Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 93/04
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 22. Oktober 2004 (VK 2-20/2004) wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens ein-schließlich der Kosten des Verfahrens über den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB und die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu tragen.
Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 20.000 Euro festgesetzt.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2A. Die Antragsgegnerin ist ein städtisches Unternehmen der Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Sie verwaltet ihre Leitungsnetze und Anlagen mittels eines rechnergestützten "geographischen Informationssystems" (GIS), das ihr von der Antragstellerin geliefert worden ist. Die Antragsgegnerin ist neben den Stadtwerken H. AG und den Stadtwerken W. GmbH am Gemeinschaftsunternehmen E. GmbH (ewmr) als Gesellschafterin beteiligt. Auf der Grundlage eines vom IT-Dienstleister G. GmbH, Ha., erstatteten Investitionsschutzgutachtens erwarb die ewmr im Juni 2004 namens und für Rechnung der Antragsgegnerin von der G. E. (GE) GmbH Unternehmenslizenzen (nebst Wartung und Softwarepflege) zur Nutzung des von ihr vertriebenen GIS "Smallworld" durch die Antragsgegnerin. Das GIS "Smallworld" soll das vorhandene (und von der Antragstellerin gestellte) Informationssystem der Antragsgegnerin ablösen. Es konkurriert mit einem von der Antragstellerin angebotenen Nachfolgesystem (G/Technologie, G/Net). Die Vergütung soll sich auf insgesamt 365.000 Euro belaufen. Hierbei war nur mit der GE GmbH verhandelt worden. Ein Aufruf zum Wettbewerb oder eine Vergabebekanntmachung war der Verhandlung nicht vorausgegangen.
3Die Antragstellerin erfuhr im September 2004 durch ein anonymes, an den Oberbürgermeister der Stadt B. gerichtetes und ihr zugeleitetes Schreiben vom Vertragsabschluss. Sie stellte einen Nachprüfungsantrag, mit dem sie die Antragsgegnerin vornehmlich verpflichtet sehen wollte, Unternehmenslizenzen für ein GIS nur im Wege eines europaweit bekannt gemachten Vergabeverfahrens zu beschaffen.
4Die Vergabekammer verwarf den Nachprüfungsantrag als unzulässig und begründete dies damit, das Vergabeverfahren sei durch den Vertragsabschluss vom 29.6.2004 beendet, ein Nachprüfungsverfahren nicht mehr statthaft. Der Vertrag sei nach den Umständen nicht gemäß § 13 S. 6 VgV oder § 138 BGB nichtig.
5Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie hauptsächlich geltend macht, der von der Antragsgegnerin mit der GE GmbH abgeschlossene Vertrag sei gemäß § 138 BGB nichtig.
6Die Antragstellerin beantragt,
7- den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben,
- die Antragsgegnerin zu verpflichten, bei der Beschaffung von Unternehmenslizenzen für geographische Informationssysteme und damit zusammenhängender Wartungs- und Softwarepflegeverträge ein wettbewerbliches Vergabeverfahren durchzuführen.
Den mit der Beschwerde angekündigten Antrag, der Antragsgegnerin ferner aufzugeben, Aufträge über eine Datenmigration (Überführung von Datenbeständen) nur in einem Vergabeverfahren nach dem Vierten Teil des GWB zu vergeben, hat die Antragstellerin im Senatstermin nicht mehr aufrechterhalten.
9Die Antragsgegnerin beantragt,
10die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
11Die Antragsgegnerin tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen und verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer.
12Der Senat hat dem Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB - ausgenommen den Antrag, die Antragsgegnerin beim Abschluss von Verträgen über eine Datenmigration zur Durchführung eines Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des GWB zu verpflichten - mit Beschluss vom 25. Januar 2005 stattgegeben. Auf den Inhalt dieses Beschlusses wird Bezug genommen.
13Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und auf die mit diesen vorgelegten Anlagen Bezug genommen.
14B. Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg, da der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin unzulässig ist.
15I. Allerdings ist die Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht zu verneinen (§ 107 Abs. 2 GWB). Auch ist der Antragstellerin eine Verletzung der Obliegenheit zur Rüge nicht vorzuwerfen (§ 107 Abs. 3 GWB). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Gründe des im Eilverfahren ergangenen Beschlusses des Senats vom 25.1.2005 verwiesen (Beschlussabdruck S. 4 f., 5 f.).
16Mit diesem Beschluss hat der Senat die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ebenso wenig daran scheitern lassen, dass der erteilte Auftrag möglicherweise den maßgebenden Schwellenwert nicht erreicht (Beschlussabdruck S. 6 ff.). Hieran ist festzuhalten. Denn entweder ist die Antragsgegnerin als städtisches Unternehmen öffentlicher Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB. Dann gilt für den in Rede stehenden entgeltlichen Dienstleistungsauftrag (§ 99 Abs. 1, 4 GWB) der Schwellenwert von 200.000 Euro (§ 2 Nr. 3 VgV), der überschritten ist. Oder die Antragsgegnerin ist - da sie sich im Sektorenbereich betätigt - öffentlicher Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 4 GWB. Rechtsprechung und Literatur haben sich (ausgehend vom Wortlaut von § 101 Abs. 5 Satz 2 GWB) bislang allerdings überwiegend dafür ausgesprochen, einen Auftraggeber nach § 98 Nr. 4 GWB, der zugleich Auftraggeber gemäß der Nr. 2 von § 98 GWB ist, aus Gründen der Spezialität von § 98 Nr. 2 GWB einheitlich nach den für Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 2 GWB geltenden Anforderungen zu behandeln (vgl. zum Meinungsstand Hertwig, NZBau 2003, 545, insbes. Fn. 1 und 2). Folgt man dieser Mehrheitsmeinung, ist der (hier überschrittene) Schwellenwert von 200.000 Euro weiterhin maßgebend. Indes ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wegen Unterschreitens des maßgebenden Schwellenwerts nicht unzulässig (vgl. § 100 Abs. 1 GWB), wollte man die Antragsgegnerin ausschließlich an die für Sektorenauftraggeber geltenden Vergaberegeln binden und den Zugang zu den Nachprüfungsinstanzen erst von einem Auftragswert von 400.000 Euro an eröffnen (siehe dazu § 2 Nr. 1 VgV; so Hertwig a.a.O., S. 545 ff., 549). Denn die Antragstellerin macht mit ihrem Nachprüfungsantrag geltend, der Auftrag sei im vorliegenden Fall in kollusivem Zusammenwirken der Antragsgegnerin mit der GE GmbH und der D. GmbH (DEW) auf einen Wert unterhalb von 400.000 Euro (nämlich auf 365.000 Euro) willkürlich herabgesetzt worden. DEW soll dem Vortrag der Antragstellerin zufolge zeitgleich mit der Antragsgegnerin Unternehmenslizenzen (nebst Wartung und Softwarepflege) - und zwar gleichfalls zu einem Erwerbspreis von 365.000 Euro - nur zum Zweck einer von GE konzedierten entgeltlichen Weitergabe an die Antragsgegnerin beschafft und insoweit faktisch mithin als "Strohmann" der Antragsgegnerin gehandelt haben. Durch die Aufspaltung der Erwerbsvorgänge habe - so die Antragstellerin - für den Lizenzerwerb der Antragsgegnerin der Schwellenwert von 400.000 Euro unterschritten und eine Anwendung des Vergaberechts umgangen werden sollen. Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist dieses Vorbringen der Antragstellerin als wahr zu unterstellen, da anderenfalls die ihr nach dem Zweck der §§ 102 ff. GWB einzuräumende Möglichkeit verwehrt würde, die streitige Vergabe im Rechtsweg auf ihre Wirksamkeit überprüfen zu lassen.
17II. Dennoch hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag im Ergebnis zu Recht für unstatthaft gehalten. Nach der Rechtsprechung kann die Vergabekammer zulässig nicht mehr angerufen werden, wenn zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem ausgewählten Bieter ein wirksamer Beschaffungsvertrag zustande gekommen ist, an dessen Abschluss (auch) der Antragsteller ein Interesse behauptet. Denn ab dem Zeitpunkt eines wirksamen Vertragsschlusses können Vergaberechtsverstöße nicht mehr beseitigt werden (vgl. z.B. BGHZ 146, 202, 206). Dieser Grundsatz ist ebenfalls anzuwenden, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Antragsteller beanstandet, der öffentliche Auftraggeber habe das nach dem Vierten Teil des GWB und den daraus abzuleitenden Rechtsvorschriften gebotene Vergabeverfahren nicht beschritten. Ist der Auftraggeber in einem solchen Fall mit einem Bieter einen wirksamen Vertrag eingegangen, ist die Vergabe auch dann einer Nachprüfung im Verfahren nach den §§ 102 ff. GWB grundsätzlich entzogen. Anders ist es nur, wenn geschlossene Vertrag nichtig ist. Im Streitfall ist der Beschaffungsvertrag, den die ewmr namens und - wie außer Streit steht - in Vollmacht der Antragsgegnerin über die Vergabe von Unterlizenzen sowie über Wartung und Pflege der Software "Smallworld" mit der GE GmbH geschlossen hat, indes rechtswirksam und nicht gemäß § 13 Satz 6 VgV oder § 138 BGB nichtig, mit der Folge, dass das Nachprüfungsverfahren unstatthaft ist. Dies bedeutet nicht, dass gar keine Überprüfung des Vergabevorgangs erfolgt. Auf den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist jedenfalls die Wirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages zu prüfen. Dabei sind auch die sich stellenden vergaberechtlichen Vorfragen zu klären.
18a. Der Vertrag der Antragsgegnerin mit GE GmbH ist nicht nach § 13 Satz 6 VgV unwirksam. Nach dieser Vorschrift sind Beschaffungsverträge nichtig, die ohne Rücksicht auf die verordnete Informationspflicht des öffentlichen Auftraggebers und vor Ablauf einer Wartefrist von 14 Kalendertagen abgeschlossen worden sind.
19Die Prüfung der Norm erfordert im vorliegenden Fall keine Auseinandersetzung mit dem Urteil des EuGH vom 11.1.2005 (Rs. C-26/03, Stadt Halle ./. TREA Leuna, VergabeR 2005, 44 = NZBau 2005, 111), mit der (unter anderem) zu § 13 VgV ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 1.2.2005 (Az. X ZB 27/04) sowie mit den daraus für die Auslegung und Anwendung von § 13 VgV zu ziehenden rechtlichen Konsequenzen. Die für die Vergabe maßgebende Entscheidung ist im Streitfall von der Antragsgegnerin auf einer der Anwendung von § 13 VgV vorgelagerten Stufe getroffen worden. Aus dieser Entscheidung folgt, dass die Antragsgegnerin (durch ihre Bevollmächtigte ewmr) allein mit der GE GmbH über einen Vertragsschluss verhandeln durfte und dass vor Abschluss des Vertrages die in § 13 VgV vorgeschriebenen Förmlichkeiten (hier insbesondere die Bieterinformation und die Wartefrist) von der Antragsgegnerin nicht eingehalten werden mussten. Dies ergibt sich aus Folgendem:
201. Die Entscheidung, welcher Gegenstand oder welche Leistung mit welcher Beschaffenheit und mit welchen Eigenschaften im Vergabeweg beschafft werden soll, obliegt dem (öffentlichen) Auftraggeber. Die an einer Auftragsvergabe interessierten Unternehmen sind im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens nicht dazu berufen, dem Auftraggeber eine von seinen Vorstellungen abweichende Beschaffung von Waren oder Leistungen, d.h. von solchen mit anderen Beschaffenheitsmerkmalen und Eigenschaften oder anderer Art und Individualität, vorzuschreiben oder gar aufzudrängen. Vielmehr sind die diesbezüglichen Anforderungen, die der Auftraggeber stellt, als zulässige Vergabebedingungen von den am Auftrag interessierten Unternehmen grundsätzlich hinzunehmen. Diese Wertung hat in den Verdingungsordnungen Ausdruck gefunden. So regelt § 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A:
21Bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren sowie bestimmte Ursprungsorte und Bezugsquellen dürfen nur dann ausdrücklich vorgeschrieben werden, wenn dies durch die Art der zu vergebenden Leistung gerechtfertigt ist.
22Die für Aufträge im Sektorenbereich geltende Vorschrift des § 6 Nr. 5 Abs. 1 VOL/A-SKR (Abschnitt 4) und § 9 Nr. 5 Abs. 1 VOB/A - dieser für Bauaufträge - beinhalten im Wortlaut identische Bestimmungen. Zwar treffen die genannten Normen unmittelbar nur Regelungen über den Inhalt der Leistungsbeschreibung, die der Auftraggeber den am Auftrag interessierten Unternehmen stellen darf. Sie bestätigen jedoch mittelbar den Grundsatz, dass Art und Inhalt der zu beschaffenden Waren oder Leistungen der Bestimmung des Auftraggebers unterliegen. Denn was den am Auftrag interessierten Unternehmen für ihre Angebote durch die Leistungsbeschreibung zulässig vorgegeben werden darf, darf der Auftraggeber beanstandungsfrei auch zum Gegenstand seiner vorgelagerten Entschließung machen, welche Waren oder Leistungen welcher Art und Individualität und mit welchen Eigenschaften beschafft werden sollen. Die Vorschriften der Verdingungsordnungen schränken die in der Leistungsbeschreibung vorgenommene Festlegung auf ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Leistung lediglich dahin ein, dass es dafür einer sachlichen Rechtfertigung durch die Art der zu vergebenden Leistung bedarf. Nur diese Einschränkung hat auch für die vom Auftraggeber zu treffende und der Leistungsbeschreibung vorgelagerte Bestimmung der Leistung zu gelten. Zugleich können damit jene Grundsätze, die zur Zulässigkeit bestimmter Leistungsanforderungen in der Leistungsbeschreibung entwickelt worden sind, zur rechtlichen Beurteilung der vom Auftraggeber getroffenen Leistungsbestimmung entsprechend herangezogen werden.
23a. In diesem Zusammenhang hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. Beschl. v. 14.3.2001, Az. 32/00, Beschlussabdruck S. 13 f., VergabE C-10-32/00; Beschl. v. 6.10.2004, Az. VII-Verg 56/04, NZBau 2005, 169, 171 = VergabeR 2005, 188, 192 f.), dass es zu einer sachlichen Rechtfertigung im Sinn der vorgenannten Rechtsvorschriften objektiver, in der Sache selbst liegender Gründe bedarf, die sich zum Beispiel aus der besonderen Aufgabenstellung des Auftraggebers, aus technischen oder gestalterischen Anforderungen oder auch aus der Nutzung der Sache ergeben können (ebenso: Zdzieblo in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl., § 8 Rn. 71). Allerdings genügt, dass sich die Forderung besonderer Leistungsmerkmale, bezogen auf die Art der zu vergebenden Leistung, "rechtfertigen" lässt, mithin sachlich vertretbar ist, womit dem Umstand Rechnung zu tragen ist, dass in die (auch) kaufmännische Entscheidung des Auftraggebers, welche Leistung mit welchen Merkmalen beschafft werden soll, regelmäßig eine Vielzahl von Gesichtspunkten einfließt, die sich etwa daraus ergeben können, dass sich die auf dem Markt angebotenen Leistungen trotz grundsätzlicher Gleichartigkeit regelmäßig in einer Reihe von Eigenschaften voneinander unterscheiden. Eine Differenzierung nach solchen Kriterien, soweit sie auf die Art der zu vergebenden Leistung bezogen sind, kann dem Auftraggeber nicht verwehrt werden. Nach welchen sachbezogenen Kriterien die Beschaffungsentscheidung auszurichten ist, ist ihm (auch in einem Nachprüfungsverfahren) nicht vorzuschreiben. Dem Auftraggeber steht hierbei ein - letztlich in der Privatautonomie wurzelndes - Beurteilungsermessen zu, dessen Ausübung im Ergebnis nur darauf kontrolliert werden kann, ob seine Entscheidung sachlich vertretbar ist (vgl. für den Anwendungsbereich der VOB/A zum Ganzen auch: Kratzenberg in Ingenstau/Korbion, VOB, 15. Aufl., A § 9, Rn. 83). Freilich sind die vom Auftraggeber für eine sachliche Rechtfertigung der Beschaffungsentscheidung, die eine Festlegung auf bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren oder auf bestimmte Ursprungsorte und Bezugsquellen beinhaltet, heranzuziehenden Gründe - wie schon der Wortlaut der genannten Vorschriften der Verdingungsordnungen nahe legt ("dürfen nur dann") - tendenziell eng auszulegen. Ist die Beschaffungsentscheidung des Auftraggebers danach indes hinzunehmen, kann mit Blick auf das Gleichbehandlungsgebot des § 97 Abs. 2 GWB von einer ungerechtfertigten Diskriminierung der durch die Beschaffungsentscheidung des Auftraggebers tatsächlich benachteiligten Wettbewerber des Auftragnehmers nicht gesprochen werden.
24b. Ausgehend von diesem Vorverständnis ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Informationssystem "Smallworld" von GE zu beschaffen, sachlich gerechtfertigt und daher hinzunehmen. Die Antragsgegnerin hat sich ausweislich des Vergabevermerks vom 9.6.2004 bei dieser Entscheidung davon leiten lassen, dass nach dem neuen Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) innerhalb der ewmr - d.h. mit den Stadtwerken H. AG und den Stadtwerken W. GmbH - auf das zu erwartende gesetzliche Gebot einer Entflechtung der Energieversorgungsunternehmen, d.h. einer unternehmensmäßigen Aussonderung des Netzbetriebs, die Gründung einer gemeinsamen Netzgesellschaft "nach derzeitigem Stand mehr als wahrscheinlich" sei. Die diesbezüglichen erläuternden und von der Antragstellerin unbestrittenen Ausführungen der Vertreter der Antragsgegnerin im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Senatstermin sind so zu verstehen, dass - auch wenn verbindliche Beschlüsse hierüber noch nicht gefasst worden und noch gesellschaftsrechtliche sowie steuerrechtliche Fragen zu klären sind - die Gesellschafter der ewmr jedenfalls dem Grunde nach Einigkeit darüber erzielt haben, künftig ein gemeinsames Netzunternehmen zu gründen, wobei diese Einigung, der lediglich deswegen noch keine abschließende Beschlusslage der Beteiligten entspricht, weil das künftige EnWG im Gesetzgebungsverfahren noch nicht verabschiedet worden ist, nur beim Auftreten unvorhergesehener Hinderungsgründe nochmals infrage gestellt werden soll.
25Innerhalb einer gemeinsamen Netzgesellschaft ist - sofern das Leitungsnetz überhaupt rechnergestützt verwaltet werden soll - die Verwendung einer einheitlichen, mindestens aber kompatiblen, Computersoftware (GIS) aus technischen und wirtschaftlichen Gründen unverzichtbar. Derzeit sind die von den Gesellschaftern der ewmr eingesetzten Computerprogramme nicht kompatibel. Die Antragsgegnerin verwendet bislang das von der Antragstellerin gelieferte Informationssystem (auf der Basis der sog. Framme-Technologie). Die Stadtwerke H. und W. verfügen über das Informationssystem "Smallworld" von GE. Auch das von der Antragstellerin entwickelte Nachfolgesystem (G/Technology, G/Net) ist - wie außer Streit steht - mit dem System "Smallworld" nicht kompatibel.
26Bei dieser Sachlage kommt bei der im Netzbetrieb geplanten Zusammenarbeit in Betracht, dass entweder die Stadtwerke H. und W. Unternehmenslizenzen für den Einsatz einer von der Antragstellerin vertriebenen Systemlösung erwerben. Oder die Antragsgegnerin stellt die Verwaltung ihrer Versorgungsnetze auf das Programm "Smallworld" von GE um. Die Handlungsalternativen sind im Vergabevermerk vom 9.6.2004 angesprochen und gegeneinander abgewogen worden. Indes ist eine Umstellung der Stadtwerke H. und W. wegen der Neuanschaffungskosten verworfen worden. Tatsächlich haben - wie die Antragsgegnerin im Senatstermin unbestritten vorgetragen hat - die Stadtwerke H. und W. es explizit abgelehnt, das System der Antragstellerin zu übernehmen. Dagegen sprachen nicht nur die von ihnen in einem solchen Fall - und zwar von einer jeden für sich - aufzuwendenden Beschaffungskosten, sondern auch weitere kaufmännische und technische Überlegungen. Das Programm "Smallworld" ist bei den Stadtwerken H. und W. eingeführt und bekannt. Mitarbeiter sind geschult, im Umgang mit der Software erfahren und flexibel einsetzbar. Dies gewährleistet sowohl die Bedienungssicherheit beim Personal als auch die Kontinuität und die Zuverlässigkeit des Netzbetriebs.
27Die Antragsgegnerin hat sich zumal wegen der Weigerung der Stadtwerke H. und W., ihre Unternehmen auf eine Systemlösung der Antragstellerin umzustellen, ihrerseits für eine Anschaffung der Systemlösung von GE entschieden. Sinnvolle Möglichkeiten, auf die Haltung der (selbständigen) Stadtwerke H. und W. einzuwirken und die für sie Handelnden umzustimmen, besitzt die Antragsgegnerin nicht. Demgegenüber weist die Entscheidung der Antragsgegnerin für eine Umstellung ihres eigenen Betriebs auf die "Smallworld"-Technologie eine Reihe von Vorzügen auf. Hierbei ist zum einen zu nennen, dass die Anschaffung des Programms "Smallworld" im Sinne des dem Grunde nach beschlossenen Zusammenschlussvorhabens die Aussichten wahrte, mit den Stadtwerken H. und W. eine gemeinsame Netzgesellschaft ins Leben zu rufen. Die Entscheidung für das Programm "Smallworld" war geeignet, die Neugründung zu erleichtern, wohingegen eine Umstellung auf ein nicht kompatibles System entweder im Fall der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens einen neuen Investitionsaufwand erwarten ließ oder eine Zusammenarbeit mit den Stadtwerken H. und W. überhaupt in Frage stellen konnte. Ferner ging aus dem bereits erwähnten Gutachten der G. hervor, dass bei der Übertragung von Datenbeständen aus der (auch von der Antragsgegnerin bislang verwendeten) Framme-Technologie der Antragstellerin in das System "Smallworld" praktische Erfahrungen vorlagen, solche für eine Datenübertragung von Framme in die künftige G/Technologie der Antragstellerin hingegen noch nicht gewonnen worden waren. Die Übertragung der Stammdaten, welche die Antragsgegnerin mit eigenem Personal durchführen will, erschien bei einer Umstellung auf das Programm "Smallworld" mithin sicherer gewährleistet als bei einem Verbleib bei der Produktlinie der Antragstellerin, da die Antragsgegnerin darauf vertrauen konnte, bei diesen Arbeiten notfalls, und zwar vor dem Hintergrund bereits gewonnener Erfahrungen, fachkundig beraten zu werden. Im Fall einer Anschaffung der "Smallworld"-Technik konnte die Antragsgegnerin überdies damit rechnen, bei der Anwendung auf Dauer von externen Beratungsunternehmen unabhängig zu werden. Die Antragsgegnerin hat hierzu vor allem auf ihre kaufmännische und technische Zusammenarbeit mit der D. Stadtwerke AG verwiesen, die die "Smallworld"-Systemlösung seit Jahren benutzt und unbestritten bereit ist, bei Mitarbeiterschulungen und Anwendungen für die Antragsgegnerin Beraterfunktionen zu übernehmen. Dies lässt insgesamt ersehen, dass mehrschichtig gelagerte und nachvollziehbare Gründe für die Entscheidung der Antragsgegnerin sprachen, ihren Netzbetrieb auf die "Smallworld"-Technologie umzustellen. Bei dieser Sachlage ist die von der Antragsgegnerin getroffene Beschaffungsentscheidung im Ergebnis vertretbar und die damit verbundene Festlegung auf das Produkt "Smallworld" von GE als sachlich gerechtfertigt hinzunehmen.
282. Wenn das so ist, dann durfte die Antragsgegnerin sich im Beschaffungs- (Vergabe-) Verfahren darauf beschränken, durch die Bevollmächtigte ewmr ohne eine vorherige Vergabebekanntmachung allein mit der GE GmbH zu verhandeln. Dies war ihr durch Vorschriften der Verdingungsordnungen gestattet. Dazu bestimmt § 3 a Nr. 2 lit. c) VOL/A (Abschnitt 2):
29Die Auftraggeber können in folgenden Fällen Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Öffentliche Vergabebekanntmachung vergeben:
30...
31c) wenn der Auftrag wegen seiner technischen oder künstlerischen Besonderheiten oder aufgrund des Schutzes eines Ausschließlichkeitsrechts (z.B. Patent-, Urheberrecht) nur von einem bestimmten Unternehmen durchgeführt werden kann.
32§ 3 Nr. 2 lit. c) VOL/A-SKR (Abschnitt 4) regelt inhaltlich Gleiches. Infolgedessen kann auf sich beruhen, nach welcher der beiden Verdingungsordnungen der vorliegende und dem Sektorenbereich zuzuordnende Auftrag zu vergeben war.
33Jedenfalls kam als Auftragnehmer wegen der technischen Besonderheiten des Programms "Smallworld" für die Antragsgegnerin nur ein Unternehmen aus dem Konzernverbund der GE in Betracht, in dem diese Systemlösung entwickelt worden ist. Anderen Unternehmen steht dieses Informationssystem zu Vertriebszwecken nicht zur Verfügung. Abgesehen von diesem tatsächlichen Umstand steht zwischen den Verfahrensbeteiligten außer Streit, dass nur die GE GmbH zum Vertrieb des Systems "Smallworld" rechtlich befugt ist. An der Systemlösung "Smallworld" stehen GE Ausschließlichkeitsrechte (jedenfalls ein Urheberrecht) zu, die aufgrund Lizenzierung nur die GE GmbH rechtlich in die Lage versetzen, Unterlizenzen an Abnehmer wie die Antragsgegnerin zu erteilen. Bei der dargestellten Rechtslage ist hier im Sinn der genannten Vorschriften der Verdingungsordnungen ein Ausnahmefall gegeben, der es für die Antragsgegnerin ohne eine vorherige Bekanntmachung zuließ, Vertragsverhandlungen ausschließlich mit der GE GmbH zu führen.
34Der bloße Hinweis der Antragstellerin darauf, dass solche Ausnahmebestimmungen nach der Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen sind (vgl. EuGH, Urt. v. 14.9.2004, Rs. C-385/02, VergabeR 2004, 710, Tz. 19, zur wortlautgleichen Vorschrift des Art. 7 Abs. 3 lit. b) der Richtlinie 93/37/EWG - BKR), gebietet keine andere rechtliche Beurteilung. Denn im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen der genannten Ausnahmevorschrift vor. Die dadurch bewirkte Einschränkung eines (theoretisch) möglichen Bieterwettbewerbs ist nach dem Normzweck hinzunehmen. Auch ist der im Senatstermin nochmals vertieften Ansicht der Antragstellerin, die technischen Besonderheiten der verschiedenen Systemlösungen dürften sich erst bei einer Wertung der einzuholenden (mehreren) Angebote auswirken (mithin erst in der vierten Wertungsphase), entgegenzutreten. Die vorstehend zitierten Vorschriften der Verdingungsordnungen lassen es zu, dass der Auftraggeber das Vergabeverfahren auf die Einholung lediglich eines Angebots begrenzt.
35Aus diesem rechtlichen Befund folgt, dass vor einem Vertragsabschluss andere an einer Auftragserteilung interessierte Unternehmen ("Bieter") im Sinne von § 13 Satz 1 VgV von der Antragsgegnerin nicht informiert werden mussten. Der Vertragsabschluss war auch nicht davon abhängig, dass zuvor eine Wartefrist eingehalten wurde. Im Ergebnis ist der mit der GE GmbH eingegangene Vertrag daher nicht gemäß § 13 Satz 6 VgV nichtig.
36b. Den Vertragsschluss trifft ebenso wenig das Unwerturteil, infolge einer kollusiven Umgehung des Vergaberechtsregimes gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig zu sein. Denn erstens ist die Antragstellerin für eine sachliche Verknüpfung der Beschaffungen der Antragsgegnerin und der DEW GmbH und für die behauptete Umgehungsabsicht, die nur durch einen Nachweis aussagekräftiger Indizien hätte nachgewiesen werden können, beweisfällig geblieben. Zweitens - dem kommt für die Beschwerdeentscheidung ein größeres, und zwar allein tragfähiges Gewicht zu - hat sich sowohl die Beschaffungsentscheidung der Antragsgegnerin als auch das gewählte Vergabeverfahren aufgrund der oben (unter a.) wiedergegebenen Erwägungen vergaberechtlich als fehlerfrei erwiesen. Dies schließt es aus, das Verfahren der Antragsgegnerin mit dem Makel der Sittenwidrigkeit zu belegen.
37Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Antragstellerin vom 5.4.2005 gibt zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keinen Anlass. Soweit die Antragstellerin darin eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung unter anderem der Antragsgegnerin sowie der Stadtwerke H. und W. an der rku.it GmbH vorgetragen hat, ist eine rechtliche Relevanz dieses Vorbringens für die Entscheidung des Streitfalls nicht zu erkennen. Worin diese zu sehen sein soll, hat die Antragstellerin im Übrigen selbst nicht deutlich werden lassen.
38Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO.
39Die Streitwertfestsetzung gründet sich auf § 50 Abs. 2 GKG. Ihr ist das im Schriftsatz der Antragstellerin vom 22.10.2004 (zum erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren) dargestellte eigene Vergleichsangebot zugrunde zu legen, das ihr wirtschaftliches Interesse an dem in Rede stehenden Auftrag dokumentiert.
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