Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 61/09
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster vom 11. Dezember 2009 wird bis zur Entscheidung über ihre Beschwerde verlängert.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2Der Antrag der Antragstellerin gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB ist begründet. Denn ihre Beschwerde und ihr Nachprüfungsantrag haben voraussichtlich Erfolg. Die Antragsgegnerin hat einige der mit "Nebenangebot" gekennzeichneten weiteren Angebote der Antragstellerin zu Unrecht ausgeschlossen.
31.
4Allerdings schied, wie der Senat bereits mit Beschluss vom 07. Januar 2010 ausgeführt hat, die Wertung von "Varianten" im Sinne des Art. 24 der Richtlinie 2004/18/EG (VKR) bereits deswegen aus, weil als Zuschlagskriterium allein der Preis genannt war.
5Ob dies allein zur Folge hat, dass Vorschläge der Bieter zu "Varianten" nicht gewertet werden dürfen oder ob in den Fällen, in denen der Auftraggeber – wie hier - ausdrücklich zur Einreichung kostensparender Nebenangebote aufgefordert hat, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen ist, weil der Auftraggeber die Bieter durch die ausdrückliche Zulassung von (vergaberechtlich unzulässigen) Nebenangeboten in die Irre geführt hat, was möglicherweise auch Einfluss auf die Ausgestaltung des Hauptangebotes hatte, bedarf keiner Entscheidung.
62.
7Der Antragsgegner durfte die "Nebenangebote" der Antragstellerin, die gleichwertige Gegenstände im Sinne des § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A (= Art. 23 Abs. 8 S. 2 VKR) betrafen, nicht ausschließen.
8a) Der Antragsgegner hatte in ihrer Ausschreibung unter "410 Richtfabrikatsliste" zu den Einzelpositionen bestimmte "Planungsfabrikate" aufgeführt, aber gleichzeitig "gleichwertige" Artikel zugelassen.
9b) Die Nennung von "Planungsfabrikaten" war nach § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A (= Art. 23 Abs. 8 S. 2 VKR) nur zulässig, wenn "der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden" konnte. Derartige Gründe werden nicht vorgetragen. Dies führt grundsätzlich dazu, dass wegen der Verletzung des Grundsatzes produktneutraler Ausschreibung und unzulässiger Bevorzugung der Leitprodukte das Vergabeverfahren zu wiederholen ist (vgl. Senat, VergabeR 2010, 277). Dem könnte allein entgegen stehen, dass die Rüge – so die Beigeladene – gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB n.F. präkludiert wäre. Dies bedarf im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen in diesem Verfahrensstadium jedoch keiner näheren Erörterung.
10c) Der Antragsgegner hat "gleichwertige" Artikel nur dann zugelassen, wenn die "Gleichwertigkeit … bei Abgabe des Angebotes vom Bieter nach[gewiesen]" wurde. Das ist mit § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A (= Art. 23 Abs. 8 S. 2 VKR) nicht vereinbar. Wie bereits dargelegt, lässt diese Vorschrift die Nennung von Leitfabrikaten nur deswegen zu, weil eine anderweitige Beschreibung des Auftragsgegenstandes auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen würde. Eine weitere Bevorzugung der Leitfabrikate ist nicht zulässig. Im Gegensatz zu § 9 Nr. 7 VOB/A (= Art. 23 Abs. 4 VKR) und § 9 Nr. 8 S. 2 VOB/A (= Art. 23 Abs. 5 VKR) (s. auch § 21 Nr. 2 VOB/A) ist der Bieter daher nicht gehalten, die "Gleichwertigkeit" mit der Angebotsabgabe nachzuweisen. Eine derartige Anforderung führte zu Erschwernissen bei dem Angebot anderweitiger Fabrikate. Die in den vorgenannten Vorschriften nur für die dort aufgeführten Fallgestaltungen vorgeschriebenen Gleichwertigkeitsnachweise können nicht auf den Fall des § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A übertragen werden.
11Es ist nicht ersichtlich, dass eine derartige Rüge zu einem Punkt, der – soweit ersichtlich, bisher in der vergaberechtlichen Rechtsprechung noch nicht erörtert worden ist (in dem Beschluss des OLG Jena vom 31.08.2009 – 9 Verg 6/09 ist er nicht angesprochen worden) – gemäß § 107 Abs. 3 GWB n.F. präkludiert wäre.
12d) Die von dem Antragsgegner vor der Vergabekammer genannten Gründe für eine fehlende Gleichwertigkeit der von den "Planungsfabrikaten" abweichenden Fabrikate überzeugen nicht. Er hat geltend gemacht, es sei aus optischen oder technischen Gründen eine einheitliche Ausstattung der Häuser notwendig. Ob dies Gründe dafür gewesen wären, nach § 9 Nr. 10 S. 1 VOB/A (Art. 23 Abs. 8 S. 1 VKR) Angebote nur des bestimmten Fabrikates zuzulassen, kann offen bleiben. Mit der Zulassung gleichwertiger Fabrikate hat der Antragsgegner jedoch nicht mit den "Planungsfabrikaten" identische Fabrikate ausdrücklich zugelassen, dazu steht seine jetzige Auffassung, es gebe überhaupt keine gleichwertigen Fabrikate, in unüberbrückbarem Gegensatz.
13Ob das Fehlen einer Seifenablage (Nr. 7) sowie eine messingverchromte Duschstange (statt einer aus Aluminium, Nr. 8) eine Gleichwertigkeit ausschließt, kann offen bleiben, da selbst bei Ausschluss dieser "Nebenangebote" das Angebot der Antragstellerin unter Berücksichtigung der "gleichwertigen Nebenangebote" im Hinblick auf den geringen Preisvorsprung des von dem Antragsgegner bevorzugten Angebots der Beigeladenen preislich zu bevorzugen wäre.
14e) Unerheblich ist, dass die Antragstellerin ihre von den "Planungsfabrikaten" abweichenden Fabrikate mit "Nebenangebote" überschrieben hat. Vorab ist klarzustellen, dass die Antragstellerin auch ein die "Planungsfabrikate" enthaltendes Hauptangebot eingereicht hat.
15aa) Allerdings handelte es sich bei den Angeboten mit den "Planungsfabrikaten" gleichwertiger Artikel nicht um Nebenangebote. Ihr Inhalt wich nämlich nicht von der Leistungsbeschreibung des Antragsgegners ab. Bietet ein Bieter andere als Leitfabrikate an, handelt es sich nicht um Varianten im Sinne des Art. 24 VKR (vgl. auch § 25 Nr. 4 VOB/A; übersehen von VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.08.2009 – 1 VK 37/09); diese sind vielmehr durch § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A (= Art. 23 Abs. 8 S. 2 VKR) ohne Weiteres ausdrücklich zugelassen. Ein Ausschluss als nicht zugelassenes Nebenangebot wäre unzulässig (vgl. auch EuGH RIW 1990, 152).
16bb) Auch sieht § 21 Nr. 3 S. 2 VOB/A vor, dass "Nebenangebote … auf besonderer Anlage gemacht und als solche deutlich gekennzeichnet werden" müssen. Auch wenn man diese Vorschrift auf die hier vorliegende Fallgestaltung übertragen würde, ist dies bereits deshalb unerheblich, weil ein Verstoß gegen diese Vorschrift nicht zu einem Ausschluss des Nebenangebots führt; dieser Verstoß ist weder in § 25 Nr. 1 noch in § 25 Nr. 5 VOB/A – anders als ein Verstoß gegen § 21 Nr. 4 VOB/A (dazu BGH, Urteil vom 20.01.2009 – X ZR 113/07) – als Ausschlussgrund vorgesehen (vgl. Kratzenberg, in Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Aufl., § 25 Rdrn. 91; Dähne, in Kapellmann/Messermschmidt, VOB, 2. Aufl., § 25 VOB/A Rdnr. 98; Prieß, in Motzke/Pritzker/Prieß, VOB, § 21 VOB/A Rdnr. 54; Rusam, in Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Aufl., § 25 VOB/A Rdnrn. 101, 124; anders zukünftig § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) VOB/A 2009).
17Die Bezeichnung als "Nebenangebote" durch die Antragstellerin ist zudem im Hinblick auf die zitierte Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg sowie die unklare Behandlung mehrerer Hauptangebote (s. dazu nachfolgend unter f)) vertretbar gewesen.
18f) Die inhaltlich als Hauptangebote zu behandelnden Angebote sind nicht deshalb – ganz oder teilweise – auszuschließen, weil ein Bieter nur ein einziges – nicht aber mehrere – Hauptangebote zu einem Ausschreibungsgegenstand einreichen könnte.
19Die Behandlung "weiterer" Hauptangebote ist in der Literatur und Rechtsprechung bisher noch weitgehend ungeklärt. Die von Rusam (a.a.O., § 25 VOB/A Rdnrn. 149 ff.; Leinemann/Kirch, VergabeNews 2008, 134) vorgebrachten Bedenken beziehen sich auf die Abgabe zweier technisch identischer Angebote zu unterschiedlichen Preisen. Rusam (a.a.O.) nimmt den Fall technisch unterschiedlicher Angebote ausdrücklich von seinen Betrachtungen aus. Der Senat sieht vorläufig keine Bedenken dagegen, mehrere Hauptangebote eines Bieters, die sich in technischer Hinsicht unterscheiden, zuzulassen.
20Zunächst einmal kann für die Abgabe mehrerer Hauptangebote mit unterschiedlichen technischen Lösungen ein Bedürfnis bestehen (so auch Leinemann/Kirch, a.a.O.). Der Bieter kann sich aus vertretbaren Gründen im Unklaren darüber sein, ob die von ihm angebotene Leistung vom Auftraggeber als "gleichwertig" im Sinne der § 9 Nr. 7, Nr. 8, Nr. 10 S. 2, § 21 Nr. 2 VOB/A angesehen wird. Gehört zu den Zuschlagskriterien neben dem Preis auch die Qualität, kann er nur bedingt vorhersehen, inwieweit qualitative Verbesserungen, insbesondere bei funktionaler Ausschreibung (§ 9 Nrn. 15 ff. VOB/A), letztlich zu einer Verbesserung seiner Zuschlagschancen führen werden.
21Bedenken können bei dieser Fallgestaltung nicht aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz (vgl. EuGH, Urteil vom 23.12.2009 – C-376/08) hergeleitet werden. Der Inhalt des jeweiligen Angebots ist klar. Der Auftraggeber ist gehalten, die unterschiedlichen Angebote – wie auch die unterschiedlichen Angebote unterschiedlicher Bieter – anhand der Ausschluss- und Zuschlagskriterien zu bewerten. Gegen die Einreichung von Nebenangeboten (sofern sie zugelassen und zulässig sind) werden unter diesem Gesichtspunkt auch keine Bedenken erhoben, obwohl auch in einer derartigen Fallgestaltung vom Auftraggeber – u.a. – aus mehreren Angeboten desselben Bieters eine Auswahl zu treffen ist. Ist der Preis – wie hier – das einzige Zuschlagskriterium, hat der Auftraggeber das billigste (unter den nicht aus sonstigen Gründen auszuschließenden) Angeboten auszuwählen.
223.
23Öffentliche Belange im Sinne des § 118 Abs. 2 GWB stehen der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen. Zu diesen Belangen gehört auch die Vergabe des Auftrages an den kostengünstigsten Bieter.
244.
25Einer Kostenentscheidung bedarf es in diesem Verfahrensstadium nicht.
26Dicks Schüttpelz Frister Vors. Richter am OLG Richter am OLG Richterin am OLG
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