Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 52/10
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 9. November 2010 (VK 3 -108/10) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin angewiesen wird, bei fortbestehender Vergabeabsicht die Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin trägt die Antragsgegnerin.
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: bis 45.000 Euro
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Im Rahmen des Bauvorhabens "Langfristige Unterbringung des Robert-Koch-Instituts in Berlin" führt die Antragsgegnerin gegenwärtig ein offenes Verfahren zur Vergabe des Auftrages "Verblendmauerwerk" durch.
4Unter Ziff. 3 des Leistungsverzeichnisses wird das Verblendmauerwerk wie folgt beschrieben:
5"… Verblendmauerwerk DIN 1053-1 einschließlich Dübel,…Rohdichteklasse 1,8 ….
6Um die Eigenschaften des Klinkers eindeutig zu beschreiben, wird auf ein Fabrikat Bezug genommen. Der Bieter ist angehalten, ein gleichartiges Fabrikat anzubieten. Mit den günstigsten Bietern wird ein Aufklärungsgespräch geführt, zu diesem ist der angebotene Klinker im Original vorzulegen. Die Eigenschaften wie Dichte, Druckfestigkeit u.s.w. sind nachzuweisen.
7Zum Einsatz kommt ein Kohlebrand, Wechselsortierung, ½ Fußsortiert, Farbe schwach-rot-blau-bunt. Der einzusetzende Ton ist grob ausbereitet, was der Seelhorstsortierung (z.B. Janinhoff GmbH in Münster) entspricht…"
8In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots ist unter Ziff. 5.2 bestimmt, dass Nebenangebote zugelassen sind und die in dem Angebot beizufügenden Formblatt 226 EG genannten Mindestanforderungen erfüllen müssen. Dort heißt es:
9"Mindestanforderungen an Nebenangebote
10Für folgende Vertragsbedingungen und Teilleistungen (Positionen)/Fachlose (Gewerke)/Gesamtleistung sind Nebenangebote zugelassen:
11
Titel | Pos. | Anforderung LV | Nebenangebote müssen die folgenden Mindestanforderungen erfüllen |
3.1 | Nichtrostender Stahl S235NR/S235JR | Tragfähigkeit/Korrosionsbeständigkeit | |
3.2 | Nichtrostender Stahl S235NR/S235JR | Tragfähigkeit/Korrosionsbeständigkeit | |
4.1 | 30 | Betonstahl BST 500 S | Tragfähigkeit |
4.1 | 40 | Betonstahl BST 500 S | Tragfähigkeit/ |
12
Gemäß Ziff. 5.4 der Angebotsaufforderung ist der Preis einziges Zuschlagskriterium.
13Die Antragstellerin gab fristgerecht ein Hauptangebot sowie zwei als solche bezeichnete Nebenangebote ab, die sich ausschließlich auf den unter Position 3.1 ausgeschriebenen Klinker bezogen. Mit dem Nebenangebot 1 bot die Antragstellerin den im Leistungsverzeichnis als Leitfabrikat genannten Klinker, mit dem Nebenangebot 2 "den Einsatz eines Klinkers in Anlehnung an das ausgeschriebene Richtfabrikat" an. Rechnerisch lag das Hauptangebot der Antragstellerin auf Rang 1, dahinter folgten die Nebenangebote 2 und 1.
14Nach Aufforderung durch die Antragsgegnerin legte die Antragstellerin für den mit dem Hauptangebot angebotenen Klinker ein technisches Datenblatt vor, in dem eine Rohdichteklasse von 1,6 attestiert wurde. Auch in dem Protokoll zum Aufklärungsgespräch, zu dem die Antragstellerin im Hinblick auf ihr Hauptangebot geladen worden war, wurde festgestellt, dass ein Ziegel mit einer Rohdichteklasse von 1,6 angeboten wurde.
15Mit Schreiben vom 24. September 2010 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne und das Angebot der Beigeladenen bezuschlagt werden solle. Zur Begründung führte sie aus, das Hauptangebot der Antragstellerin habe von der Wertung ausgeschlossen werden müssen, weil der angebotene Klinker nicht die geforderte Rohdichteklasse aufweise. Die Nebenangebote seien ausgeschlossen worden, weil sie die gestellten Mindestanforderungen (Substitution Stahl) nicht erfüllten.
16In dem nach erfolgloser Rüge eingeleiteten Nachprüfungsverfahren hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen und sie verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Wertung der Angebote unter Einbeziehung aller als Nebenangebote deklarierten Angebote, die Abweichungen bezüglich des Klinkers vorsehen, zu wiederholen.
17Zwar sei das Hauptangebot der Antragstellerin wegen Abweichens von den Verdingungsunterlagen zu Recht ausgeschlossen worden. Der Ausschluss der als solche bezeichneten Nebenangebote sei jedoch unzulässig, soweit es sich dabei der Sache nach um Hauptangebote handele. Das sei jedenfalls bei dem als Nebenangebot 1 bezeichneten Angebot der Fall, da die Antragstellerin hiermit sogar das ausgeschriebene Leitfabrikat angeboten und demnach inhaltlich nicht von der Leistungsbeschreibung abgewichen sei. Soweit auch der Inhalt des Nebenangebots 2 nicht von der Leistungsbeschreibung abweiche, was dann anzunehmen sei, wenn ein mit dem Leitfabrikat gleichwertiger Klinker angeboten werde, handele es sich entgegen der Bezeichnung ebenfalls um ein Hauptangebot, das nicht ausgeschlossen werden dürfe. Die Antragsgegnerin habe die Gleichwertigkeit des mit dem Nebenangebot 2 angebotenen Klinkers und des Leitfabrikats zu untersuchen und das Angebot gegebenenfalls als Hauptangebot zu werten.
18Ein Ausschluss rechtfertige sich schließlich auch nicht deshalb, weil die Antragstellerin mehrere Hauptangebote unterbreitet habe. Rechtliche Bedenken gegen die Zulassung mehrerer Hauptangebote, die sich technisch voneinander unterschieden, bestünden nicht.
19Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin.
20Sie macht geltend, dass die in § 25 a Nr. 3, 25 Nr. 5 S. 1 VOB/A 2006 vorgesehene Prüfungsreihenfolge, wonach in einem ersten Schritt die Zulassung von Nebenangeboten und erst nach entsprechender positiver Feststellung die Erbringung des Gleichwertigkeitsnachweises zu prüfen sei, durch die Anordnung der Vergabekammer umgekehrt werde. Die Forderung der Vergabeklammer, vor der formalen Prüfung der Zulassung zunächst zu untersuchen, ob es sich inhaltlich um ein Haupt- oder ein Nebenangebot handelt, habe nicht nur einen erheblichen Aufwand zur Folge, sondern widerspreche auch den mit einem Vergabeverfahren verbundenen Verantwortungsbereichen. Müsse die Vergabestelle zwecks Einordnung als Haupt- oder Nebenangebot entscheiden, ob die angebotene Leistung der ausgeschriebenen entspreche oder hiervon abweiche, werde das mit der Entscheidung verbundene Risiko vom Bieter auf die Vergabestelle verlagert. Zudem sei im Streitfall kein Bedürfnis für die Zulassung mehrerer Hauptangebote zu erkennen.
21Die Antragsgegnerin beantragt,
22die Entscheidung der 3. Vergabekammer des Bundes vom 9. November 2010 (VK 3 – 108/10) aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
23Die Antragstellerin beantragt,
24die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
25Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt den Ausführungen der Antragsgegnerin entgegen. Zudem macht sie geltend, in dem Formblatt 226 EG seien Nebenangebote für sämtliche und nicht nur für die sich auf den Einsatz von Stahl beziehenden Positionen des Titels 3.1 zugelassen worden. Im Gegensatz zum Titel 4.1 erfolge im Hinblick auf den Titel 3.1 gerade keine Beschränkung der Zulassung auf bestimmte Positionen des Leistungsverzeichnisses. Somit habe sie in zulässiger Weise Nebenangebote für die ausgeschriebene Position "Klinker" unterbreitet.
26Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vergabeakten und Akten der Vergabekammer sowie die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten Bezug genommen.
27II.
28Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
29Die Vergabekammer hat der Antragsgegnerin zu Recht untersagt, bei fortbestehender Vergabeabsicht den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, ohne zuvor eine Wiederholung der Angebotswertung durchzuführen. Allerdings hat eine Wiederholung der Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu erfolgen. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer ist auch das als Nebenangebot 2 bezeichnete Angebot der Antragstellerin ohne weitere Gleichwertigkeitsüberprüfung als Hauptangebot zu werten und in die Angebotswertung einzubeziehen.
301.
31Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.
32Zwar ist, wie die Vergabekammer zutreffend festgestellt hat und zwischen den Parteien auch nicht mehr in Streit steht, das Hauptangebot der Antragstellerin von der Antragsgegnerin zu Recht ausgeschlossen worden, weil die Antragstellerin nicht nachgewiesen hat, dass die angebotene Leistung im Hinblick auf die Rohdichte den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses entsprach.
33a) Jedoch ist der Ausschluss der von der Antragstellerin als Nebenangebote zu 1 und 2 deklarierten Angebote vergaberechtswidrig.
34aa) Dabei kann dahinstehen, ob Nebenangebote für die Position "Klinker" durch das Formblatt 226 EG zugelassen waren. Im Unterschied zum Titel 4.1 sind in der Tabelle hinsichtlich des Titels 3.1 keine speziellen Positionen bezeichnet, für die Nebenangebote ausdrücklich zugelassen werden. Das Fehlen einer individuellen Angabe und Aufzählung von Leistungspositionen könnte dahingehend zu verstehen sein, dass die Zulassung unbeschränkt für sämtliche Positionen des Titels gelten soll. Indes macht eine solche unbeschränkte Zulassung von Nebenangeboten angesichts des Inhalts der Mindestanforderungen keinen rechten Sinn: Mit den Nebenangeboten werden Abweichungen vom Leistungsverzeichnis insoweit zugelassen, als die Bieter andere als die dort vorgesehene Stahlsorte S235NR/S235JR anbieten dürfen, wobei der mit dem Nebenangebot angebotene Stahl aber den Mindestanforderungen an Tragfähigkeit und Korrosionsbeständigkeit entsprechen muss. Ob aus der Sicht eines durchschnittlich verständigen Bieters trotz der sich auf Abweichungen bei der angebotenen Stahlsorte beziehenden Mindestanforderungen durch das Formblatt 226 EG Nebenangebote auch im Hinblick auf den anzubietenden Klinker zugelassen waren, ist somit eher zweifelhaft.
35bb) Aber auch wenn man der Argumentation der Antragstellerin insoweit folgen wollte, steht der Zulassung von Nebenangeboten jedenfalls entgegen, dass ausweislich Ziff. 5.4 der Angebotsaufforderung einziges Zuschlagskriterium der Preis sein sollte.
36Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG und der hier einschlägige Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG lassen in einer derartigen Situation Varianten (in der deutschen Terminologie Nebenangebote) nicht zu (vgl. Eggert, Das europäische Vergaberecht, Rdnr. 1258; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2010, VII-Verg 39/10; v. 07.01.2010 und 23.03.2010, VII-Verg 61/09).
37Ob dies allein zur Folge hat, dass Nebenangebote der Bieter nicht gewertet werden dürfen oder ob in den Fällen, in denen der Auftraggeber – wie hier - ausdrücklich zur Einreichung von Nebenangeboten aufgefordert hat, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen ist, weil der Auftraggeber die Bieter durch die ausdrückliche Zulassung von (vergaberechtlich unzulässigen) Nebenangeboten in die Irre geführt hat, was möglicherweise auch Einfluss auf die Ausgestaltung des Hauptangebotes hatte, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Somit besteht schon im Hinblick auf die fehlende Entscheidungsrelevanz dieses Gesichtspunktes auch kein Anlass, die Frage, ob Nebenangebote grundsätzlich unzulässig sind, wenn der Preis alleiniges Zuschlagskriterium ist, dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Zudem ist bislang entgegen der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Brandenburg (Beschluss v. 7.12.2010 – Verg W 16-10, NZBau 2011, 126) ohnehin nicht von einer zur Vorlage zwingenden Divergenz im Rechtssinne in der Rechtsprechung der Vergabesenate auszugehen. Soweit der erkennende Senat in mehreren Entscheidungen ausgeführt hat, dass Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG bzw. Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG in Fällen, in denen der Preis alleiniges Zuschlagskriterium sei, Nebenangebote zulasse, sind ausdrücklich abweichende Interpretationen der Richtlinie durch andere Oberlandesgerichte nicht ersichtlich. Zwar liegen den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Celle vom 11. Februar 2010 (13 Verg 16/09) und vom 03. Juni 2010 (13 Verg 6/10) jeweils Sachverhalte zugrunde, in denen Nebenangebote zugelassen worden waren, obwohl alleiniges Zuschlagskriterium der Preis war. Dass diese Entscheidungen sich mit dem Standpunkt des erkennenden Senats nicht auseinandersetzen, ist darauf zurückzuführen, dass die Frage der Rechtmäßigkeit der Zulassung erstmals in dem Beschluss vom 07. Januar 2010 (VII-Verg 61/09) und dort nur in einem obiter dictum angesprochen worden und erst später bekannt geworden ist. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. Juli 2010 (1 Verg 6/10) beruht ebenfalls nicht auf einem vom erkennenden Senat abweichenden Rechtsstandpunkt. Vielmehr weist das Oberlandesgericht Koblenz in der Entscheidung vom 2. Februar 2011 (1 Verg 1/11) ausdrücklich darauf hin, dass die frühere Entscheidung in Unkenntnis der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf ergangen ist und lässt die Frage, ob dieser Rechtsprechung zu folgen ist, ausdrücklich offen.
38cc) Entgegen ihrer ausdrücklichen Bezeichnung handelt es sich bei den Nebenangeboten 1 und 2 inhaltlich um Hauptangebote. Nebenangebote offerieren die Leistung anders als in der Leistungsbeschreibung nachgefragt. Ein Nebenangebot liegt nur vor, wenn Gegenstand des Angebots ein von der geforderten Leistung abweichender Bietervorschlag ist.
39Diese Voraussetzungen liegen im Hinblick auf das so bezeichnete Nebenangebot 1 – wie die Vergabekammer im Ergebnis zu Recht und mit zutreffender Begründung festgestellt hat – ersichtlich nicht vor: Gegenstand dieses Angebots ist das ausgeschriebene Leitfabrikat und damit keine von der Leistungsbeschreibung abweichende Leistung. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die Antragstellerin nicht an der Falschbezeichnung, die offensichtlich auf die Fehlvorstellung zurückzuführen ist, nur ein Hauptangebot unterbreiten zu dürfen, festzuhalten. Ihr Einwand, es stelle einen zusätzlichen, mit einem erheblichen Arbeitsaufwand der Vergabestelle verbundenen Prüfungsschritt dar, zunächst zu prüfen, ob es sich inhaltlich um ein Haupt- oder Nebenangebot handelt, greift im Streitfall im Ausgangpunkt nicht ein. Hinsichtlich des so deklarierten Nebenangebots 1 war unschwer allein durch Blick in das Angebot festzustellen, dass die Antragstellerin die Leistung entsprechend dem Leistungsverzeichnis anbot. Insoweit bedurfte es keiner aufwändigen Untersuchung durch die Antragsgegnerin, um festzustellen, dass die Antragstellerin das Angebot unrichtig bezeichnet hatte. Aber auch im Hinblick auf andere denkbare Konstellationen vermag die Kritik, es würden überzogene Prüfungspflichten zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers statuiert, nicht zu überzeugen: Das Problem der Falschbezeichnung eines Hauptangebots als Nebenangebot tritt nur in Vergabeverfahren auf, in denen der Auftraggeber Nebenangebote zugelassen hat. In diesem Fall ist er aber ohnehin gehalten, diese zu öffnen und zu überprüfen. Dabei ergibt sich ohne weiteres, ob der Gegenstand des so bezeichneten Nebenangebots von der Leistungsbeschreibung abweicht, denn insoweit kommt es ausschließlich auf die Darlegung des Bieters in seinem Angebot an. Nur wenn er eine andere als vom Auftraggeber nachgefragte Leistung anbieten will, handelt es sich um ein Nebenangebot. Bewegt sich das Angebot tatsächlich im Rahmen der Leistungsbeschreibung, liegt ein Hauptangebot vor.
40Entgegen den Ausführungen der Vergabekammer ist im Hinblick auf das so bezeichnete Nebenangebot 2 die Einordnung als Haupt- oder Nebenangebot somit nicht davon abhängig, ob der angebotene Klinker mit dem ausgeschriebenen Leitfabrikat gleichwertig ist. Bietet ein Bieter andere als Leitfabrikate an, handelt es sich nicht um Varianten im Sinne des Art. 24 VKR (vgl. auch § 25 Nr. 4 VOB/A; übersehen von VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.08.2009 – 1 VK 37/09); diese sind durch § 9 Nr. 10 S. 2 VOB/A (= Art. 23 Abs. 8 S. 2 VKR) ohne Weiteres ausdrücklich zugelassen. Ein Ausschluss als nicht zugelassenes Nebenangebot wäre unzulässig (vgl. auch EuGH RIW 1990, 152).
41Vielmehr liegt ein Hauptangebot vor, wenn der Bieter erkennbar ein gleichwertiges Produkt anbieten will, d.h. wenn im Angebot die Gleichwertigkeit des angebotenen mit dem Leitfabrikat behauptet wird. In diesem Fall weicht das Angebot nicht von der Leistungsbeschreibung ab, die das Angebot eines gleichwertigen Produkts ausdrücklich vorsieht. So wie ein ausdrücklich als solches bezeichnetes Hauptangebot nicht dadurch zum Nebenangebot wird, dass sachlich keine Gleichwertigkeit des angebotenen Produkts mit dem – zulässigerweise - ausgeschriebenen Leifabrikat vorliegt, so hängt die rechtliche Einordnung des Angebots nicht davon ab, ob die inhaltliche Anforderung der Gleichwertigkeit zum Leitfabrikat tatsächlich eingehalten wird. Maßgeblich ist nur, dass die Leistung ausweislich der Darlegung im Angebot den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses entspricht.
42Davon ist im Streitfall auszugehen, obwohl die Antragstellerin in dem so bezeichneten Nebenangebot 2 die Gleichwertigkeit des angebotenen mit dem ausgeschriebenen Klinker nicht ausdrücklich behauptet: Indem der Einsatz eines Klinkers "in Anlehnung an das ausgeschriebene Leitfabrikat" angeboten wird, nimmt die Antragstellerin aber auf die Eigenschaften des Leitfabrikats Bezug und bringt zum Ausdruck, dass ein qualitativer Unterschied nicht besteht.
43Ob diese Darlegung zutreffend ist, ist ebenso wie bei Hauptangeboten, mit denen vom Leifabrikat abweichende Produkte angeboten werden, Gegenstand der technischen Angebotsprüfung und nicht auf einer vorgelagerten Prüfungsebene zu untersuchen.
44dd) Der Einbeziehung der Angebote in die Wertung steht auch § 21 Nr. 3 S. 2 VOB/A nicht entgegen, wonach "Nebenangebote … auf besonderer Anlage gemacht und als solche deutlich gekennzeichnet werden" müssen. Auch wenn man diese Vorschrift auf die hier vorliegende umgekehrte Fallgestaltung – fehlende Bezeichnung als Hauptangebot - übertragen würde, ist dies bereits deshalb unerheblich, weil ein Verstoß nicht zu einem Ausschluss des Nebenangebots führt; diese Rechtsfolge ist weder in § 25 Nr. 1 noch in § 25 Nr. 5 VOB/A – anders als bei einem Verstoß gegen § 21 Nr. 4 VOB/A (dazu BGH, Urteil vom 20.01.2009 – X ZR 113/07) vorgesehen (vgl. Kratzenberg, in Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Aufl., § 25 Rdrn. 91; Dähne, in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 2. Aufl., § 25 VOB/A Rdnr. 98; Prieß, in Motzke/Pritzker/Prieß, VOB, § 21 VOB/A Rdnr. 54; Rusam, in Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Aufl., § 25 VOB/A Rdnrn. 101, 124.
45Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass, soweit die – im Streitfall noch nicht anwendbare – Vorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) VOB/A 2009 im Unterschied dazu als Ausschlusstatbestand gestaltet ist, gegen eine Ausweitung des Ausschlussgebots durch eine analoge Anwendung der Norm auf die umgekehrte Fallgestaltung der fälschlichen Bezeichnung eines Hauptangebots als Nebenangebot erhebliche Bedenken bestehen, weil dadurch zu Lasten des Bieters zusätzliche, in der VOB/A nicht ausdrücklich vorgesehene Ausschlussgründe geschaffen würden.
46Die Bezeichnung als "Nebenangebote" durch die Antragstellerin ist zudem im Hinblick auf die zitierte Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg sowie die unklare Behandlung mehrerer Hauptangebote (s. dazu nachfolgend unter b) vertretbar gewesen.
47b) Die inhaltlich als Hauptangebote zu behandelnden Angebote sind nicht deshalb – ganz oder teilweise – auszuschließen, weil ein Bieter nur ein einziges – nicht aber mehrere – Hauptangebote zu einem Ausschreibungsgegenstand einreichen könnte.
48Die Vergabekammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin nicht gehindert war, mehrere Hauptangebote zu platzieren (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.3.2010, VII-Verg 61/09).
49Die Behandlung "weiterer" Hauptangebote ist in der Literatur und Rechtsprechung bisher noch weitgehend ungeklärt. Die von Rusam (a.a.O., § 25 VOB/A Rdnrn. 149 ff.; Leinemann/Kirch, VergabeNews 2008, 134) vorgebrachten Bedenken beziehen sich auf die Abgabe zweier technisch identischer Angebote zu unterschiedlichen Preisen. Rusam (a.a.O.) nimmt den Fall technisch unterschiedlicher Angebote ausdrücklich von seinen Betrachtungen aus. Der Senat hat keine Bedenken, mehrere Hauptangebote eines Bieters, die sich – wie im Streitfall - in technischer Hinsicht unterscheiden, zuzulassen:
50Zunächst einmal kann für die Abgabe mehrerer Hauptangebote mit unterschiedlichen technischen Lösungen ein Bedürfnis bestehen (so auch Leinemann/Kirch, a.a.O.). Der Bieter kann aus vertretbaren Gründen im Unklaren darüber sein, ob die von ihm angebotene Leistung vom Auftraggeber als "gleichwertig" im Sinne der § 9 Nr. 7, Nr. 8, Nr. 10 S. 2, § 21 Nr. 2 VOB/A angesehen werden wird. Bedenken können auch nicht aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz (vgl. EuGH, Urteil vom 23.12.2009 – C-376/08) hergeleitet werden. Der Inhalt des jeweiligen Angebots ist klar. Der Auftraggeber ist gehalten, die unterschiedlichen Angebote – wie auch die unterschiedlichen Angebote unterschiedlicher Bieter – anhand der Ausschluss- und Zuschlagskriterien zu bewerten. Gegen die Einreichung von Nebenangeboten (sofern sie zugelassen und zulässig sind) werden unter diesem Gesichtspunkt auch keine Bedenken erhoben, obwohl auch in einer derartigen Fallgestaltung vom Auftraggeber – u.a. – aus mehreren Angeboten desselben Bieters eine Auswahl zu treffen ist. Ist der Preis – wie hier – das einzige Zuschlagskriterium, hat der Auftraggeber das billigste (unter den nicht aus sonstigen Gründen auszuschließenden) Angeboten auszuwählen.
51Auch die von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung thematisierte Manipulationsmöglichkeit der Bieter rechtfertigt eine andere Bewertung nicht. Dass Bieter unter der Geltung der Verdingungsordnungen 2009 nach Submission in Kenntnis der Angebote der Mitbewerber eines von mehreren Angeboten gezielt im Wettbewerb belassen und die anderen Angebote aus dem Wettbewerb nehmen können, indem sie die Aufforderung des Auftraggebers, bislang fehlende Unterlagen nachzureichen (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A und § 16 Abs. 2 VOL/A) nur hinsichtlich des von ihnen bevorzugten Angebots erfüllen, ergibt sich als Konsequenz aus der vom Verordnungsgeber gewollten Nachforderungspflicht und hängt nicht in erster Linie von der Zulassung mehrerer Hauptangebote ab. Vielmehr besteht diese Manipulationsmöglichkeit genauso bei der Einreichung eines Hauptangebots und mehrerer Nebenangebote.
522.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 120 Abs. 2 i.V.m. § 78 GWB, die Streitwertfestsetzung auf § 50 Abs. 2 GKG.
54S. F. R.
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