Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 13/09
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird unter Zurück-weisung des weitergehenden Rechtsmittels und des weitergehenden Nachprüfungsantrags der Antragstellerin der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 20. März 2009 (VK-6/2009-L) aufgehoben und festgestellt, dass die Antragstellerin aufgrund der Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Vergabestelle vom 18. Februar 2009 in ihren Rechten verletzt ist.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer werden zur Hälfte der Antragstellerin auferlegt. Der Antragsgegner ist von einer Kostentragung befreit.
Die Aufwendungen der Verfahrensbeteiligten im Verfahren vor der Vergabekammer und die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 125.000 Euro
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I. Die Vergabestelle (das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen) des Antragsgegners schrieb die Beschaffung von DNA-Analysen im Rahmen polizeilicher Ermittlungen im offenen Verfahren aus. Während in der Vergabebekanntmachung keine Eignungsnachweise gefordert worden waren, verlangte die Vergabestelle in den Verdingungsunterlagen zum Nachweis der Kompetenz der Bieter die Vorlage einer bestimmten Zahl von in Strafverfahren verwendeten Gutachten und weitere Unterlagen. Im Anschluss an ein Vergabenachprüfungsverfahren (Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf, Beschl. v. 21.1.2009 - VK-48/2008-L) hob die Vergabestelle das Vergabeverfahren auf und begründete dies damit, die Bieter hätten in Ermangelung bekannt gemachter Eignungsanforderungen einer (von ihr beabsichtigten) Eignungsprüfung nicht unterzogen werden können.
3Die Antragstellerin ging gegen die Aufhebung des Vergabeverfahrens mit dem im Beschwerdeverfahren angefallenen Nachprüfungsantrag vor, mit dem sie beantragte,
4den Antragsgegner zu verpflichten, die Aufhebung des Vergabeverfahrens aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.
5Hilfsweise hat die Antragstellerin beantragt,
6eine Rechtsverletzung aufgrund der Aufhebung des Vergabeverfahrens festzustellen.
7Der Antragsgegner ist dem Nachprüfungsbegehren entgegengetreten.
8Die Vergabekammer hat entschieden, den Nachprüfungsantrag wegen offensichtlicher Unbegründetheit des Hauptantrags und Unzulässigkeit des Hilfsantrags nicht zuzustellen.
9Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.
10Die Antragstellerin beantragt,
11unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Aufhebung des Vergabeverfahrens aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, das Verfahren fortzusetzen, erneut in die Angebotswertung einzutreten und dabei ihr, der Antragstellerin, Angebot zu berücksichtigen,
12hilfsweise
13festzustellen, dass sie, die Antragstellerin, durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens in ihren Rechten verletzt sei.
14Der Antragsgegner beantragt,
15die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
16Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze sowie auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
17Der Senat hat im Einverständnis der Verfahrensbeteiligten angeordnet, dass die Beschwerdeentscheidung ohne mündliche Verhandlung getroffen werden soll.
18II. Die sofortige Beschwerde hat nur nach dem Hilfsantrag Erfolg.
19Die angefochtene Entscheidung der Vergabekammer ist nach § 112 Abs. 1 Satz 2 GWB dahin zu verstehen, dass der Nachprüfungsantrag wegen offensichtlicher Unbegründetheit des gestellten Hauptantrags und Unzulässigkeit des Hilfsantrags nach Lage der Akten abgelehnt worden ist. Dafür sprechen die Gründe der Entscheidung, in denen die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag in der Hauptsache als unbegründet und in Bezug auf den Hilfsantrag als unzulässig behandelt hat, und zudem die Nebenentscheidungen sowie die Rechtsmittelbelehrung. Die Vergabekammer hat nicht lediglich eine Zwischenentscheidung über die Zustellung des Nachprüfungsantrags getroffen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 GWB).
201. Die Vergabekammer hat den hauptsächlich auf Rückgängigmachung der Aufhebung der Ausschreibung gerichteten Nachprüfungsantrag mit zutreffender Begründung zu Recht abgelehnt. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung wird darum verwiesen. Sie seien kurz nochmals dahin zusammengefasst:
21Die Vergabestelle hatte keinen nach § 26 Nr. 1 VOL/A beachtlichen Grund, das Vergabeverfahren aufzuheben. Sie kann sich insoweit namentlich nicht mit Erfolg auf im Streitfall allein in Frage kommende andere schwerwiegende Gründe berufen (§ 26 Nr. 1 d VOL/A). Die Vergabestelle hat den Aufhebungsgrund, der von Anfang an darin bestand, in der Vergabebekanntmachung weder Mindestanforderungen an die Eignung der Bieter festgelegt, noch eine Vorlage von Eignungsnachweisen verlangt zu haben, selbst verursacht. Nach ihrer Funktion können die Aufhebungsgründe der §§ 26 Nr. 1 VOL/A und VOB/A aber nur eingreifen, wenn sie erst nach Beginn der Ausschreibung eingetreten sind oder dem Auftraggeber vorher nicht bekannt sein konnten. Die bei der Aufhebungsentscheidung gebotene Bewertung der Interessen des Auftraggebers und der Teilnehmer an der Ausschreibung schließt eine Heranziehung von Gründen, die dem Auftraggeber bekannt waren und/oder mit deren Vorliegen oder Eintritt er bei der Vergabeentscheidung rechnen musste, zur Rechtfertigung einer Aufhebung grundsätzlich aus (vgl. BGH, Urt. v. 8.9.1998 - X ZR 48/97, BauR 1998, 1232, 1234, 1235 = NJW 1998, 3636 - ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Anders ausgedrückt darf der Grund für die Aufhebung des Vergabeverfahrens für den Auftraggeber folglich weder zu erwarten noch vorhersehbar sein (vgl. auch Dieck-Bogatzke, VergabeR 2008, 392, 393). Wenn dies so ist - und genau so liegt der Streitfall -, dann ist eine Aufhebung des Vergabeverfahrens nach den §§ 26 Nr. 1 VOB/A oder VOL/A aus für den Auftraggeber objektiv vorhersehbaren Gründen prinzipiell ausgeschlossen. Die Vergabestelle hat übersehen, dass Mindestanforderungen an die Eignung der Bieter und/oder vorzulegende Eignungsnachweise vom Auftraggeber zwingend in der Vergabebekanntmachung anzugeben sind und - wie tatsächlich erfolgt - nicht in den Vergabeunterlagen erstmals festgelegt werden dürfen. In den Vergabeunterlagen (oder Verdingungsunterlagen) dürfen vom Auftraggeber daran keine Änderungen oder Erweiterungen mehr, sondern lediglich noch Konkretisierungen angebracht werden. Darauf ist die Vergabestelle erst durch den im tatbestandlichen Teil dieses Beschlusses genannten Beschluss der Vergabekammer im ersten Nachprüfungsverfahren aufmerksam geworden. Dies alles ist von der Vergabekammer zutreffend ausgeführt und belegt worden, weswegen zur Vermeidung von Wiederholungen auf den angefochtenen Beschluss Bezug zu nehmen ist. Bei alledem geht es um keinen Rechtsverstoß des Auftraggebers, hier der Vergabestelle des Antragsgegners, sondern um bloße Zweckmäßigkeitsfragen, bei denen der Auftraggeber festlegen kann, welche Eignungsanforderungen und/oder -nachweise, die durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sind, mit der Vergabebekanntmachung tunlichst gefordert werden sollen. Unterlässt der Auftraggeber in der Bekanntmachung dahingehende Bestimmungen, begeht er keinen Vergaberechtsverstoß. Er hat lediglich ihm vergaberechtlich zugestandene Festlegungen unterlassen und sich damit nur auf eine (von ihm u.U., so auch hier, in Wahrheit nicht gewollte) rudimentäre Eignungsprüfung gesetzt. Dies hat der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren verkannt. Die an einen Vergaberechtsverstoß anknüpfenden Ausführungen der Beschwerdeerwiderung einschließlich derjenigen, die auf eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof (§ 124 Abs. 2 Satz 1 GWB) abzielen, gehen an der Sache vorbei. Die Vergabestelle hat die Ausschreibung aufgehoben, da sie - weil das Vergabeverfahren von vorneherein darauf nicht abgestellt worden war - unter den obwaltenden Bedingungen keine von ihr für geboten erachtete Eignungsprüfung unter den Bietern anstellen konnte. Dass sie zu einer solchen Eignungsprüfung aus strafprozessualen oder anderen Gründen gehalten sein mochte, begründet keinen in einem Vergabenachprüfungsverfahren zu ahndenden Rechtsverstoß.
222. Der Befund, dass die Vergabestelle keinen Grund für eine Aufhebung der Ausschreibung nach § 26 Nr. 1 VOL/A hatte, gebietet freilich nicht, dass das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag beendet werden muss. Auch unterhalb der Schwelle der Aufhebungsgründe nach den §§ 26 VOB/A und VOL/A können Bieter aus Gründen der auch einem öffentlichen Auftraggeber zuzuerkennenden Vertragsfreiheit keine Auftragsvergabe erzwingen, sondern darf der Auftraggeber das Vergabeverfahren aufheben. Auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer im angefochtenen Beschluss ist zu verweisen. Dies kann nur anders zu beurteilen sein, sofern der Auftraggeber für die Aufhebung der Ausschreibung keinen sachlich gerechtfertigten Grund hat oder die Aufhebung nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren. Davon kann im vorliegenden Fall freilich nicht gesprochen werden. Die Vergabestelle hat das Vergabeverfahren aufgehoben, um die Eignung der Bieter in einem neuen Verfahren nach von ihr für zweckmäßig und dem Auftragsgegenstand entsprechend regelgerecht bekannt gegebenen Kriterien überprüfen zu können. Dies ist ihr nicht zu verwehren, kann aber nur erreicht werden, wenn das Vergabeverfahren von neuem begonnen und die bisherige Ausschreibung aufgehoben wird. Gegen die Aufhebung ist darum in der Sache nichts einzuwenden.
233. Umgekehrt folgt aus dem Umstand, dass die Aufhebung der Ausschreibung nicht nach § 26 Nr. 1 VOL/A begründet ist, eine Rechtsverletzung der Antragstellerin, deren Feststellung im Beschwerderechtszug nach § 123 Satz 3 GWB beantragt werden kann. Zu diesem Schluss hätte auch die Vergabekammer kommen können (vgl. u.a. Maier in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 114 GWB Rn. 42 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse der Antragstellerin ist aus Gründen des von ihr geltend gemachten Schadensersatzbegehrens gegeben.
24Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 128 Abs. 3, 4 GWB sowie auf entsprechender Anwendung der §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
25Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 50 Abs. 2 GKG.
26Dicks Dieck-Bogatzke Frister
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Referenzen
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