Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 9/12
Tenor
Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 19. März 2012 (VK-32/2011-B) wird zurückge-wiesen.
Der Senatsbeschluss vom 18. April 2012 ist damit gegenstandslos.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, eine etwaige Zuschlagserteilung dem Senat unverzüglich mitzuteilen.
Der Antragstellerin wird aufgegeben, dem Senat mitzuteilen, ob die Beschwerde weiterverfolgt wird.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn ihre sofortige Beschwerde ist voraussichtlich unbegründet.
3I.
4Das Angebotsverfahren ist nicht wegen Fehlern in den Vergabeunterlagen oder dem Verfahrensablauf zu wiederholen.
51.
6Die Antragstellerin kann nicht die gewählte Wertungsklausel unter 7.2 von "Abschnitt A, Teil 1 Angebotsaufforderung" erfolgreich beanstanden.
7a) Allerdings ist sie mit ihrer Rüge nicht präkludiert.
8Dass die Antragstellerin die – unterstellte – Vergaberechtswidrigkeit vor ihrer erstmaligen Rüge erkannt und sodann nicht "unverzüglich" gerügt hat, ist nicht erkennbar. Eine Kenntnis der Vergaberechtswidrigkeit setzt nicht nur die Kenntnis der Formel und ihrer Auswirkungen, sondern auch die Bewertung als Vergaberechtsverstoß voraus. Auf die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" unionrechtskonform ist (vgl. Byok, in Byok/ Jaeger, Vergaberecht, 3. Aufl., § 107 GWB Rdnrn. 78 ff.), kommt es daher nicht an.
9Die Voraussetzungen des § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 bzw. 3 GWB liegen nicht vor. Eine Angebotsfrist war in der EU-Bekanntmachung nicht angegeben. Eine analoge Anwendung scheidet aus den im Senatsbeschluss vom 18. April 2012 genannten Gründen aus.
10b) Die Rüge ist jedoch nicht begründet. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Wertungsformel mit Art. 55 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG und dem – richtlinienkonform auszulegenden - § 97 Abs. 5 GWB (vgl. auch § 25 Abs. 4 Nr. 5 SektVO) vereinbar.
11Die Vorschrift des § 97 Abs. 5 GWB selbst gibt keine Erläuterung, was unter dem wirtschaftlich günstigsten Angebot zu verstehen ist. Art. 55 Abs. 1 lit a) der Richtlinie 2004/17/EG sieht vor, dass – wie hier – bei beabsichtigtem Zuschlag auf das "wirtschaftlich günstigste Angebot" zu den Kriterien auch der Preis gehört. Erwägungsgrund 55 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie 2004/17EG erläutert dies dahingehend, dass die Angebote unter dem Gesichtspunkt des besten Preis-Leistungsverhältnisses zu bewerten seien. Dem trägt die beanstandete UfAB-Formel Rechnung. Die Angebote werden – vorausgesetzt, sie erreichen eine bestimmte Qualität – zunächst nach dem Verhältnis Leistungspunkte zu Preis (Kennzahl L/P) bewertet. In die engere Wahl gelangen allein die Angebote, die mindestens 85 % des Angebots mit der besten Kennzahl L/P erreichen. Dadurch wird der Preis nicht zu einer Nebensächlichkeit (vgl. zur Frage, welchen Stellenwert der Preis innerhalb einer Matrix aufweisen muss, Hailbronner, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 97 GWB Rdnr. 138 m.w.N.), sondern durch die Einstellung in dem Quotienten zu einem wesentlichen Zuschlagskriterium. Dass im letzten Wertungsschritt nur noch die Qualität eine Rolle spielt, ist nicht zu beanstanden. Der Schwankungsbereich von 15 % ist eng genug um zu verhindern, dass der Preis sowie das Preis-Leistungsverhältnis bei der Bewertung "marginalisiert" wird.
122.
13Die Antragsgegnerin hat eine Wertungsmatrix auch nicht nachträglich erstellt. Die Antragsgegnerin hat rechtzeitig vor dem Termin zur Abgabe der endgültigen Angebote die Wertungsmatrix vollständig den Bietern bekannt gegeben. Dass die Frist zu kurz war, wird nicht geltend gemacht.
14II.
15Das Angebot der Beigeladenen ist nicht auszuschließen.
161. Unzureichender Teilnahmeantrag
17Entgegen der Auffassung der Antragstellerin leidet der Teilnahmeantrag der Beigeladenen nicht an einem Mangel, der zu ihrem Ausschluss von dem weiteren Vergabeverfahren führen muss.
18Die Beigeladene hat das Formblatt "Bewerbergemeinschaftserklärung" ausgefüllt. Auch wenn man davon ausgeht, dass das Formblatt "rechtsverbindlich" zu unterzeichnen war (eine solche Anforderung stellt das Formblatt jedenfalls nicht ausdrücklich auf), so ist auch diese Anforderung erfüllt; das Formblatt ist von jeweils einem Vertreter der beiden Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft unterzeichnet. Eine Anforderung, wonach eine Unterschriftsleistung nur durch Vertreter statthaft war, die nach dem Inhalt des Handelsregisters zur Vertretung befugt waren, lag nicht vor; vielmehr konnte sich ihre Vertretungsmacht auch aus anderen Umständen ergeben (OLG Naumburg, NZBau 2008, 788; Vavra, in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, § 13 Rdnr. 4; Dittmann, in Kulartz/ Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 16 EG Rdnrn. 18 ff.). Aus diesem Grunde ist unerheblich, dass die Erklärung von einem Geschäftsführer der A... GmbH unterzeichnet wurde, der nach dem Handelsregister nur zusammen mit einem weiteren Geschäftsführer oder Prokuristen vertretungsbefugt war; jedenfalls war er im konkreten Fall vertretungsbefugt, wie sich bereits aus dem – von einem Geschäftsführer und einem Prokuristen unterzeichneten – Begleitschreiben ergab.
19Auch die Art der Beantwortung der Frage zum bevollmächtigten Vertreter der Bietergemeinschaft durch die Beigeladene berechtigte nicht zu deren Ausschluss. § 22 SektVO sieht – im Gegensatz zu § 21 Nr. 4 S. 1 VOL/A 2006, § 13 Abs. 6 S. 1 VOL/A 2009, § 16 Abs. 6 S. 1 EG VOL/A - eine Verpflichtung zur Mitteilung des bevollmächtigten Mitglieds nicht vor. Unabhängig davon war nach der gewählten Fragestellung durch die Abweichung von der Formulierung in § 21 Nr. 4 S. 1 VOL/A 2006, § 13 Abs. 6 S.1 VOL/A 2009 unklar, ob das bevollmächtigte Mitglied der Bietergemeinschaft (in diesem Falle also die A... GmbH) oder bestimmte natürliche Personen zu benennen waren. Schließlich hätten unterlassene oder unklare Angaben dazu im Teilnahmeantrag oder im Angebot keine Wirkungen (vgl. § 21 Nr. 4 S. 2 VOL/A 2006, § 13 Abs. 6 S. 2 VOL/A 2009, § 16 Abs. 6 S. 2 EG VOL/A).
20Dass die "Bewerberinformationen" zwingend mit dem Teilnahmeantrag unterschrieben einzureichen waren, ergibt sich weder aus der EU-Bekanntmachung noch aus den "Bewerberinformationen". In der EU-Bekanntmachung war unter VI.3. lediglich von einem Formblatt für die Eigenerklärungen und Angaben unter III.2. die Rede, nicht dagegen von der Benutzung eines Formblatts für den Teilnahmeantrag selbst. Die "Bewerberinformationen" dienten "zur ersten Interessenteninformation" und verwiesen auf bestimmte Anforderungen an den Teilnahmeantrag, sollten also nicht der Teilnahmeantrag selbst sein. Von einem Formblattzwang war lediglich unter 4. ("Bewerbergemeinschaften") die Rede, insoweit lag ein gesondertes Formblatt bei. Im Übrigen war lediglich davon die Rede, dass der Bewerber bestimmte Eigenerklärungen vorlegen sollten, für die kein Formblatt beigefügt war und die auch in den "Bewerberinformationen" nicht enthalten waren. Auch 6. konnte lediglich als Vorschlag für die Formulierung einer Eigenerklärung durch den Bewerber (die er auf einem gesonderten Blatt abgeben konnte), nicht aber zwingend als durch Unterzeichnung der "Bieterinformationen" abzugebende Erklärung ausgelegt werden.
21Soweit die Antragsgegnerin bestimmte Erklärungen zu Referenzen nachgefordert hat, war dies durch § 19 Abs. 3 SektVO gedeckt. Dass die Antragsgegnerin generell keine Unterlagen oder Erklärungen nachfordern würde, hat sie nicht erklärt. Auch auf die VOL/A 2006 wurde zu diesem Zeitpunkt kein Bezug genommen.
222. Unwirksames indikatives Angebot
23Das indikative Angebot der Beigeladenen ist nicht aus formellen Gründen auszuschließen.
24a) Das indikative Angebot der Beigeladenen ist unterschrieben. Es kann daher offen bleiben, ob im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens eine fehlende Unterschrift unter das indikative Angebot im Geltungsbereich der SektVO zum Ausschluss führt.
25b) Ein Ausschluss kann auch nicht deshalb erfolgen, weil die Beigeladene den Teil B 4 nicht unterschrieben (sondern nur paraphiert) hat.
26Allerdings war unter 1.4 von "Abschnitt B, Teil 4 – Preisangaben zum LV" vorgesehen, dass die "ausgefüllten Preisblätter bzw. Unterverzeichnisse … rechtsverbindlich zu unterschreiben" sind. Dementsprechend war auf Bl. 143 LV auch eine Unterschriftszeile mit dem Vermerk "rechtsgültige Unterschrift" vorgesehen.
27Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, dass damit Preisangaben fehlten, hätte das nicht zum sofortigen Ausschluss des indikativen Angebots geführt. Nach 3.4 der Bewerbungsbedingungen war ein Ausschluss erst dann vorgesehen, wenn fehlende Angaben und/oder Unterlagen nicht innerhalb einer Frist von 6 Werktagen auf Verlangen des Auftraggebers nachgereicht wurden. Diese Klausel gilt auch für Abschnitt B Teil 4. Auch Regelungen der SektVO stehen dem nicht entgegen. Wenn § 19 Abs. 3 SektVO für Bewerbungen und (bindende) Angebote die Nachforderung von Erklärungen und Nachweisen zulässt, gilt dies erst recht für indikative Angebote. Zwar wird vertreten, § 19 Abs. 3 SektVO gelte nicht für Preisangaben (Völlink, in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 19 SektVO Rdnr. 7). Dem ist jedoch nicht zu folgen. Aus § 19 Abs. 2 S. 2 EG VOL/A ist zu schlussfolgern, dass Preisangaben grundsätzlich als "Erklärungen und Nachweise" im Sinne des § 19 Abs. 2 S. 1 EG VOL/A anzusehen sind und die Nachforderung nur besonderen Beschränkungen unterliegt. Eine derartige Beschränkung fehlt in § 19 Abs. 3 SektVO vollständig. Eine Nichtanwendung des § 19 Abs. 3 SektVO auf Preisangaben hätte im Übrigen zur Folge, dass im Geltungsbereich der – im Allgemeinen weniger formstrengen – SektVO fehlende Preisangaben im Gegensatz zur VOB und zur EG VOL/A nie nachgeholt werden könnten.
28Die Antragsgegnerin hat die fehlende Unterschrift der Beigeladenen zwar nicht förmlich nachgefordert. Dies war aber nicht mehr notwendig, nachdem die Beigeladene ein formgerechtes endgültiges Angebot eingereicht hat, durch dass das indikative Angebot überholt wurde.
29III.
30Demgegenüber ist das abschließende Angebot der Antragstellerin auszuschließen.
311.
32Entgegen der Auffassung der Antragstellerin war aus den Vergabebedingungen eindeutig ersichtlich, dass von den A-Kriterien abweichende Angebote ausgeschlossen würden.
33a) Bereits unter 8. von "Abschnitt A, Teil 1 – Angebotsaufforderung" (Ordner 3 Bl. 16 ff.) (Aufforderung zur Abgabe eines indikativen Angebots) war eine Unterscheidung zwischen A-Kriterien und B-Kriterien vorgesehen. A-Kriterien waren danach "zwingende Anforderungen, die … jedenfalls vom abschließenden Angebot unbedingt erfüllt werden müssen bzw. deren Nichterfüllung zum Ausschluss des (abschließenden) Angebots von der Wertung führt". B-Kriterien zeichneten sich demgegenüber dadurch aus, dass ihre Erfüllung "grundsätzlich nicht Voraussetzung für die Wertbarkeit des Angebots, sondern für die vergleichende Bewertung der Angebote von Bedeutung" seien; insoweit wurde auf eine Wertungsmatrix verwiesen, wobei die B-Kriterien mit 0 bis 3 Punkten bewertet werden sollten.
34b) Daran hat die Aufforderung zur Abgabe des endgültigen Angebots festgehalten. Die Antragstellerin wurde mehrfach ausdrücklich (und zwar auch im Zusammenhang mit den Übereinstimmungslisten darauf hingewiesen, dass "eine Nichterfüllung der Anforderungsart A zum Ausschluss des Angebots von der Wertung führen würde (Bl. 7 der Aufforderung zur Abgabe eines abschließenden Angebots). Im Übrigen enthielt Nr. 7 von "Abschnitt A Teil 1 Angebotsaufforderung" gleiche Ausführungen wie unter a) beschrieben.
35Auch die Ausführungen zur Übereinstimmungserkärung (Nr. 15 Abschnitt B Teil 2 – Allgemeine Anforderungen) lassen nichts anderes erkennen. Zwar enthielt die Liste drei verschiedene Erklärungsmöglichkeiten des Bieters, nämlich
36- die vollständige Übereinstimmung seiner Lieferung,
- eine Abweichung von einer Anforderung (mit der Notwendigkeit einer Erläuterung von Ersatzmaßnahmen zur Erzielung der Kompatibilität),
- eine Nichterfüllung (mit der Notwendigkeit zur Erläuterung der Auswirkungen).
Der Text wies im Folgenden aber ausdrücklich auf die Unterscheidung zwischen A-Kriterien und B-Kriterien mit ihrer oben genannten Definition hin und verwies zudem auf Abschnitt 1 Teil A.
38Damit musste der Antragstellerin klar sein, dass eine nicht vollständige Erfüllung eines A-Kriteriums zum Ausschluss des Angebots führen würde.
392.
40Unstreitig erfüllt das Angebot der Antragstellerin nicht das A-Kriterium 65 in Gruppe 3.5.9.
41Es mag sein, dass die Antragsgegnerin die Abweichung intern als akzeptabel angesehen hat. Das ändert aber nichts daran, dass die Antragsgegnerin das Kriterium als A-Kriterium gekennzeichnet hatte. Die Antragsgegnerin hat die Abweichung auch nicht in den Bietergesprächen zum indikativen Angebot angesprochen oder sonst gebilligt.
42Dass die Antragsgegnerin in ihrem Schreiben, mit dem sie die Antragstellerin zur Abgabe eines abschließenden Angebots aufforderte, nicht ausdrücklich auf die Unvereinbarkeit der entsprechenden Position im indikativen Angebot mit der Leistungsbeschreibung hinwies, ist unerheblich. Dieses Schreiben enthielt ausdrücklich nur "beispielhaft" Abweichungen von Muss-Kriterien.
433.
44Ob Ähnliches für Kriterium 3 in Gruppe 2.7 gilt oder ob – wie die Antragstellerin geltend macht – die Antragsgegnerin die entsprechenden Angaben der Antragstellerin im indikativen Angebot in den anschließenden Aufklärungsgesprächen (vor Abgabe des abschließenden Angebots) ausdrücklich als ausschreibungskonform gebilligt hat, kann danach offen bleiben.
454.
46Aus diesem Grunde bedarf keiner Entscheidung, ob das Angebot der Antragstellerin auch wegen "fehlender" Preisangaben auszuschließen ist und ob die Beanstandungen der Antragstellerin gegen die Bewertung ihres Angebots durchgreifen.
47IV.
48Einer Kostenentscheidung bedarf dieser Beschluss nicht.
49Dicks Schüttpelz Rubel
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