Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 41/05
Tenor
Der Antrag der Antragsgegnerin, im Vergabeverfahren "Beratung, Vorbereitung und Durchführung eines Veräußerungsprozesses von 74,9 % der Anteile des Bundes an der DFS D... F... GmbH" den weiteren Fortgang des Verfahrens und den Zuschlag zu gestatten, wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, sich bis zum 22. August 2005 zu erklären, ob die sofortige Beschwerde aufrecherhalten bleibt.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2A. Die Antragsgegnerin (vertreten durch das Bundesministerium der Finanzen als Vergabebehörde) betreibt ein Vergabeverfahren zur Beschaffung von Dienstleistungen bei der Beratung, Vorbereitung und Durchführung der Veräußerung von 74,9 % der Geschäftsanteile des Bundes an der DFS D... F... GmbH. Das Vergabevorhaben wurde durch europaweite Bekanntmachung am 8.4.2005 veröffentlicht. Als Verfahrensart gab die Vergabestelle aus Gründen der Dringlichkeit das "beschleunigte" Verhandlungsverfahren an. Die Frist für die Einreichung von Teilnahmeanträgen kürzte sie von 37 Tagen (gemäß § 14 Abs. 1 VOF) auf 15 Tage. Durch Schreiben vom 21.4.2005 an die Vergabebehörde beanstandete die Antragstellerin, die keinen Teilnahmeantrag einreichte, das Verfahren mit den Worten:
3"... Wir vermögen keine Gründe für die Wahl des beschleunigten Verfahrens zu erkennen. ... Wir rügen die Wahl des beschleunigten Verfahrens und fordern Sie auf, die Regelfristen zu beachten."
4Die Vergabestelle entgegnete hierauf mit Schreiben vom 4.5.2005 wie folgt:
5"... Zur Umsetzung verschiedener europarechtlicher Anforderungen wie auch zur Anpassung der Verhältnisse der DFS auf eine Anteilseignerprivatisierung sind gesetzliche Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen, die sich in bereits fortgeschrittener Erarbeitung befinden und die in die Kalenderplanung für das Gesetzgebungsverfahren (Zusatz: eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung) eingestellt sind. Bei diesen Gesetzesvorbereitungen haben sich in der jüngsten Entwicklung im Rahmen der Ressortabstimmungen Komplexitäten ergeben, die erhebliche Auswirkungen auf einen erfolgreichen Veräußerungsprozess haben können. In Anbetracht des laufenden Gesetzgebungsverfahrens sind somit kurzfristig das Know-how und die Marktkenntnis eines erfahrenen Transaktionsberaters als Korrektiv in den fortgeschrittenen Abstimmungsprozess zu dem Gesetzgebungsverfahren einzubringen. ..."
6Unterdessen setzte die Vergabestelle das Vergabeverfahren fort und holte von fünf beteiligten Unternehmen Angebote ein. Der vom (insoweit federführenden) Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen unter dem 21.3.2005 vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung soll nach einem aktualisierten Projektablaufplan von der Bundesregierung im August 2005 beraten und verabschiedet werden.
7Die Antragstellerin brachte gegen das Vergabeverfahren einen Nachprüfungsantrag an, mit dem sie beanstandete, die Frist für den Antrag auf Teilnahme sei ohne rechtfertigenden Grund abgekürzt worden. Hierdurch sei sie, die Antragstellerin, daran gehindert worden, eine aussichtsreiche Bewerbung anzubringen. Die Antragsgegnerin trat dem entgegen. Die Vergabekammer gab den Nachprüfungsantrag durch die Anordnung, dass die Ausschreibung aufzuheben sei, statt.
8Dagegen hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde erhoben, die sie mit dem Antrag verbunden hat, im Wege der Vorabentscheidung über den Zuschlag nach § 121 GWB zu gestatten, das Vergabeverfahren fortzusetzen und den Zuschlag zu erteilen. Die Antragstellerin hat sich gegen diesen Antrag gewandt.
9Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und auf den Beschluss der Vergabekammer Bezug genommen.
10B. Der Eilantrag der Antragsgegnerin ist gemäß § 121 BGB unbegründet.
11Die sofortige Beschwerde ist nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos. Bei dieser Sachlage ist nach dem erstrangigen Entscheidungsmaßstab der Erfolgsaussicht des Rechtsmittels eine Vorabgestattung des Zuschlags gemäß § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB abzulehnen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Grund für die Eilbedürftigkeit (vgl. § 121 Abs. 2 Satz 1 GWB) vom Auftraggeber glaubhaft gemacht worden ist (vgl. BayObLG, Beschl. v. 13.8.2001 - Verg 10/01, NZBau 2001, 643, 644 = VergabeR 2001, 401, 404; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.11.2001 - Verg 33/01). Unabhängig hiervon scheidet eine antragsgemäße Entscheidung auch unter dem Gesichtspunkt einer Interessenabwägung nach § 121 Abs. 1 Satz 2 GWB aus.
12I. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit Recht für zulässig und begründet erachtet.
13a. 1. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 107 Abs. 2 GWB). Sie verfügt über ein Interesse am Auftrag und macht mit dem Nachprüfungsantrag eine Rechtsverletzung nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung bieterschützender Vergabevorschriften geltend (§ 107 Abs. 2 Satz 1 GWB). Zwar hat die Antragstellerin ihr Interesse am Auftrag durch keinen Teilnahmeantrag dokumentiert. Jedoch ist ein Unternehmen, das keinen Teilnahmeantrag eingereicht hat, für einen Nachprüfungsantrag gleichwohl antragsbefugt, wenn es geltend machen kann, gerade durch den gerügten Vergaberechtsverstoß daran gehindert oder in seinen Chancen beeinträchtigt worden zu sein, einen Teilnahmeantrag anzubringen. In einem solchen Fall ist das Unternehmen nicht gehalten, allein für Zwecke des Nachprüfungsverfahrens einen (sinnlosen) Teilnahmeantrag zu stellen. Das Auftragsinteresse des Unternehmens äußert sich dann hinreichend in seiner vorprozessualen Rüge (§ 107 Abs. 3 GWB) und im anschließenden Nachprüfungsantrag (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.9.2004 - Verg 38/04, VergabeR 2005, 107, 108). So ist es auch im vorliegenden Fall. Die Antragstellerin behauptet, infolge ungerechtfertigter Abkürzung der Frist für den Antrag auf Teilnahme (§ 14 Abs. 1 VOF) von der Einreichung einer Bewerbung faktisch ausgeschlossen worden zu sein. Die Fristbestimmung in § 14 VOF hat bieterschützenden Charakter. Sie soll sicherstellen, dass den Bietern gleiche und auskömmliche, nur bei besonderer Dringlichkeit einer Abkürzung unterliegende, Fristen zur Verfügung stehen, einen Teilnahmeantrag auszuarbeiten (vgl. Müller-Wrede in Müller-Wrede, VOF, 2. Aufl., § 14 Rn. 44; von Baum in Müller-Wrede, VOL/A, § 18 a Rn. 32, zum wortlautidentischen § 18 a Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A).
14Die Antragstellerin hat ebenfalls dargelegt, dass ihrem Unternehmen aufgrund der behaupteten Rechtsverletzung ein Schaden zu entstehen droht. Vom Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 29.7.2004 - 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 565 f. = VergabeR 2004, 597, 599) hat dieses Tatbestandsmerkmal des Satzes 2 von § 107 Abs. 2 GWB die Auslegung erhalten, dass namentlich an die Darlegung des drohenden Schadens keine sehr hohen Anforderungen zu stellen sind, sondern es ausreicht, dass ein Schadenseintritt nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Der Schadensbegriff des § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB - so das Bundesverfassungsgericht - sei so auszulegen, dass für die betroffenen Unternehmen ein effektiver Primärrechtsschutz gewährleistet sei. Mit Blick hierauf sei ein Schaden anzunehmen, sofern durch den einzelnen beanstandeten Vergaberechtsverstoß die Aussichten des antragstellenden Bieters (oder Bewerbers) auf den Zuschlag zumindest verschlechtert worden sein können (so schon OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2000 - Verg 3/00, NZBau 2001, 155 = VersR 2001, 1043). Bei diesem Verständnis kann nach Normzweck und Entstehungsgeschichte die Antragsbefugnis am Tatbestandselement des drohenden Schadens nur scheitern, wenn ein Bieter (oder Bewerber) einen Nachprüfungsantrag anbringt, dessen Angebot auch bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren keinerlei Aussicht auf Berücksichtigung und auf Erteilung des Zuschlags gehabt hätte.
15Von diesem Vorverständnis ausgehend hat die Vergabekammer die Antragsbefugnis der Antragstellerin zutreffend bejaht. Denn es ist aus ohne Weiteres auf der Hand liegenden, d.h. eine weitere Sachprüfung nicht erfordernden und in einem so zu verstehenden Sinn offensichtlichen, Gründen nicht anzunehmen, eine Bewerbung oder ein Angebot der Antragstellerin habe keinerlei Aussicht auf einen Zuschlag. Um dies festzustellen genügt es - so die Vergabekammer mit Recht - darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin sich in Gestalt von Beratung und Abwicklung bei Privatisierungsvorhaben gewerblich betätigt. Ob ihr Unternehmen den besonderen Eignungsanforderungen genügt, die im Abschnitt III.2.1) der Vergabebekanntmachung aufgestellt worden sind, berührt hingegen nicht die Antragsbefugnis der Antragstellerin, sondern muss der Sachprüfung eines Teilnahmeantrags, m.a.W. der Eignungsprüfung, vorbehalten bleiben.
162. Die Antragstellerin hat den behaupteten Vergaberechtsverstoß mit Schreiben an die Antragsgegnerin vom 21.4.2005 gerügt (§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB). Das geht zweifelsfrei aus dem Inhalt dieses Schreibens hervor, welches die Antragstellerin nicht nur mit den Worten "wir rügen die Wahl des beschleunigten Verfahrens", sondern zudem mit der an die Antragsgegnerin gerichteten Aufforderung abgeschlossen hat, "die Regelfristen zu beachten". Es war entgegen der Meinung der Antragsgegnerin durch nichts veranlasst, das Schreiben der Antragstellerin vom 21.4.2005 als eine unbeachtliche Popularbeschwerde zu behandeln. Das Interesse am Auftrag sowie erst recht das Vorliegen der vom Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung aufgestellten Eignungsvoraussetzungen muss mit der Rüge nach § 107 Abs. 3 GWB vom Antragsteller nicht dargelegt werden.
17b. Der Nachprüfungsantrag ist nach Lage der Dinge auch begründet. Es liegen keine Gründe für eine besondere Dringlichkeit vor, die es rechtfertigten, die Frist für den Antrag auf Teilnahme im Vergabeverfahren auf das absolute Mindestmaß von 15 Tagen abzukürzen.
181. Gemäß § 14 Abs. 1 VOF beträgt die vom Auftraggeber festgesetzte Frist zur Anbringung von Teilnahmeanträgen im Verhandlungsverfahren mindestens 37 Tage. Diese Frist kann in Fällen besonderer Dringlichkeit auf mindestens 15 Tage, jeweils vom Tag der Absendung der Bekanntmachung an gerechnet, abgekürzt werden. § 14 Abs. 1 VOF ist im Wortlaut mit § 18 a Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A identisch. Nach der vom Senat für den Anwendungsbereich der VOL/A getroffenen Begriffsbestimmung erfordert Dringlichkeit eine im Zeitpunkt der Entscheidung der Vergabestelle nach objektiven Gesichtspunkten festzustellende Eilbedürftigkeit des Beschaffungsvorhabens (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.7.2002 - Verg 30/02, VergabeR 2003, 55, 56). Als Element eines Ausnahmetatbestands ist der Begriff der Dringlichkeit eng auszulegen. Die den Begriff ausfüllenden Umstände sind vom öffentlichen Auftraggeber darzulegen und notfalls nachzuweisen (vgl. EuGH, Urt. v. 14.9.2004 - Rs. C-385/03 - Kommission/Re-publik Italien, NZBau 2004, 621 = VergabeR 2004, 710, 713, Tz. 19, zur insoweit rechtsähnlichen Bestimmung in Art. 7 Abs. 3 lit. c) Baukoordinierungsrichtlinie = § 3 a Nr. 5 lit. d) VOL/A). Ferner sind die eine Dringlichkeit begründenden Umstände grundsätzlich in eine Abwägung der für eine beschleunigte Vergabe streitenden Belange des Auftraggebers gegen das Interesse potentieller Bewerber oder Bieter an der Durchführung eines regelmäßigen, namentlich ohne Fristabkürzungen auskommenden, Vergabeverfahrens einzustellen. Dabei hat sich das Interesse des Auftraggebers den Belangen der Bewerber oder Bieter in der Regel unterzuordnen, wenn die zur Begründung der Dringlichkeit angeführten besonderen Umstände dem Auftraggeber selbst zuzuschreiben sind oder am Entstehen der Dringlichkeit eigene Versäumnisse des Auftraggebers mitgewirkt haben (vgl. EuGH a.a.O., Tz. 27, 28). An diesen Grundsätzen gemessen war die in Rede stehende Beschaffung von Dienstleistungen weder objektiv besonders dringlich, noch ist im Rahmen der Interessenabwägung einem Interesse der Antragsgegnerin der Vorrang vor den Belangen der Bewerber um den Auftrag einzuräumen.
192. Das Beschaffungsvorhaben war dann nicht besonders eilbedürftig, wenn die Neufassung des Gesetzes über die Flugsicherung bis zum Abschluss eines regelmäßigen Vergabeverfahrens zurückgestellt werden konnte oder wenn eine Veräußerung von Geschäftsanteilen an der DFS GmbH und eine diesbezügliche externe Beratung auch nach der Verabschiedung eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung noch sinnvoll stattfinden konnte. Sachlich gerechtfertigte Gründe, welche die eine oder die andere Handlungsalternative ausschlossen, sind von der Antragsgegnerin nicht vorgetragen worden. Der Vortrag der Antragsgegnerin zeigt vielmehr, wie schon die Vergabekammer ausgeführt hat (angefochtener Beschluss, Umdruck S. 16), keinerlei sachlich erhebliche Nachteile auf, die sich aus einer - allenfalls mäßigen - Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens durch Einhaltung der Regelfrist für den Antrag auf Teilnahme am Vergabeverfahren beim Erreichen des Gesetzeszwecks ergeben konnten. Solche Gründe gehen ebenso wenig aus dem auf den 27.5.2005 datierten Vergabevermerk hervor. Der Sachvortrag der Antragsgegnerin und der Inhalt des Vergabevermerks lassen außerdem erkennen, dass bei der Entscheidung über die Abkürzung der Bewerbungsfrist überhaupt nicht erwogen worden ist, die Frist (lediglich) auf ein Zeitmaß zwischen 37 und 15 Tagen zu verkürzen - was geeignet sein konnte, die bei der Ausarbeitung einer Bewerbung eintretenden Erschwernisse unter hinlänglicher Wahrung eines Beschleunigungsinteresses abzumildern.
20Genauso wenig erlaubt das Vorbringen der Antragsgegnerin festzustellen, der fiskalische Erfolg einer Veräußerung von Geschäftsanteilen an der DFS GmbH wäre durch eine vorherige Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung vereitelt oder wesentlich erschwert worden, mit der Folge, dass - um aus der Sicht der für die Veräußerung zuständigen Vergabebehörde den Inhalt des Gesetzentwurfs in diesem Sinn beeinflussen zu können - Beratungsdienstleistungen der ausgeschriebenen Art eilig und unbedingt noch während des Gesetzgebungsverfahrens, und zwar vor einer angestrebten Verabschiedung des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung im August 2005, eingeholt werden mussten. Von ausschließlich wertungsbesetzten Äußerungen abgesehen hat die Antragsgegnerin sich zu keinem genauen Tatsachenvortrag verstanden, welche Bestimmungen des vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ausgearbeiteten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung und welche konkreten Inhalte dieses Entwurfs das Vorhaben einer Veräußerung von Geschäftsanteilen an der DFS GmbH erschwert oder diesem sogar entgegengestanden haben. Der im Verfahren nach § 121 GWB anzuwendende Untersuchungsgrundsatz (vgl. § 121 Abs. 3 Satz 4, § 120 Abs. 2, § 70 Abs. 1 GWB) geht nicht so weit, dass das Beschwerdegericht erhebliche Tatsachenumstände ohne jeden konkreten Anlass und Anhaltspunkt im Vortrag der Verfahrensbeteiligten von Amts wegen zu ermitteln hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.7.2001 - Verg 16/01, VergabeR 2001, 419, 423 f., und v. 29.12.2001 - Verg 22/01, NZBau 2002, 578, 580 = VergabeR 2002, 267, 273 f. m.w.N.; KG, Beschl. v. 12.4.2000 - KartVerg 9/99 - und v. 7.6.2000 - KartVerg 3/00, NZBau 2000, 531, 534).
21Die Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vereinheitlichung des europäischen Luftraums (sog. Single European Sky-Verordnun-gen, vgl. ABl. EG v. 31.3.2004, Nr. L 96, S. 1 ff.), deren nationaler Umsetzung der Gesetzentwurf zur Neuregelung der Flugsicherung dienen soll, geboten im Übrigen weder eine Privatisierung der Einrichtungen der Flugsicherung noch erst recht eine Beschleunigung der Veräußerung oder des Verfahrens zur Vergabe von beratenden Dienstleistungen. Eine Privatisierung der Flugsicherung ist nicht Gegenstand jener Verordnungen.
22Die von der Antragsgegnerin zu den Akten gereichten und von der Bundesregierung in zeitlicher Hinsicht mehrfach geänderten Projektablaufpläne sind darüber hinaus prinzipiell ungeeignet, das Vergabevorhaben einer Beschaffung von Dienstleistungen bei der Veräußerung von Geschäftsanteilen an der DFS GmbH im Rechtssinn als besonders dringlich erscheinen zu lassen. Derartige - politisch vorgegebene - Zeitpläne haben sich, wie die Vergabekammer im angefochtenen Beschluss mit Recht festgestellt hat (vgl. Umdruck S. 17), dem Vergaberechtsregime unterzuordnen, dessen Bestimmungen - auch in der Fassung der Verdingungsordnungen - materiellen Gesetzesrang haben (vgl. § 5 VgV, § 97 Abs. 6 GWB).
233. Unabhängig von den vorstehenden Überlegungen überwiegt im Streitfall das Interesse der Antragsgegnerin an einer beschleunigten Vergabe nicht das Interesse potentieller Bewerber an einer Einhaltung der für die Einreichung von Teilnahmeanträgen nach § 14 Abs. 1 VOF geltenden regelmäßigen Frist oder an einer (lediglich) maßvollen Verkürzung der Frist durch den öffentlichen Auftraggeber. § 14 Abs. 1 VOF hat bieterschützenden Charakter (s.o. unter I.a.1., S. 5). Darum wirkt sich im Rahmen der hier regelmäßig gebotenen Interessenabwägung für die Antragsgegnerin nachteilig aus, dass - auch wenn die Beschaffung von Beratungsdienstleistungen im Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens faktisch dringlich geworden war - eigene Versäumnisse dazu wesentlich beigetragen haben. Dies geht mittelbar aus dem vorbereitenden Vermerk der Vergabestelle vom 4.3.2005 für eine ressortübergreifende Unterredung mit Vertretern des für den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung zuständigen Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hervor. Darin ist von (bereits) zwei Jahre andauernden Bemühungen um eine Kapitalprivatisierung bei der DFS GmbH sowie von der (erkannten) Problemstellung die Rede, inwieweit den Regelungen in bisherigen Arbeitsentwürfen eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung die (aus Sicht der Vergabebehörde geforderte) Eigenschaft zuzuerkennen sei, hinreichend "investorenfreundlich" zu sein (vgl. ebenda S. 1). Zugleich ist in jenem Vermerk davon berichtet worden, die DFS GmbH habe, um dieses prüfen zu lassen, einen eigenen Beratungsauftrag ausgeschrieben und darauf einen Zuschlag erteilt (S. 2). Es zeigt sich hieran, dass ein Bedarf an Unterstützung durch einen externen kaufmännischen Berater für die Vergabestelle keineswegs erst im Zeitpunkt der Übermittlung des fertiggestellten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung durch das (insoweit federführende) Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen unter dem 21.3.2005 hervorgetreten ist. Ein diesbezüglicher Bedarf war vom Bundesministerium der Finanzen als der für das Veräußerungsgeschäft zuständigen Vergabebehörde vielmehr schon Anfang März 2005 positiv erkannt worden. Tatsächlich war aufgrund vorher zur Kenntnis gebrachter Arbeitsentwürfe eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung und - seit 2004 - der Mitwirkung des als Vergabestelle zuständigen Bundesministeriums der Finanzen in einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe ein Beratungsbedarf zu einem bei weitem früheren Zeitpunkt vorhersehbar. Art und Zeitpunkt einer Beschaffung der für notwendig erachteten Beratungsdienstleistung unterlagen der Organisationsgewalt der Vergabestelle. Zumal die Problemstellung eines hinreichend "investorenfreundlichen" Gesetzentwurfs gesehen worden war, konnte eine unter kaufmännischen Gesichtspunkten stattfindende Beratung danach schon für einen früheren Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens eingeplant werden. Sofern es dazu eines Benehmens oder Einvernehmens mit dem bei den Entwurfsarbeiten federführenden Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen bedurfte, konnte dieses ebenfalls schon früher hergestellt werden. Gründe, die es verhinderten, die Beschaffung von Beratungsleistungen zu einem früheren Zeitpunkt einzuleiten, hat die Antragsgegnerin nicht behauptet. Fakten, die auf eine überraschende Entwicklung hindeuten, sind von ihr nicht aufgezeigt worden. Dem Umstand, dass - wie die Antragsgegnerin vorträgt - externe Verkaufsberater zu Privatisierungsvorhaben bislang "üblicherweise" zeitlich erst nach der Verabschiedung eines Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung zugezogen wurden, ist kein entscheidendes Gegengewicht zuzumessen. Denn dass - so der bereits angesprochene Vermerk vom 4.3.2005 - mit einer Privatisierung der Geschäftsanteile der DFS GmbH "Neuland" betreten wurde, war lange bekannt. Dass aus diesem Grund in Betracht zu ziehen war, den im eigenen Haus verfügbaren Sachverstand durch eine extern zu beschaffende wirtschaftliche Beratung zu ergänzen, konnte genauso lange vorausgesehen werden. Bei diesem Befund kommt dem Interesse der Antragsgegnerin an einer beschleunigten Abwicklung des Vergabeverfahrens ein Vorrang vor den hierdurch berührten Bewerberinteressen nicht zu. Das Beschaffungsvorhaben ist zuletzt, und zwar bei Einleitung des Vergabeverfahrens Anfang April 2005, nur deswegen dringlich geworden, weil die Vergabestelle versäumt hat, diesen durch die Umstände angezeigten und weitaus früher möglichen Verfahrensschritt rechtzeitig zu unternehmen. Auf die von den Verfahrensbeteiligten aufgeworfene Frage, ob die Tatsache der Auflösung des Bundestages dringlichkeitsschädlich wirkt, kommt es bei der gegebenen Sachlage nicht an. Dies kann daher offen bleiben.
244. Welche rechtlichen Konsequenzen daraus zu ziehen sind, dass die Vergabestelle durch eine ungerechtfertigte Abkürzung der Bewerbungsfrist Bieterrechte der Antragstellerin verletzt haben kann, bedarf im Eilverfahren noch keiner abschließenden Klärung. Im Hauptsacheverfahren wird allerdings zu prüfen sein, ob eine Rechtsverletzung der Antragstellerin - wie die Vergabekammer entschieden hat - nur durch die Anordnung einer Aufhebung des Vergabeverfahrens beseitigt werden kann oder ob stattdessen in einer Weise auf das Verfahren einzuwirken ist, die dem bei der weiteren Verfahrensgestaltung anzuerkennenden Ermessen der Vergabestelle Rechnung trägt.
25Jedoch ist im vorliegenden Zusammenhang festzustellen, dass die Antragstellerin infolge der Abkürzung der Frist für den Antrag auf Teilnahme in ihren Teilnahmerechten verletzt ist. Eine Rechtsverletzung kann nur verneint werden, wenn bei vorausschauender Betrachtung auszuschließen ist, dass die Antragstellerin, sofern der Vergaberechtsverstoß behoben wird, unter den gegebenen Ausschreibungsbedingungen in die engere Wahl für die Auftragsvergabe kommen wird. Das kann aufgrund des gegenwärtigen Sach- und Streitstands indes nicht festgestellt werden. Obwohl die Antragsgegnerin dies behauptet, kann insbesondere nicht festgestellt werden, die Antragstellerin sei gemessen an den Mindestanforderungen, welche die Vergabebekanntmachung (im Abschnitt III.2.1)) vorsieht, für eine Auftragsvergabe ungeeignet. Die Vergabebekanntmachung setzt im Sinn einer Mindestanforderung für den Erfolg des Teilnahmeantrags ein bestimmtes Maß an Erfahrungen bei gleichartigen Privatisierungsprojekten in der Person der Bewerber nicht zwingend voraus. Zur Mindestanforderung ist lediglich erhoben worden, dass Bewerber im Teilnahmeantrag "Angaben zu wesentlichen Privatisierungsprojekten aus den letzten drei Jahren" machen (Kursivdruck hinzugefügt). Zwar sind in der Bekanntmachung als weitere persönliche Voraussetzung "Kenntnisse des Luftverkehrssektors" von Bewerbern gefordert, über die die Antragstellerin - so der Vortrag der Antragsgegnerin - nicht verfüge. Demgegenüber hat die Antragstellerin jedoch darauf verwiesen, dass sie, wo geforderte Spezialkenntnisse im eigenen Unternehmen nicht vorhanden seien, mit einem entsprechenden Spezialisten eine Bietergemeinschaft einzugehen und einen gemeinsamen Teilnahmeantrag einzureichen beabsichtige. Bewerbungen von Bietergemeinschaften sind in der Vergabebekanntmachung nicht ausgeschlossen worden (vgl. Abschnitt III.1.3)). Davon ist die Vergabestelle bei der unter dem 27.4.2005 dokumentierten tabellarischen Wertung der eingegangenen Teilnahmeanträge zu Unrecht ausgegangen. Eine Bewerbung, bei der sich die Eigenschaften der zu einer Bietergemeinschaft zusammengeschlossenen Einzelunternehmen in der Weise ergänzen, dass die Mindestanforderungen durch die Bietergemeinschaft insgesamt erfüllt werden, ist nach den vorliegenden Ausschreibungsbedingungen deshalb zuzulassen. Bei dieser Sachlage kann sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg darauf berufen, die Antragstellerin habe im Nachprüfungsverfahren jenes andere speziell sachkundige Unternehmen (oder deren Mehrheit) nicht benannt, mit dem sie sich zu einer Bietergemeinschaft zusammenschließen wolle. Diese Argumentation der Antragsgegnerin verkennt, dass die Antragstellerin nicht gehalten ist, im Nachprüfungsverfahren einen Teilnahmeantrag zu formulieren oder auch nur darzustellen, welchen (fiktiven) Inhalt ein derartiger Antrag gehabt hätte (s.o. unter I.a.1., S. 4 f.). Sie muss im Nachprüfungsverfahren ebenso wenig die mögliche Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft bekannt geben. Solches zu fordern ist umso weniger berechtigt, als der Antragstellerin wegen der rechtsfehlerhaften Abkürzung der Bewerbungsfrist vorprozessual nicht die Gelegenheit gegeben war, die zur Eingehung einer Bietergemeinschaft erforderlichen Vorbereitungen und Absprachen zu treffen.
26Ob, wie die Vergabekammer angenommen hat, die Vergabestelle des weiteren die Dokumentationspflicht nach § 18 VOF verletzt hat und dadurch zusätzlich die Rechtsstellung der Antragstellerin beeinträchtigt worden ist, kann unter den gegebenen Umständen dahingestellt bleiben.
27II. Dem Antrag der Antragsgegnerin auf Gestattung des Zuschlags ist ebenso wenig unter dem Gesichtspunkt von § 121 Abs. 1 Satz 2 GWB stattzugeben, der die beantragte Entscheidung mit dem Ergebnis einer Abwägung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens verknüpft. Zwar soll nach den Vorstellungen der Verfasser des Vierten Teils des GWB der vorzeitige Zuschlag selbst dann gestattet werden können, wenn im Vergabeverfahren eine Rechtsverletzung des Antragstellers eingetreten ist, die Gründe für eine rasche Vergabe jedoch besonders schwer wiegen (vgl. BT-Drucks. 13/9340, S. 22). Indes ist - zumal keineswegs feststeht, dass das Gesetzgebungsverfahren einer Neuregelung des Flugsicherungsgesetzes nach der Auflösung des Bundestages in der gegenwärtigen Legislaturperiode noch abgeschlossen werden kann - dem Interesse der Allgemeinheit an einer alsbaldigen Vergabe im Streitfall kein überwiegender Rang zuzumessen. Das Allgemeininteresse an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens kann sich gegenüber dem Bieterschutz nur in solchen Ausnahmefällen durchsetzen, in denen sein Gewicht dasjenige des festgestellten Vergaberechtsverstoßes übertrifft, m.a.W. dann, wenn der Rechtsverstoß als nicht besonders schwerwiegend zu qualifizieren ist (vgl. Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 121 GWB Rn. 1216; Boesen, Vergaberecht, § 121 GWB Rn. 13). Davon kann im vorliegenden Fall, in dem unter gleichzeitiger Verletzung des Wettbewerbsgrundsatzes (§ 97 Abs. 1 GWB) ein nicht näher bestimmbarer Bieterkreis, so auch die Antragstellerin, durch den Rechtsverstoß von einer Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen worden ist, nicht gesprochen werden.
28Eine gesonderte Kostenentscheidung ist im Zwischenverfahren nach § 121 GWB nicht zu treffen. Über die in diesem Verfahren entstandenen Kosten wird mit der Hauptsacheentscheidung einheitlich entschieden.
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