Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 6/11
Tenor
Der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 25. März 2009 (VK 33/08) wird aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung getätigten Aufwendungen der Antragsgegnerinnen sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerinnen im Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
Der Streitwert wird auf bis zu 700.000 € festgesetzt.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Auf Initiative des Hausärzteverbands X verhandelten die Antragsgegnerinnen seit Januar 2007 zunächst nur mit diesem über den Abschluss einer Vereinbarung zur hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73 b SGB V. Danach sind die Antragsgegnerinnen als gesetzliche Krankenkassen verpflichtet, ihren Versicherten als besondere Versorgungsform eine hausarztzentrierte Versorgung anzubieten, bei der der Hausarzt des Versicherten sämtliche Behandlungsschritte koordiniert. Die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung ist für die Versicherten freiwillig. Entscheidet sich der Versicherte für die Inanspruchnahme eines entsprechenden Tarifs, erfolgt eine freiwillige Selbstbindung an einen bestimmten Hausarzt und an dessen Überweisung zur Inanspruchnahme eines Facharztes.
4Der Hausärzteverband X gehört als einer von 17 Landesverbänden zum Deutschen Hausärzteverband, dem nach eigenen Angaben mit über 32.000 Mitgliedern größten Berufsverband der Vertragsärzte in Deutschland. Die Verhandlungen über die Entwicklung eines Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung (im Folgenden: HzV-Vertrag) wurden auf Seiten der Krankenkassen federführend von der Antragsgegnerin zu 1 betrieben. Gegenüber der in den ersten Verhandlungsrunden von dieser zum Ausdruck gebrachten Absicht, die Beigeladene zu 5 als Abrechnungs- und Verwaltungsstelle einzubeziehen, meldete der Hausärzteverband Westfalen-Lippe Bedenken an. Zudem kündigte er an, eine Informations- und Arbeitsgemeinschaft aller hausärztlichen Interessenverbände in X bilden zu wollen, die künftig die Verhandlungen eigenständig führen solle. Entsprechend dieser Ankündigung nahm an den folgenden Gesprächen für den Verband die Interessen- und Arbeitsgemeinschaft hausarztzentrierte Versorgungsformen in X (im Folgenden: Interessengemeinschaft) teil, die ihrerseits – wie sie mit Schreiben vom 19. November 2007 gegenüber der Antragsgegnerin zu 1 ankündigte – die Antragstellerin in die Verhandlungen einführte. Die Antragstellerin ist ein genossenschaftlich organisiertes Unternehmen mit Sitz in Köln, das für den Deutschen Hausärzteverband und dessen angeschlossene Landesverbände Managementaufgaben bei der Umsetzung von Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung übernimmt. Gemäß § 2 ihrer Satzung schließt die Antragstellerin für ihre Mitglieder - Hausärzte, die ihre Berufstätigkeit in Deutschland ausüben und Mitglied im Deutschen Hausärzteverband sind (§ 3) - Rahmenverträge mit Kostenträgern im Gesundheitswesen, die Art und Umfang der Leistungserbringung sowie die Vergütung betreffen, soweit die gesetzlichen Rahmenbedingungen dies zulassen. Nachdem zunächst die Antragsgegnerinnen einen Vertragsentwurf präsentiert hatten, erläuterte die Interessengemeinschaft in dem Verhandlungstermin vom 16. Januar 2008 den von ihr erstellten Vertragsentwurf, in dem als Vertragspartner der Krankenkassen die Antragstellerin mit Unterstützung des Hausärzteverbandes X benannt war. An weiteren Gesprächsterminen am 26. Februar und am 21. Mai 2008 nahmen sowohl Vertreter des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe als auch der Antragstellerin teil. In der Besprechung am 21. Mai 2008 wurde vereinbart, dass die Antragstellerin den vorliegenden Vertragsentwurf überarbeiten und eine Honorarstruktur vorschlagen sollte.
5In den folgenden Gesprächen und wechselseitig erstellten Vertragsentwürfen wurde deutlich, dass die an den Verhandlungen Beteiligten unterschiedliche Vorstellungen über die Einbeziehung der Beigeladenen zu 5 in den Vertrag hatten. Während ein von der Antragsgegnerin zu 1 unter dem 10. Juni 2008 erstellter Vertragsentwurf als Vertragspartner der Krankenkassen u.a. den Hausärzteverband X sowie die Antragstellerin, zugleich aber die Übertragung der Abrechnung auf die Beigeladene zu 5 vorsah, sollten nach dem Vertragsentwurf der Antragstellerin vom 14. Juli 2008 diese Aufgaben von ihr wahrgenommen werden. In den Erläuterungen zu dem Entwurf führte die Antragstellerin aus:
6"Die HÄVG befindet sich zur Zeit in Gesprächen mit der KV Y bezüglich der Umsetzung dieses Vertrages. Es ist angestrebt, dass die HÄVG mit der KV X einen Dienstleistungsvertrag abschließt, in welchem die KV X als Auftragnehmer der HÄVG die Abrechnung der ärztlichen Vergütung übernimmt. Insoweit wird die KV X ausschließlich als Dienstleister der HVÄG tätig."
7In Besprechungen am 18. Juli und 15. August 2008 wurden neben der Rolle der Beigeladenen zu 5 auch Fragen der Vergütungsstruktur thematisiert. In der Verhandlung am 15. August 2008 forderte der Hausärzteverband zusätzlich zur Gesamtvergütung als Grundpauschale einen Betrag von 12 € sowie Zuschläge für chronisch Kranke und Hausbesuche in Höhe von 12 € bzw. 14 €. In der Verhandlung vom 26. September 2008 boten die Antragsgegnerinnen die Zahlung einer Grundpauschale in Höhe von 4 € sowie Zuschläge in Höhe von 4 € bzw. 8 € an.
8Am 7. November 2008 fand eine weitere Verhandlung zwischen Vertretern der Krankenkassen unter Beteiligung der Antragstellerin statt. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Antragsgegnerinnen sich intern bereits auf die Einbindung der Beigeladenen zu 5 in den HzV-Vertrag festgelegt. Demgemäß war der Einladung der Antragsgegnerin zu 1 an die übrigen Krankenkassen die als vertraulich gekennzeichnete Abschrift eines von anderen Krankenkassen unter Einbeziehung der Beigeladenen zu 5 geschlossenen HzV-Vertrages beigefügt, der als erster gemeinsamer Vertragsentwurf auch für den von den Antragsgegnerinnen abzuschließenden Vertrag dienen sollte. In der Folgezeit wurden die Antragsgegnerinnen und die Beigeladenen über den Vertragsinhalt einig.
9Mit Schreiben vom 19. November 2008 wandte sich die Antragstellerin an die Antragsgegnerin zu 1. Sie teilte mit, von der Absicht der Antragsgegnerinnen, einen Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung ohne Wettbewerb abzuschließen, erfahren zu haben und verwies darauf, dass ein solches Vorgehen unter sozial- und vergaberechtlichen Gesichtspunkten rechtswidrig sei. Zugleich bekräftigte sie ihr Interesse an der Vereinbarung und Durchführung hausarztzentrierter Versorgungsleistungen.
10Mit Schreiben vom 24. November 2008 wandten sich die Beigeladenen zu 1, 2, 3, 5, 6 und 7 an den Hausärzteverband X und forderten ihn auf, sich dem Unterzeichnerkreis anzuschließen und den avisierten flächendeckenden Hausärztevertrag mit abzuschließen. Wörtlich heißt es:
11"Wir können jetzt und kurzfristig einen kassenübergreifenden flächendeckenden Hausärztevertrag abschließen. Substantielle Verbesserungen für Patienten und Ärzte sind realisierbar: …
12Die Vertreter des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte, des Verbandes der Hausärztlichen Internisten, des Berufsverbandes Deutscher Internisten, des LP X, des NAV-Virchow-Bundes, des Hartmann-Bundes und der KV X möchten Sie und Ihren Verband mit einbeziehen.
13Der Vertrag entspricht weitgehend den vorläufigen Ergebnissen der mehr als einjährigen Verhandlungen der IG/AG mit den Primärkassen, an denen Sie maßgeblich beteiligt waren. …
14Wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie und der Hausarztverband X sich dem Unterzeichnerkreis anschließen könnten."
15Die Unterzeichner dieses Schreibens wandten sich mit einem Rundbrief auch an die hausärztlich tätigen Ärzte und Ärztinnen in X und forderten sie auf, diesen Weg zu unterstützen.
16Mit Schreiben vom 26. November 2008 reagierte die Antragsgegnerin zu 1 auf die Anfrage der Antragstellerin vom 19. November 2008 und teilte mit, dass sie nicht beabsichtige, ohne Wettbewerb einen Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b in der Fassung des GKV-WSG abzuschließen. Durch Mitteilung vom 29. November 2008 riet der Hausärzteverband X allen ärztlichen Mitgliedern ausdrücklich vom Beitritt zu dem in dem Schreiben vom 24. November 2008 angekündigten HzV-Vertrag ab. Am Abend des 3. Dezember 2008 schlossen die Antragsgegnerinnen mit den Beigeladenen zu 1 bis 4 – handelnd für ihre an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Mitglieder - sowie der Beigeladenen zu 5, handelnd im Einvernehmen mit den Beigeladenen zu 6 und 7 einen Vertrag zur hausärztlichen Versorgung durch Allgemeinärzte, Internisten und praktische Ärzte, Kinder- und Jugendärzte.
17Unter der Überschrift "Bestimmungen für den Hausarzt" enthält der Vertrag in den §§ 3-5a die Voraussetzungen für die Teilnahme der Ärzte und ihre diesbezüglichen Verpflichtungen. Unter § 6 ist vorgesehen, dass die teilnehmenden Krankenkassen das Angebot einer Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung auf der Basis dieses Vertrages für interessierte Hausärzte öffentlich ausschreiben.
18Die §§ 9 bis 11 enthalten Bestimmungen für die Versicherten. Regelungen zur Vergütung, Abrechnung und zum Controlling sind in den §§ 12-14 niedergelegt. So bestimmt § 13 Abs. 1:
19"Für die Ausgestaltung des hausärztlichen Versorgungsgeschehens bei eingeschriebenen Patienten erhält der Hausarzt erstmals im Quartal der Einschreibung eine Steuerungspauschale in Höhe von 5,- € je Quartal/Patient (SNr 91251). Die Steuerungspauschale wird fällig, soweit in einem Quartal mindestens ein persönlicher Arzt-Patientenkontakt erfolgt.
20Für die Behandlung und Steuerung chronisch erkrankter eingeschriebener Versicherter nach gesicherter ICD-Schlüsselung (entsprechend der HMG-Zuordnung des mRSA) erhält der Hausarzt zusätzlich einen Zuschlag von 10,- € je Quartal/Patient (SNr. 91252)."
21Im Hinblick auf die Rolle der Beigeladenen zu 5 enthält § 13 Abs. 4 folgende Regelung:
22"Die KV X rechnet die Vergütung nach den vorgenannten Pauschalen außerhalb der morbilitätsbedingten Gesamtvergütung mit den Krankenkassen ab und erhebt die satzungsgemäßen Verwaltungskosten."
23Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 hatte die Antragstellerin zuvor gegenüber der Antragsgegnerin zu 1 vorsorglich den bevorstehenden Vertragsabschluss, von dem sie Kenntnis erlangt haben wollte, gerügt. Die Antragsgegnerin zu 1 hatte daraufhin mitgeteilt, dass sie ein Ausschreibungsverfahren im Sinne des
24§ 73b Abs. 4 Satz 4 SGB V durchführen werde.
25Am Nachmittag des 3. Dezember 2008 ging der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin bei der Vergabekammer der Bezirksregierung Arnsberg ein und wurde der Antragsgegnerin zu 1 sofort per Fax zugestellt. Ausweislich des Sendeberichts erfolgte die Zustellung um 17.17 Uhr, wobei nach Angaben der Vergabekammer das Fax zu diesem Zeitpunkt noch auf Sommerzeit eingestellt war, so dass der Zugang tatsächlich um 16.17 Uhr erfolgt ist. An die weiteren Antragsgegnerinnen erfolgte die Zustellung erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Vertragsschluss.
26Die Antragsgegnerin zu 3 hat den streitgegenständlichen Vertrag mittlerweile gekündigt, nachdem ihre Rechtsvorgängerin am 15. Dezember 2009 einen HzV-Vertrag mit dem Hausärzteverband X sowie der Antragstellerin als Dienstleistungsgesellschaft geschlossen hat. Auch die Beigeladene zu 5 hat inzwischen mit der Antragsgegnerin zu 3 einen HzV-Vertrag abgeschlossen. Die Antragsgegnerin zu 2 hat den streitgegenständlichen Vertrag zum 30. Juni 2011 gekündigt.
27Mit ihrem Nachprüfungsantrag hat die Antragstellerin geltend gemacht, dass die Antragsgegnerinnen als öffentliche Auftraggeber verpflichtet seien, den Vertrag über die hausarztzentrierten Versorgung, bei dem es sich um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag handele, nach Maßgabe des Vergaberechts auszuschreiben. Da der Auftrag nicht vergaberechtskonform ausgeschrieben und vergeben worden sei, habe sie keine Chance gehabt, sich in einem rechtmäßigen Verfahren um den Auftrag zu bewerben, obgleich sie als Managementgesellschaft im Sinne des § 73b Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 SGB V ein potentieller Vertragspartner für den Abschluss hausarztzentrierter Verträge sei.
28Die Antragsgegnerinnen sind dem Begehren der Antragstellerin entgegengetreten.
29Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag mit der Begründung stattgegeben, die Antragstellerin sei durch die Nichtbeachtung der vergaberechtlichen Vorschriften bei der Vergabe des öffentlichen Auftrags nach § 73b SGB V an die Beigeladenen in ihren Rechten verletzt worden. Die Antragsgegnerinnen seien öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Der in Frage stehende Vertrag sei zumindest in wesentlichen Teilen als entgeltlicher Dienstleistungsauftrag gemäß § 99 Abs. 1 und Abs. 4 GWB zu bewerten. Dieses betreffe die von dem Vertrag erfassten Management- und Verwaltungsleistungen, die ausschließlich durch die Beigeladene zu 5 erbracht werden sollten. Das Fehlen einer öffentlichen Ausschreibung führe unmittelbar zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 115 GWB. Die Auswahl der Vertragspartner sei nicht in einem transparenten Verfahren, sondern willkürlich erfolgt. So hätten die Antragsgegnerinnen willkürlich entschieden, die Verhandlungen mit der Antragstellerin nicht fortzusetzen und dadurch den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot verletzt.
30Gegen diesen Beschluss haben die Antragsgegnerinnen sofortige Beschwerde eingelegt.
31Sie wenden ein, dass das Vergabenachprüfungsverfahren bereits nicht statthaft sei. Der abgeschlossene Vertrag sei kein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB bzw. des Art. 1 der Richtlinie 2004/18/EG. Es fehle auch an der erforderlichen Entgeltlichkeit des Vertrages. Der Nachprüfungsantrag sei zudem unzulässig, da die Antragstellerin mangels Auftragsinteresses bereits nicht antragsbefugt gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB sei. Der Hausärzteverband X und die Antragstellerin hätten die Vertragsverhandlungen abgebrochen, weil sie kein Interesse am Abschluss eines HzV-Vertrags auf der Basis des § 73b Abs. 4 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung gehabt hätten. Vielmehr hätten sie einen HzV-Vertrag nur auf der Grundlage der Neufassung des § 73 b SGB V schließen wollen. Infolge der im Spätherbst 2008 bereits absehbaren Änderung des § 73 Abs. 4 S. 1 SGB V, wonach die Krankenkassen bis zum 30. Juni 2009 Verträge mit Gemeinschaften zu schließen hatten, die mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten, wären die Antragsgegnerinnen bei einem Vertragsschluss nach dem 1. Januar 2009 verpflichtet gewesen seien, mit dem Verband bzw. der Antragstellerin als dessen Managementgesellschaft sei, abzuschießen. Der Hausärzteverband habe öffentlich bekundet, Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b Abs. 4 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung gerade nicht mehr abschließen zu wollen. Das Verhalten des Hausärzteverbandes müsse sich die Antragstellerin zurechnen lassen.
32Zudem könne die Antragstellerin – jedenfalls allein - keine Verträge nach § 73b SGB V abschließen. Sie sei keine Trägerin von Einrichtungen gemäß § 73b Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 SGB V n.F. bzw. Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 a.F. Weder verfüge sie über Einrichtungen noch über vertragliche Beziehungen zu Allgemeinärzten, aufgrund derer sie eine hausarztzentrierte Versorgung tatsächlich sicherstellen könne. Nachdem sie in den Verhandlungen nicht als Anbieterin von Leistungen der hausarztzentrierten Versorgung aufgetreten sei und trotz ausdrücklicher Aufforderung ihre entsprechende Leistungsfähigkeit nicht nachgewiesen habe, sei sie kein geeigneter Vertragspartner und könne deswegen auch nicht in ihren Rechten verletzt sein. Wegen der bis heute anhaltenden mangelnden Transparenz der Rolle der Antragstellerin sei es zudem auch nicht möglich gewesen verlässlich zu beurteilen, ob die Antragstellerin überhaupt als Vertragspartnerin in Betracht gekommen wäre.
33Darüber hinaus hätten zwingende Vorschriften des Sozialdatenschutzes einem Vertragsschluss mit der Antragstellerin entgegengestanden. Gemäß § 295 Abs. 1b SGB V in der Fassung gültig bis zum 18. Juni 2009 seien bei Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung die Abrechnungsdaten direkt an die Krankenkassen zu übermitteln. Eine Einschaltung Dritter in den Abrechnungsweg sei nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung möglich gewesen, an der es hier gefehlt habe, so dass eine solche Übermittlung an die Antragstellerin ausgeschlossen gewesen sei. Sie habe das angestrebte Abrechnungsmanagement daher nicht in rechtlich zulässiger Form erbringen können.
34Die Antragsgegnerinnen beantragen,
35den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
36Die Antragstellerin beantragt,
37die Beschwerde zurückzuweisen.
38Sie tritt der Beschwerde unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags entgegen. Das Vorbringen der Antragsgegnerinnen zur fehlenden Antragsbefugnis mangels Interesses an einem Vertragsschluss sei nicht nachvollziehbar. Vielmehr sei das Gegenteil richtig, da sie im Vorfeld der Auftragsvergabe mehrfach noch unmittelbar vor der drohenden Auftragserteilung eindringlich auf ihr Interesse, Vertragspartnerin zu werden, hingewiesen habe. Der Abbruch der Vertragsverhandlungen sei nicht durch sie herbeigeführt worden. Ihr drohe durch den Verzicht auf ein transparentes Ausschreibungsverfahren mit objektiven Auswahlkriterien zudem ein Schaden. Dieser bestehe darin, dass die Antragsgegnerinnen kein transparentes und diskriminierungsfreies Ausschreibungsverfahren unter Zugrundelegung transparenter und diskriminierungsfreier Eignung - sowie Zuschlagskriterien durchgeführt hätten. Die Vorgabe solcher Kriterien hätte es den Antragsgegnerinnen verwehrt, sie, die Antragstellerin, als potentiellen Vertragsteilnehmer auszuschließen.
39Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Akten der Vergabekammer und die Vergabeakte Bezug genommen.
40II.
41Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zwar zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
421.
43Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen ist der Nachprüfungsantrag nicht bereits unstatthaft bzw. unzulässig.
44a.
45Die Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags entfällt nicht deswegen, weil gemäß § 69 Abs. 1 SGB V die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern in §§ 63, 64 SGB V sowie im 4. Kapitel des SGB V abschließend geregelt sind. Vielmehr wird durch § 69 Abs. 2 S. 1 SGB V ausdrücklich klargestellt, dass auf die in Abs. 1 genannten Rechtsbeziehungen die Vorschriften der §§ 97 bis 115 und § 128 GWB unter den dort genannten Voraussetzungen Anwendung finden.
46Bei den Antragsgegnerinnen handelt es sich um öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB. Gesetzliche Krankenkassen werden – jedenfalls mittelbar – mit den Beiträgen der Versicherten und Arbeitgeber zur gesetzlichen Krankenversicherung durch den Bund finanziert und unterliegen einer engmaschigen staatlichen Rechtsaufsicht (vgl. EuGH, Urteil vom 11.06.2009, C-300/07, "Oymanns"; LSG NRW, Beschluss vom 26.03.2009, L 21 KR 26/09 SFB; Beschluss vom 03.11.2010, L 21 SF 208/10 Verg).
47b.
48Bei dem streitgegenständlichen HzV-Vertrag handelt es sich auch um einen entgeltlichen öffentlichen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB. Danach sind öffentliche Aufträge entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, d.h. den synallagmatischen Austausch von Leistungen zum Gegenstand haben. Zwar wird aufgrund des Sachleistungsprinzips die hausärztliche Leistung stets gegenüber Dritten, den Versicherten, und nicht gegenüber den Krankenkassen als Auftraggeber erbracht, so dass der unmittelbare Nutznießer der Leistungserbringung nicht die Krankenkassen, sondern die Versicherten sind. Dieses sozialrechtlich vorgegebene Dreiecksverhältnis der Leistungsbeziehungen schließt die Annahme eines entgeltlichen Vertrages im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB aber nicht aus. Insoweit genügt es vielmehr, dass ein öffentlicher Auftraggeber als Nachfrager am Markt in Erscheinung tritt und die Leistungen vergütet, auch wenn er sie nicht selbst erhält. Dass die konkrete Auswahlentscheidung durch den Versicherten selbst getroffen wird und der Vertragsschluss zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern grundsätzlich keine Gewähr dafür bietet, dass Versicherte die Leistung überhaupt in Anspruch nehmen, rechtfertigt keine andere Bewertung. Eine vollständig freie Auswahl durch die Versicherten, die der Anwendung des Vergaberechts deswegen entgegenstehen würde, weil die exklusive Konkurrentenauswahl durch den öffentlichen Auftraggeber Wesensmerkmal jedes öffentlichen Auftrages ist, findet in der Praxis nicht statt. Die von den Krankenkassen im Hinblick auf ihren Versorgungsauftrag gegenüber den Versicherten abgeschlossenen Versorgungsverträge beinhalten bereits eine erste Auswahlentscheidung bezüglich der Leistungserbringer. Durch die Vorauswahl der Leistungserbringer wird die spätere Inanspruchnahme der Leistungen durch die Versicherten bestimmbar und steuerbar. Die Versicherten werden durch die Tarifgestaltung angehalten, bestimmte Leistungserbringer in Anspruch zu nehmen. Die vergünstigten Tarife für Versicherte, die sich für die hausarztzentrierten Versorgung entscheiden, dienen der Steuerung der Patientenströme. An der Einordnung als entgeltlichem Vertrag bestehen somit im Ergebnis keine durchgreifenden Bedenken (vgl. auch Gabriel, NZS 2007, 345, 348; Vollmöller, NZS 2004, 63, 66; Klöck, NZS 2008, 178, 184).
49c.
50Sowohl die hausärztlichen Leistungen als auch die in den Vertrag aufgenommenen Management- und Verwaltungstätigkeiten sind Gegenstand eines Dienstleistungsauftrages und nicht einer vergaberechtsfreien Dienstleistungskonzession (Art. 17 der Richtlinie 2004/18/EG).
51Zwar sind die ärztlichen Leistungserbringer durchaus einem gewissen Risiko ausgesetzt, dass die Dienstleistungen von den Versicherten nicht in Anspruch genommen werden. Die Wahlfreiheit der Versicherten hat Einfluss auf den Umfang der Geschäftstätigkeit zwischen den Antragsgegnerinnen und dem einzelnen Leistungserbringer. Allerdings sind die (Vorhalte-)Aufwendungen der Hausärzte, um eine derartige Versorgung anbieten zu können, vergleichsweise gering. Zudem sind die ärztlichen Leistungserbringer des Risikos der Beitreibung ihrer Vergütung und der Insolvenz ihrer Vertragspartner vollständig enthoben. Sie sind nicht auf das Recht beschränkt, den Versicherten gegenüber eine Leistung zu erbringen und abzurechnen, sondern sind Vertragspartner der Antragsgegnerinnen, die für die Vergütung aufzukommen haben. Die für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession erforderliche Verlagerung eines Betriebsrisikos (vgl. EuGH, Urteil v. 10.09.2009 – Rs. C 206/08) auf die ärztlichen Leistungserbringer findet bei HzV-Verträgen somit nicht statt.
52Die Übertragung von Verwaltungs- oder Managementtätigkeiten auf die Beigeladene zu 5 beinhaltet ebenfalls keine Dienstleistungskonzession. Die Beigeladene hat durch den Vertrag nicht das Recht erworben, die ihr zugewiesenen Verwaltungsaufgaben auf eigenes Risiko zu nutzen. Sie ist vielmehr auf Seiten der Antragsgegnerinnen als Erfüllungsgehilfin in den Vertrag einbezogen worden. Für die von ihr zu übernehmenden Tätigkeiten erhebt sie gemäß § 13 Abs. 4 des Vertrages die in der Satzung festgelegten Verwaltungsgebühren. Damit trägt die Beigeladene aber gerade kein nennenswertes Betriebsrisiko, das die Annahme einer Dienstleistungskonzession rechtfertigen könnte. Ihr ist nicht durch den Vertrag das Recht zur Erbringung einer Dienstleistung gegenüber den Ärzten eingeräumt worden, von denen sie eine Vergütung einfordern kann und auf eigenes Risiko beitreiben muss. Auch wenn die Vergütung nicht unmittelbar von den Antragsgegnerinnen erbracht wird, sondern satzungsgemäß Verwaltungsgebühren erhoben werden, ist der Vertrag so kalkuliert, dass in der den Hausärzten zustehenden Vergütung der Vergütungsanteil der Beigeladenen inbegriffen ist. Ein konkretes Beitreibungs- und Insolvenzrisiko trägt die Beigeladene nicht. Dass sie ihre Dienste erbringt, ohne dafür eine Vergütung zu erhalten, ist nach dem Vertrag ausgeschlossen.
53d.
54Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages steht der Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages am 3. Dezember 2008 nicht entgegen. Zwar kann die Vergabekammer in zulässiger Weise nicht mehr angerufen werden, sobald der Vertrag geschlossen worden ist, weil gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB ein erteilter Zuschlag nicht mehr aufgehoben werden kann.
55Der zwischen den Antragsgegnerinnen und den Beigeladenen geschlossene Vertrag ist aber nicht wirksam. Die Antragsgegnerinnen haben die Antragstellerin entgegen § 13 Satz 1 VgV a.F. nicht mindestens 14 Kalendertage vor dem Vertragsschluss darüber informiert, dass mit den Beigeladenen zu 1 bis 4, 6 und 7 unter Einbeziehung der Beigeladenen zu 5 ein HzV-Vertrag geschlossen werden sollte. Rechtsfolge des Verstoßes gegen die Informationspflicht ist die Rechtsunwirksamkeit des Vertragsschlusses (vgl. BGH, Urteil v. 22.02.2005 – KZR 36/03).
56§ 13 VgV findet in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren Anwendung, auch wenn nach dem Wortlaut der Bestimmung eine Informationspflicht des öffentlichen Aufraggebers nur gegenüber Bietern besteht, die ein Angebot abgegeben haben, und die Antragstellerin ein eigenes Angebot ausweislich ihres Vorbringens nicht abgegeben haben will. In der Besprechung am 15. August 2008, an der neben Vertretern der Krankenkassen auch Vertreter der Antragstellerin gemeinsam mit Vertretern des Hausärzteverbandes X teilgenommen haben, hat der Hausärzteverband konkrete Vergütungsforderungen für die Erbringung der ärztlichen Versorgungsleistungen aufgestellt. Dieses Angebot ist der Antragstellerin zuzurechnen, denn diese ist gemeinsam mit dem Verband, für den sie erklärtermaßen als Managementgesellschaft tätig wird, in den Verhandlungen aufgetreten und zuvor aufgefordert worden, ein Vergütungskonzept zu präsentierten. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Antragstellerin und dem Verband um unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten handelt und die Antragstellerin – wie sie betont – eine eigenständige Vertragspartnerschaft anstrebte. Als Managementgesellschaft des Hausärzteverbandes kann sie in einen HzV-Vertrag nur ärztliche Versorgungsleistungen ihrer Mitglieder, d.h. der im Hausärzteverband mitgliedschaftlich organisierten Ärzte, einbringen. Dass der Hausärzteverband und seine Managementgesellschaft für identische Leistungserbringer unterschiedliche Vergütungsforderungen stellen wollten, ist aber weder ersichtlich noch von der Antragstellerin vorgetragen worden.
57Aber auch wenn das Angebot des Hausärzteverbandes der Antragstellerin nicht als eigenes Angebot zuzurechnen wäre, ist sie als Bieterin im Sinne des § 13 VgV a.F. anzusehen. Ein weites Verständnis des Begriffs des Bieters im Sinne des § 13 VgV ist bereits angesichts der Vorgaben der europäischen Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geboten. Der Begriff umfasst alle für den Auftraggeber erkennbar am Auftrag interessierten Unternehmen (vgl. auch Thüringer OLG, Beschl. v. 14.10.2003 – 6 Verg 5/03, VergabeR 2004, 117 ff.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.02.2005 – VII-Verg 88/04, NZBau 2005, 535; Beschl. v. 22.12.2009 – VII-Verg 39/09).
58Gemäß Art. 1 Abs. 1 RMR in der Fassung vom 20. Dezember 2007 muss sichergestellt sein, dass "Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber… hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG fallenden Aufträge wirksam… nachgeprüft" werden können. Zugangsberechtigt zum Nachprüfungsverfahren ist nach Art. 1 Abs. 3 RMR jede Person, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Damit knüpft die Forderung nach effizientem Rechtsschutz nicht an die Person des Antragstellers, insbesondere nicht daran an, dass dieser bereits einen Status als Bieter erlangt hat, sondern an die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers in einem Vergabeverfahren. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die dem Vertragsschluss vorangehende Entscheidung des Auftraggebers darüber, mit welchem Bieter des Vergabeverfahrens er den Vertrag schließt, in jedem Fall einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen, in dem der Antragsteller die Aufhebung der Entscheidung erwirken kann (EuGH, Urteil v. 28.10.1999, Rs. C-81/98 "Alcatel Austria", NZBau 2000, 33 ff.) Bei Zugrundelegung dessen beschränkt sich die Informationspflicht nicht auf den Kreis der Bieter, die bereits Angebote abgegeben haben. Im Hinblick auf die Entscheidung der Antragsgegnerinnen, mit den Beigeladenen zu 1 bis 4, 6 und 7 unter Einbeziehung der Beigeladenen zu 5 einen HzV-Vertrag zu schließen, muss der Antragstellerin, die an den Verhandlungen teilgenommen und noch mit Schreiben vom 27. November 2008 der Antragsgegnerin zu 1 ausdrücklich mitgeteilt hatte, dass sie eigenständige Vertragsbeziehungen mit den Antragsgegnerinnen anstrebe, die Möglichkeit der Nachprüfung zustehen, was wiederum voraussetzt, dass ihr die Entscheidung über die Vergabe bekannt gegeben wird.
59e.
60Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt.
61Die Antragstellerin hat ein Interesse am Auftrag. Dieses ergibt sich bereits daraus, dass sie aktiv an den Verhandlungen teilgenommen und ihr die vom Hausärzteverband X erhobenen konkreten Vergütungsforderungen als eigenes Angebot zuzurechnen sind. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen entfällt das erforderliche Auftragsinteresse nicht wegen eines Abbruchs der Verhandlungen. Zwar ist der Hausärzteverband X der Aufforderung der Beigeladenen, dem streitgegenständlichen HzV-Vertrag beizutreten, nicht nachgekommen und hat seinen Mitgliedern explizit abgeraten, sich an diesem Vertrag zu beteiligen.
62Daraus folgt aber noch nicht, dass auch die Antragstellerin kein Interesse daran hatte, eigenständige Vertragspartnerin eines solchen Vertrages zu werden. Vielmehr hat sie noch mit Schreiben vom 19. und 27. November 2011 gegenüber der Antragsgegnerin ihr Interesse an einem Vertragsschluss betont.
63Die weitere Voraussetzung des § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB - Geltendmachung einer Verletzung in Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften - ist ebenfalls erfüllt. Insoweit reicht es aus, dass nach der Darstellung des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Unternehmens eine Verletzung eigener Rechte möglich erscheint. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes, der im Anwendungsbereich des § 100 Abs. 1 GWB durch das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ermöglicht werden soll, kann die Antragsbefugnis nur einem Unternehmen fehlen, bei dem offensichtlich eine Rechtsbeeinträchtigung nicht vorliegt (EuGH, Beschl. v. 19.6.2003, C 249/01; BVerfG, Beschl. v. 29.7.2004 - 2 BvR 2248/03, BGH, Beschl. v. 18.5.2004, X ZB 7/04; BGH Urteil v. 10.11.2009 – X ZB 8/09). Die Antragstellerin hat Verstöße gegen die vergaberechtlichen Grundprinzipien des § 97 Abs. 1 und 2 GWB geltend gemacht und sich darauf berufen, dass die Antragsgegnerinnen das Auswahlverfahren intransparent geführt und ihre Auswahlentscheidung willkürlich getroffen hätten. Auf der Grundlage ihres Vorbringens erscheint die Verletzung bieterschützender Normen möglich.
64Dafür, dass der Antragstellerin infolge der Missachtung von § 97 Abs.1 GWB zumindest ein Schaden zu entstehen droht, genügt, dass der behauptete Vergaberechtsverstoß geeignet ist, die Aussichten auf den Zuschlag zu beeinträchtigen (BVerfG a.a.O.; BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – X ZB 8/09). Auch das ist zu bejahen, da auf der Grundlage ihres Vorbringens nicht auszuschließen ist, dass die Antragstellerin ohne die behaupteten Vergaberechtsverstöße ein chancenreiches Angebot gelegt hätte.
652.
66Der Nachprüfungsantrag ist aber nicht begründet.
67Durch das Ausschreibungsverhalten der Antragsgegnerinnen ist die Antragstellerin zwar in ihrem Recht nach § 97 Abs. 7 GWB auf Einhaltung eines vergaberechtskonformen Verfahrens verletzt worden. Die Vergaberechtsverstöße haben sich aber auf die Chance der Antragstellerin, Vertragspartnerin eines HzV-Vertrages zu werden, nicht ausgewirkt.
68a.
69Die Antragsgegnerin hat gegen die sich aus § 73 b Abs. 4 S. 2 SGB in der im streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen Fassung vom 1. April 2007 ergebenden Transparenzanforderungen verstoßen, indem sie den streitgegenständlichen HzV-Vertrag ohne vorhergehende öffentliche Ausschreibung und Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien geschlossen hat.
70aa.
71Entgegen der Auffassung der Antragstellerin waren die streitgegenständlichen Leistungen nicht nach der VOL/A a.F. zu vergeben, sondern die VOF a.F. bildete die Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens. Die den Gegenstand des HzV-Vertrages ausmachenden ärztlichen Versorgungsleistungen fallen in den Anwendungsbereich der VOF a.F., da sie freiberuflich erbracht werden und ihr Gegenstand eine Aufgabe ist, deren Lösung vorab nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann (§ 5 VgV a.F. und § 1 VOL/A a.F.; vgl. zum gedanklichen Ansatz bei Art. 11 Abs. 2 c Richtlinie 92/50, nunmehr Art. 30 Abs. 1 c Richtlinie 2004/18: Marx in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 1 Rn. 61; Bischoff in Willenbruch/Bischoff, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 1 VOL/A Rdn. 13; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.04.2010 – VII-Verg 55/09).
72Der Umstand, dass der Vertrag zugleich die Übertragung von Abrechnungsleistungen auf die Beigeladene zu 5 vorsieht, steht dieser Bewertung nicht entgegen. Insoweit handelt es sich lediglich um einen untergeordneten Annex zu dem durch § 73 b Abs. 5 SGB V festgelegten Vertragsgegenstand. Danach sind Inhalt und Durchführung der hausarztzentrierten Versorgung, Ausgestaltung der Qualitätsanforderungen im Sinne des Abs.2 sowie die Höhe der Vergütung der ärztlichen Leistungen zu regeln. Die Festlegung von Abrechnungsmodalitäten, wie sie in § 12 S. 2 des streitgegenständlichen Vertrages enthalten sind, gehört dagegen nicht zum eigentlichen Gegenstand des HzV-Vertrages und ist für die Frage, welche Verdingungsordnung auf die Vergabe von Leistungen der hausarztzentrierten Versorgung anzuwenden ist, ohne Belang.
73Bei den in Rede stehenden ärztlichen Versorgungsleistungen handelt es sich um nachrangige Dienstleistungen nach Kategorie 25 des Anhanges I B, für die gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 VOF a.F. nur die Vorschriften über technische Anforderungen (§ 8 Abs. 2 bis Abs. 7) und die Ex-post-Bekanntmachung (§ 17) gelten, die im Streitfall nicht einschlägig sind. Das Unterlassen einer öffentlichen Ausschreibung unter Bekanntgabe von Zuschlagskriterien hat damit nicht gegen die Vorgaben der VOF a.F. verstoßen.
74Allerdings enthält § 73 b Abs. 4 S. 2 SGB V darüber hinausgehende Anforderungen an das Verfahren zur Auswahl eines Vertragspartners, deren Einhaltung als spezialgesetzliche Vergabebestimmungen im Vergabeverfahren zu überprüfen ist. Während danach eine öffentliche Ausschreibung unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien erforderlich gewesen wäre, ist die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens durch die Antragsgegnerinnen nicht zu beanstanden, denn § 73 Abs. 4 S. 2 SGB V verlangt nicht die Durchführung eines offenen Verfahrens.
75bb.
76Dass die Antragsgegnerinnen weder ihre Absicht, einen Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung zu schließen noch objektive Auswahlkriterien bekanntgegeben hat, stellt demnach eine Rechtsverletzung dar, bewirkt aber keine Schädigung der Antragstellerin. Durch die Vergaberechtsverstöße sind die Zuschlagschancen der Antragstellerin nicht feststellbar beeinträchtigt worden.
77Die Feststellung einer mindestens nicht ausschließbaren Beeinträchtigung der Auftragschancen des Antragstellers ist neben einer Rechtsverletzung für den Erfolg des Nachprüfungsantrags unerlässlich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.6.1010 – VII-Verg 10/10; Beschl. v. 14.4.2010 – VII-Verg 60/09). Das Erfordernis einer dahingehenden Feststellung folgt nicht nur aus der gebotenen Übertragung der Anforderungen an die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB auf die Ebene der Begründetheit des Nachprüfungsantrags, sondern zudem aus § 114 Abs. 1 Satz 1 GWB, der auch in der Beschwerdeinstanz zu beachten ist. Danach treffen die Vergabenachprüfungsinstanzen die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung des Antragstellers zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Droht wegen einer Rechtsverletzung kein Schaden, mithin keine Beeinträchtigung der Aussichten auf den Erhalt des Auftrags, sind die Vergabenachprüfungsinstanzen nicht berechtigt, in das Vergabeverfahren einzugreifen. Dafür spricht auch ein richtlinienkonformes Verständnis der EU-rechtlichen Bestimmungen über das Nachprüfungsverfahren. So kann nach Art. 2 d Abs. 1 Buchst. b von Art. 1 der die Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG ändernden Richtlinie 2007/66/EG (i.V. mit deren Erwägungsgrund 18) der Antragsteller Rechtsschutz gegen die Wirksamkeit eines unter Verstoß gegen Vergabevorschriften geschlossenen Vertrages nur erlangen, falls der Rechtsverstoß seine Aussichten auf die Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt hat (oder anders ausgedrückt: dem Antragsteller tatsächlich ein Schaden entstanden oder ein solcher wahrscheinlich, zumindest aber nicht ausschließbar zu erwarten ist). Die genannte Richtlinienvorschrift betrifft zwar die von den Mitgliedstaaten gegen die Wirksamkeit unter Verstoß gegen Vergabevorschriften geschlossener Verträge vorzusehenden Rechtsbehelfe. Doch ist die Anforderung, dass durch den festgestellten Rechtsverstoß tatsächlich und kausal die Auftragschancen des Antragstellers beeinträchtigt worden sein müssen, bei wertender Betrachtung auf vergaberechtliche Streitfälle der vorliegenden Art zu übertragen. Fehlt es an einer solchen Beeinträchtigung, besteht für die Vergabenachprüfungsinstanzen auch kein rechtfertigender Grund, das Vergabeverfahren anzuhalten und auf diese Weise den vom Gesetz angestrebten möglichst raschen Abschluss des Beschaffungsvorhabens zu verzögern.
78An diesem Vorverständnis gemessen ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin unbegründet. Die genannten Mängel des Vergabeverfahrens haben sich nicht zu ihren Lasten ausgewirkt. So hat die fehlende öffentliche Ausschreibung nicht dazu geführt, dass die Antragstellerin an dem Verfahren nicht teilnehmen konnte. Sie ist vielmehr von dem Hausärzteverband X, der seinerseits die Verhandlungen initiiert hat, in die Verhandlungen eingeführt worden und hat sich sodann an diesen beteiligt.
79Die fehlende Bekanntgabe von objektiven Auswahlkriterien – darunter fallen sowohl Eignungs- als auch Zuschlagskriterien – hat zudem nicht verhindert, dass die Antragstellerin gemeinsam mit dem Hausärzteverband in der Verhandlung vom 15. August 2008 konkrete Vergütungsforderungen erhoben hat und damit – wie bereits im Voranstehenden unter Ziff. 1. c ausgeführt - ein Angebot abgegeben hat. Selbst wenn die vom Hausärzteverband gestellten Vergütungsforderungen nicht als ein auch der Antragstellerin zurechenbares Angebot bewertet werden könnten, ist eine unterbliebene Angebotslegung der Antragstellerin nicht darauf zurückzuführen, dass ihr die Auswahlkriterien nicht bekanntgegeben waren.
80Zwischen den Verhandlungspartnern bestand Einigkeit, dass in der Verhandlung am 15. August 2008 die jeweiligen Vorstellungen zum Vergütungskonzept erörtert werden sollten. Es war für alle Beteiligten – und damit auch für die Antragstellerin - offenkundig, dass die Höhe der ärztlicherseits geforderten Vergütung und damit die Wirtschaftlichkeit des Angebots für die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerinnen maßgeblich sein würden. Durch die fehlende Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien war die Antragstellerin somit nicht daran gehindert, in der Verhandlung am 15. August 2008 oder zu einem späteren Zeitpunkt eigene Vorschläge zum Vergütungskonzept zu präsentieren.
81Dass sie ein wirtschaftlich günstigeres Angebot als das in der Verhandlung vom 15. August 2008 vorgestellte Vergütungskonzept abgegeben hätte, wenn ihr die Auswahlkriterien, insbesondere die Wirtschaftlichkeit als Zuschlagskriterium zuvor bekannt gemacht worden wären, trägt die Antragstellerin nicht vor und ist auch nicht ersichtlich.
82Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerinnen in dem streitgegenständlichen Vertrag mit den Beigeladenen letztlich eine Grundpauschale von 5 € sowie Zuschläge von 10 € bzw. 15 € und damit eine höhere Vergütung vereinbarten, als sie dem Hausärzteverband in der Verhandlung vom 26. September 2008 angeboten hatten. Der Verfahrensakte ist nicht zu entnehmen, ob Vertreter der Antragstellerin an diesem Gespräch teilgenommen haben. Sollte das nicht der Fall gewesen sein, ist aber davon auszugehen, dass die Antragstellerin über den Hausärzteverband von den dort geäußerten Vergütungsvorstellungen der Antragsgegnerinnen erfahren hat. Dennoch hat weder der Hausärzteverband noch die Antragstellerin auf das Angebot der Antragsgegnerinnen mit einer Reduzierung der in der Verhandlung vom 15. August 2008 erhobenen Vergütungsforderungen reagiert, obgleich nach dem 26. September 2008 deutlich war, dass die Antragsgegnerinnen auf diese Vergütungsforderungen nicht eingehen würden. Um diese Haltung der Antragsgegnerinnen und damit die Notwendigkeit eines weiteren Entgegenkommens zu realisieren, bedurfte es weder einer früheren Bekanntgabe des Auswahlkriteriums der Wirtschaftlichkeit noch der Kenntnis des Inhalts der Verhandlungen zwischen den Beigeladenen und den Antragsgegnerinnen bzw. der von diesen letztlich akzeptierten Vergütungshöhe.
83b.
84Die Entscheidung der Antragsgegnerinnen, die Verwaltungs- und insbesondere die Abrechnungsaufgaben nicht einer privatrechtlich organisierten Abrechnungsstelle – und damit nicht der Antragstellerin - sondern der Beigeladenen zu 5 zu übertragen, ist nicht als vergaberechtswidrig zu beanstanden. Dass die Antragsgegnerinnen ihre Entscheidung der Antragstellerin nicht transparent bekannt gegeben haben, hat deren Zuschlagschancen wiederum nicht beeinträchtigt.
85aa.
86Die Antragsgegnerinnen waren berechtigt, sich für die Einbeziehung der Beigeladenen zu 5 als Abrechnungsstelle und damit gegen das von der Antragstellerin und dem Hausärzteverband Westfalen-Lippe favorisierte Vertragsmodell "aus einer Hand" zu entscheiden, in dem nicht nur die Bedingungen für die Erbringung der ärztlichen Leistungen durch deren an der Versorgung teilnehmenden ärztlichen Mitglieder geregelt werden sondern zugleich eine Übertragung der Verwaltungs- und insbesondere der Abrechnungsaufgaben auf die Antragstellerin stattfindet. Dem steht nicht entgegen, dass Managementgesellschaften in § 73 Abs. 4 Nr. 3 SGB als mögliche Partner von HzV-Verträgen auf der Leistungserbringerseite genannt sind. Durch den Abschluss eines HzV-Vertrages mit einer Managementgesellschaft, die sich verpflichtet, die hausarztzentrierte Versorgung mit entsprechend qualifizierten vertragsärztlichen Leistungserbringern durchzuführen, wird diese nicht zwangsläufig auch mit weiteren – vergütungspflichtigen - Abrechnungs- und Verwaltungsaufgaben beauftragt.
87Vielmehr sieht § 73 Abs. 5 SGB V als Gegenstand von HzV-Verträgen ausschließlich Bestimmungen über Inhalt und Durchführung der hausarztzentrierten Versorgung sowie deren Vergütung vor. Abrechnungs- und Verwaltungsleistungen sind nicht Gegenstand eines HzV-Vertrages und unterfallen damit auch nicht den vergaberechtlichen Vorgaben des § 73 Abs. 4 S. 2 SGB V.
88Durch die Festlegung, mit diesen nicht zum eigentlichen gesetzlich vorgesehenen Vertragsgegenstand zählenden Nebenleistungen nicht den Leistungser-bringer der hausärztlichen Versorgung sondern die Beigeladene zu 5 zu beauftragen, haben die Antragsgegnerinnen ihr Bestimmungsrecht hinsichtlich des Beschaffungsbedarfs in beanstandungsfreier Weise ausgeübt. Zwar hat diese Entscheidung den Wettbewerb insoweit verengt, als eine Beteiligung an dem abzuschließenden HzV-Vertrag nur noch für diejenigen Leistungserbringer in Betracht kam, die die Abrechnung der Versorgungsleistungen nicht selbst oder durch eine angeschlossene Managementgesellschaft erbringen wollten.
89Allein das hat aber nicht die Vergaberechtswidrigkeit des Vorgehens der Antragsgegnerinnen zur Folge. Damit bliebe nämlich unberücksichtigt, dass die Festlegung des Beschaffungsgegenstandes der ausschließlichen Bestimmung durch den öffentlichen Auftraggeber unterworfen ist, der genauso wie Private allein die Art der zu vergebenden Leistung und den Auftragsgegenstand bestimmt. Entschließt er sich zur Beschaffung, ist er frei in seiner Entscheidung, welchen Auftragsgegenstand er für erforderlich oder wünschenswert hält. Die Bestimmung ist einer etwaigen Ausschreibung und Vergabe vorgelagert und muss vom öffentlichen Auftraggeber erst einmal in einer zu einer Nachfrage führenden Weise getroffen werden, bevor die Vergabe und das Vergabeverfahren betreffende Belange der an der Leistungserbringung interessierten Unternehmen berührt sein können. Dagegen können Bieter nicht mit Erfolg beanspruchen, dem Auftraggeber eine andere Leistung mit anderen Beschaffungsmerkmalen und Eigenschaften, als von ihm in den Verdingungsunterlagen festgelegt worden ist, anzudienen (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.02.2010 – VII-Verg 42/09 und v. 03.03.3010 – VII-Verg 46/10 jeweils m.w.N.).
90Für den an eine Beschaffungsentscheidung, die zu einer Wettbewerbsbeschränkung führt, anzulegenden Prüfungsmaßstab und die Prüfungsdichte gilt grundsätzlich, dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nicht inhaltlich auf Vertretbarkeit, Nachvollziehbarkeit oder erst recht auf Richtigkeit, sondern nur daraufhin zu kontrollieren ist, ob sie auf sach- und auftragsbezogenen Gründen beruht. Durch das Erfordernis der sachlichen Auftragsbezogenheit wird im Sinne einer Negativabgrenzung sichergestellt, dass der Auswahl- und Beschaffungsentscheidung des Auftraggebers nicht sachfremde, willkürliche oder diskriminierende Erwägungen zugrunde liegen.
91Bei Anlegung dieses Maßstabes erweist sich die Entscheidung, mit den Abrechnungs- und Verwaltungsaufgaben nicht die Erbringer der ärztlichen Versorgungsleistungen, sondern die Beigeladene zu 5 zu beauftragen, als sachgerecht.
92Gegen die Übertragung der Abrechnung der ärztlichen Leistungen auf die Antragstellerin als privates Dienstleistungsunternehmen bestanden hinsichtlich der damit notwendig verbundenen Verarbeitung und Nutzung der von den Hausärzten übermittelten Patientendaten erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken, während es sich bei der Abrechnung über die Beigeladene zu 5 um einen rechtlich anerkannten Abrechnungsweg handelt.
93Das Bundessozialgericht hat abweichend von der zuvor durch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen als Vorinstanz vertretenen Auffassung, die Erstellung einer Abrechnung durch externe private Dritte sei datenschutzrechtlich zulässig, wenn eine entsprechende Einwilligung der Patienten vorliege, in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2008 (B 6 KA 37/07) festgestellt, dass für eine Übermittlung von Patientendaten durch Leistungserbringer an externe private Abrechnungsstellen die erforderliche gesetzliche Grundlage fehle und die Leistungserbringer auch bei einer entsprechenden Einwilligung oder unter Rückgriff auf die allgemeinen Erlaubnistatbestände des Bundesdatenschutzgesetzes nicht berechtigt seien, personenbezogene Daten weiterzugeben. Nach dem Willen des Gesetzgebers dürften sensible personenbezogene Daten ausschließlich zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen bzw. den Kassenärztlichen Vereinigungen als den allein in Betracht kommenden Empfängern und Nutzern zu übermittelnden Sozialdaten ausgetauscht werden. Die Einschaltung privater Abrechnungsstellen durch Leistungserbringer habe der Gesetzgeber dagegen weder beabsichtigt noch in Betracht gezogen.
94Durch das erst nach dem streitgegenständlichen Vertragsschluss ergangene Urteil des Bundesozialgerichts wurden die auf einer fehlenden datenschutzrechtlichen Ermächtigung beruhenden Bedenken der Antragsgegnerinnen gegen eine Übertragung der Abrechnung auf die Antragstellerin somit in der Sache bestätigt. Soweit der Gesetzgeber mit der befristeten Anfügung der Sätze 5 bis 8 an § 295 Abs. 1 b SGB V durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990 ff.) den Leistungserbringern die Möglichkeit eröffnet hat, eine "andere Stelle" mit der Datenverarbeitung im Rahmen der Abrechnung zu beauftragen, belegt die Gesetzesänderung, dass in dem davor liegenden streitgegenständlichen Zeitraum eine Befugnis, andere als die gesetzlich vorausgesetzten Stellen – Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen – mit der Verarbeitung und Nutzung von Patientendaten im Rahmen der Abrechnung zu beauftragen, nicht bestand.
95Bei der von den Antragsgegnerinnen gewählten Abrechnung über die Beigeladene zu 5 handelt es sich um den sozialrechtlich vorausgesetzten und datenschutzrechtlich unbedenklichen Abrechnungsweg. Den Leistungserbringern werden durch das maßgebliche Recht bestimmte Abrechnungswege ausdrücklich oder inzident vorgegeben. Zwar fehlen – vom Sonderfall der Abrechnung ambulanter Tätigkeiten durch ermächtigte Krankenhausärzte abgesehen - ausdrückliche gesetzliche Regelungen, dass Leistungserbringer ihre Leistungen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen abzurechnen haben. Jedoch setzt das Gesetz an zahlreichen Stellen eine Abrechnung zwischen Vertragsarzt und Kassenärztlicher Vereinigung als selbstverständlich voraus, etwa bei der Honorarverteilung (§ 85 Abs. 4 SGB V), der Zuweisung von Regelleistungsvolumina (§ 87b Abs. 5 Satz 3 SGB V) , der Abrechnungsprüfung (§ 106a SGB V) oder bei den Datenübermittlungspflichten der Kassenärztlichen Vereinigung (§ 295 Abs. 2 SGB V) (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2008 – 6 KA 37/07, Rdnr. 25).
96Dass die Antragsgegnerinnen im Hinblick auf den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch am Bundessozialgericht anhängigen Rechtsstreit über die Zulässigkeit der Weitergabe von Patientendaten an private Dienstleistungsunternehmen und angesichts des Fehlens einer ausdrücklichen Ermächtigung das von der Antragstellerin verkörperte Vertragsmodell als datenschutzrechtlich nicht hinreichend gesichert bewertet und sich stattdessen für die im Sozialrecht vorausgesetzte und datenschutzrechtlich unbedenkliche Abrechnung der ärztlichen Leistungen über die Beigeladene zu 5 entschieden haben, ist damit eine auf sachlichen Gründen beruhende und vertretbare Beschaffungsentscheidung.
97bb.
98Die Antragsgegnerinnen haben ihre Absicht, die Abrechnung nicht einem privaten Abrechnungsstelle sondern der Beigeladenen zu 5 als der örtlich zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung übertragen zu wollen, der Antragstellerin selbst weder vor Aufnahme noch während des Laufs der Verhandlungen bekannt gegeben. Erst aus dem an den Hausärzteverband X gerichteten Schreiben vom 21. November 2011 ging eindeutig hervor, dass es zu einer Einbeziehung der Beigeladenen zu 5 kommen sollte. Es kann dahinstehen, ob damit zugleich eine Bekanntgabe an die Antragstellerin verbunden war, die ihr Interesse an einer eigenständigen Vertragspartnerschaft erstmals mit Schreiben vom 19. November 2008 ausdrücklich zum Ausdruck gebracht hatte oder ob die Antragsgegnerinnen die Antragstellerin gesondert hätten informieren müssen. Die unterlassene Bekanntgabe stellt – ebenso wie die von der Antragstellerin zu Recht beanstandete fehlende Dokumentation der Entscheidung in der Vergabeakte - zwar einen die Antragstellerin in ihren Rechten verletzenden Verstoß gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot dar, hat aber deren Zuschlagschancen nicht beeinträchtigt und damit nicht zu einer Schädigung geführt.
99Auch wenn die Antragsgegnerinnen der Antragstellerin ausdrücklich mitgeteilt hätten, die Beigeladene zu 5 als Abrechnungs- und Verwaltungsstelle in den Vertrag einbeziehen zu wollen und diese Entscheidung ordnungsgemäß dokumentiert hätten, hätte die Antragstellerin die Übernahme der der Beigeladenen zu 5 zugedachten Aufgaben, namentlich die Durchführung der Abrechnung nicht erreichen können. Mit der vergaberechtlich nicht zu beanstandenden Entscheidung zugunsten der Beigeladenen zu 5 blieb der Antragstellerin nur noch die Option, allein oder neben anderen Vertragspartnern Leistungen der hausarztzentrierten Versorgung über ihre entsprechend qualifizierten Mitglieder anzubieten. Dass sie durch die mangelnde Transparenz hinsichtlich der Einbeziehung der Beigeladenen zu 5 gehindert war, sich weiterhin aussichtsreich an Verhandlungen über die hausärztlichen Versorgungsleistungen zu beteiligen, ist weder ersichtlich noch von der Antragstellerin dargetan. Der unstreitige Geschehensablauf belegt vielmehr das Gegenteil. Einer aussichtsreichen Bewerbung um die Teilnahme an dem abzuschließenden HzV-Vertrag stand nicht entgegen, dass die Antragstellerin von der beabsichtigten Einbindung der Beigeladenen zu 5 keine Kenntnis hatte, sondern dass sie die den Gegenstand des Vertrages bildenden hausärztlichen Versorgungsleistungen unter der von den Antragsgegnerinnen vorgesehenen Bedingung der Abrechnung durch die Beigeladene zu 5 weder erbringen wollte noch konnte.
100So hat der Hausärzteverband X es auch auf ausdrückliche Aufforderung der Beigeladenen zu 1, 2, 3, 5, 6 und 7 hin abgelehnt, dem abzuschließenden HzV-Vertrag beizutreten und seinen Mitgliedern von einem Beitritt abgeraten. Diese Ablehnung, in der sich das mangelnde Interesse des Verbandes an dem von den Antragsgegnerinnen geplanten Vertragsschluss unter Einbeziehung der Beigeladenen zu 5 manifestiert, muss sich die Antragstellerin als eigene, auch ihr Desinteresse an einem derartigen Vertragsschluss widerspiegelnde Haltung zurechnen lassen. Sie kann insoweit nicht mit dem formalen Angebot gehört werden, zwischen ihr und dem Hausärzteverband sei strikt zu differenzieren. Richtig ist, dass es sich bei dem Verband und der für ihn tätigen Antragstellerin um selbständige Rechtspersönlichkeiten handelt, zwischen denen enge Verflechtungen und Verbindungen bestehen. Anschrift und Kontaktdaten des Hausärzteverbandes und der Antragstellerin sind identisch. Zudem stellt sich die Antragstellerin auf der Homepage des Deutschen Hausärzteverbands als für diesen und dessen angeschlossene Landesverbände tätige Managementgesellschaft vor. Ausweislich ihrer Angaben schließt sie für die im Hausärzteverband bzw. den Landesverbänden mitgliedschaftlich organisierten Hausärzte HzV-Verträge. Auch der Umstand, dass die Antragstellerin über den Hausärzteverband X bzw. über die von diesem mandatierte Interessengemeinschaft in die Verhandlungen eingeführt worden und gemeinsam mit Vertretern des Verbandes aufgetreten ist, dokumentiert die zwischen ihnen bestehende Nähe. Zudem hat die Antragstellerin erstmals mit Schreiben vom 19. November 2008 gegenüber der Antragsgenerin zu 1 ihr Interesse an einer eigenständigen Vertragspartnerschaft ausdrücklich bekundet. Bis dahin konnte ihrem Auftreten und Verhalten nicht entnommen werden, dass sie den Abschluss eines HzV-Vertrages und die Übernahme der hausärztlichen Versorgungsleistungen durch ihre entsprechend qualifizierten Mitglieder ohne Beteiligung des Hausärzteverbands anstrebt.
101Angesichts der zwischen Verband und Antragstellerin bestehenden engen Verbindungen und der gemeinsamen Verhandlungsführung bis zum November 2008 kann der Senat nicht annehmen, dass die Antragstellerin von dem an den Verband gerichteten Angebot, dem HzV-Vertrag beizutreten, keine Kenntnis erlangt hat. Der Umstand, dass sie darauf nicht durch Beitritt zum Vertrag oder jedenfalls ausdrückliche Interessensbekundungen reagiert hat, belegt vielmehr, dass sie an einer Beteiligung an dem HzV-Vertrag, so wie er abgeschlossen werden sollte, kein Interesse hatte.
102Ausweislich ihrer eigenen Angaben und der von ihr abgeschlossenen HzV-Verträge ist anzunehmen, dass das Interesse der Antragstellerin sich auf die Übernahme von Managementleistungen beschränkte bzw. sie ohne die Übertragung dieser Aufgaben jedenfalls die ärztlichen Versorgungsleistungen nicht erbringen wollte. So wirbt die Antragstellerin auf der Homepage des Deutschen Hausärzteverbandes mit einer schnelleren Quartalsabrechnung als durch die Kassenärztlichen Vereinigungen und bezeichnet dieses ausdrücklich als Wettbewerbsvorteil. Dass die Antragstellerin ein Interesse an der Übernahme hausärztlicher Versorgungsleistungen, deren Abrechnung der Beigeladenen zu 5 obliegt, gehabt hätte, kann schließlich auch nicht aus den HzV-Verträgen geschlossen werden, an denen sie beteiligt ist. In den zwischen der Antragstellerin und verschiedenen Krankenkassen geschlossenen Verträgen vom 8. Mai 2009, 12. Februar 2009 und 15. Dezember 2009 ist die Antragstellerin jeweils als Managementgesellschaft des Deutschen Hausärzteverbandes aufgetreten und sind ihr die Abrechnungsleistungen gegen Zahlung einer entsprechenden Vergütung übertragen worden.
103An einer aussichtsreichen Bewerbung um die Teilnahme an dem abzuschließenden HzV-Vertrag war die Antragstellerin zudem dadurch gehindert, dass der hinter ihr stehende Verband für die dort mitgliedschaftlich organisierten Ärzte die Übernahme hausärztlicher Versorgungsleistungen durch den HzV-Vertrag ablehnte. Dass die Antragstellerin als Managementgesellschaft des Verbandes gegen dessen erklärten Willen den HzV-Vertrag hätte abschließen können, erscheint ausgeschlossen. Die Antragstellerin hätte sich in dem Vertrag verpflichten müssen, die vertragsgegenständlichen ärztlichen Leistungen durch ihre entsprechend qualifizierten Mitglieder zu erbringen. Die ärztlichen Mitglieder der Antragstellerin sind gemäß § 3 ihrer Satzung aber zugleich die Mitglieder des Verbandes, für die der Verband bereits die Beteiligung an einem HzV-Vertrag, ausgeschlossen und denen er von der Teilnahme an dem Vertrag abgeraten hatte. Dass die Antragstellerin auch auf andere ärztliche Leistungserbringer als die im Hausärzteverband mitgliedschaftlich organisierten zurückgreifen und für diese HzV-Vertrag abschließen kann, ergibt sich weder aus ihrem Vorbringen im Nachprüfungsverfahren noch aus den zugänglichen Informationen über ihre Geschäftstätigkeit. Zwar hat die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19. November 2008 ihr Interesse an einem Vertragsschluss bekundet und auch im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht, sie hätte als Vertragspartnerin zur Verfügung gestanden. Wie und durch welche ärztlichen Leistungserbringer sie den Beschaffungsbedarf der Antragsgegnerinnen aber angesichts der Ablehnung des Verbandes hätte erfüllen wollen, hat sie nicht konkret dargetan.
104c.
105Schließlich sind die Chancen der Antragstellerin auf den Zuschlag auch nicht dadurch beeinträchtigt worden, dass der streitgegenständliche Vertrag wegen Verstoßes gegen die Informationspflicht nach § 13 S.1 VgV a.F. unwirksam gemäß § 13 S. 6 VgV a.F. ist.
106Die Regelungen über die Informationspflicht des öffentlichen Auftraggebers dienen dem Schutz des unterlegenen Bieters, der über den Ausgang des Vergabeverfahrens informiert werden soll (vgl. dazu und zum folgenden BGH, Urteil v. 22.02.2005 – KZR 36/03). Dazu ist erforderlich, dass er über den Grund seiner Nichtberücksichtigung in Kenntnis gesetzt und ihm mitgeteilt wird, wer den Zuschlag erhalten soll. Diese Informationen ermöglichen dem unterlegenen Bieter die Prüfung, ob er ein Verfahren vor der Vergabekammer einleiten will. Die Einleitung eines solchen Verfahrens ist aber dann nicht mehr statthaft, wenn das Vergabeverfahren durch den Zuschlag bereits abgeschlossen ist. Um zu verhindern, dass der Auftraggeber die Kontrolle seiner Vergabeentscheidung unterläuft, indem er den Zuschlag erteilt, ohne die unterlegenen Bieter zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Prüfung des Verfahrens, enthält § 13 Satz 3 VgV a.F. ein Verbot, den Vertrag vor Ablauf der dort genannten 14-Tage-Frist zu schließen. Die Nichtigkeitsfolge des § 13 Satz 4 VgV sichert die Einhaltung dieser Frist und schützt den unterlegenen Bieter, indem sie verhindert, dass durch die Erteilung des Zuschlags unumkehrbare Rechtsfolgen eintreten. Mit dieser Regelung entspricht der Verordnungsgeber dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot, die dem Vertragsschluss vorangehende Entscheidung des Auftraggebers darüber, mit welchem Bieter eines Vergabeverfahrens er den Vertrag schließt, in jedem Fall einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen (EuGH, Urt. v. 28.10.1999 - Rs. C-81/98, - Alcatel Austria AG/Bundes-ministerium für Wissenschaft und Verkehr).
107Allerdings tritt eine Nichtigkeit des durch den Zuschlag begründeten Vertragsschlusses in der Regel nur dann ein, wenn ein in seinen Informationsrechten verletzter unterlegener Bieter eine Verletzung seiner Informationsrechte geltend macht und auf ein Nachprüfungsverfahren anträgt (vgl. BGH, aaO). Da die Nichtigkeitsfolge ausschließlich für unterlegene Bieter effektiven Primärrechtsschutz gewährleisten soll, mithin keinen allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken absichern will, führt auch aber auch in diesem Fall allein der Verstoß gegen § 13 VgV a.F. noch nicht dazu, dass der Nachprüfungsantrag begründet ist, sondern eröffnet nur den Rechtsschutz gegen die Vergabeentscheidung.
1083.
109Die Kostenentscheidung rechtfertigt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht ausgehend von den Kostenschätzungen der Verfahrensbeteiligten im Nachprüfungsverfahren auf § 50 Abs. 2 GKG.
110Dicks Schüttpelz Frister
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