Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 40/11
Tenor
Der Antrag der Antragstellerin, das durch die Übermittlung ihres Nachprüfungs-antrages (VK 3-38/11 Bundeskartellamt) eingetretene Verbot des Zuschlags wieder herzustellen, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Beschwerdegericht einschließlich der not-wendigen Aufwendungen der Antragsgegnerinnen trägt die Antragstellerin.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Antragsgegnerinnen schrieben im Oktober 2010 im Supplement zum EU-Amtsblatt ein Offenes Verfahren zum Abschluss von Rabattvereinbarungen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V für den Zeitraum vom 01. Juni 2010 bis zum 31. Mai 2013 über insgesamt 87 Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen (jeweils aufgeteilt in 7 Gebietslose) aus.
4Die ausgeschriebenen Pharma-Rabattverträge waren in Bezug auf eine Vielzahl von Wirkstoffen bereits Gegenstand mehrerer Nachprüfungsverfahren gewesen, die insbesondere die Problematik der Bewertung von Rabattstaffeln sowie die Unsicherheiten durch die Änderungen der Packungsgrößenverordnung betrafen. Zuletzt hat die 3. Vergabekammer des Bundes mit Beschlüssen vom 01. Februar 2011 den Antragsgegnerinnen aufgegeben, den Bietern unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut Gelegenheit zur Angebotsabgabe zu geben. Die antragstellende Bietergemeinschaft hatte sich bereits zuvor mit Angeboten an dem Vergabeverfahren beteiligt.
5Die Antragsgegnerinnen haben in Umsetzung dieser Beschlüsse die Bewerbungsbedingungen entsprechend der Rechtsauffassung der Vergabekammer abgeändert und den Bietern mit Schreiben vom 09. Februar 2011 sowie mit europaweiter Bekanntmachung vom 12. Februar 2011 Gelegenheit zur erneuten Angebotsabgabe bis zum 10. März 2011 gegeben, soweit mangels Streitbefangenheit nicht bereits Zuschläge erteilt worden waren.
6In den Bewerbungsbedingungen hieß es unter A.III.6. u.a. (Hervorhebungen im Original):
76.2 Für das Angebot sind zwingend die vom Auftraggeber übersandten bzw. im Internet zur Verfügung gestellten Vordrucke und Dateien zu verwenden. Das Angebot ist, soweit nach diesen Bewerbungsbedingungen nicht ausnahmsweise die ausschließliche Einreichung in schriftlicher Form (auf Papier) ausdrücklich vorgesehen, hinsichtlich aller seiner Bestandteile nach Maßgabe der "Hinweise zur Angebotserstellung und zur qualifizierten elektronischen Signatur (Anlage 5) ausschließlich in elektronischer Form (als .pdf-Datei/en, soweit nicht anders angegeben) auf einer handelsüblichen CD-ROM oder DVD einzureichen. … Eine elektronische Übermittlung des Angebots im Sinne der §§ 13 Abs. 3, 16 Abs. 2 Satz 3 VOL//A-EG ist nicht zugelassen.
8Das Angebot muss mindestens aus folgenden Unterlagen bestehen:
9- Angebotsformblatt (Anlage 4) für jedes Gebietslos, auf das geboten wird,
- Eignungsnachweise ...
- pro Gebietslos, auf das geboten wird, 4 Exemplare des unterschriebenen Rabattvertrages in schriftlicher Form (auf Papier) (Anlage 1),
- pro Fach- und Gebietsloskombination, auf die geboten wird, 2 jeweils unterschriebene und gestempelte Ausdrucke aus dem Produkt- und Rabattblatt (Anlage 1 zum Rabattvertrag) in schriftlicher Form (auf Papier) (jeweils Anlage 1 zum Rabattvertrag),
- …
Im Fall des Angebots einer Bietergemeinschaft muss das Angebot zusätzlich folgende Bestandteile enthalten:
11- eine Bietergemeinschaftserklärung (Anlage 9)
- …
6.3 Diejenigen Angebotsunterlagen, die in elektronischer Form als .pdf-Datei auf CD-ROM/DVD einzureichen sind, sind – soweit auf Vordrucken und Formularen vorgesehen – mit einer qualifizierten elek-tronischen Signatur im Sinne des § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes (SigG) des Bieters zu versehen. Auf Anlage 5 wird nochmals verwiesen.
13…
146.5 Die Angebotsunterlagen einschließlich Datenträger (CD/ROM oder DVD) sind in einem verschlossenen Umschlag oder per Post einzureichen. Dieser Umschlag ist mit dem Namen und der Anschrift des Bieters und mit folgender Aufschrift zu versehen ….
156.6 Das Angebot muss in der vorstehend beschriebenen Form vollständig vor Ablauf der Angebotsfrist per Post oder per Boten eingehen bei ….
16Auf elektronischem oder anderem Wege übermittelte Angebote, insbesondere solche per Telefax oder per E-Mail, sind nicht zugelassen und werden ausgeschlossen.
17…
186.9 Angebote, die bereits im Zeitraum vom 13. Oktober 2010 bis zum 22. November 2010 abgegeben wurden, werden mit der Änderung der Vergabeunterlagen gegenstandslos und können nicht Grundlage einer Zuschlagserteilung der AOKs sein. Bieter, die sich auf der Grundlage der geänderten Vergabeunterlagen an der Ausschreibung beteiligen möchten, müssen ein neues Angebot abgeben.
19Es gelten allerdings folgende Erleichterungen:
20Bieter, die bereits im Zeitraum vom 13. Oktober 2010 bis zum 22. November 2010 ein Angebot abgegeben haben, können auf die Bestandteile dieses Angebotes, insbesondere auf Erklärungen und Eignungsnachweise, Bezug nehmen und diese zum Gegenstand auch ihres neuen Angebotes machen. Hierzu sind im Angebotsformblatt nähere Angaben zu machen. Soweit ein Bieter auf Bestandteile eines bereits abgegebenen Angebotes Bezug nimmt, müssen diese Bestandteile nicht erneut eingereicht werden. Die Möglichkeit der Bezugnahme besteht allerdings nicht für die erforderlichen Ausfertigungen des Rabattvertrages, für die Anlage 1 zum Rabattvertrag (Produkt- und Rabattblatt in Papierform sowie als Excel-Datei) und das Angebotsformblatt, die in jedem Fall erneut einzureichen sind.
21…
22In Anlage 5 (Hinweise zur Angebotserstellung und zur qualifizierten elektronischen Signatur) waren umfangreiche Hinweise zur qualifizierten elektronischen Signatur enthalten. Ihr waren der in tabellarischer Form aufbereitete Anhang "Übersicht über die zwingend erforderlichen Bestandteile eines Angebots (zugleich Liste gemäß § 9 Abs. 4 VOL/A-EG)" beigefügt, in der nochmals alle Angebotsdokumente aufgelistet sowie deren geforderte Form (insbesondere Schriftform auf Papier, elektronische Form pdf-Datei auf CD-ROM/DVD) und die geforderte Unterschrift/Signatur in einer separaten Rubrik angegeben wurden. In Bezug auf die Anlagen 4, 7 und 9 zu den Bewerbungsbedingungen ist die "elektronische Form (pdf-Datei auf CD-ROM/DVD)" sowie die "qualifizierte elektronische Signatur" vermerkt; bezüglich Anlage 9 (Bietergemeinschaftserklärung) ist zusätzlich vermerkt, dass die qualifizierte elektronische Signatur jedes Bietergemeinschaftsmitglieds verlangt ist. Derartige Vermerke befanden sich zudem am Ende jeder genannten Anlage.
23Die Antragstellerin reichte fristgerecht ein Angebot ein, dem die Anlage 4 der Bewerbungsbedingungen jeweils einzeln für jedes Gebietslos als pdf-Datei auf einem Datenträger beigefügt waren. Diese Dateien enthielten fortgeschrittene elektronische Signaturen zweier vertretungsberechtigter Personen des federführenden Mitglieds der Bietergemeinschaft, wobei diese Signaturen jedoch nicht auf einem qualifizierten Zertifikat i.S.v. § 2 Nr. 3 lit. a), Nr. 7 SigG beruhten. Die Bietergemeinschaftserklärung (Anlage 9) war durch das nicht vertretungsberechtigte Mitglied A… mit einer qualifizierten Signatur versehen, durch die B… GmbH als dem vertretungsberechtigten Mitglied mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur.
24Dies hielten die Antragsgegnerinnen in den Auswertungsbögen vom 11. und 17. März 2011 fest. Im Auswertungsbogen vom 18. März 2011 wurde ausgeführt, diese Erklärungen seien nicht nachforderungsfähig, zudem wurde unter Bezugnahme auf den Vergabevermerk festgestellt, die Antragsgegnerinnen hätten von ihrem nach § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A-EG bestehenden Ermessen dahin Gebrauch gemacht, generell auf die Nachforderung zu verzichten. Im Vergabevermerk (Teil G, dort S. 6 f.) wurde als Grund für den vollständigen Nachforderungsverzicht angeführt, dass alle unvollständigen Angebote aus Wirtschaftlichkeitsgründen ohnehin nicht für den Zuschlag in Betracht gekommen seien. Die Angebote mit fehlender qualifizierter elektronischer Signatur, die teilweise die wirtschaftlichsten seien, seien nach § 19 Abs. 3 lit. b) VOL/A-EG zwingend auszuschließen, da jeweils auch das Angebotsformblatt nicht ordnungsgemäß signiert gewesen sei, so dass § 19 Abs. 2 VOL/A-EG ohnehin nicht anwendbar sei. Hilfsweise hätten die Antragsgegnerinnen die Nachforderung aus Gleichbehandlungsgründen (keine Aufweichung der vorab für alle Bieter festgelegten Ausschreibungsregeln für zentrale Angebotsbestandteile) und aufgrund der Erheblichkeit des Mangels (elektronische Signatur als wesentliche Formvorschrift für die Teilnahme an der Ausschreibung und den Abschluss der ausgeschriebenen Verträge, § 56 SGB X i.V.m. § 36 a Abs. 2 S. 1, 2 SGB I) auch dann ausgeschlossen, wenn eine Nachforderung theoretisch möglich gewesen wäre.
25Die Antragsgegnerin zu 1. als Vertreterin der Antragsgegnerinnen informierte die Antragstellerin mit Schreiben nach § 101 a GWB vom 29. März 2011, dass ihr Angebot nicht für den Zuschlag in Betracht komme, da es nach § 19 Abs. 3 lit. b) VOL/A-EG auszuschließen sei. Die neu eingereichten Angebotsbestandteile seien nur mit einer fortgeschrittenen Signatur versehen. Diese Entscheidung rügte die Antragstellerin über ihren Verfahrensbevollmächtigten am 31. März 2011. Mit Schreiben vom 4. April 2011 teilten die Antragsgegnerinnen mit, der Rüge nicht abzuhelfen, woraufhin die Antragstellerin am 07. April 2011 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes stellte.
26Die Antragstellerin hat geltend gemacht:
27Die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes des § 19 Abs. 3 lit. b) VOL/A-EG, der tatbestandsmäßig an die gesetzlichen Formanforderungen des § 16 Abs. 1 VOL/A-EG geknüpft sei, lägen nicht vor. § 16 Abs. 1 VOL/A-EG gebe in Abhängigkeit vom Übermittlungsweg vor, welchen Formanforderungen die Angebote genügen müssten. Vorliegend habe keine gesetzliche Pflicht zur elektronischen Signatur nach § 16 Abs. 1 VOL/A-EG bestanden, da weder das Angebot insgesamt noch einzelne seiner Bestandteile elektronisch zu übermitteln gewesen seien. Eine elektronische Übermittlung sei nach den Bewerbungsbedingungen gerade ausgeschlossen gewesen, das Angebot habe als Ganzes physisch per Post bzw. per Boten übermittelt werden müssen. Damit gälten zwangsläufig die Formanforderungen von § 16 Abs. 1 S. 2 HS. 1 VOL/A-EG, wonach auf dem Postweg oder direkt übermittelte Angebote unterschrieben sein müssten. Das Angebot der Antragstellerin sei rechtsverbindlich, weil die Rabattverträge nebst Anlagen von einem vertretungsberechtigten Mitarbeiter der Antragstellerin unterschrieben gewesen seien. Die Antragsgegnerinnen gingen mit ihrer Ausschlussentscheidung fälschlich davon aus, dass das Angebot bzw. einzelne seiner Bestandteile elektronisch übermittelt worden seien. Die postalische Übersendung einer CD-ROM stelle aber keine elektronische Übermittlung dar; hierunter fielen nur Übertragungen über Kabel, Funk, mit optischen oder anderen elektromagnetischen Verfahren. Der Wortlaut von § 16 Abs. 1 S. 1 VOL/A-EG mache im Gegensatz zu § 13 Abs. 1 VOL/A-EG, der eine Kombination von Kommunikationsmitteln zulasse, deutlich, dass es nach der gesetzlichen Regelung zur Übermittlung von Angeboten nur eine Form der Einreichung/Übermittlung und damit nur ein formales Anforderungsprogramm gäbe. Auch aus § 36 a SGB I folge kein gesetzliches Erfordernis, das Angebot elektronisch zu signieren.
28Selbst wenn sich eine Pflicht zur elektronischen Signatur aus den genannten Formvorschriften herleiten ließe, so sei der Ausschlusstatbestand von § 19 Abs. 3 lit. b) VOL/A-EG nicht erfüllt, weil die Vorschrift nur greife, wenn überhaupt nicht elektronisch signiert worden sei. Dies sei hier nicht der Fall, weil die Antragstellerin die streitgegenständlichen Angebotsbestandteile fortgeschritten elektronisch signiert habe. Im Übrigen hätten die Antragsgegnerinnen bei Zweifeln am Bestehen einer gültigen (elektronischen) Unterschrift das Vorliegen einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht prüfen müssen. Denn alle Angebotsteile seien in ein und demselben verschlossenen Umschlag von der Antragstellerin einem Boten übergeben worden und der Antragsgegnerin zu 1. als Vertreterin der Antragsgegnerinnen ausgehändigt worden. Es habe keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Antragstellerin sich zwar an alle handschriftlich unterschriebenen Teile des Angebots, nicht jedoch an die elektronischen Teile habe binden wollen. Bei irgendwie gearteten Restzweifeln wären die Antragsgegnerinnen verpflichtet gewesen, eine entsprechende Nachfrage bei der Antragstellerin zu tätigen. Die Antragsgegnerinnen schafften einen neuen, über das Gesetz hinausgehenden Ausschlusstatbestand, indem sie bei Fehlen der qualifizierten Signatur das Vorliegen der Ausschlussvoraussetzungen annähmen. Diese Annahme stelle aber einen Verstoß gegen zwingendes europäisches Recht dar, da die Vorgabe von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 1999/93/EG auch nach Art. 42 Abs. 5 lit. b) der Richtlinie 2004/18/EG zu beachten sei.
29Ermessensfehlerhaft sei es zudem, dass die Antragsgegnerinnen sich von vornherein jede Möglichkeit abgesprochen hätten, die qualifizierte Signatur nachreichen zu lassen. § 19 Abs. 2 VOL/A-EG sei anwendbar, da auch Unterschriften und elektronische Signaturen als Nachweise im Sinn der Vorschrift anzusehen seien. Das danach gegebene Ermessen hätten die Antragsgegnerinnen fehlerhaft ausgeübt, indem sie von der falschen Voraussetzungen ausgegangen seien, dass das Angebot nichtig sei. Zudem sei eine Wettbewerbsrelevanz der qualifizierten Signatur nicht gegeben. Die Antragsgegnerinnen würden die ratio legis der Nachforderungsmöglichkeit unberücksichtigt lassen, wonach geringfügige formale Fehler nicht mehr den Angebotsausschluss zur Folge haben sollten. Der Ausschluss sei unverhältnismäßig, da unwirtschaftlich; auch komme der qualifizierten elektronischen Signatur kein Mehrwert zu.
30Ferner liege auch kein Ausschlussgrund gemäß § 19 Abs. 3 lit. e) VOL/A-EG wegen nicht formgerechten Einreichens des Angebots vor, denn die Antragstellerin habe sich an sämtliche Formvorgaben nach § 16 VOL/A-EG gehalten.
31Ihr Angebot sei daher in die vierte Wertungsstufe (Wirtschaftlichkeitsvergleich) einzubeziehen.
32Die Antragsgegnerinnen sind dem Nachprüfungsantrag entgegen getreten. Ihrer Ansicht nach ist der Ausschluss gerechtfertigt. Das Signaturerfordernis stelle nach § 16 Abs. 1 S. 1 VOL/A-EG eine Regelung der Form der Angebote dar, nicht der Übermittlung. Art. 42 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG, der auch die Angebote erfasse, erlaube die Kombination unterschiedlicher formaler Vorgaben. In diesem Fall müssten die vom Auftraggeber aufgestellten Anforderungen an die Angebotsabgabe nach § 16 Abs. 1 S. 1 VOL/A-EG für alle Bieter gleichermaßen gelten; auf Satz 2 der Vorschrift könne es dann nicht entscheidend ankommen. § 19 Abs. 3 lit. b) VOL/A-EG korrespondiere mit § 16 Abs. 1 VOL/A-EG. Die anderen Bieter hätten Anspruch auf Gleichbehandlung in Bezug auf die Befolgung der transparent gemachten Vorgaben.
33Der Verweis der Antragstellerin auf Abs. 2 von Art. 5 der Signatur-Richtlinie 1999/93/EG gehe fehl, da die Richtlinie 2004/18/EG den Abs. 1 von Art. 5 der Richtlinie 1999/93/EG in Bezug nehme. Die in Art. 5 Abs. 1 der Signaturrichtlinie genannten "fortgeschrittene(n) elektronische(n) Signaturen, die auf einem qualifizierten Zertifikat beruhen und die von einer sicheren Signaturerstellungseinheit erstellt werden", seien qua definitionem im deutschen Recht "qualifizierte elektronische Signaturen" im Sinne der Legaldefinition des § 2 Nr. 3 SigG.
34Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
35Über den Nachprüfungsantrag hat die Vergabekammer noch nicht entschieden.
36Mit Schriftsatz vom 12. April 2011 stellten die Antragsgegnerinnen einen Eilantrag auf Vorabgestattung des Zuschlags nach § 115 Abs. 2 GWB mit der Begründung, unter Berücksichtigung aller Interessen überwögen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile.
37Der Nachprüfungsantrag sei offensichtlich unbegründet, was die Vergabekammer ohne weitere Sachverhaltsaufklärung beurteilen könne. Die Tatsachen seien unstreitig, es seien lediglich einige wenige Rechtsfragen zu beantworten. Es bestehe zudem ein überragendes Interesse der Allgemeinheit, der Antragsgegnerinnen sowie der für den Zuschlag vorgesehenen Bieter an einer raschen Zuschlagserteilung. Das rechtzeitige In-Kraft-Treten der Rabattverträge zum 01. Juni 2011 setze aufgrund des Erfordernisses, die Rabattarzneimittel in die Apothekensoftware zu melden, um dadurch die vorrangige Abgabe von Rabattarzneimitteln nach § 129 Abs. 1 S. 3 SGB V überhaupt erst zu ermöglichen, zwingend einen Abschluss bis Anfang Mai voraus. Die tatsächliche Umsetzung der Rabattverträge bedürfe auch im Übrigen einer gewissen Vorlaufzeit; so müssten die Vertragspartner Vorkehrungen in Bezug auf ihre Eigen- oder Fremdproduktion treffen, um ihre Lieferfähigkeit und damit die Versorgung sicher stellen zu können. Auch die Information und Bevorratung von Apotheken und Großhandel sowie die Information der Ärzte sei erforderlich. Das rechtzeitige In-Kraft-Treten sei von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für die Solidargemeinschaft der AOK-Versicherten. Die in der Vergangenheit erzielten Einsparungen mit Rabattverträgen entfielen zum Großteil auf diejenigen Wirkstoffe, für die im Rahmen der gegenwärtigen Ausschreibung noch keine Zuschläge hätten erteilt werden können. Die erwarteten Einsparungen durch rechtzeitigen Abschluss der Rabattverträge lägen der Finanzplanung der Antragsgegnerinnen für das Haushaltsjahr 2011 zugrunde. Ein Fortbestand des Zuschlagsverbots könnte letztlich sogar die Erhebung von Zusatzbeiträgen von den Versicherten nötig machen. Neben den Einsparungsgesichtspunkten stünden auch Aspekte der Versorgungskontinuität der Versicherten auf dem Spiel. Ergänzend sei auch auf den besonderen Versorgungsauftrag (§ 69 Abs. 2 SGB V) hinzuweisen. Die Antragsgegnerinnen hätten die Ausschreibung rechtzeitig begonnen.
38Die Antragstellerin ist dem Antrag auf Gestattung des Zuschlags entgegen getreten. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine vorzeitige Gestattung des Zuschlags lägen nicht vor. Ihr, der Antragstellerin, Interesse sei in erster Linie auf den Erhalt des effektiven Primärrechtsschutzes gerichtet. Dieses Interesse werde hier dadurch verstärkt, dass sie bei sämtlichen Fach- und Gebietsloskombinationen in der Wirtschaftlichkeitswertung den ersten Rang erreicht habe. Die vorzeitige Gestattung des Zuschlags führe zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteilen, da faktisch für die Laufzeit des Rabattvertrags ein Verkaufsverbot in Apotheken bewirkt werde. Vorschnelle Zuschlagserteilungen seien selbst im Fall geringfügig verzögerter Zuschlagserteilungen für die Versichertengemeinschaft der Antragsgegnerinnen unwirtschaftlicher, weil mit geringeren Einsparungen verbunden.
39Die Interessen der Antragsgegnerinnen rechtfertigten demgegenüber keine vorzeitige Gestattung des Zuschlags. Die Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Nachprüfungsverfahrens sei im Rahmen des Zuschlagsgestattungsantrags gerade nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Zudem fehle es hier insbesondere nicht an den Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags. Die von den Antragsgegnerinnen herangezogene Verzögerung der Umsetzung der Rabattverträge aufgrund der zeitgebundenen, monatlich möglichen Meldungen zur Apothekensoftware sei nicht beachtlich. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerinnen selbst auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Verlängerungsoption im Rahmen der vorherigen Rabattverträge verzichtet hätten. Ferner sei die "Zeitnot" der Antragsgegnerinnen selbst verschuldet. Auch drohten keine Einsparverluste für die Allgemeinheit und die Solidargemeinschaft der Versicherte der Antragsgegnerinnen, weil höhere Einsparungen für die Versicherten gerade im Fall einer Zuschlagserteilung an die Antragstellerin erzielt werden könnten. Zum einen sei das Ausmaß des Verlusts erwarteter Einsparungen der Ag hinsichtlich der streitgegenständlichen Lose unsubstantiiert. Dass die Antragsgegnerinnen ihre prognostizierten Einsparungen bereits in den Haushaltsplan eingestellt hätten, liege ausschließlich in ihrem Risikobereich. Auch sei die Versorgungskontinuität der Versicherten nicht gefährdet. Der maßgebliche Zeitraum der Verzögerung könne allenfalls einige Wochen betragen. Zudem seien gewisse Unterbrechungen der "Versorgungskontinuität" von Anfang an seitens der Antragsgegnerinnen eingeplant, da beispielsweise Lieferausfälle der Rabattvertragspartner in den ersten Monaten der Vertragslaufzeit durchaus hingenommen würden.
40Die Vergabekammer hat den Antragsgegnerinnen mit Beschluss vom 21. April 2011 einen vorzeitigen Zuschlag gestattet. Besonders ins Gewicht falle, dass der Nachprüfungsantrag unbegründet sei. Die Anforderung der Antragsgegnerinnen, dass bestimmte Angebotsbestandteile auf CD-ROM/DVD in einer .pdf-Datei abzuspeichern und mit einer qualifizierten Signatur zu versehen seien, sei rechtmäßig, ein auf deren Nichteinhaltung gestützter Ausschluss nicht zu beanstanden. Die Vorschriften der §§ 16, 19 VOL/A-EG über die qualifizierte Signatur bezögen sich nicht nur auf den Übermittlungsweg, sondern auch auf die Form der Erklärung. Nach Art. 42 Abs. 5 lit. b) der Richtlinie 2004/18/EG könne eine qualifizierte Signatur gefordert werden. Da die Antragstellerin diese nicht verwendet habe, sei ihr Angebot nach § 19 Abs. 3 lit. b) VOL/A-EG, aber auch nach § 19 Abs. 3 lit. a) VOL/A-EG auszuschließen. § 19 Abs. 2 VOL/A-EG gelte nicht für den Fall fehlender Unterschrift bzw. ordnungsgemäßer Signatur, aber selbst bei einer grundsätzlichen Anwendbarkeit der Vorschrift sei die - hilfsweise vorgenommene – Ermessensausübung der Antragsgegnerinnen dahingehend, die fehlenden Angaben nicht nachzufordern, nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerinnen hätten insoweit alle Bieter gleich behandelt. Im Hinblick auf den notwendigen Vorlauf und das mit dem Abschluss eines Pharma-Rabattvertrages verbundene erhebliche Einsparpotential und der dadurch verbesserten Finanzierbarkeit des Systems der gesetzlichen Krankenkassen, welches ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut darstelle, gingen die Belange der Antragsgegnerinnen denen der Antragstellerin vor. Die Antragsgegnerinnen hätten das Vergabeverfahren zudem bereits im Oktober 2010 begonnen und mit dessen derart langer Zeitdauer nicht rechnen müssen.
41Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit einem Antrag nach § 115 Abs. 2 S. 5 GWB. Sie macht unter Ergänzung und Vertiefung ihres Vortrages vor der Vergabekammer weiterhin geltend, ihr Nachprüfungsantrag sei begründet, ihr Angebot sei zu Unrecht ausgeschlossen worden. Des Weiteren habe die Vergabekammer die Interessen der Antragstellerin und der Antragsgegnerinnen in unzutreffender Weise gegeneinander abgewogen. Der Primärrechtsschutz der Antragstellerin werde durch eine Zuschlagsgestattung vereitelt. Die Lage, auf die sich die Antragsgegnerinnen nunmehr beriefen, sei durch sie selbst dadurch verursacht worden, dass sie auf eine Verlängerung der – ursprünglich mit einer Verlängerungsoption versehenen – vorhergehenden und Ende Mai 2011 auslaufenden Rabattverträge verzichtet habe. Zudem sei die Verzögerung einer Vergabe auf Vergabefehler der Antragsgegnerinnen zurückzuführen. Höhere Einsparungen könnten durch eine Vergabe an die Antragstellerin erzielt werden. Die Versorgungskontinuität der Patienten werde durch eine verzögerte Vergabe nicht beeinträchtigt. Schließlich laufe die Meldefrist für die monatliche Meldung von Rabattverträgen ab Juni 2011 bereits am 03. Mai 2011 ab, während im Hinblick auf parallele Nachprüfungsverfahren und Verfahren auf Gestattung eines vorzeitigen Zuschlages ein Zuschlag ohnehin nicht vor diesem Tage erfolgen könne. Schließlich rügt sie die Verfahrensweise der Vergabekammer. Sie hätte eine nicht ohne eine vorherige mündliche Verhandlung über den Zuschlagsgestattungsbeschluss entscheiden können. Die Antragstellerin beantragt daher,
42das Verbot des Zuschlags nach § 115 Abs. 1 GWB betreffend das Nachprüfungsverfahren bei der 3. Vergabekammer des Bundes (VK 3-38/11) gemäß § 115 Abs. 2 S. 5 Hs. 1 GWB wiederherzustellen,
43den Zuschlagsgestattungsbeschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 21. April 2011 (VK 3-38/11) aufzuheben.
44Die Antragsgegnerinnen beantragen,
45den Antrag zurückzuweisen.
46Was das Verfahren der Vergabekammer betreffe, sei dessen Rechtmäßigkeit zum einen unerheblich, weil das Beschwerdegericht eine eigenständige Entscheidung treffen müsse. Zum anderen sei eine mündliche Verhandlung im Verfahren nach § 115 Abs. 2 GWB nicht vorgeschrieben.
47Die Auffassung der Vergabekammer, der Nachprüfungsantrag sei unbegründet, treffe aus den bereits von ihnen vor der Vergabekammer genannten Gründen zu. Im Übrigen sei die Antragstellerin mit ihren Rügen präkludiert; dass ihre, der Antragsgegnerinnen, Forderung, bestimmte Erklärungen seien als .pdf-Datei auf einer CD-ROM/DVD mit einer qualifizierten Signatur abzuspeichern, vergaberechtswidrig sei, hätte bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden müssen.
48Die bei einer Verschiebung des Zuschlages drohenden Zusatzausgaben seien erheblich. Die Differenz zwischen dem Angebot der Antragstellerin und dem des vorgesehenen Zuschlagsempfängers sei nicht so groß, dass selbst eine nur kurzfristige Verschiebung des Zuschlages und Bezuschlagung der Antragstellerin dies ausgleichen könne. Die Meldefrist für neue Rabattverträge zum Juni 2011 sei auf den 11. Mai 2011 verlängert worden.
49Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
50II.
51Der Antrag hat keinen Erfolg.
521.
53Über den Antrag der Antragstellerin, das durch die Übermittlung ihres Nachprüfungsantrages an die Antragsgegnerinnen eingetretene Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB ungeachtet des Beschlusses der Vergabekammer vom 21. April 2011 über die vorzeitige Zuschlagsgestattung wieder herzustellen (§ 115 Abs. 2 S. 5 GWB), kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 115 Abs. 2 S. 7 i.V.m. § 121 Abs. 3 S. 2 GWB).
542.
55Der Antrag auf Wiederherstellung des Zuschlagsverbot hat nicht bereits deshalb Erfolg, weil der Vergabekammer bei ihrer Beschlussfassung Fehler unterlaufen wären.
56Zum einen sind Fehler der Vergabekammer im Verfahren nach § 115 Abs. 2 S. 1 – 4 GWB für die Entscheidung des Beschwerdegerichts nach § 115 Abs. 2 S. 5 – 7 GWB nicht von Belang. Das Beschwerdegericht entscheidet unabhängig und selbständig von der Vergabekammer darüber, ob ein vorzeitiger Zuschlag zu gestatten ist oder nicht.
57Zum anderen hat die Vergabekammer entgegen der Auffassung der Antragstellerin das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten nicht verkürzt. Die Antragstellerin beanstandet insoweit lediglich, dass die Vergabekammer über die vorzeitige Zuschlagsgestattung ohne vorherige keine mündliche Verhandlung entschieden habe. Die Vorschrift des § 115 Abs. 2 S. 1 – 4 GWB sieht für ein derartiges Verfahren – im Gegensatz zum Hauptsacheverfahren (§ 112 Abs. 1 S. 1 GWB) – eine zwingende mündliche Verhandlung nicht vor. Dementsprechend ist die Literatur, der die Praxis gefolgt ist, einhellig der Auffassung, dass über den Antrag auf vorzeitige Gestattung des Zuschlages im schriftlichen Verfahren entschieden werden kann (Jaeger, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 115 Rdnr. 1166a; Summa, in juris-PK-Vergaberecht, § 115 Rdnr. 25; Reidt, in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl., § 115 Rdnr. 69). Es mag Fallgestaltungen geben, in denen eine sachgerechte Entscheidung allein unter Zugrundelegung der Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten und der Vergabeunterlagen nicht möglich ist. Eine derartige Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Der Streit der Verfahrensbeteiligten konzentrierte sich auf wenige ausdiskutierte Punkte. Weder das Grundgesetz noch die Rechtsmittelrichtlinie verlangen eine vorherige mündliche Verhandlung (vgl. EuGH NZBau 2011, 117).
583.
59Die Voraussetzungen für eine vorzeitige Gestattung des Zuschlages liegen vor.
60a) Die Entscheidungskriterien des § 115 Abs. 2 S. 1 – 4 GWB sind auch für das Beschwerdegericht maßgebend. Zwar gelten sie dem Wortlaut der Vorschrift zufolge nur für die Vergabekammer, während für das Beschwerdegericht ausdrückliche Entscheidungskriterien fehlen. Es ist jedoch unsinnig, wenn Vergabekammer und Beschwerdegericht unterschiedliche Entscheidungskriterien heranzögen. Des Weiteren sind die Kriterien, die vom Beschwerdegericht im Rahmen eines Verfahrens nach § 121 GWB zu beachten sind, - von § 115 Abs. 1 S. 4 GWB abgesehen - identisch.
61b) Da durch eine vorzeitige Gestattung des Zuschlages – und eine anschließende Zuschlagsentscheidung - der Primärrechtsschutz des Antragstellers im Vergabenachprüfungsverfahren zunichte gemacht wird, ist dabei Zurückhaltung angebracht. Die Interessen des Antragstellers können um so eher zurückgestellt werden, je genauer absehbar ist, dass sein Nachprüfungsantrag erfolglos bleiben wird. Wenn nicht der Auftraggeber besonders dringlich auf eine sofortige Beschaffung angewiesen ist, wird dies im Allgemeinen eine Überprüfung der Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrages notwendig machen. Soweit § 115 Abs. 2 S. 4 GWB der Vergabekammer die Möglichkeit einräumt, ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrages zu entscheiden, ist dies ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/10117) auf Fallkonstellationen begrenzt, in einen einerseits eine Klärung der Erfolgsaussichten noch Zeit in Anspruch nimmt und zum anderen der Auftraggeber besonders dringlich auf die Leistung angewiesen ist.
62Bei der Vergabe von Pharma-Rabattverträgen ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass einerseits der Aufschub mit erheblichen Zusatzausgaben der gesetzlichen Krankenkassen verbunden ist und das Bundesverfassungsgericht verschiedentlich der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung hohes Gewicht beigemessen hat und zum anderen die Auswirkungen für das nicht bezuschlagte Unternehmen erheblich sein können (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.02.2011 – L 5 KR 507/08 R).
63Im vorliegenden Fall steht das Kriterium der Erfolgsaussicht des Nachprüfungsantrages im Vordergrund. Die tatsächlichen Grundlagen sind unstreitig. Die maßgeblichen Fragen sind in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausdiskutiert, so dass der Ausgang des Nachprüfungsantrages prognostizierbar ist.
64c) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist voraussichtlich unbegründet.
65aa) Ob die Antragstellerin die Anforderung der Antragsgegnerinnen, bestimmte Erklärungen seien auf einer CD-ROM bzw. DVD als .pdf-Datei abzuspeichern und mit einer qualifizierten Signatur zu versehen, nach § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 3 GWB bereits bis zum Ablauf der Angebotsfrist hätte rügen müssen, kann offen bleiben.
66Hätten die Antragsgegnerinnen in den Vergabeunterlagen – wie die Antragstellerin geltend macht – unzulässige Formerfordernisse aufgestellt, stellte allerdings bereits dies einen Vergaberechtsverstoß dar, nicht erst der auf die Klausel gestützte Ausschluss des Angebots der Antragstellerin (vgl. Senatsbeschluss vom 27.10.2010 – VII-Verg 47/10). Auf die Frage, ob sich die Anforderung bereits damals überhaupt zu Lasten der Antragstellerin hätte auswirken können, kommt es nicht an (vgl. insoweit zutreffend OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.01.2010 – 15 Verg 1/10). Folge ist, dass ein – hier unterstellter – Vergaberechtsverstoß bereits in den Vergabeunterlagen begangen worden wäre und damit nach § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB grundsätzlich bis zum Ablauf der Angebotsfrist hätte gerügt werden müssen.
67Zweifelhaft kann allein sein, ob der nunmehr beanstandete Vergaberechtsverstoß für die Antragstellerin erkennbar war. Die Erkennbarkeit eines Verstoßes bezieht sich nicht nur auf die tatsächliche Grundlage des Verstoßes, sondern auch auf die Rechtswidrigkeit der Klausel. Die angesprochenen Fragen, sind - soweit ersichtlich – bisher noch nicht Gegenstand einer vertieften Diskussion in Rechtsprechung und Lehre gewesen. Auch wenn die Bieter von Pharma-Rabattverträgen oftmals – wie auch hier – bereits frühzeitig juristisch beraten werden, kann daher nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass dieser Punkt frühzeitig erkennbar war. Einer näheren Erörterung bedarf dies jedoch nicht, weil die Rüge in jedem Falle unbegründet ist.
68bb) Die Anforderung der Antragsgegnerinnen, dass
69- einerseits das Angebot mit der Post oder durch einen Boten, aber nicht auf elektronischem Wege zu übermitteln ist,
- andererseits bestimmte Anlagen als .pdf-Datei auf einer CD/ROM bzw. DVD abzuspeichern und mit einer qualifizierten Signatur zu versehen sind,
ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
71(1) Der Antragstellerin ist zuzugestehen, dass eine elektronische Übermittlung des Angebots als solche durch die Antragsgegnerinnen ausgeschlossen war. Dies ergibt sich eindeutig aus A.III.6.2 und 6.6 der Bewerbungsbedingungen sowie der Beschreibung der Übermittlung in 6.5. Danach war die CD-ROM bzw. DVD in einem Umschlag der Antragsgegnerin zu 1. – mit der Post oder durch einen Boten – zu übergeben. Dabei handelte es sich auch im Rechtssinne nicht um eine rein elektronische "Übermittlung", also über Kabel oder Funk oder ähnliche Verfahren, sondern um eine solche im Postwege (zur Abgrenzung s. Verfürth, in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl., § 13 EG Rdnrn. 7, 10).
72(2) Weder Art. 42 der Richtlinie 2004/18/EG noch §§ 13, 16 VOL/A-EG noch die Richtlinie 1999/93/EG noch das Signaturgesetz schließen eine Anforderung der Vergabestelle, dass Angebote als Ganzes oder auch nur bestimmte Unterlagen auf einer CD/ROM (oder DVD) als Datei abzuspeichern und – je nach Wahl der Vergabestelle – mit einer fortgeschrittenen oder qualifizierten Signatur zu versehen sind und der Datenträge sodann auf "klassischem" Wege zu übersenden ist, aus.
73Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass die Vorschriften der §§ 13, 16 VOL/A-EG diesen Weg nicht ausdrücklich ansprechen. Aus einer Zusammenschau der §§ 13, 16 VOL/A-EG, des Signaturgesetzes und der gesetzlichen Vorschriften über die Form (§ 36a SGB I, § 126a BGB) ergibt sich jedoch eindeutig, dass dies zulässig ist.
74Die Vorschriften des Art. 42 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG, umgesetzt in §§ 13, 16 VOL/A-EG, möchten die Kommunikation zwischen (potentiellem) Bieter und der Vergabestelle erleichtern. Deshalb sehen diese Vorschriften nicht nur – nach Wahl der Vergabestelle – einen einzigen Kommunikationsweg, sondern auch die Möglichkeit der Kombination vor. Dabei ist anerkannt, dass diese Möglichkeit nicht nur für § 13 VOL/A-EG, wo dies in der Vorschrift ausdrücklich zum Ausdruck kommt, sondern auch für § 16 VOL/A-EG gilt (vgl. Dittmann, a.a.O., § 16 EG, Rdnr. 12 unter Hinweis auf § 7 Abs. 12 VOL/A-EG). Eine Kombination kann nicht nur in der Weise erfolgen, dass bestimmte Dokumente in Papierform und andere auf elektronischem Wege übermittelt werden, sondern auch dadurch, dass auf einem Datenträger abgespeicherte elektronische Dokumente auf "klassischem" Wege (also mit der Post oder durch einen Boten) übersandt werden. Dementsprechend geht Verfürth (a.a.O., § 13 EG Rdnr. 7) ohne Weiteres davon aus, dass zulässigerweise Daten auch auf CD-ROMs abgespeichert und sodann mit der Post übersandt werden können.
75Zu unterscheiden ist zwischen dem Übermittlungsweg und der Form des übermittelten Dokuments. Naturgemäß können nur elektronische Dokumente auf rein elektronischem Wege übermittelt werden. Bei elektronischen Dokumenten besteht aber die Möglichkeit (wenn die technischen Voraussetzungen vorliegen), sie entweder "körperlos" auf rein elektronischem Wege oder "körperlich" auf einem Datenträger (wie bei einem Papierdokument unter Anwesenden durch Übergabe oder unter Abwesenden mit der Post oder durch Boten) zu übermitteln. Im erstgenannten Falle ist sowohl die Frage der Form als auch des Übermittlungsweges, im zweitgenannten Falle lediglich die Frage der Form angeschnitten.
76§§ 13, 16 VOL/A-EG betreffen (nach Wahl der Vergabestelle) auch die Form des Dokuments. Wenn danach postalisch übermittelte Angebote zu "unterschreiben" sind, ist dies vor dem Hintergrund des Art. 42 Abs. 5 lit. b) der Richtlinie 2004/18/EG, des dort in Bezug genommenen Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/93/EG und der § 126a BGB, § 3a Abs. 2 VwVfG, § 36a Abs. 2 SGB I zu verstehen. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/93/EG sowie die Umsetzungsvorschriften (vgl. Ellenberger, in Palandt, BGB, 70. Aufl., § 126a Rdnr. 1) der § 126a BGB, § 3a Abs. 2 VwVfG, § 36a Abs. 2 SGB I betreffen allein die Form. Dabei ersetzt die qualifizierte Signatur die Unterschrift (vgl. Dittmann, a.a.O., § 16 EG Rdnrn. 15). Die genannten Vorschriften gelten unabhängig davon, ob die elektronischen Dokumente "körperlos" oder "körperlich" auf einem Datenträger übermittelt werden. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/93/EG verlangt nicht, dass das elektronische Dokument auch auf elektronische Art und Weise übermittelt wird. Gerade dadurch, dass Art. 42 Abs. 5 lit. b) der Richtlinie 2004/18/EG auf die Formvorschrift des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/93/EG verweist und § 126a BGB, § 3a Abs. 2 VwVfG, § 36a SGB I ausdrücklich die Schriftform in bestimmten Fällen durch elektronische Dokumente ersetzen, wobei die qualifizierte Signatur an die Stelle der Unterschrift tritt, zeigt sich der Willen des Gesetzgebers, elektronische Dokumente unabhängig von der Übermittlungsform zuzulassen.
77§§ 13, 16 VOL/A überlassen die Frage, ob eine fortgeschrittene Signatur oder eine qualifizierte Signatur notwendig ist, der Wahl der Vergabestelle. Dies ist bereits deshalb notwendig, weil in bestimmten Fällen die Schriftform einzuhalten ist und diese nur bei mit qualifizierten Signaturen versehenen elektronischen Dokumenten ersetzt wird. Art. 42 Abs. 5 lit. b) der Richtlinie 2004/18/EG steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift können die Mitgliedsstaaten verlangen, dass das Angebot mit einer "fortgeschrittenen Signatur gemäß Art. 5 Abs. 1" zu versehen ist (im Englischen: "that electronic tenders be accompanied by an advanced electronic signature in conformity with paragraph 1"). Nach Art. 5 Abs. 1 i.V.m. den Definitionen in Art. 2 Nrn. 2, 6 und 10 der Richtlinie handelt es sich dabei um "fortgeschrittene Signaturen" im Sinne des § 2 Nr. 2 SigG, die zusätzlich die Qualifikationen des – mit Art. 5 Abs. 1 Einleitungssatz der Richtlinie übereinstimmenden - § 2 Nr. 3 SigG aufweisen und daher als "qualifizierte Signaturen" bezeichnet werden. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie betrifft allein Fallgestaltungen, in denen ein Schriftformzwang nicht besteht.
78cc) Zu Recht haben die Antragsgegnerinnen das Angebot der Antragstellerin deshalb ausgeschlossen, weil die als .pdf-Datei auf einer CD-ROM bzw. DVD mit einer qualifizierten Signatur einzureichende Anlage 4 (Angebotsformblatt) von der Antragstellerin nur mit einer fortgeschrittenen Signatur versehen worden ist.
79Dabei kann offen bleiben, ob der Ausschluss auf § 19 Abs. 3 lit. a), lit. b) oder lit. e) VOL/A-EG zu stützen ist. Es bedarf keiner Erörterung, ob und wie zwischen einer Erklärung und einem Angebot zu differenzieren ist, insbesondere dann, wenn nicht nur ein einzelnes Dokument, sondern mehrere Dokumente als Teil eines Angebotes zu unterschreiben bzw. ordnungsgemäß zu signieren sind. Betrifft ein Fehler – wie hier - nur einzelne Angebotsbestandteile, könnte eine Abgrenzung danach, ob dieser Teil als "bloße Erklärung" oder als Teil des Gesamtangebotes anzusehen ist, schwierig sein. Überlegungen, ob sich die Vorschriften nicht teilweise überschneiden, bedürfen aber in diesem Falle keiner näheren Erörterung.
80Denn in jedem Falle ist ein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin gerechtfertigt.
81(1) Für eine Subsumtion der Anlage 4 unter "Erklärung" im Sinne des § 19 Abs. 3 lit. a) VOL/A-EG spricht, dass in der Anlage 4 u.a. Folgendes anerkannt bzw. zur Kenntnis genommen werden soll:
82- Anerkenntnis der Bewerbungsbedingungen
- Kenntnisnahme von den Grundlagen der Kalkulation im Hinblick auf die Änderungen der Packungsgrößenverordnung
- Anerkenntnis der VOL/B
- Verpflichtung zur Mitteilung der PZN im Falle der Zuschlagserteilung
- Bestimmte Versicherungen zur Eignung
- Kenntnisnahme der Regeln für die Auskömmlichkeitsprüfung
- Erklärung zur Bindung bis zum Ablauf der Bindefrist
- Erklärungen zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
In diesem Falle sind die Erklärungen nicht formgerecht eingereicht worden.
84(2) Sieht man Anlage 4 – auch – als Angebot an (in Nr. 12 der Anlage 4 hat der Bieter zu erklären, welche Teile der früheren Angebote fortgelten sollen, allerdings sind die eigentlichen Vertragsblätter von der Antragstellerin formgerecht eingereicht worden), gilt dieser Grund auch im Hinblick auf § 19 Abs. 3 lit. e) VOL/EG.
85(3) Sieht man in § 19 Abs. 3 lit. b) VOL/A-EG hinsichtlich der Unterzeichnung eine Sonderregelung, greift diese Vorschrift hier gleichfalls ein. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Vorschrift nicht nur dann einschlägig, wenn überhaupt keine Unterschrift bzw. Signatur vorhanden ist, sondern auch dann, wenn die geforderte Art der Signatur fehlt. Sie korrespondiert nämlich mit den Anforderungen, die die Vergabestelle an die Form des Angebots gemäß § 16 VOL/A-EG gestellt hat (vgl. Dittmann, a.a.O., § 19 Rdnr. 117).
86dd) Es ist des Weiteren nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerinnen von der Nachforderung einer formgerechten Anlage 4 abgesehen haben.
87Es spricht allerdings einiges dafür, dass § 19 Abs. 2 VOL/A-EG bei Erklärungen nicht nur dann eingreift, wenn diese vollständig fehlen, sondern auch dann, wenn sie aus formellen Gründen nicht ordnungsgemäß sind, insbesondere dann, wenn sie nicht ordnungsgemäß unterschrieben oder signiert sind (vgl. Senatsbeschluss vom 17.03.2011 – VII-Verg 56/10 zu § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A; Dittmann, a.a.O., § 19 EG Rdnr. 33).
88Die Erwägungen der Antragsgegnerinnen, von einer Nachforderung abzusehen, halten einer Überprüfung stand. Dabei kann der Senat die dafür angeführten Gründe entsprechend § 114 S. 1 VwGO nur auf Ermessensnichtgebrauch und Ermessensfehlgebrauch überprüfen (Dittmann, a.a.O., § 19 EG Rdnr. 37).
89Die Antragsgegnerinnen haben zwar in der Hauptsache die Auffassung vertreten, § 19 Abs. 2 VOL/A-EG sei nicht einschlägig. Hilfsweise haben sie aber für den Fall, dass diese Vorschrift doch eingreife, begründet, weshalb sie von einer Nachforderung absehen. Angesichts der Tatsache, dass eine Nachforderung das Vergabeverfahren weiter verzögert hätte und der Bieter am Ende der von ihm auszufüllenden Datei unübersehbar auf das Erfordernis einer qualifizierten Signatur hingewiesen wurde, daher auch nicht nachzuvollziehen ist, wieso die Antragstellerin nur eine fortgeschrittene Signatur einsetzte, ist die Entscheidung der Antragsgegnerinnen nicht zu beanstanden. Allein die Tatsache, dass die Antragstellerin immerhin eine fortgeschrittene Signatur verwendet hatte, führte noch nicht zu einer Reduzierung des Ermessens auf Null. Die Antragsgegnerinnen hat in dieser Hinsicht die Angebote der Bieter auch nicht unterschiedlich behandelt.
90d) Angesichts dessen bedarf es in diesem Verfahrensstadium keiner überragend dringenden Gründe des Allgemeinwohls für eine Gestattung des vorzeitigen Zuschlags. Die Antragsgegnerinnen haben nachgewiesen, dass mit einer Entscheidung des Senats in dieser Sache – vorbehaltlich des Verfahrensstandes in anderen Nachprüfungsverfahren (vgl. e)) – ein Zuschlag und eine Praktizierung des Vertrages ab dem 01. Juni 2011 möglich ist. Die Antragsgegnerinnen haben bei ihrer zeitlichen Planung Nachprüfungsverfahren erkennbar einkalkuliert. Dass sie davon abgesehen haben, die früheren Rabattverträge zu verlängern, ist angesichts der wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen längerfristiger Verträge (vgl. auch § 130a Abs. 8 S. 6/7 SGB V) sowie der Änderungen der Packungsgrößenverordnung nicht zu beanstanden.
91e) Diese Entscheidung ergeht ungeachtet anderweitiger Nachprüfungsverfahren, Verfahren auf vorzeitige Gestattung des Zuschlages und Verfahren nach § 115 Abs. 2 S. 5 GWB.
92III.
93Die Kostenentscheidung beruht auf § 115 Abs. 2 S. 7 i.V.m. § 121 Abs. 3 S. 4, § 120 Abs. 2, § 78 GWB.
94Eine Streitwertfestsetzung ist gegenwärtig nicht möglich, weil dem Senat die dazu notwendigen Angaben fehlen. Die Verfahrensbeteiligten werden gebeten, diese bis zum 30. Mai 2011 nachzureichen.
95Dicks Schüttpelz Frister
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