Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 42/10
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 15. September 2010 (VK -26/2010-B) unter Ziff. 4 des Tenors wie folgt abgeändert:
Die Hinzuziehung von anwaltlichen Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren war für die Antragsgegnerin notwendig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Beschwerdewert wird auf bis zu 2.000 € festgesetzt.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Antragsgegnerin ist ein Versorgungsunternehmen, deren Gesellschafterin zu 49,9 % die Stadtwerke D. sind. Mit Bekanntmachung vom April 2010 hatte die Antragsgegnerin den Abschluss eines Rahmenvertrages über Tiefbau, Straßenbau, Rohrbau und kabelspezifische Arbeiten mit Bereitschaftsdienst mit einer Laufzeit von mindestens 3 Jahren europaweit ausgeschrieben. Den Teilnahmeantrag der Antragstellerin (einer Bietergemeinschaft) schloss die Antragsgegnerin aus, weil ausweislich der vorgelegten Bescheinigung bei einem Mitglied Steuerrückstände bestünden bzw. bestanden hätten. Dagegen richtete sich die Rüge und nach erfolgloser Rüge der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin.
4Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen (Nr. 1) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten der Antragsgegnerin der Antragstellerin auferlegt (Nr. 3), es jedoch abgelehnt, die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten für die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären (Nr. 4).
5Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie ist der Ansicht, die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten sei notwendig gewesen. Um das Nachprüfungsverfahren, das eine rechtlich und tatsächlich überdurchschnittlich schwierig gelagerte Angelegenheit betreffe, erfolgreich bestreiten zu können, verfüge sie nicht über hinreichende eigene vergaberechtliche Kenntnisse. Sie könne weder auf eine eigene Rechtsabteilung zurückgreifen noch sei ein Volljurist im Hause tätig. Vertragliche Vereinbarungen mit anderen Versorgungsunternehmen, die es ihr ermöglichten, die Dienste der Rechtsabteilung eines anderen Versorgers in Anspruch zu nehmen, bestünden nicht. Angesichts der Komplexität und wirtschaftlichen Bedeutung des zu vergebenden Auftrags sowie ihrer vergaberechtlichen Unerfahrenheit habe sie sich daher bereits im Vergabeverfahren rechtlich beraten lassen.
6Die Antragsgegnerin beantragt,
7Ziff. 4 des Tenors des Beschlusses der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 15. September 2010 (VK -26/2010-B) aufzuheben und auszusprechen, dass die Hinzuziehung von anwaltlichen Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren für die Antragsgegnerin notwendig war.
8Die Antragstellerin beantragt,
9die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
10Sie macht geltend, dass es sich bei der Antragsgegnerin um ein ausschreibungserfahrenes Unternehmen handele, das zudem auf den juristischen Sachverstand ihrer Gesellschafterin, der Stadtwerke D., zurückgreifen könne. Beide Stadtwerke kooperierten zur Erzielung von Synergieeffekten abteilungsübergreifend. So arbeite die Rechtsabteilung der Stadtwerke D. als interner Dienstleister der Antragsgegnerin zu. Darüber hinaus handele es sich keineswegs um ein Verfahren mit überdurchschnittlichen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten. Die Hinzuziehung externer Anwälte sei demnach nicht erforderlich gewesen.
11Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen.
12II.
13Anzuwenden ist das GWB in der Fassung des am 24. April 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts, denn das Vergabeverfahren hat im April 2010 und damit nach dem 24. April 2009 begonnen (§ 131 Abs. 8 GWB):
141.
15Das Rechtsmittel ist zulässig. Eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist grundsätzlich auch isoliert gegen die Kostenentscheidung oder den Ausspruch, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig bzw. nicht notwendig war gemäß § 116 Abs. 1 GWB statthaft; § 99 ZPO findet keine entsprechenden Anwendung (OLG Düsseldorf, NZBau 2000, 486; OLG München, Beschl. v. 11.6.2008, Verg 6/08; Hunger in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht § 116 Rn. 21). Über das Rechtsmittel kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da es sich nur gegen eine Nebenentscheidung der Vergabekammer richtet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.9.2003, VII Verg 31/03; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.3.2010 11 Verg 3/10).
162.
17Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Ablehnung der Vergabekammer, die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
18Ob die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters im Verfahren vor der Vergabekammer durch den öffentlichen Auftraggeber notwendig ist, kann nicht schematisch, sondern stets nur auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalles entschieden werden (BGH, Beschl. v. 26.9.2006 – X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.9.2003, VII Verg 31/03; OLG Koblenz, Beschl. v. 8.6.2006 1 Verg 4 u. 5/06; OLG München, Beschl. v. 11.6.2008, Verg 6/08; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.3.2010, 11 Verg 3/2010). Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere in Betracht zu ziehen, ob sich das Nachprüfungsverfahren hauptsächlich auf auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazu gehörenden Vergaberegeln konzentriert. Ist das der Fall, besteht im Allgemeinen für einen öffentlichen Auftraggeber keine Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt einzuschalten. In seinem originären Aufgabenkreis muss sich er sich selbst die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse verschaffen und bedarf daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten.
19Im Streitfall war zu überprüfen, ob das Angebot der Antragstellerin wegen Unzuverlässigkeit eines Mitglieds ausgeschlossen werden konnte. Neben der Frage, ob die Antragstellerin ihre Eignung wie gefordert nachgewiesen hat, war Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens, ob die Antragsgegnerin in vergaberechtswidriger Weise die Vervollständigung der Nachweise zugelassen und ob sie willkürlich eine bereits getroffene Eignungseinschätzung, auf die die Antragstellerin vertrauen durfte, rückgängig gemacht hat. Diese Rechtsfragen betreffen nicht den unmittelbaren Aufgabenbereich der Vergabestelle und sind darüber hinaus unstreitig von der Vergabekammer selbst in den Verlängerungsmitteilungen vom 3. und 27. August sowie 8. September 2010 als überdurchschnittlich schwierig eingeordnet worden. Teilt die Nachprüfungsinstanz aber den Verfahrensbeteiligten mit, dass der Streitfall überdurchschnittliche rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten aufweise, so kann von ihnen nicht erwartet werden, dass sie sich ohne Hinzuziehung eines Anwalts über diese Einschätzung hinwegsetzen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Nachprüfungsverfahren unter einem erheblichen Beschleunigungs– und Zeitdruck stehen und das Vergaberecht eine komplexe Rechtsmaterie darstellt. Hinzu kommt, dass die Angelegenheit von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für die Antragsgegnerin war.
20Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Antragsgegnerin im eigenen Haus nicht auf entsprechend geschultes Personal zurückgreifen konnte. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass die Antragsgegnerin die Dienste der Rechtsabteilung der Stadtwerke D. hätte beanspruchen können, hat die Antragsgegnerin substantiiert dargetan, dass ihr zum einen dafür ebenfalls Beratungskosten entstanden wären und die Beratung vergaberechtliche Fragen gar nicht abgedeckt hätte. Diesem Vorbringen ist die Antragstellerin nicht entgegen getreten.
213.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 120 Abs. 2 i.V.m. § 78 GWB.
23Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 50 Abs. 2 GKG, wobei lediglich die voraussichtlich festsetzbaren Kosten angesetzt wurden.
24Schüttpelz Frister Rubel
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