Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 14/11
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Detmold vom 17. Januar 2011 (VK 3-10/10) teilweise aufgehoben.
Eine Erstattung der notwendigen Aufwendungen der Verfahrensbeteiligten findet nicht statt. Nr. 4 des angefochtenen Beschlusses ist damit gegenstandslos.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin trägt die Antragsgegnerin.
Der Beschwerdewert wird auf bis 300 € festgesetzt.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Antragsgegnerin beabsichtigte die Sanierung und Erweiterung ihrer Feuer- und Rettungswache in W.. Zu diesem Zweck schrieb sie im November 2010 im Supplement zum EU-Amtsblatt die Objektplanung, die Tragwerksplanung und die Technische Gebäudeausrüstung aus, und zwar jede Leistung in gesonderten Bekanntmachungen. Als Verfahren war – soweit es die streitgegenständliche Tragwerksplanung betrifft - das Verhandlungsverfahren vorgesehen. Weiter hieß es unter IV.1.2):
4Geplante Zahl der Wirtschaftsteilnehmer 3 Objektive Kriterien für die Auswahl der begrenzten Zahl von Bewerbern: Anzahl und Qualität der mit den ausgeschriebenen Leistungen vergleichbaren Referenzprojekte; Anzahl Führungspersonal und Fachkräfte
5Unter "VI.4. Nachprüfungsverfahren/Rechtsbehelfsverfahren" war bei 1. (Zuständige Stelle für Nachprüfungsverfahren) die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster nebst weiteren Einzelheiten angegeben.
6Der Auftragswert war auf etwa 90.000 € geschätzt worden.
7Vor Ablauf der Bewerbungsfrist entschied sich die Antragsgegnerin dazu, die beiden Kriterien für die Auswahl der Bewerber mit 40 %/60 % zu gewichten, was den Bewerbern nicht bekannt gegeben worden ist. Insgesamt gingen 17 Bewerbungen, darunter die der Antragstellerin, ein. Nach Auswertung kam die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis, dass die Bewerbung der Antragstellerin nicht zu den 3 besten gehöre und teilte ihr dies in einem Schreiben nach § 101a GWB mit, wobei sich auf die Anzahl und Qualität der Referenzprojekte Bezug nahm; letzteres widerholte sie in einem weiteren Schreiben. Nach Rüge teilte die Antragsgegnerin mit, es bleibe dabei, dass nach den bekannt gegebenen Auswahlkriterien der Teilnahmeantrag der Antragstellerin nicht zu den 3 besten gehöre. Allerdings sei er – wie sich bei einer Überprüfung ergeben habe – beim Kriterium "Anzahl und Qualität der Referenzen" positiv bewertet worden, während er beim Kriterium "Anzahl Führungspersonal und Fachkräfte" schwächer bewertet worden sei.
8Daraufhin hat die Antragstellerin – unter Beifügung bestimmter Anlagen – einen Nachprüfungsantrag eingereicht und geltend gemacht, angesichts der vorgelegten Referenzen sei ihr Ausschluss nicht gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin hat geltend gemacht, ein Nachprüfungsantrag sei wegen Nichterreichung des Schwellenwertes unzulässig, es sei lediglich auf die konkret ausgeschriebenen Leistungen abzustellen, des Weiteren mangele es an den für einen Nachprüfungsantrag notwendigen Angaben. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag unbegründet. Die Antragsgegnerin habe die eingegangenen Teilnahmeanträge anhand der bekannt gegebenen Kriterien ordnungsgemäß bewertet, zu einer Bekanntgabe auch der Gewichtung sei die Vergabestelle nicht verpflichtet gewesen.
9Nach Hinweis der Vergabekammer auf die Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages hat die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag zurückgenommen. Daraufhin hat die Vergabekammer das Nachprüfungsverfahren für erledigt erklärt (Nr. 1), der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin auferlegt (Nr. 2), die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig erklärt (Nr. 3) sowie die Gebühr auf 250,00 € festgesetzt.
10Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hat darauf verwiesen, sie sei durch die – wie sich nachträglich herausgestellt habe – unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung zu der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens veranlasst worden. Ihr könnten daher die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin nicht auferlegt werden, auch sei die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin nicht notwendig gewesen. Sie beantragt daher,
11die Kostenregelungen unter Nrn. 2 und 3 des Beschlusses vom 17. Januar 2011 aufzuheben und die Kostentragungspflicht der Antragstellerin auf die unter Nr. 4 festgesetzte Gerichtsgebühr von 250,00 € zu beschränken.
12Die Antragsgegnerin hat keine Stellung genommen.
13II.
14Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
151.
16Die Beschwerde will ausweislich ihrer Begründung lediglich erreichen, dass der Antragstellerin keine Aufwendungen der Antragsgegnerin, insbesondere der für einen Verfahrensbevollmächtigten, auferlegt werden. Sie zielt demgegenüber nicht auch darauf ab, ihre eigenen Aufwendungen vor der Vergabekammer (die aber mangels Vertretung durch einen Verfahrensbevollmächtigten gering sein dürften) oder die Gebühren der Vergabekammer der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Das kommt auch im Tenor der Beschwerde zum Ausdruck, schließlich hat die Antragstellerin diesem Verständnis auch auf Anfrage des Senats nicht widersprochen.
172.
18Entgegen der Auffassung der Vergabekammer können die notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin nicht der Antragstellerin auferlegt werden.
19a) Nach § 128 Abs. 3 S. 3 GWB können Kosten, die durch das Verschulden eines Verfahrensbeteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Nach § 128 Abs. 3 S. 5 GWB entscheidet die Vergabekammer nach Rücknahme des Nachprüfungsantrages oder sonstiger Erledigung des Nachprüfungsverfahrens über die Kostentragung nach billigem Ermessen. Entgegen dem scheinbar keine Ausnahme duldenden Wortlaut des § 128 Abs. 4 S. 3 GWB gelten die Grundsätze des § 128 Abs. 3 S. 3 und 5 GWB nicht nur für die Kosten der Vergabekammer, sondern auch für die notwendigen Aufwendungen der Verfahrensbeteiligten (Senat, Beschlüsse vom 29.09.2010 – VII-Verg 15/10 und VII-Verg 20/10; Beschluss vom 28.01.2011 – VII-Verg 62/10).
20Dies bedeutet, dass die Vergabekammer dann, wenn die Rücknahme des Nachprüfungsantrages erkennbar auf nachträgliche Entscheidungen der Vergabestelle (Abhilfeentscheidung, Aufhebung des Vergabeverfahrens) oder auf unzureichende oder unrichtige Mitteilungen der Vergabestelle zurückzuführen ist, über die Kosten der Vergabekammer und die notwendigen Aufwendungen der Verfahrensbeteiligten nach den Maßstäben des § 128 Abs. 3 S. 3, 5 GWB zu entscheiden hat.
21b) Die Antragstellerin ist zur Einreichung eines Nachprüfungsantrages dadurch veranlasst worden, dass die Antragsgegnerin in der Vergabebekanntmachung als Rechtsbehelf die Einreichung eines Nachprüfungsantrages bei der – konkret bezeichneten – Vergabekammer angegeben hat. Den Eindruck, es sei ein Nachprüfungsverfahren möglich, hat die Antragsgegnerin noch dadurch verstärkt, dass sie eine – ausdrücklich als solche bezeichnete – Information nach § 101a GWB versendet hat.
22Dies war unrichtig. Der Schwellenwert des § 100 Abs. 1 GWB war nämlich nicht erreicht. Das gilt jedenfalls dann, wenn man mit der herrschenden Praxis den Wert mehrerer auf dasselbe Objekt bezogener, aber nicht gleichartiger freiberuflicher Leistungen nicht zusammenrechnet (was angesichts des Wortlauts des Art. 9 Abs. 5 lit. a) der Richtlinie 2004/18/EG sowie – anders als in Abs. 5 lit. b) – dem Fehlen einer Beschränkung der Zusammenrechnung auf gleichartige Leistungen nicht ganz zweifelsfrei ist).
23Nach Information über die Nichterreichung des Schwellenwertes hat die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag sofort zurückgenommen.
24c) Es braucht letztlich nicht entschieden zu werden, bei welchen Fallgestaltungen dies auch dann gilt, wenn der Nachprüfungsantrag aus anderen Gründen erfolglos geblieben wäre (vgl. für eine besondere Fallkonstellation Senats, Beschluss vom 28.09.2010 – VII-Verg 15/10). Selbst wenn Anlass für eine Überprüfung der Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags im Übrigen besteht, darf sich die Vergabekammer – wie allgemein nach erledigten Verfahren - bei der Entscheidung aber mit den ihr bereits vorliegenden Informationen begnügen. Sie braucht keine Nachfragen vorzunehmen oder gar in eine Beweisaufnahme einzutreten. Auch braucht sie schwierige Rechtsfragen nicht zu beantworten, sondern sie lediglich summarisch zu prüfen.
25Der Nachprüfungsantrag kann nicht aus anderen Gründen als von vornherein derart aussichtslos angesehen werden, dass ungeachtet der Erwägungen unter b) eine Auferlegung der notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin auf die Antragstellerin gerechtfertigt gewesen wäre. Der Nachprüfungsantrag war zulässig. Aus den dem Antragsschreiben beigefügten Unterlagen ergaben sich die Vergabestelle sowie das betroffene Vergabeverfahren. Angesichts der knappen Auskünfte der Antragsgegnerin brauchte die Antragstellerin keine konkreteren Rügen anzubringen. Abgesehen davon, dass der Wechsel in der Begründung der Antragsgegnerin für ihre Bewertung des Teilnahmeantrages der Antragstellerin (zunächst: weniger Referenzen, dann: weniger Personal) Anlass für eine nähere Überprüfung gewesen wäre, hätte geprüft werden müssen, ob die Entscheidung der Antragsgegnerin, die nähere Wertung (Gewichtung der beiden Kriterien, Bepunktung) den Bewerbern nicht bekannt zu geben, mit § 10 Abs. 2 VOF/Art. 44 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG vereinbar ist. Soweit die Antragsgegnerin dabei auf den Beschluss des OLG München vom 11.06.2007 (Verg 6/07) verweist, sind dessen Ausführungen erkennbar davon geprägt, dass nach der früheren Rechtsprechung des OLG München eine nachträglich erstellte Bewertungsuntermatrix hinsichtlich der Zuschlagskriterien nicht bekannt gegeben zu werden brauchte. Diese Rechtsprechung hat das OLG München inzwischen aber im Anschluss an die gegenteilige Rechtsprechung des EuGH weitgehend aufgegeben (vgl. Vavra, in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl., § 19 EG Rdnrn. 261 ff.). Ob diese neuere Rechtsprechung auch auf Art. 44 Abs. 3 der Richtlinie zu übertragen ist, hätte in einem Nachprüfungsverfahren näher erörtert werden müssen. Diese Frage kann jedenfalls nicht ohne Weiteres zu Lasten der Antragstellerin beantwortet werden, rechtfertigt vielmehr jedenfalls eine "Kostenaufhebung".
26III.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 120 Abs. 2 i.V.m. § 78 GWB.
28Bei der Streitwertberechnung hat der Senat die Kosten berücksichtigt, die die Antragsgegnerin aufgrund der angefochtenen Entscheidung von der Antragstellerin zu erstatten gewesen wären.
29Schüttpelz Frister Rubel
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.