Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 75/05
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der
2. Vergabekammer des Bundes vom 28. September 2005 (VK 2-120/05) aufgehoben.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, das Vergabeverfahren zu der Baumaßnahme Wiederaufbau Neues Museum B., Leistung VE 3-27-52 Holztüren Restaurierung, Rekonstruktion, Modifikati-on, Vergabenummer 667/05, in das Stadium vor Versendung der an die Bewerber zu richtenden Aufforderung zur Abgabe von Angeboten zurückzuversetzen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens sowie des Verfahrens gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB einschließlich der in die-sen Verfahren der Antragstellerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für Antragstellerin in beiden Nachprüfungsinstanzen notwendig.
Beschwerdewert: bis 50.000,- €.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Antragsgegnerin schrieb die Vergabe von Tischlerarbeiten zum Bauvorhaben "Staatliche Museen zu B. - Wiederaufbau Neues Museum" öffentlich aus. Nach ihrer Vergabebekanntmachung waren die Ausschreibungsunterlagen bis zum 2.8.2005 gegen Nachweis über die Einzahlung von 49 € beim Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (nachfolgend: Vergabestelle) erhältlich. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war der 18.8.2005, 13.00 Uhr.
4Mit Schreiben vom 18.7.2005 forderte die Antragstellerin unter Beifügung eines Einzahlungsbeleges die Ausschreibungsunterlagen an. Am 15.8.2005 teilte sie der Vergabestelle mit, dass sie die Verdingungsunterlagen nicht erhalten habe. Die von ihr erbetene nochmalige Übersendung lehnte die Antragsgegnerin mit der Begründung ab, dass die Versendung an die Antragstellerin bereits am 19.7.2005 erfolgt sei und keine Verdingungsunterlagen mehr in ihrem Haus verfügbar seien.
5Die Antragstellerin hat ein Nachprüfungsverfahren angestrengt und beanstandet, dass die Vergabestelle zumindest verpflichtet gewesen sei, ihr die Verdingungsunterlagen am 15./16.8.2005 nochmals zuzusenden.
6Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.
7Die Antragstellerin beantragt,
8das Vergabeverfahren aufzuheben.
9Die Antragsgegnerin beantragt,
10die Beschwerde zurückzuweisen.
11Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.
12II.
13Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.
14Zugunsten der Vergabestelle kann angenommen werden, dass sie die Verdingungsunterlagen tatsächlich am 19.7.2005 an die Antragstellerin versandt hat. Dafür sprechen die bereits von der Vergabekammer aufgezeigten Umstände sowie die in zweiter Instanz vorgelegte Erklärung der mit der Versendung befassten Mitarbeiterin. Ebenso geht der Senat davon aus, dass die Antragstellerin die Verdingungsunterlagen nicht erhalten hat. Die diesbezüglichen Ausführungen des Geschäftsführers der Antragstellerin im Senatstermin fügen sich zwanglos in das Geschehen ein und sind zuletzt auch von der Antragsgegnerin nicht bezweifelt worden.
15Indes beanstandet die Antragstellerin zu Recht, dass die Vergabestelle ihr die Verdingungsunterlagen nicht ein zweites Mal zugesandt hat, obwohl sie hierzu im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren verpflichtet war.
16Nach der Vergabebekanntmachung war die Teilnahme an der offenen Ausschreibung nur an die rechtzeitige Interessensbekundung der Unternehmen und die Einzahlung von 49 € für die zu übersendenden Verdingungsunterlagen geknüpft. Beide Voraussetzungen hatte die Antragstellerin erfüllt. Sie hat die Verdingungsunterlagen als eines der ersten Unternehmen schon am 18.7.2005 unter Beifügung eines Einzahlungsbeleges angefordert.
17Gemäß § 17 Nr. 3 VOB/A waren alle Anträge auf Teilnahme zu berücksichtigen, die die Teilnahmebedingungen erfüllten, und zwar auch dann, wenn Bewerber zugesandte Verdingungsunterlagen nicht erhalten hatten und diese deswegen erneut anforderten. Der Verpflichtung zum nochmaligen Versand stand die Regelung in Ziffer IV.3.2 der Bekanntmachung, wonach die Verdingungsunterlagen bis zum 2.8.2005 "erhältlich" waren, auch in zeitlicher Hinsicht nicht durchgreifend entgegen. Der Fall, dass ein Bewerber die Unterlagen nicht erhalten hatte, weil sie auf dem Postweg verloren gegangen waren, war davon nicht in der gebotenen Deutlichkeit erfasst. Zwar konnte die Vergabestelle die nochmalige Versendung der Verdingungsunterlagen gemäß § 20 VOB/A von der erneuten Einzahlung des Entgelts abhängig machen; denn das Verlustrisiko auf dem Versendungsweg trugen grundsätzlich die Bewerber. Die erneute Zusendung als solche durfte die Vergabestelle jedoch nur aus triftigen Gründen ablehnen.
18Im Streitfall wäre die Vergabestelle von der Verpflichtung zur erneuten Übersendung der Verdingungsunterlagen an die Antragstellerin befreit gewesen, wenn ihr die Versendung unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Dies ist jedoch weder dargetan noch sonst ersichtlich. Nur für die zahlreichen Zeichnungen hätte die Vergabestelle das beauftragte Ingenieurbüro einschalten müssen. Dass dieses zur unverzüglichen Vervielfältigung und Übermittlung der Zeichnungen an die Vergabestelle nicht bereit oder imstande war, behauptet auch die Antragsgegnerin nicht. Nach ihrer eigenen Darstellung im Schriftsatz vom 6.12.2005 wäre es möglich gewesen, dass die Antragstellerin die vollständigen Unterlagen am 17.8.2005 vorliegen hatte. Soweit sie hiervon im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 9.12.2005 wieder abrücken und einen längeren Postlauf berücksichtigt wissen will, ist dem entgegenzuhalten, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin – wie er in der Senatsitzung glaubhaft erklärt hat - zur persönlichen Abholung der Verdingungsunterlagen bereit gewesen wäre. Dass er das Abholen und Bringen der Unterlagen in seinem Telefonat mit der Vergabestelle am 15.8.2005 und im Rügeschreiben nicht angeboten hat, ist der Antragstellerin nicht anzulasten. Die Vergabestelle hatte die erneute Versendung aus anderen Gründen unmissverständlich abgelehnt, so dass sich für den Geschäftsführer der Antragstellerin die nachgelagerte Frage des schnellstmöglichen Transports der Verdingungsunterlagen und des Angebots zu diesem Zeitpunkt nicht stellte.
19Die Antragsgegnerin meint, die verbleibende Zeit hätte angesichts des Umfangs der Verdingungsunterlagen nicht ausgereicht, um bis zum Abgabeendtermin am 18.8.2005, 13.00 Uhr, ein chancenreiches Angebot einzureichen. Davon kann indes nicht ausgegangen werden. Weitere Nachweise, etwa für die Eignungsprüfung, waren nicht beizubringen. Herzustellen war nur das Angebot. Die Vergabestelle ist nach ihren im Senatstermin mitgeteilten Überlegungen davon ausgegangen, dass ein Unternehmen zwei bis drei Tage für die Erstellung des Angebotes benötigt hätte. Indes kann die Antragstellerin Besonderheiten für sich in Anspruch nehmen. Ihr Geschäftsführer hat nach Durchsicht der Vergabeunterlagen im Senatstermin nachvollziehbar und unwiderlegt dargetan, dass er für die Erstellung des Angebotes lediglich "einen langen Arbeitstag" benötigt hätte. Seine Einschätzung steht nicht im unauflöslichen Widerspruch zu seinem früheren Begehren nach einer Verschiebung des Submissionstermins; denn seinerzeit kannte er die Verdingungsunterlagen noch nicht. Im einzelnen hat er ausgeführt, dass er seinerzeit vergleichbare Restaurationsarbeiten in einem benachbarten Museum ausgeführte, weshalb er schon aus diesem Grunde ein Angebot zügiger hätte erstellen können. Die aktuellen Preise für das zu beschaffende Holz seien ihm bekannt gewesen, zumal er einen festen Vorlieferanten habe. Die Beschläge und Sonderteile beziehe er ebenfalls bei einer bestimmten Firma, die ihm die Preise üblicherweise binnen ½ - 1 Stunde per Fax übermittele. Die Auswertung der Zeichnungen hätte keine besonderen zeitlichen Probleme aufgeworfen, zumal sie wiederholende Anforderungen aufwiesen. Auch hätte er den Postweg sparen können, da er ohnehin fast täglich wegen des anderen Bauvorhabens in B. gewesen sei. Er sei bereit gewesen, die Angebotsunterlagen bei der Vergabestelle persönlich abzuholen und das Angebot dort abzugeben.
20Die Angabe eines "langen Arbeitstages" für die Erstellung des Angebotes ist von der Mindesteinschätzung der Antragsgegnerin (2 Tage) nicht weit entfernt. Danach ist davon auszugehen, dass es der Antragstellerin möglich gewesen wäre, ein chancenreiches Angebot fristgerecht einzureichen. Dass ihr Geschäftsführer der Vergabestelle eine Frist zur Übersendung der Angebotsunterlagen gesetzt und um eine angemessene Verlegung des Submissionstermins gebeten hatte, ändert an der Beurteilung nichts. Beide Begehren hätte die Vergabestelle unabhängig von der Bitte um Übersendung der Verdingungsunterlagen ablehnen und im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren nur den erneuten Versand anbieten können. Letzteres wäre nicht von vornherein zwecklos gewesen. Der Geschäftsführer der Antragstellerin hatte die Übersendung der Verdingungsunterlagen nicht strikt von der Einhaltung einer Eingangfrist und/oder der Verlegung des Submissionstermins abhängig gemacht.
21Zu Unrecht wendet die Antragsgegnerin ein, die Vergabestelle sei zur erneuten Versendung nicht verpflichtet gewesen, weil die Antragstellerin sich spätestens im Verlaufe der ersten Augustwoche bei der Vergabestelle nach dem Verbleib der Verdingungsunterlagen hätte erkundigen müssen. Zwar wäre eine frühzeitigere Erkundigung der Antragstellerin zweckmäßig gewesen, vorgeschrieben war sie indessen nicht. Als bloße Bieterobliegenheit war sie nicht geeignet, die Pflichten des öffentlichen Auftragsgeber zu verkürzen. Die insoweit zu verzeichnende gewisse Nachlässigkeit der Antragstellerin in eigenen Angelegenheiten befreite die Vergabestelle nicht von ihrer Pflicht, die von ihr aufgestellten Teilnahmebedingungen und den Wettbewerbsgrundsatz nach Möglichkeit einzuhalten.
22Die von der Vergabekammer in Betracht gezogene Missbrauchsgefahr bestand in Wirklichkeit nicht. Insbesondere wäre die Vergabestelle bei einer erneuten Übersendung der Verdingungsunterlagen nicht verpflichtet gewesen, den festgelegten Submissionstermin zu verschieben. Weder zu ihrem noch zum Nachteil der anderen Bieter wäre der eingeleitete Wettbewerb verändert worden. Den einzigen Nachteil hätte die Antragstellerin getragen, nämlich in Gestalt der im Vergleich zu anderen Bietern knapperen Zeit für die Ausarbeitung des Angebots.
23Zur Beseitigung des Vergabefehlers ist die Rückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium der Angebotsaufforderung und Versendung der Verdingungsunterlagen an alle Bewerber, die die Teilnahmebedingungen erfüllt haben, erforderlich. Die von der Antragsgegnerin angeführte "Besserstellung" der Antragstellerin, die nun "in Ruhe" ein Angebot erstellen könne, obwohl sie sich erst spät nach den Verdingungsunterlagen erkundigt hatte, ist hinzunehmen. Es ist nicht ersichtlich, dass sie wegen des nun größeren zeitlichen Rahmens ein anderes oder gar aussichtsreicheres Angebot erstellen könnte.
24III.
25Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 128 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 GWB, § 91 Abs. 1 ZPO (analog). Ein Teilunterliegen der Antragstellerin liegt nicht vor. Die Antragstellerin hat zwar auch in der Beschwerdeinstanz die Aufhebung der Ausschreibung beantragt. In der Sache ging es ihr aber stets und erkennbar nur darum, ebenso wie die anderen Bewerber ein Angebot abgeben zu können. Dieses Ziel hat sie erreicht.
26Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.
27
D. | W. | D.-B. |
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.