Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 60/11
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird unter Zurückweisung der Anschlussbeschwerde der Antragstellerin der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 14. Juni 2011 (VK 1-54/11) aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag wird abgelehnt.
Der Antragstellerin werden die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens sowie die der Antragsgegnerin und der Beigeladenen in beiden Instanzen zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit entstande-nen Aufwendungen und Kosten auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 1.450.000 Euro
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I. Die Antragsgegnerin, vertreten durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung als Vergabestelle, schrieb im Zuge des Neubaus des Bundesinnenministeriums in Berlin, Moabiter Werder (Gesamtauftragswert über 200 Mio Euro), im Dezember 2010 Baugruben- und Rohbauarbeiten EU-weit im offenen Verfahren aus (Auftragswert annähernd 30 Mio Euro). Die Vergabestelle schloss das Angebot der Antragstellerin von der Wertung aus, weil der von ihr bei der "Bewehrung: Verlegearbeiten Betonstahl" (Titel 4 und 5 des Leistungsverzeichnisses) einzusetzende Nachunternehmer (die D..., Inhaber: …) vorsätzlich unzutreffende Erklärungen in Bezug auf seine Zuverlässigkeit abgegeben habe (konkret: hinsichtlich eines Insolvenzverfahrens, vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g VOB/A). Der Nachunternehmer sei überdies nicht - wie gefordert - drei Jahre, sondern lediglich zwei Jahre auf dem betreffenden Markt tätig. Außerdem bestünden Zweifel an seiner sachlichen Eignung.
3Nach erfolgloser Rüge stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag, der vor der Vergabekammer erfolgreich war. Die Vergabekammer ordnete eine erneute Angebotswertung unter Einschluss des Angebots der Antragstellerin an. Auf die Gründe ihrer Entscheidung wird verwiesen.
4Dagegen hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde, die Antragstellerin Anschlussbeschwerde erhoben.
5Die Antragsgegnerin begehrt Ablehnung des Nachprüfungsantrags. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und beantragt,
6unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Nachprüfungsantrag abzulehnen.
7Die Beigeladene schließt sich diesem Antrag an.
8Die Antragstellerin beantragt,
9die sofortige Beschwerde zurückzuweisen,
10sowie im Wege der Anschlussbeschwerde,
11unter teilweiser Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer auszusprechen, dass die erneute Prüfung und Wertung ihres, der Antragstellerin, Angebots nicht unter Berücksichtigung der Eignung des in Rede stehenden Nachunternehmers, hilfsweise aber jedenfalls unter Berücksichtigung der an den Nachunternehmer verliehenen Eignung vorzunehmen sei.
12Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer und geht mit der Anschlussbeschwerde darüber noch hinaus.
13Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
14die Anschlussbeschwerde zurückzuweisen.
15Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und die Anlagen sowie auf das Protokoll über den Senatstermin verwiesen.
16II. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Der Nachprüfungsantrag ist abzulehnen. Infolgedessen hat auch die Anschlussbeschwerde keinen Erfolg.
171. Der Nachprüfungsantrag ist aus zwei Gründen erfolglos: Erstens erfüllt der Nachunternehmer der Antragstellerin (das Einzelunternehmen D..., Inhaber: ....) nicht die zulässigerweise gestellte Mindestanforderung, vor Erteilung des Auftrags bereits drei Jahre auf dem einschlägigen Markt tätig gewesen zu sein. Und zweitens hat der Inhaber jenes Unternehmens auf Nachfrage der Vergabestelle vorsätzlich unzutreffende Angaben hinsichtlich seiner Zuverlässigkeit (und zwar in Bezug auf ein Insolvenzverfahren, vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g VOB/A) gemacht. Beide Gründe zwingen dazu, das Angebot der Antragstellerin aus der Wertung zu nehmen. Ob dem Nachunternehmer der Antragstellerin - wie die Antragsgegnerin geltend macht - darüber hinaus auch in materieller Hinsicht aus technischen und/oder wirtschaftlichen Gründen eine Eignung abzusprechen ist, die zu übertragenden Aufgaben vertragsgemäß auszuführen, kann auf sich beruhen. Darauf kommt es für die Entscheidung ebenso wenig an wie auf einen weiteren geltend gemachten Ausschlussgrund nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a VOB/A (fakultativer Ausschluss bei einem Insolvenzverfahren oder einem vergleichbaren gesetzlich geregelten Verfahren gegen den Nachunternehmer).
18a) In der Vergabebekanntmachung war unter den Rubriken "Persönliche Lage des Wirtschaftsteilnehmers" (III.2.1) und "Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit" (III.2.2) gefordert:
19Eintragung in die Liste des Vereins für Präqualifikation von Bauunternehmen e.V. (Präqualifikationsverzeichnis) oder Eigenerklärung gem. Formblatt 124 (Eigenerklärung zur Eignung). …
20Das Formblatt 124 ist erhältlich bei: …
21An dieser Stelle folgte ein Hinweis (Verlinkung) auf die Internetseite der Vergabestelle.
22In der Angebotsaufforderung wiederholte die Vergabestelle unter der Überschrift
23"Vorlage von Nachweisen/Angaben für den Bieter und die von ihm nach Formblatt 236EG verpflichteten Unternehmen"
24die vorgenannte Forderung. Danach war das Formblatt 124 "Eigenerklärung zur Eignung" mit dem Angebot ausgefüllt vorzulegen. Ferner gab die Vergabestelle an:
25Ist der Einsatz anderer Unternehmen beabsichtigt, ist auf Verlangen der Vergabestelle von jedem benannten Unternehmen das Formblatt 236EG "Verpflichtungserklärung" vorzulegen.
26Mit Schreiben vom 17.3.2011 gab die Vergabestelle der Antragstellerin auf, für das von ihr bei den Positionen Bewehrung: Verlegearbeiten Betonstahl einzusetzenden Nachunternehmen (D..., Inhaber: ....) die Formblätter 124 (Eigenerklärung zur Eignung) und 236EG (Verpflichtungserklärung des Nachunternehmers) einzureichen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob es sich dabei um eine Nachforderung im Sinn des § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A handelte.
27Im Formblatt 124 waren Angaben zur Geschäftstätigkeit in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren sowie jeweils Umsatzangaben verlangt (für 2008 bis 2010). Der Nachunternehmer nahm für die Jahre 2009 und 2010 entsprechende Eintragungen vor, gab für das Jahr 2008 jedoch "0,00 €" Umsatz an. Infolgedessen steht fest, dass das bei den Betonstahl-Verlegearbeiten eingeplante Nachunternehmen eine geschäftliche Tätigkeit nur in den letzten zwei Geschäftsjahren vorweisen kann.
28Mit Rücksicht darauf, dass der Neubau allein wegen des Bauvolumens und des Kostenaufwands alle Merkmale eines Großbauvorhabens erfüllt, ist die Vorgabe einer mindestens dreijährigen Geschäftstätigkeit vergaberechtlich nicht als unangemessen oder mit dem Auftragsgegenstand nicht zusammenhängend zu beanstanden (vgl. § 6 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A sowie Art. 44 Abs. 2 UA 2 Richtlinie 2004/18). Dies hat - ungeachtet der darauf entfallenden, vergleichsweise geringeren Auftragsumme (Arbeitskosten ca. 800.000 Euro ohne Umsatzsteuer) - auch in Bezug auf die in Rede stehenden Betonstahl-Verlegearbeiten zu gelten. Armierungsarbeiten stellen bei der gebotenen funktionalen Betrachtung - namentlich an einem Bauvorhaben der angegebenen Größenordnung - keine lediglich untergeordnete oder weniger wichtige Bauleistung dar. Sie betreffen die Tragfähigkeit des Bauwerks und sind im Baubetrieb in enger Verzahnung mit vorgehenden (z.B. Schalungsarbeiten) und darauf aufbauenden Bauleistungen (bspw. Betonierarbeiten) auszuführen. Die Vorgabe einer mehrjährigen Geschäftstätigkeit betrifft die Erfahrung, Fachkunde und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens.
29Dreijährige Geschäftstätigkeit ist vorschriftsgemäß in der Vergabebekanntmachung verlangt worden (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. u, § 12a Abs. 2 Nr. 2 VOB/A). Sie ist nach den Umständen im Sinn einer Mindestanforderung zu verstehen und von allen Bietern so auch aufgefasst worden. Zwar war in der Bekanntmachung nicht unmittelbar zu lesen, dass eine mindestens dreijährige geschäftliche Tätigkeit verlangt war. Dies ergab sich jedoch aus dem Formblatt 124 (Eigenerklärung zur Eignung) und aus seiner Verwendung durch die Vergabestelle. Auf das Formblatt war in der Vergabebekanntmachung durch einen Link auf die Internetseite der Vergabestelle verwiesen. Am Auftrag interessierte Unternehmen konnten durch bloßes Anklicken zu dem Formblatt gelangen. Dieses Verfahren gewährleistete freie Zugänglichkeit der Informationen und entsprach damit auf transparente Weise zugleich dem Zweck der Bekanntmachung, den betreffenden Unternehmen durch Unterrichtung über die in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht gestellten Anforderungen eine Entschließung darüber zu ermöglichen, ob sie sich an der Ausschreibung beteiligen wollten oder nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.5.2007 - VII-Verg 1/07, Firmen-Fragenkatalog). In der Angebotsaufforderung (Vorlage von Nachweisen/ Angaben für den Bieter und die von ihm nach Formblatt 236EG verpflichteten Unternehmen) hat die Vergabestelle die Vorgabe einer mindestens dreijährigen Geschäftstätigkeit auch auf Nachunternehmer bezogen und insoweit Einreichung der Formblätter 124 (Eigenerklärung zur Eignung) und 236EG (Verpflichtungserklärung) mit dem Angebot oder auf Verlangen gefordert (vgl. § 6 Abs. 3 Nr. 5 VOB/A). Dies hat die Vergabestelle durch Schreiben vom 17.3.2011 an die Antragstellerin nochmals konkretisiert.
30Die Forderung, das ausgefüllte Formblatt 124 auch in Bezug auf Nachunternehmer einzureichen, zielte auf eine Prüfung der Eignung der angegebenen Nachunternehmen ab. Nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A ist der Auftraggeber zu einer Prüfung auch der Eignung von Nachunternehmern verpflichtet. Diese sollen bestimmungsgemäß in der Leistungssphäre des Auftragnehmers tätig werden. Der Auftragnehmer will einen Teil der ihm obliegenden Bau- oder sonstigen Leistung durch Nachunternehmer ausführen lassen, die - gewissermaßen ersatzweise - an seine Stelle treten. Es versteht sich von selbst, dass der Nachunternehmer für die von ihm zu übernehmenden Teile der Leistung in fachlicher, persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht denselben Eignungsanforderungen zu genügen hat wie der Auftragnehmer für jenen Leistungsteil (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2004 - VII-Verg 81/04, VergabeR 2005, 222, 225; ständ. Rspr.). Der Umstand, dass der Nachunternehmer D... der gestellten Mindestanforderung nicht entsprach, schlägt als Eignungsmangel auf die Antragstellerin durch. Ihr Angebot konnte allein deswegen nicht mehr in die nächsthöhere Stufe der Wertung gelangen.
31Die dagegen gerichteten Einwendungen der Antragstellerin rechtfertigen keine andere rechtliche Beurteilung:
32Die Vergabestelle ist bei der ihrem Beurteilungsspielraum unterliegenden Eignungsbewertung nicht deswegen an eine Vorfestlegung gebunden, weil sie in einem Aufklärungsgespräch auf den Mangel der vorausgesetzten Dauer einer Geschäftstätigkeit des Nachunternehmers D... nicht zu sprechen gekommen ist. Die Aufklärung hat - ersichtlich unter dem Gesichtspunkt der Vorsorglichkeit - anderen, und zwar unklaren Elementen im Angebot der Antragstellerin gegolten. Dabei musste die Geschäftstätigkeit des Nachunternehmers nicht angesprochen werden. In diesem Punkt waren die gemachten Angaben unmissverständlich und klar. Davon abgesehen ist der öffentliche Auftraggeber selbst dann nicht an einem - vergaberechtlich gebotenen - Angebotsausschluss gehindert, wenn er zunächst die Eignung eines Bieters bejaht und das Angebot zu Unrecht in die engere Wahl für den Zuschlag gezogen hat. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass das Vertrauen auf ein vergaberechtswidriges Verhalten des Auftraggebers rechtlich nicht schützenswert ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5.5.2004 - VII-Verg 10/04, VergabeR 2004, 650, 651).
33Die Antragstellerin kann sich ebenso wenig mit Erfolg auf einen Vertrauensschutz berufen, weil die Vergabestelle eine Eignung des Nachunternehmers D... bei dem früheren Bauvorhaben … angenommen habe. Die seinerzeit gestellten, nicht unbedingt gleichen Eignungsanforderungen sind nicht bekannt. Auch macht die Antragsgegnerin unwiderlegt geltend, eine Eignung des Nachunternehmers D... damals nicht geprüft zu haben, weil dieser als solcher nicht benannt worden sei.
34Die Antragstellerin darf den Nachunternehmer D... nicht gegen einen anderen austauschen. Der geplante Einsatz jenes Nachunternehmers war Gegenstand ihres bis zu einer Auftragserteilung bindenden und nicht veränderbaren Angebots, dessen genauer Inhalt in Bezug auf Nachunternehmer von der Vergabestelle lediglich zu einem späteren Zeitpunkt nach seiner Einreichung durch Nachfordern ausgefüllter Formblätter abgefragt worden ist. Auch eine nachträgliche Veränderung des Eigenleistungsanteils der Antragstellerin ist nicht statthaft (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5.5.2004 - VII-Verg 10/04, VergabeR 2004, 650, 651 f.). Ein früherer, was eine nachträgliche Auswechslung des Nachunternehmers betrifft, gegenteiliger Standpunkt des OLG Bremen (BauR 2001, 94, 97) ist vereinzelt geblieben. Er wird in der Rechtsprechung auch nicht mehr vertreten und gibt keine Veranlassung zur Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof (§ 124 Abs. 2 GWB).
35Der Fall einer sog. Eignungsleihe der Antragstellerin nach § 6a Abs. 10 VOB/A an den Nachunternehmer D... ist nicht gegeben. Durch rechtlich verbindliche Angaben oder Erklärungen, die im Angebot oder in dem vom Nachunternehmer ausgefüllten Formblatt 124 enthalten sein müssten, haben sich weder die Antragstellerin noch der Nachunternehmer darauf bezogen. Es handelt sich um eine Fiktion, anderenfalls um eine unstatthafte nachträgliche Änderung des Angebots.
36b) Darüber hinaus ist das Angebot der Antragstellerin wegen vorsätzlicher Falschangaben des Inhabers des Nachunternehmers D... im Formblatt 124 zu einem Insolvenzverfahren, mithin bei in Bezug auf die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit geforderten Erklärungen, nach § 16 Abs. 1 Nr. Buchst. g VOB/A von der Wertung auszuschließen.
37Im Formblatt 124 wurde unter anderem danach gefragt:
38- Ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares gesetzlich geregeltes Verfahren wurde beantragt.
- Ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares gesetzlich geregeltes Verfahren wurde eröffnet.
- Ein Insolvenzplan wurde rechtskräftig bestätigt.
Diese Fragen hat der Inhaber des Nachunternehmers D... verneint. Dabei war über sein Vermögen 2005 ein Insolvenzverfahren eröffnet worden, welches 2006 aufgehoben worden (Beschluss des AG Erfurt vom 12.6.2006 -174 IN 493/05) und in die sechsjährige sog. Wohlverhaltensperiode zur Restschuldbefreiung übergeleitet worden war (§§ 286 ff. InsO). Zwar mag das Insolvenzverfahren dadurch im Rechtssinn beendet worden sein. Doch waren die einem Insolvenzverfahren geltenden Fragen im Formblatt 124 in der Vergangenheitsform gestellt. Der Inhaber der D... hätte sie ausnahmslos bejahen müssen. Die Angaben sind entgegen der Annahme der Vergabekammer vorsätzlich falsch. Die Fragen waren keineswegs schwierig zu beantworten. Die Fragestellung im Formblatt bezog sich auf die Vergangenheit und umfasste auch das im Jahr 2006 aufgehobene Insolvenzverfahren. Der Inhaber der D... hatte sie uneingeschränkt zu bejahen. Die Entscheidung, ob seine Angaben im Rahmen der Eignungsprüfung verwertbar sein und wie sie gewertet würden, hatte er der Vergabestelle zu überlassen. Deren Entscheidung durfte weder vorweggenommen noch beeinflusst werden. Dass sich der Inhaber der D... der Unwahrheit seiner Angaben bewusst war, steht nach den Umständen fest. Die im Formblatt 124 gestellten Fragen waren einfach formuliert. Zudem hat der Inhaber der D... für eine richtige Beantwortung als im Geschäftsverkehr hinreichend gewandt zu gelten. So hat er sich gegenüber dem im Restschuldbefreiungsverfahren eingesetzten Treuhänder in einem Schreiben von August 2009 erklärt (GA 34):
40Um ein Fortbestehen meiner Firma nicht zu gefährden, ist es mir unmöglich, Gelder zur Begleichung der Forderung aus o.g. Insolvenzverfahren abzuziehen und hierfür einzusetzen.
41Wer sich im Geschäftsverkehr so auszudrücken weiß, hat auch die im Formblatt 124 gestellten Fragen richtig verstanden, was zu der Schlussfolgerung zwingt, dass die Beantwortung vorsätzlich unzutreffend erfolgte, dies zumal deswegen, weil die sechsjährige Wohlverhaltensperiode im Zeitpunkt der unzutreffenden Erklärung (am 18.3.2011) noch nicht abgelaufen war, und das aufgehobene Insolvenzverfahren weiterhin Rechtswirkungen insoweit äußerte, als der Inhaber der D... immer noch verpflichtet war, Erwerbseinkünfte aus selbständiger Tätigkeit an den im Restschuldverfahren bestimmten Treuhänder abzuführen (vgl. § 295 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 4, § 287 Abs. 2 InsO), ihm dies bekannt war, und er sich auch dadurch an das Insolvenzverfahren erinnert sehen musste. Falschangaben eines Nachunternehmers im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g VOB/A sind dem Bieter, im Streitfall der Antragstellerin, zuzurechnen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Unwahrheit der Erklärung dem Bieter bekannt oder erkennbar gewesen ist. Die Tatsache unwahrer Erklärungen eines Nachunternehmers unterfällt seiner Risiko- und Verantwortungssphäre. Dem Auftraggeber kann für derartige Falscherklärungen schlechterdings nicht die Gefahr überbürdet werden.
42Von einer Anwendung unzulässiger und ungleicher Prüfungsmaßstäbe an die Antragstellerin und den Nachunternehmer D... kann nicht gesprochen werden. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass die Vergabestelle bei der Wirtschaftsauskunftei Creditreform Informationen über den Nachunternehmer eingeholt hat, zumal diese sich als erforderlich erwiesen haben, um einer vorsätzlichen Falscherklärung des Nachunternehmers auf die Spur zu kommen. Für eine Anlegung ungleicher Prüfungsmaßstäbe sind im Übrigen keine tatsächlichen Anhaltspunkte hervorgetreten, welche die diesbezügliche Behauptung der Antragstellerin als prozessual überhaupt zulässig erscheinen lassen könnten (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - X ZV 14/06, Rn. 39).
43c) Ob - wie die Antragstellerin vermutungsweise geltend macht - auch das Angebot der Beigeladenen einem Ausschluss unterliegt, kann auf sich beruhen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, bleiben weitere Angebote in der Wertung. Die Antragstellerin bleibt demnach eine zweite Chance, sich mit einem anderen Angebot an der Ausschreibung zu beteiligen, vorenthalten (vgl. BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - X ZV 14/06; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.2008 - VII-Verg 56/07).
442. Die Anschlussbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Eine Beschwer ist als Zulassungsvoraussetzung nicht zu fordern, weil die Anschlussbeschwerde nicht als Rechtsmittel angesehen wird (vgl. BGHZ 4, 229, 234 = NJW 1952, 384; 1974, 1551; 1980, 702; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 524 ZPO Rn. 31 m.w.N.). In der Sache hat die Anschlussbeschwerde jedoch keinen Erfolg, was sich aus der Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags ergibt.
45III. Die Entscheidung über die Kosten und Aufwendungen folgt aus § 128 Abs. 3, 4 GWB sowie aus §§ 78, 120 Abs. 2 GWB. Die Feststellung einer für die Antragsgegnerin bestehenden Notwendigkeit, im Beschwerdeverfahren einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist im Gesetz nicht vorgesehen. In gerichtlichen Verfahren sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Kosten und Auslagen eines Rechtsanwalts dem obsiegenden Verfahrensbeteiligten in allen Prozessen zu erstatten (§ 91 Ab. 2 Satz 1 ZPO, § 73 Nr. 2 GWB; vgl. im Übrigen auch § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, der grundsätzlich auch zu Gunsten der öffentlichen Hand gilt, vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 162 Rn. 10 m.w.N.; Olbertz in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner VwGO, 21. Erg. Hs.; § 162 Rn. 36).
46Der Streitwertfestsetzung liegt das Bruttoangebot der Antragstellerin zugrunde.
47Dicks Schüttpelz Frister
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Referenzen
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