Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 50/08
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 13. August 2008 (VK VOL 24/2008) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 440.000 Euro
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag des Antragstellers nach § 112 Abs. 1 Satz 2 GWB abgelehnt und hat - anders als der Beschlussauspruch annehmen lässt - nicht lediglich gemäß § 110 Abs. 2 Satz 1 GWB über die Zustellung des Nachprüfungsantrags entschieden. Das geht aus den Gründen der Entscheidung hervor, in denen die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als offensichtlich unzulässig bewertet hat (VKB 4), und darüber hinaus aus dem Umstand, dass die Vergabekammer im angefochtenen Beschluss nach § 128 Abs. 3 und 4 GWB über die Kosten und die Erstattung der der Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren entstandenen Aufwendungen entschieden hat (VKB 2, 5), was nicht veranlasst gewesen wäre, hätte die Vergabekammer nur über die Zustellung des Nachprüfungsantrags entscheiden wollen.
3II. Der - nach Erledigung des Nachprüfungsverfahrens - zulässigerweise auf die Feststellung einer Rechtsverletzung des Antragstellers im Vergabeverfahren "Gestellung von Personal und Fahrzeugen für den Rettungsdienst der Stadt B... (Kennzahl 37/45580)" gerichtete Nachprüfungsantrag ist indes unbegründet.
41. Das Nachprüfungsverfahren nach den §§ 102 ff. GWB ist entgegen der von der Vergabekammer zugrunde gelegten bisherigen Rechtsauffassung des Senats (vgl. Beschl. v. 5.4.2006 - VII-Verg 7/06) allerdings eröffnet. Dies hat der Bundesgerichtshof in zwei Beschlüssen vom 1.12.2008 (X ZB 31/08, VergabeR 2009, 156, und X ZB 32/08) verbindlich entschieden.
52. Der Antragsteller ist nicht durch eine entgegen des Gebots in § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A unbestimmte Leistungsbeschreibung in Bieterrechten verletzt worden. Dabei legt der Senat seiner Entscheidung zugrunde, dass nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Köln (Urt. v. 19.10.2007 - 11 Sa 698/07; vgl. auch BAG, Urt. v. 14.8.2007 - 8 AZR 1043/06, ZIP 2007, 2233 = BB 2007, 2654 = NZA 2007, 1431) eine Neuvergabe von Rettungsdienstleistungen auch ohne eine Übernahme eines wesentlichen Teils des vom bisherigen Auftragnehmer eingesetzten Personals als ein Betriebsübergang im Sinne von § 613 a BGB anzusehen ist, wenn für die Auftragsdurchführung sämtliche materiellen Betriebsmittel (wie Wachgebäude, Fahrzeuge und Ausrüstungsgegenstände) vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden, und dass dies (obwohl hier nur die Rettungstransportwagen, nicht aber die Krankentransportwagen von der Antragsgegnerin gestellt werden sollten) auch im vorliegenden Fall anzunehmen ist.
6a) Der Antragsteller beanstandet insoweit, die Antragsgegnerin habe - vergaberechtswidrig - mit Blick auf eine Betriebsübernahme die genaue Struktur des zu übernehmenden Personals (u.a. nach angewandten Tarifverträgen, Arbeitszeit, Dienstalter, Familienstand sowie Gehaltszuschlägen und weiteren Merkmalen) in den Vergabeunterlagen nicht mitgeteilt, mit der Folge, dass eine zu vergleichbaren Angeboten führende Preiskalkulation unmöglich gewesen sei.
7b) Mit dieser Beanstandung ist der Antragsteller zwar nicht wegen einer Verletzung der Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ausgeschlossen. Die Antragsgegnerin hat die am Auftrag interessierten Unternehmen unter dem 26.6.2008, innerhalb der bis zum 23.7.2008 laufenden Frist zur Angebotsabgabe, auf die rechtliche Möglichkeit einer nach dem zitierten Urteil des LAG Köln gegebenen Betriebsübernahme hingewiesen. Der Antragsteller hat die Unklarheit der Leistungsbeschreibung daraufhin unter dem 14.7.2008, mithin innerhalb der Angebotsabgabefrist, gerügt. Dass sie die behauptete Unbestimmtheit der Leistungsbeschreibung wegen einer möglichen Betriebsübernahme (auch) in rechtlicher Hinsicht zu einem Zeitpunkt erkannt habe, der die Rüge vom 14.7.2008 als nicht mehr unverzüglich erscheinen ließe, behauptet die Antragsgegnerin nicht. Solches kann auch nach Aktenlage nicht festgestellt werden.
8c) Die Beanstandungen des Antragstellers sind in der Sache jedoch unbegründet. Die Leistungsbeschreibung hätte auch dann, wenn die Antragsgegnerin die vom Antragsteller u.a. zu Tarifverträgen, Arbeitszeit, Dienstalter, Familienstand, Gehaltszuschlägen und dergleichen Merkmalen verlangten, tatsächlich aber nicht gemachten Angaben zur Personalstruktur beim bisherigen Auftragnehmer getätigt hätte, keine andere, insbesondere bessere Kalkulation und Preisermittlung erlaubt. Dazu sind allein die Unwägbarkeiten und Ungewissheiten, die ein - unterstellter - Betriebsübergang nach § 613 a BGB regelmäßig mit sich bringt, und die bei der Kalkulation durch einen in der Branche auch nicht untypischen Wagniszuschlag auszugleichen waren, viel zu zahlreich und zu gewichtig. Dabei ist im rechtlichen Ansatz allerdings darauf hinzuweisen, dass dem Antragsteller, der sich selbst als nicht tarifgebunden bezeichnet, im Grundsatz jedenfalls nicht verwehrt war, die Bestimmungen des DRK-Reformtarifvertrages in der Fassung vom 15.8.2007 auf übergegangene Arbeitsverhältnisse anzuwenden (vgl. § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB, § 2 Satz 1 a Reformtarifvertrag in Verbindung mit Anlage 2 zu diesem Vertrag). Und selbst wenn dies ausscheiden und der Antragsteller folglich fremde Kollektivverträge zu übernehmen haben sollte, waren diese - wie außer Streit steht - entweder bekannt oder konnten aus allgemein zugänglichen Quellen beschafft werden. Davon abgesehen hätten Angaben zur Personalstruktur schlechterdings nicht ermöglicht vorauszusehen, in welcher Zahl Arbeitsverhältnisse übergehen würden, wie diese ausgestaltet waren und wie Arbeitnehmer künftig zu bezahlen sein würden. Dies war für die Antragsgegnerin auch weder steuerbar noch war es ihr bekannt. So hängt der Übergang von Arbeitsverhältnissen z.B. davon ab, dass der bisherige Arbeitgeber (die Information kann zwar auch durch den neuen Arbeitgeber erfolgen, diese Möglichkeit wäre hier aber nur theoretisch möglich) die Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 613 a Abs. 5 BGB vor dem Betriebsübergang zutreffend und vollständig unterrichtet. Erfolgt die Information fehlerhaft, beginnt die Frist für den gegen einen Übergang zu richtenden Widerspruch des Arbeitnehmers nach § 613 a Abs. 6 BGB nicht zu laufen (vgl. BAG NJW 2007, 244, 246, 250). Arbeitnehmer könnten einem Übergang des Arbeitsverhältnisses dann bis zur Verwirkungsgrenze widersprechen. Tatsächlich ist ebenso wenig abschätzbar, ob und gegebenenfalls in welcher Zahl Arbeitnehmer eine Übernahme hinnehmen oder anstreben würden. Dies ist auch abhängig von den Möglichkeiten und der Bereitschaft des bisherigen Arbeitgebers (Auftragnehmers), Arbeitnehmer an anderer Stelle seines Unternehmens weiterzubeschäftigen oder neue Arbeitsplätze einzurichten. Ebenso spricht einiges dafür, dass bei den im Rettungswesen tätigen gemeinnützigen Unternehmen aufgrund ihrer religiösen Wurzeln konfessionelle Bindungen der Arbeitnehmer eine Rolle spielen, und aus diesem Grund Arbeitnehmer eher geneigt sein können, einer Übernahme des Arbeitsverhältnisses durch einen anderen Arbeitgeber zu widersprechen. Allein dies zeigt, dass die Bieter im in Rede stehenden Vergabeverfahren infolgedessen praktisch genau denselben Schwierigkeiten begegnen, denen sich solche Teilnehmer an einer Ausschreibung - und zwar durchaus häufig und typischerweise - gegenübersehen, die im Fall eines Zuschlags weitere Arbeitskräfte einstellen müssen, um den Auftrag ordnungsgemäß ausführen zu können, dies selbstverständlich aber erst nach dem Vertragsschluss tun wollen. Welche Arbeitskräfte eingestellt werden können und wie diese genau zu bezahlen sein werden, steht im voraus nicht fest, sondern dies kann nur mehr oder weniger vage abgeschätzt und muss im Wege eines nach Erfahrungswerten vorzunehmenden Zuschlags auf die Kalkulation berücksichtigt werden. Diesbezügliche Unklarheiten haften wesensmäßig genauso einem Betriebsübergang an. Die Vereinbarkeit eines solchen Vorgangs mit dem Vergaberecht ist im Übrigen auch vom EuGH bestätigt worden (Urt. v. 25.1.2001 - C-172/99, ZIP 2001, 258). Die Risiken könnten - selbst wenn der Auftraggeber Bietern die Personalstruktur beim bisherigen Auftragnehmer bekannt gibt - überdies kaum fühlbar verringert werden. Sie liegen vor allem nicht in der Verantwortungssphäre des Auftraggebers begründet, sondern werden durch den Betriebsübergang und die im voraus nicht bekannten oder auch nur ermittelbaren Folgen hervorgebracht. Wenn das so ist, genügt der Auftraggeber der ihn treffenden Verpflichtung zu einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, wenn er die am Auftrag interessierten Unternehmen in den Verdingungsunterlagen oder auf andere dokumentierbare Art, dann aber zu einem Zeitpunkt, in dem Bieter dies in die Vorbereitung der Angebote (noch) einbeziehen können, darauf hinweist, dass die Möglichkeit eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB besteht. Danach ist die Antragsgegnerin verfahren. Sie hat die Bieter knapp einen Monat vor Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe schriftlich auf das Risiko eines Betriebsübergangs aufmerksam gemacht. Andere Unbestimmtheiten sind an der Leistungsbeschreibung nicht zu bemängeln.
93. Die Angebote des …-Bundes und des M…, die den Zuschlag bekommen haben, waren nicht wegen unvollständiger Preisangaben (§ 25 Nr. 1 Abs. 1 a, § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A) oder eines ungewöhnlich niedrigen Angebots(end)preises (§ 25 Nr. 2 Abs. 3 und 3 VOL/A) von der Wertung auszuschließen. In der Sache hat der Senat die diesbezüglich behauptete Rechtsverletzung bereits mit dem Beschluss vom 29.9.2008 abschlägig beschieden. Darauf wird verwiesen (BA 10 bis 13). Ungeachtet dessen ist der Antragsteller insoweit aber schon gar nicht befugt, eine Rechtsverletzung im Nachprüfungsverfahren geltend zu machen (§ 107 Abs. 2 GWB). Der Vortrag, die Angebotspreise des …-Bundes und des M… seien unvollständig oder ungewöhnlich niedrig, ist ins Blaue hinein angebracht worden. Dafür sind keine Anhaltspunkte hervorgetreten, die dergleichen aus Sicht des Antragstellers wahrscheinlich oder möglich machten. Dieses Vorbringen des Antragstellers ist daher prozessual unzulässig und unbeachtlich (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, 65 f. Rn. 39 m.w.N.).
10III. Der weitere Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die mit den beauftragten Bietern geschlossenen Verträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen, ist ebenfalls unbegründet.
11Entgegen der Auffassung des Antragstellers folgt aus der Entscheidung des EuGH vom 18.7.2007 (NZBau 2007, 594 = VergabeR 2007, 597) nicht, dass ein wirksam geschlossener Vertrag im Vergabenachprüfungsverfahren unbeachtlich wäre. Der EuGH hat in seinem Urteil ausgeführt, es bestehe eine primärrechtliche Verpflichtung des Mitgliedstaates gegenüber den Europäischen Gemeinschaften, die Folgen von Rechtsverstößen gegen Gemeinschaftsrecht zu beseitigen. Dass Art. 2 Abs. 6 UA 2 der Rechtsmittelrichtlinie den Mitgliedstaaten erlaubt, die Wirkungen geschlossener Verträge aufrechtzuerhalten, ändere an jener primärrechtlichen Verpflichtung nichts. Dies bedeutet, dass - wie es Art. 2 Abs. 6 der Rechtsmittelrichtlinie und § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB vorsehen - der Vertrag vergaberechtlich als wirksam anzusehen ist und sich ein übergangener Bieter auf das vergaberechtswidrige Zustandekommen des Vertrages nicht mit dem Ziel der Aufhebung/Beendigung des Vertrages berufen kann, eine Verpflichtung zur Aufhebung des Vertrages mithin allein primärrechtlich gegenüber der Europäischen Gemeinschaft bestehen kann (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.6.2008 – VII-Verg 23/08; so auch OLG Celle, Beschl. v. 4.5.2001 - 13 Verg 5/00, VergabeR 2001, 325, 326).
12Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 97 Abs. 1 GWB.
13Dicks Schüttpelz Dieck-Bogatzke
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