senat, Beschluss vom 8.3.2005, S. 4/5 - Az. VII-Verg 40/04; ferner: OLG Dresden, VergabeR 2004, 92 ff, das das erledigende Ereignis im Sinne des § 114 Abs. 2 S. 2 GWB in einer im Verlaufe des Nachprüfungsverfahrens erklärten endgültigen Abstandnahme des Auftraggebers vom ausgeschriebenen Vorhaben sieht).
24Das erforderliche Feststellungsinteresse der Antragstellerin resultiert aus der Bindungswirkung einer Feststellung für einen späteren Schadensersatzprozess (vgl. § 124 Abs. 1 GWB; Jaeger in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 123 GWB Rn. 1237 m.w.N.).
252. Der Feststellungsantrag ist indes unbegründet.
26a) Ein die Aufhebung rechtfertigender Grund stand der Antragsgegnerin allerdings nicht zur Seite. Dies gilt unabhängig davon, ob im Streitfall die Vorschrift des § 26 VOL/A eingreift oder die allgemeinen Rechtsgrundsätze eines Verschuldens bei Vertragsschluss zur Anwendung kommen (vgl. § 311 Abs. 2 BGB). In beiden Fällen scheidet ein rechtfertigender Aufhebungsgrund aus, weil die Antragsgegnerin die Aufhebung zu vertreten hatte. Die technischen Unwägbarkeiten von Eigenentwicklungen hätte sie vor der Ausschreibung prüfen können und müssen, ggfls. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Auch hätte sie vorab klären müssen, ob der Hersteller ihrer RBL - Zentrale bereit war, Bietern im Falle des Nichteinsatzes seines Funkkonzentrators die technischen Informationen zur Ermöglichung einer Kommunikation mit der RBL - Zentrale offen zu legen.
27b) Dessen ungeachtet ist die Antragstellerin durch die Aufhebung nicht in ihren Rechten verletzt, weil ihr Angebot mangels nachgewiesener Leistungsfähigkeit auszuschließen war.
28Nachdem die Antragstellerin am 20.10.2003 (letzter Tag der Abgabefrist) ihr Angebot eingereicht und darin keine Ausführungen über die Hinzuziehung von Subunternehmern gemacht hatte, hatte sie der Antragsgegnerin erst mit Schreiben vom 3.11.2003, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 4.11.2003, "Zusätzliche Projektinformationen" übersandt. Ausweislich der dortigen Erläuterungen (Seite 6) war vorgesehen, die vorhandene RBL - Zentrale der S. AG (TTS) unverändert zu lassen und ein selbst entwickeltes Kommunikationsmodul einzusetzen, welches die in Betrieb befindliche Betriebsfunkkommunikation emulieren sollte, um ein eigenes Funksystem aufzubauen, das auf den Einsatz des ausgeschriebenen Funkkonzentrators nicht angewiesen war. Die dafür herzustellende Emulationssoftware sollte die "S. ITPS" realisieren. Ergänzend heißt es unter Punkt 7:
29- Subunternehmereinsatz
Die angebotenen Leistungen werden in Kooperation mit
31S. AG
32Unternehmensbereich I & S
33Geschäftsgebiet ITPS
34...
35durchgeführt.
36Bei diesem Sacherverhalt war das Angebot der Antragstellerin nicht wertbar. Zwar handelte es sich dem Sachverständigen Prof. Dr. K. zufolge um ein "technisch beachtenswertes" Angebot. Jedoch hat die Antragstellerin es versäumt, der Antragsgegnerin die Leistungsfähigkeit und Verfügbarkeit des von ihr beabsichtigten Nachunternehmers beizeiten nachzuweisen. Nach der Rechtsprechung des EuGH zur sog. Generalübernehmervergabe (vgl. EuGH Urt. v. 14.4.1994, Rs. C-389/92, Slg. 1994, I-1289 - Ballast Nedam I; Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-5/97, Slg. 1997, I-7549 - Ballast Nedam II - beide ergangen zur Baukoordinierungsrichtlinie; Urt. v. 2.12.1999, Rs. C-176/98, NZBau 2000, 149 = EuZW 2000, 110 - Holst Italia - ergangen zur Dienstleistungsrichtlinie; Urt. v. 18.3.2004, Rs. C-314/01, WuW/E Verg 933 = NZBau 2004, 340 = NVwZ 2004, 967 - S. AG Österreich - zur Dienstleistungsrichtlinie) hat der Unternehmer, der Leistungen untervergeben will, nachzuweisen, dass er tatsächlich über die Einrichtungen und Mittel (des Nachunternehmers) verfügt, die für die Ausführung des Auftrags von Bedeutung sind (vgl. dazu auch die Beschlüsse des Senats vom 22.12.2004, Az. VII-Verg 81/04; 19.7.2000, Az. Verg 10/00, BauR 2000, 1623; 20.11.2001, Az. Verg 33/01, IBR 2002, 212 - zur VOL/A; vom 5.7.2000, Az. Verg 5/99, NZBau 2001, 106 - zur VOB/A). Damit der Auftraggeber bereits in der Prüfungsphase die Leistungsfähigkeit und Qualität der Einrichtungen und Mittel des Nachunternehmers prüfen kann, hat der Bieter, dem im eigenen Unternehmen nicht die Mittel zur Ausführung des Auftrags zu Gebote stehen oder der sich ihrer nicht bedienen will, bereits mit dem Angebot von sich aus darzulegen und den Nachweis zu führen, welcher anderen Unternehmen, die die Einrichtungen und Mittel im Umfang des geplanten Nachunternehmereinsatzes besitzen, er sich zur Ausführung des Auftrags bedienen wird, und dass die Einrichtungen und Mittel des anderen Unternehmens als ihm tatsächlich zur Verfügung stehend anzusehen sind (vgl. Senat NZBau 2001, 106, 110; OLG Frankfurt NZBau 2003, 636, 637; OLG Naumburg VergabeR 2004, 80, 82; OLG Saarbrücken VergabeR 2004, 731, 734).
37Diesen Anforderungen hat die Antragstellerin im Streitfall nicht genügt, weshalb ihr Angebot zwingend auszuschließen war. Eine Bereitschaft der "S. ITPS", als Sublieferant für die Antragstellerin tätig zu werden, ergab sich überhaupt erst nach Angebotsabgabe aus einem Schreiben der "S. ITPS" an die Antragsgegnerin vom 26.11.2003, bei dieser eingegangen am 28.11.2003, wobei in jenem Schreiben von einer Erstellung der Emulationssoftware nicht einmal (jedenfalls nicht wörtlich) die Rede war. Damit hatte die Antragstellerin den spätestens mit Ablauf der Abgabefrist am 20.10.2003 vorzulegenden Verfügbarkeitsnachweis in mehrerlei Hinsicht nicht erbracht. Sie hat den Nachweis weder selbst noch rechtzeitig vorgelegt noch überhaupt in ihrem Angebot dargetan, worauf sich die von Beginn an von ihr geplante Subvergabe beziehen sollte.
38Ohnehin erscheint zweifelhaft, ob die S. ITPS zum Zeitpunkt ihres Schreibens vom 26.11.2003 darüber informiert war, dass die Antragstellerin von dem Angebot der S. AG (Transp. Systems TS) vom 29.9.2003 über die Lieferung von 580 Funkkonzentratoren keinen Gebrauch (mehr) machen wollte. Jedenfalls zeigt das spätere Schreiben der S. Transit Telematic Systems AG an die Antragsgegnerin vom 1.7.2004, dass die von der Antragstellerin beabsichtigte Subvergabe an die S. ITPS nicht realisiert worden wäre. In jenem Schreiben betont die S. TTS AG, dass "S. ITPS" nur ein unselbständiger Geschäftsbereich der S. AG sei, dem nicht gestattet war und auch nicht gestattet worden wäre, die nicht freigegebene Schnittstelle vor dem Funkkonzentrator - wie von der Antragstellerin angeboten - nachzubilden. Dass die Antragstellerin die Emulationssoftware selbst, das heißt ohne eine Subvergabe, hätte herstellen können, behauptet sie nicht und war nach ihrem eigenen Verständnis von ihrem Angebot auch nicht umfasst. Noch im Beschwerdeverfahren beruft sie sich darauf, dass sie schon vor der Angebotsangabe - u.a. in einem Ortstermin - "die Firma S. ITPS Köln" als Subunternehmerin präsentiert habe und diese als Subunternehmerin einsetzen wollte (vgl. Seite 3 ihres Schriftsatzes vom 17.1.2005).
39C)
40Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des
41§ 97 Abs. 1 ZPO.
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Referenzen
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