Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 51/11
Tenor
I.
Der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen ist zulässig.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
II.
Der Antrag der Antragsgegnerin auf vorzeitige Gestattung des Zuschlages wird zurückgewiesen.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Antragsgegnerin wurde 2010 von ihrer alleinigen Gesellschafterin, der Stadt V..., zum Zwecke der "Übernahme kommunaler Entsorgungs- und Straßenreinigungsaufgaben als Erfüllungsgehilfe der Stadt V..." gegründet. Unter dem 22. Februar 2011 schlossen die Stadt V... und die Antragsgegnerin einen "Konzessionsvertrag" mit dem Ziel, die Aufgabe der Erfassung der Abfälle und deren Überlassung an den Kreis als Dienstleistungskonzession zu übertragen, wobei die öffentlich-rechtliche Verantwortung als Aufgabenträger bei der Stadt V... verbleiben sollte (so die Präambel). Nach 2.1 des Vertrages gewährte die Stadt V... der Antragsgegnerin für das gesamte Stadtgebiet das alleinige Recht, die zur Durchführung der Abfallsatzung erforderlichen Dienstleistungen auszuführen, wobei lediglich die hoheitlichen Maßnahmen davon ausgenommen bleiben sollten. 2.4 des Konzessionsvertrages sah die Berechtigung der Antragsgegnerin vor, Rechte und Pflichten des Vertrages ganz oder teilweise auf Dritte zu übertragen, insbesondere eine Unterkonzession zu erteilen. Nach 3. des Vertrages war die Antragsgegnerin verpflichtet, die zur Umsetzung der Abfallsatzung erforderlichen Leistungen zu erbringen. Die Stadt V... verpflichtete sich, den Anschluss- und Benutzungszwang aufrechtzuerhalten. In 5. hieß es:
45.1 [Die Antragsgegnerin] nutzt die Konzession zur Erzielung von Einnahmen nach Maßgabe folgender Bestimmungen. Diese sollen der [Antragsgegnerin] eine auskömmliche finanzielle Grundlage für die dauerhafte Durchführung der vertragsgegenständlichen Aufgaben gewährleisten. Sie sind von [der Antragsgegnerin] verursachungs- und kostengerecht und für das Konzessionsgebiet einheitlich zu gestalten.
55.2 [Die Antragsgegnerin] hat die von ihr zu erhebenden Entgelte so zu berechnen, dass deren Höhe die nach den preisrechtlichen Vorschriften (VOPR 30/53 in Verbindung mit den Leitsätzen zur Selbstkostenpreisermittlung bei öffentlichen Aufträgen) zulässigen Ansätze nicht überschreitet. …
65.3 Vergibt [die Antragsgegnerin] diese Konzession ganz oder teilweise an einen Unterkonzessionär, hat sie diesem die Pflichten nach 5.2 aufzuerlegen.
7Nach 6. hatte die Antragsgegnerin eine Konzessionsabgabe an die Antragstellerin zu zahlen. Die Dauer der Konzession war nicht begrenzt, der Vertrag aber kündbar.
8Dem vorausgegangen waren Beratungen innerhalb der Stadt V... zur Neuorganisation der Abfallbeseitigung. Ausweislich einer Beratungsunterlage für die Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses der Stadt V... (II.1.-6. der Vergabeunterlagen) sollte die Vergabe von Konzessionen dazu dienen, eine europaweite Ausschreibung zu vermeiden, eine stärkere Einflussnahme bei der Auswahl des künftigen Entsorgungsunternehmens zu sichern und anderen Gebietskörperschaften die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme einzuräumen. Für die Vergabe einer (Unter-) Konzession gälten die strengen Spielregeln des Vergaberechts nicht.
9Die Antragsgegnerin veröffentliche sodann Ende 2011 in verschiedenen Zeitungen der Umgebung eine "Freiwillige EU-weite Bekanntmachung und Aufforderung zur Bewerbung und Teilnahme am Verfahren" zur Vereinbarung einer "Dienstleistungskonzession im Verhandlungsverfahren". Diese betraf eine "Unterkonzession für Sammlung und Transport von Satzungsabfällen der Stadt V...". Weiter hieß es in der Bekanntmachung (Bl. III/10 der Vergabeunterlagen):
10Die Gegenleistung besteht in der Erteilung der Berechtigung, von den satzungsunterworfenen Nutzern der öffentlichen Einrichtung "Abfallentsorgung" Entgelte zu erheben.
11Bietergemeinschaften und der Einsatz von Nachunternehmern waren nicht zugelassen. U.a. war die Vorlage einer Versicherung notwendig, Tariflöhne zu zahlen. Die Vergabe sollte im Wege eines Verhandlungsverfahrens erfolgen.
12Einer Sitzungsvorlage der Stadt V... (Bl. II.7-12) zufolge sollte der Unterkonzessionsvertrag im Wesentlichen dem Konzessionsvertrag entsprechen, wobei die Entgeltordnung des Unterkonzessionärs der Genehmigung der Antragsgegnerin bedürfen sollte. Die Entgelte des Unterkonzessionärs sollten im Wege der Geschäftsbesorgung durch die Antragsgegnerin – wohl zusammen mit den Gebührenbescheiden der Stadt V... – eingezogen werden.
13Die Antragstellerin rügte die Unzulässigkeit des Verfahrens sowie der Vergabebestimmungen zum Verbot von Bietergemeinschaften und Nachunternehmern sowie zur Verpflichtung zur Zahlung von Tariflöhnen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Vergabe einer Dienstleistungskonzession sei mit § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG (Übertragung der Erfüllung der Aufgaben auf Dritte) nicht vereinbar. Diese Vorschrift gestatte lediglich die Vergabe eines Dienstleistungsauftrages, der Dritte könne nämlich keine Entgelte von den Nutzern erheben, dies sei vielmehr der Gemeinde vorbehalten. Anders sei dies nur bei Übertragung der Aufgabe auf Dritte nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG; dieser Wege solle aber nicht beschritten werden. Zudem seien bestimmte Anforderungen vergaberechtswidrig. Diese Rügen wies die Antragsgegnerin mit der Begründung zurück, das Vergaberecht sei nicht einschlägig, weil die Vergabe eine Dienstleistungskonzession betreffe.
14Die Antragstellerin hat daraufhin ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet. Sie hat die Auffassung vertreten, der Auftrag betreffe einen Dienstleistungsauftrag, nicht eine Dienstleistungskonzession. Dem Auftragnehmer werde kein hinreichender Spielraum gelassen. Das Entgelt solle von der Stadt V... bzw. der Antragsgegnerin für den Auftragnehmer mit anderen Abgaben eingezogen werden. Im Übrigen sei die Vergabe einer Dienstleistungskonzession mit § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG nicht vereinbar. Sie hat beantragt,
151. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Ausschreibungsverfahren "Unterkonzession für Sammlung und Transport von Satzungsabfällen der Stadt V..." im Rahmen der freiwilligen EU-weiten Bekanntmachung und Aufforderung zur Bewerbung und Teilnahme am Verfahren aufzuheben,
162. die Antragsgegnerin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht zu verpflichten, den Auftrag über die Sammlung und den Transport von Satzungsabfällen der Stadt V... unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu vergeben,
17hilfsweise,
18andere geeignete Maßnahmen zu treffen.
19Die Antragsgegnerin hat betragt,
20den Antrag zu verwerfen.
21Sie hat die Auffassung vertreten, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, weil das angegriffene Vergabeverfahren eine Dienstleistungskonzession betreffe. Der Auftragnehmer erhalte von ihr, der Antragsgegnerin, kein Entgelt, sondern solle von den Nutzern ein privatrechtliches Entgelt erheben. Dass ein Anschluss- und Benutzungszwang bestehe, stehe einer Dienstleistungskonzession nicht entgegen. Der Auftragnehmer sei für eine rationelle Leistungserbringung selbst verantwortlich. Die Vergabe einer Dienstleistungskonzession sei auch zulässig.
22Die Vergabekammer hat der Antragsgegnerin untersagt, das von ihr betriebene Wettbewerbsverfahren zur Vereinbarung einer Dienstleistungs(unter-)konzession durch einen Vertragsschluss zu beenden. Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, der Nachprüfungsantrag betreffe einen Dienstleistungsauftrag. Für den Auftragnehmer bestünden keine nennenswerten Spielräume. Die Vergabe einer Dienstleistungskonzession hätte zudem transparent dokumentiert sein müssen. Die Stadt V... habe das rechtliche Gewand einer Dienstleistungskonzession nur gewählt, um vergaberechtlich frei zu sein. Außerdem verstoße die Vergabe einer Dienstleistungskonzession gegen § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG.
23Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie ist weiterhin der Auffassung, das angegriffene Vergabeverfahren betreffe eine Dienstleistungskonzession. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer verbleibe dem Auftragnehmer durchaus ein erheblicher Spielraum. Auch sei eine Dienstleistungskonzession abfallrechtlich zulässig, was allerdings nicht von den Vergabenachprüfungsinstanzen nachzuprüfen sei. Sie beantragt daher,
24unter Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 16. Mai 2011 den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu verwerfen.
25Sie hat des Weiteren beantragt, ihr die vorzeitige Zuschlagserteilung zu gestatten, wobei sie im Termin vom 28. September 2011 erklärt hat, eine Unterkonzession für das Jahr 2012 im Verhandlungsverfahren erteilen zu wollen.
26Die Antragsgegnerin beantragt,
27die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
28Sie verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Des Weiteren tritt sie dem Antrag der Antragsgegnerin auf vorzeitige Gestattung des Zuschlags entgegen.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten sowie die Akten des Vergabeverfahrens und der Vergabekammer verwiesen.
30II.
31Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Das angegriffene Vergabeverfahren betrifft zwar dem äußeren Anschein nach eine Dienstleistungskonzession (dazu 1.). Da die Antragsgegnerin die Vergabe einer derartigen Konzession zur Umgehung des Vergaberechts einsetzt, insbesondere weil die Vergabe einer Dienstleistungskonzession nach § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG unzulässig ist (dazu 2.) und die Vergabe eines Vertrages über die Sammlung und den Transport von Abfällen nur im Wege eines ausschreibungspflichtigen Dienstleistungsauftrages möglich ist, ist aber die Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen dennoch gegeben (dazu 3.). Auch im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag zulässig (dazu 4.).
321.
33Entgegen der Auffassung der Vergabekammer hat die Antragsgegnerin allerdings dem äußeren Anschein nach eine Dienstleistungskonzession, nicht einen Dienstleistungsauftrag ausgeschrieben.
34Nach Art. 1 Abs. 4 Richtlinie 2004/18/EG (s. dazu zuletzt EuGH, VergabeR 2011, 430; BGH, VergabeR 2011, 452; OLG München, NZBau 2011, 505; OLG München, VergabeR 2011, 606; Senat, VergabeR 2011, 471) liegt eine Dienstleistungskonzession dann vor, wenn die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung besteht. Das ist hier der Fall. Nach der Bekanntmachung und den vorliegenden Vergabeunterlagen soll der Auftragnehmer kein Entgelt von der Antragsgegnerin (oder der Stadt V...) für seine Dienstleistungen erhalten. Vielmehr soll der Auftragnehmer lediglich das Recht erhalten, Entgelte von den Nutzern zu erheben. Ob und inwieweit dies dem Auftragnehmer gelingt, ist allein sein Risiko.
35Zwar ist dieses Risiko dadurch gemindert, dass ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht. Das mindert jedoch nur das Risiko des Auftragnehmers, Abnehmer für seine Dienstleistungen zu finden. Das Risiko der Beitreibung seiner Entgeltansprüche liegt jedoch alleine beim Auftragnehmer. Bereits dies reicht nach der Rechtsprechung des EuGH in seinem Urteil vom 10.09.2009 (C-206/08 – Eurawasser, VergabeR 2010, 48) aus (vgl. auch OLG Jena, VergabeR 2010, 704). Die Stadt V... hat sämtliche Risiken, die mit dem Schwanken der Müllmengen sowie der Beitreibbarkeit von Forderungen gegen die Nutzer zusammenhängen, an die Antragsgegnerin weitergegeben, die diese wiederum an ihren Auftragnehmer weitergeben möchte. Dass die Rechnungserstellung zusammen mit der Versendung der Gebührenbescheide erfolgen soll, ist unerheblich. Der Auftragnehmer trägt damit auch das mit einer Tätigkeit in dieser Branche für gewöhnlich verbundene Betriebsrisiko, mag dies aufgrund der spezifischen Situation der Branche allgemein auch gering sein.
36Weitergehende Anforderungen bestehen nicht (vgl. auch EuGH, VergabeR 2011, 430; OLG Jena VergabeR 2010, 704). Insbesondere ist es unerheblich, inwieweit dem Auftragnehmer bei der Erbringung der Dienstleistungen ein Spielraum zukommt, worauf die Vergabekammer abgestellt hat.
37Da das für eine Abgrenzung von Dienstleistungskonzession und Dienstleistungsauftrag maßgebliche Kriterium bereits in der Bekanntmachung von der Antragsgegnerin offen gelegt wurde, stellt sich die von der Vergabekammer angeschnittene Frage einer hinreichenden Transparenz der Unterscheidungskriterien für die Öffentlichkeit nicht.
382.
39Die Vergabe einer Dienstleistungskonzession stellt sich jedoch als Umgehung des Vergaberechts dar, weil die Erteilung einer Konzession von vornherein rechtlich unzulässig war. Die Antragsgegnerin (bzw. die Stadt V...) konnte einen Auftrag vielmehr nur als – dem Vergaberecht unterliegenden – Dienstleistungsauftrag vergeben. Die Bemerkungen in den Sitzungsunterlagen der Stadt V..., sie könne frei zwischen einem – dem Vergaberecht unterliegenden - Dienstleistungsauftrag und einer – nur den Regeln über die Dienstleistungsfreiheit und des Art. 3 GG unterliegenden - Dienstleistungskonzession entscheiden, treffen daher nicht zu.
40a) Die Vergabe einer Dienstleistungskonzession im Abfallrecht nach § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG ist unzulässig. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
41Nach § 16 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG können Dritte mit der Erfüllung der Aufgaben der entsorgungspflichtigen Stelle beauftragt werden, wobei die Verantwortlichkeit dieser Stelle für die Erfüllung davon unberührt bleibt. Demgegenüber kann die entsorgungspflichtige Stelle nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG Dritten Entsorgungspflichten übertragen. Im Falle des § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG wird der Dritte als Erfüllungsgehilfe der (weiterhin) entsorgungspflichtigen Stelle tätig (Versteyl, in Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl., § 16 Rdnr. 12; Weidemann, DBVl. 1998, 661, 662; Knopp, DÖV 2004, 604, 606). Rechtsbeziehungen zwischen dem Dritten und dem Nutzer entstehen – jedenfalls nach der bisher herrschenden Ansicht - nicht, vielmehr bestehen Rechtsbeziehungen allein zwischen der entsorgungspflichtigen Stelle und dem Dritten einerseits und dem Nutzer andererseits (Versteyl, a.a.O., Weidemann, a.a.O.; OVG Bautzen, Beschluss vom 22.11.2002 – 4 BS 341/02). Der Nutzer nimmt die Leistungen nur der entsorgungspflichtigen Stelle in Anspruch, wobei der Dritte lediglich für die entsorgungspflichtige Stelle tätig wird. Dies bedeutet, dass im Verhältnis zum Nutzer alleine die entsorgungspflichtige Stelle tätig wird und auch Entgeltansprüche erheben kann (Versteyl, a.a.O.); Dienstleistungskonzessionen (mit der Folge, dass dem Dritten Entgeltansprüche gegen den Nutzer zustehen sollen), sind daher unzulässig (so ausdrücklich Knopp, a.a.O.).
42Das spiegelt sich in § 9 LAbfG NRW wider. Abgesehen davon, dass § 9 Abs. 2 ff. LAbfG NRW – insoweit in Abweichung von § 6 Abs. 1 KAG NRW – für die Abfallentsorgung lediglich die Erhebung von Gebühren zulässt und damit die Erhebung privatrechtlicher Entgelte ausschließt (die von der Antragsgegnerin für das Gegenteil benannten Entscheidungen BVerwG NVwZ 2005, 1072 und BGH/ 115,311 = NJW 1992, 171 betreffen nicht die Abfallentsorgung), sieht § 9 Abs. 2 - 4 AbfG NRW lediglich eine Gebührensatzung der entsorgungspflichtigen Stelle und § 9 Abs. 5 AbfG NRW eine solche des Dritten, dem nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG die Entsorgungspflicht übertragen ist, vor. Daraus ergibt sich, dass im Falle des § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG allein die entsorgungspflichtige Stelle Entgelte (und zwar in Form öffentlich-rechtlicher Gebühren) erheben darf und dieses Recht Dritten nicht übertragen kann. Wie aus § 9 Abs. 6 AbfG NRW hervorgeht, können privatrechtliche Entgelte Dritter bei Entsorgungspflichten lediglich im Rahmen des § 36d KrW-/AbfG (private Abfallentsorgungsanlagen) begründet werden.
43Diese Rechtslage entspricht – von den Besonderheiten des § 9 LAbfG abgesehen - § 56 WHG für die Abwasserentsorgung, das in S. 2 die Übertragung der Abwasserentsorgung (nach Maßgabe des Landesrechts) und in S. 3 (ebenso § 53 Abs. 1 S. 3 LWG NRW) die Möglichkeit für die Gemeinden einräumt, sich zur Erfüllung ihrer Pflichten Dritter zu bedienen. Das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen geht in seinem Schreiben vom 23. Mai 2011 (Anlage BG 1) davon aus, dass bei einer bloßen Beauftragung Dritter mit der Erfüllung der Pflichten diese Regelungen sowie die Regelungen des KAG NRW die Einräumung ein Gebühren- oder Entgelterhebungsrecht des Dritten gegenüber dem Nutzer und damit eine Dienstleistungskonzession ausschließt.
44Auch § 3 TierNebG unterscheidet zwischen einer bloßen Beauftragung Dritter mit der Erfüllung (Abs. 1 S. 4) einerseits und einer Übertragung auf Dritte andererseits (Abs. 2). Die Beauftragung Dritter mit der Erfüllung wird ohne Weiteres dem Vergaberecht unterstellt (Grünewald VergabeR 2011, 418), während hinsichtlich der Übertragung nach Abs. 2 im Hinblick auf ergänzende staatliche Zuschüsse streitig ist, ob es sich um einen Dienstleistungsauftrag oder eine Dienstleistungskonzession handelt (OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.01.2010 – Verg W 7/09, VergabeR 2010, 699; anders Grünewald, der den Vorgang wegen des öffentlich-rechtlichen einseitigen, aber antragsbedürftigen Beleihungscharakters als nicht dem Vergaberecht unterliegend ansieht, was aber zweifelhaft ist). In jedem Falle entsteht (nur) im Fall des § 3 Abs. 2 des Gesetzes ein Rechtsverhältnis zwischen dem privaten Betreiber und dem Nutzer (vgl. BGH, Urteil vom 01.09.2009 – VII ZR 183/08).
45Allerdings geht eine neuere Ansicht zum Wasserrecht davon aus, dass auch nach § 53 S. 3 WHG (bzw. der Vorgängervorschrift) Dienstleistungskonzessionen zulässig sein sollen (OVG Sachsen, Beschluss vom 24.09.2004 – 5 BS 119/04, obiter, ohne Auseinandersetzung mit seiner früheren Rechtsprechung; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, 489; Brüning, in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 KAG Rdnrn. 129, 130a; s. auch Giesberts/Schmuck, DÖV 2003, 701: ausnahmsweise). Das ist mit dem Gesetz jedoch nicht vereinbar, welches zwischen einer bloßen Beauftragung mit der Erfüllung (wobei die Einrichtung eine gemeindliche bleibt und der Auftragnehmer bloßer Erfüllungsgehilfe ist) und der Übertragung unterscheidet. Etwas Drittes kennt das Gesetz nicht. Es bleibt unklar, wieso – gegebenenfalls zwangsweise - ein Sonderrechtsverhältnis zwischen dem Auftragnehmer und dem Nutzer begründet werden sollte. Bei einer bloßen Beauftragung mit der Erfüllung bleibt die Einrichtung eine gemeindliche, der Nutzer ist bereits auf Grund des mit der Gemeinde bestehenden öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses (Anschluss- und Benutzungszwang- bzw. recht) berechtigt und verpflichtet, die gemeindliche Einrichtung zu nutzen. Eine gesetzliche Grundlage für eine Entgelterhebung durch den Auftragnehmer, welche auch der Bundesgerichtshof (a.a.O.) voraussetzt, fehlt. Das Gesetz sieht für diesen Fall lediglich eine Berechtigung der Gemeinde zur Erhebung von Gebühren bzw. Entgelten vor, nicht aber zugunsten privater Dritter. Im Hinblick auf das zur Gemeinde bestehende Recht zur Nutzung der gemeindlichen Einrichtung verhält sich der Nutzer auch nicht widersprüchlich, wenn dieser sich weigert, mit einem Dritten einen entgeltlichen Vertrag abzuschließen; eine "protestatio contra factum proprium" (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 70. Aufl., § 145 Rdnr. 26) liegt damit nicht vor. Zwischen dem Erfüllungsgehilfen und dem Vertragspartner des Auftraggebers bestehen keine rechtsgeschäftlichen Beziehungen (vgl. Heinrichs, a.a.O., § 278 Rdnr. 40). Im Übrigen lässt auch der Entwurf der Bundesregierung zum KrWG (BT-Drs. 17/6052), welcher in § 22 lediglich den bisherigen § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG übernimmt, nicht erkennen, dass er eine Dienstleistungskonzession zulässt (S. 212).
46Auf das Abfallrecht lässt sich die neuere Ansicht bereits deshalb nicht übertragen, weil § 9 LAbfG eine privatrechtlich Entgelterhebung von vornherein ausschließt. Dass private Dritte Entgelte im Rahmen der Pflichtentsorgung nur im Falle des § 36d KrW-/AbfG – und sonst nicht – erheben dürfen, geht aus § 9 Abs. 6 LAbfG NRW eindeutig hervor. Im Übrigen stimmt der im Unterkonzessionsvertrag vorgesehene Maßstab für die Entgeltbemessung nicht vollständig mit § 6 KAG NRW/§ 9 LAbfG NRW überein.
47Eine Pflichtenübertragung nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG ist von der Stadt V... oder der Antragsgegnerin nicht gewollt, die Voraussetzungen dafür (§ 16 Abs. 3 KrW-/AbfG) liegen auch unstreitig nicht vor. Abgesehen davon könnte dem Dritten nach § 9 Abs. 5 AbfG NRW auch lediglich ein Gebührenfestsetzungs- und erhebungsrecht eingeräumt werden. Auf die Frage, ob die Hausmüllentsorgung überhaupt nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG übertragbar ist (vgl. dazu Beckmann/Kersting, in Landmann/Röhner, Umweltrecht, § 16 KrW-/AbfG, § 16 Rdnrn. 53 ff. m.w.N.; Knopp, DÖV 2004, 604, 608; Weidemann, DVBl. 1998, 661, 663), kommt es danach nicht mehr an.
48b) Die Wahl der Vergabe einer Dienstleistungskonzession anstelle eines Dienstleistungsvertrages stellt sich damit als Umgehung des Vergaberechts dar. Die Vergabe eines Auftrages über die Abfallbeseitigung kann nach dem unter a) Gesagten nur als ein – dem Vergaberecht unterliegender – Dienstleistungsauftrag, nicht jedoch als Dienstleistungskonzession vergeben werden.
49Der Senat vermag nicht der vom OLG Jena in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2009 (VergabeR 2010, 705) vertretenen Auffassung zu folgen, für die Frage, ob der Auftraggeber das Vergaberecht umgehe, sei unerheblich, ob die Vergabe einer Dienstleistungskonzession rechtlich zulässig sei oder nicht. Das OLG Jena geht in seinen Überlegungen (a.a.O. unter 2.c), VergabeR 2010, 705, 710) zunächst davon aus, eine Umgehung des Vergaberechts liege nicht schon dann vor, wenn ein öffentlicher Auftraggeber die Wahl habe, entweder eine Dienstleistungskonzession oder einen Dienstleistungsauftrag zu vergeben und bei dieser Wahl auch in Erwägung ziehe, dass bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession die strengen Regeln des Vergaberechts nicht angewendet zu werden brauchten. Das OLG Jena prüft jedoch ausdrücklich nicht, ob die Vergabe einer Dienstleistungskonzession überhaupt rechtlich zulässig war (a.a.O. unter 2.b), VergabeR 2010, 705, 709/710), was in jenem Verfahren streitig und von der Antragstellerin verneint worden war (vgl. der Vorlagebeschluss vom 08.05.2008, VergabeR 2008, 653). Dabei übersieht das OLG Jena, dass ein Wahlrecht des Auftraggebers, wie es hier auch die Antragsgegnerin bzw. die Stadt V... für sich in Anspruch genommen hat, überhaupt nicht besteht, wenn die Vergabe einer Dienstleistungskonzession rechtlich nicht zulässig war. Ein klareres Anzeichen für die Umgehung des Vergaberechts als in der Wahl einer rechtlich unzulässigen Dienstleistungskonzession zur Vermeidung des Vergaberechts bei Wahl der einzigen Alternative der Vergabe einer Dienstleistungskonzession besteht nicht.
503.
51In einer derartigen Fallkonstellation sind die Vergabenachprüfungsinstanzen zuständig.
52Allerdings besteht der Rechtsweg zu Vergabekammer und Vergabesenat nicht für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen (OLG München, NZBau 2011, 505; zu einer Ausnahme Senat, Beschluss vom 02.03.2011, VII-Verg 48/10, NZBau 2011, 244 = VergabeR 2011, 471).
53Jedoch sind die Vergabenachprüfungsinstanzen nach § 104 Abs. 2 GWB dafür zuständig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die beabsichtigte Vergabe in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt worden zu sein. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn der Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 GWB vergeben will und der Antragsteller geltend macht, dabei seien dem Auftraggeber Vergaberechtsfehler unterlaufen, sondern auch dann, wenn die Vergabe von Aufträgen nur als öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB erfolgen darf und der öffentliche Auftraggeber stattdessen rechtswidriger Weise einen anderen Auftragstyp wählt. Es ist – vergleichbar wie bei de-facto-Vergaben – auch in einem derartigen Fall Aufgabe der Vergabenachprüfungsinstanzen, die Einhaltung des Vergaberechts durchzusetzen. Dies ist gerade Ziel des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin. Dabei ist dann gegebenenfalls auch die Vorfrage zu klären, ob der Auftraggeber rechtmäßiger Weise die Wahl eines anderen Auftragstypus zustand oder nicht.
544.
55Wegen der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages im Übrigen kann auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss der Vergabekammer Bezug genommen werden, die von der Antragsgegnerin auch nicht als solche angegriffen werden.
565.
57Die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof nach § 17a Abs. 4 GVG ist zuzulassen. Der Senat weicht von der Entscheidung des OLG Jena vom 11.12.2009 (vgl. oben unter II.2.b) in einer vergleichbaren Fallgestaltung ab. Während der Senat davon ausgeht, dass die Rechtswidrigkeit einer Dienstleistungskonzession als einziger Alternative zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrages von den Vergabenachprüfungsinstanzen zu prüfen ist und dies die Zuständigkeit von Vergabekammer und –senat begründet, ist das OLG Jena anderer Auffassung. Anstelle einer Divergenzvorlage nach § 124 Abs. 2 GWB tritt dabei die Rechtsbeschwerde (OLG München (NZBau 2011, 505)
58III.
59Der Antrag der Antragsgegnerin auf vorzeitige Gestattung eines Zuschlages mit Schriftsatz vom 21.September 2011 ist unbegründet.
60Die Voraussetzungen des § 121 GWB liegen nicht vor. Wie aus den Ausführungen unter II. hervorgeht, ist der Nachprüfungsantrag zulässig. Die Vergabekammer hat auch zutreffend – als solche durch die Antragsgegnerin auch nicht angegriffen - festgestellt, dass der Nachprüfungsantrag begründet ist. Ergänzend ist auszuführen, dass auch die Wahl des Verhandlungsverfahrens anstelle des gebotenen offenen Verfahrens (§ 101 Abs. 1 GWB) vergaberechtswidrig ist. Gründe für ein Verhandlungsverfahren (§ 3 Abs. 3, 4 EG VOL/A) sind nicht ersichtlich. Die Antragstellerin ist dadurch auch in ihren Rechten verletzt (s. BGH, Beschluss vom 10.11.2009 – X ZB 8/09 – Endoskopiesystem, NZBau 2010, 124 = VergabeR 2010, 210).
61Der Antrag ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung der Abfallbeseitigung im Gebiet der Stadt V... ab dem 01. Januar 2012 begründet. Wie die Antragsgegnerin im Termin vom 28. September 2011 erläutert hat, beabsichtigt sie interimsweise die Vergabe einer Dienstleistungs(unter-)konzession. Wieso nicht interimsweise die Vergabe eines Dienstleistungsauftrages (sei es durch sie, sei es durch die Stadt V...) möglich ist, bleibt unklar.
62Rechtsmittelbelehrung:
63Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 576 ZPO). Sie ist binnen einer Frist von einem Monat, beginnend mit der Zustellung dieser Entscheidung, durch Einreichung einer Beschwerdeschrift beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, einzulegen; die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die sich die Rechtsbeschwerde richtet, sowie die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde, enthalten. Die Rechtsbeschwerde ist binnen eines Monats, beginnend mit der Zustellung dieser Entscheidung, beim Bundesgerichtshof schriftlich zu begründen, wobei die Frist auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden kann; die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde, und die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe (bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben) enthalten. Rechtsbeschwerdeschrift und –begründung müssen durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
64Dicks Schüttpelz Frister
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