Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 13/12
Tenor
Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 04. April 2012 (VK-33/2011-L) wird zurückgewiesen.
Der Senatsbeschluss vom 15. Mai 2012 ist gegenstandslos.
Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, eine etwaige Zuschlagserteilung unter Beifügen von Belegen dem Senat mitzuteilen.
Das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, verbunden mit einem Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB.
3Der Antrag ist zurückzuweisen. Er ist zulässig, aber unbegründet. Die sofortige Beschwerde hat voraussichtlich keinen Erfolg. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
4I.
5Der Zulässigkeit des Antrags nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB wie auch der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin es entgegen § 117 Abs. 4 GWB unterlassen hat, mit der Einlegung der Beschwerde die anderen Beteiligten des Verfahrens vor der Vergabekammer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten (vgl. Dicks in Ziekow-Völlink, Vergaberecht, § 117 GWB Rn. 17; Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 117 GWB Rn. 20; jeweils m.w.N.).
6II.
7Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, voraussichtlich jedoch unbegründet.
81. Der - auf Ausschluss des Angebots der einzigen anderen Bieterin zielende - Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist nicht unzulässig, weil ihr eigenes Angebot möglicherweise unter einem Ausschlussgrund leidet. Dies ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschl. v. 18.05.2004, X ZB 7/04, NZBau 2004, 457; Beschl. v. 26.09.2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800).
92. Die Antragstellerin hat nicht gegen ihre Rügeobliegenheit gemäß § 107 Abs. 3 GWB verstoßen.
10a) Kenntnis davon, dass die Antragsgegnerinnen das finale Angebot der Beigeladenen nicht ausgeschlossen haben, hat die Antragstellerin durch das Schreiben vom 10. November 2011 sowie ein Telefonat vom selben Tag erhalten. Ihre diesbezüglich nach anwaltlicher Beratung und dem Wochenende vom 12./13. November am 14., 17. und 18. November 2011 erhobenen Rügen sind noch als unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB anzusehen. Ob bzw. wann zuvor die Antragstellerin von den in diesem Zusammenhang geltend gemachten Ausschlussgründen der Nichterfüllung von Muss- und Mindestanforderungen des Leistungsverzeichnisses und einer fehlenden rechtlichen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen aufgrund eines Kooperationsvertrages Kenntnis hatte, ist demgegenüber unerheblich.
11Die kontrovers diskutierte Frage, ob das in § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB enthaltene Gebot einer "unverzüglichen" Rüge dem europarechtlichen Erfordernis einer hinreichend klaren und eindeutigen gesetzlichen Regelung im Sinne der neueren Rechtsprechung des EuGH (Beschl. v. 28.01.2010, C-456/08 Kommission/Irland, NZBau 2010, 256) standhält, bedarf danach keiner Entscheidung.
12b) Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Antragstellerin, ein zwingender Ausschluss des Angebots der Beigeladenen müsse daraus folgen, dass bereits ihr erstes Angebot den Anforderungen der Leistungsbeschreibung nicht genügt habe, bedurfte es keiner Rüge. Die Antragstellerin kannte den Inhalt dieses Angebots nicht und hatte auch keine Veranlassung, aufgrund der im Zuge der Angebotsrunden vorgenommenen Änderungen des Leistungsverzeichnisses Spekulationen hierüber anzustellen.
13Gleiches gilt für den Vorwurf, zwischen der Antragsgegnerin (zu 1.) und der Beigeladenen habe ein unzulässiger Informationsaustausch stattgefunden. Auch insoweit handelt es sich lediglich um eine Vermutung der Antragstellerin; von diesbezüglichen tatsächlichen Umständen hat sie keine Kenntnis.
142. Der Nachprüfungsantrag ist nach gegenwärtigem Stand der Dinge nicht begründet. Die Entscheidung der Antragsgegnerinnen, das Angebot der Beigeladenen nicht auszuschließen, ist trotz der Vielzahl der von der Antragstellerin vorgebrachten technischen und rechtlichen Bedenken vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
15a) Insbesondere scheidet das finale Angebot der Beigeladenen nicht wegen Unvollständigkeit bzw. Nichterfüllung der (Muss- und Mindest-) Anforderungen der Leistungsbeschreibung aus der Wertung aus. Die von den Antragsgegnerinnen vorgenommene Prüfung der Übereinstimmung des Angebots mit den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses genügt den vergaberechtlichen Anforderungen.
16In welchem Umfang bzw. welcher Tiefe der öffentliche Auftraggeber das Angebot eines Bieters zu prüfen hat, ist nicht nur an den Grundsätzen der Transparenz und Diskriminierungsfreiheit zu messen, sondern auch am Interesse des öffentlichen Auftraggebers an einer zügigen Umsetzung von Beschaffungsabsichten und einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens. Dem öffentlichen Auftraggeber kommt insoweit zu Gute, dass sich aus dem auch im Vergaberecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben Zumutbarkeitsgrenzen für die anstehenden Überprüfungen ergeben. Hinsichtlich der Eignungsprüfung hat der Senat bereits entschieden, dass in dem durch die Beteiligung an einer Ausschreibung gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB begründeten Schuldverhältnis die Belange der anderen am Auftrag interessierten Unternehmen nur im Rahmen des Zumutbaren zu berücksichtigen sind. Die Grenzen der Zumutbarkeit werden durch den kurzen Zeitraum, in dem die Entscheidung über die Auftragsvergabe zu treffen ist sowie durch die begrenzten Ressourcen und administrativen Möglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers, weitere Überprüfungen vorzunehmen, bestimmt (vgl. Senat, Beschl. v. 02.12.2009, VII Verg 39/09, NZBau 2010, 333; Scharen, GRUR 2009, 345, 347 ff.; vgl. auch EuGH, Urteil v. 15.05.2008, C-147/07 und C 148/06, NZBau, 2008, 453, Rn. 32, 33).
17Die vorgenannten Maßstäbe gelten gleichermaßen für die zu fordernde Prüfungstiefe in Fällen, in denen, wie hier, die Prüfung, ob ein Angebot den Anforderungen der Vergabeunterlagen entspricht und ob die angebotenen Konzepte umsetzbar sind, die Beurteilung einer Vielzahl komplexer technischer Fragen erfordert.
18Die Antragsgegnerinnen haben danach bei der Prüfung des Angebots der Beigeladenen zur Umstellung vom vorhandenen Verkehrsleitsystem (RBL) auf das neu zu beschaffende (ITCS) und der technischen Machbarkeit der von der Beigeladenen hierzu vorgelegten Konzepte das Erforderliche und Zumutbare getan. In den Aufklärungs- und Verhandlungsrunden, insbesondere zum zweiten und dritten Angebot, haben sie unter sachverständiger Beratung die dem finalen Angebot der Beigeladenen zu Grunde liegenden Migrationskonzepte ausführlich geprüft sowie für ausführbar und den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entsprechend gehalten. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens im Vergabenachprüfungsverfahren mit der Folge weiterer Verzögerungen des im Jahr 2009 bzw. 2010 begonnenen Vergabeverfahrens bedarf es danach nicht. Dies gilt umso mehr als nach dem zu schließenden Vertrag das Risiko der Erbringung des werkvertraglich geschuldeten Erfolgs - einschließlich der Mehraufwendungen bei technischen Schwierigkeiten - auf Seiten des Auftragnehmers liegt; dieser hat zudem durch Testläufe sicherzustellen, dass gravierende Betriebsstörungen in der Migrationsphase vermieden werden.
19b) Das Angebot der Beigeladenen ist des Weiteren nicht wegen fehlender rechtlicher Leistungsfähigkeit auszuschließen. Die in diesem Zusammenhang zwischen den Beteiligten umstrittenen Fragen - ob die Antragstellerin aus dem in Bezug genommenen Kooperationsvertrag Rechte herleiten kann, ob dieser Vertrag es dem Drittunternehmen A... als Herstellerin des bei der Antragsgegnerin zu 1.) vorhandenen Funkbediensystems untersagt, der Beigeladenen die nach Auffassung der Antragstellerin erforderliche Unterstützung bei der Anbindung bzw. Integrierung dieses Systems zu gewähren bzw. es der Fa. A... verbietet, für ihre Sprachkommunikationssysteme eine Kopplung zu einem ITCS-System eines mit der Antragstellerin im Wettbewerb stehenden Unternehmens anzubieten, zudem wie die kartellrechtliche Zulässigkeit eines solchen Kooperationsvertrages zu beurteilen wäre - können dahinstehen. Das finale Angebot der Beigeladenen sieht eine Mitwirkung der Fa. A... nicht vor.
20c) Das finale Angebot der Beigeladenen ist schließlich nicht deshalb von der Wertung auszunehmen, weil bereits ihr erstes Angebot wegen Nichterfüllung der Anforderungen des Leistungsverzeichnisses auszuschließen gewesen wäre. Zwar handelte es sich nicht um ein lediglich indikatives Angebot, sondern sahen die Vergabeunterlagen bei Nichterfüllung der Muss- und Mindestkriterien einen zwingenden Ausschluss des betroffenen Angebots vor. Gleichwohl erfolgte die Entscheidung der Antragsgegnerinnen, das erste Angebot der Beigeladenen nicht auszuschließen, vergabefehlerfrei. Die Vergabeakten lassen eine sorgfältige Angebotsprüfung unter sachverständiger Beratung erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass mit den von der Antragstellerin als Subunternehmerin angebotenen Schnittstellen die geforderte Erhaltung von wesentlichen RBL-Funktionen (Sprechfunk und Disposition) nicht möglich wäre, waren zu dieser Zeit nicht erkennbar, zumal sich das Migrationskonzept nicht ausschließlich auf diese Schnittstellen stützt.
21Auch eine nochmalige Prüfung unter Berücksichtigung der im Vergabenachprüfungsverfahren geäußerten unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten über den Umfang der nach dem Subunternehmerangebot geschuldeten Leistungen führt zu keinem anderen Ergebnis. Mit dem Nachprüfungsantrag hat die Antragstellerin vorgetragen, aus dem Telefonat vom 10. November 2011 schließe sie, dass sie nach dem Angebot der Beigeladenen eine Schnittstelle liefern sollte, über die es möglich sein sollte, die bestehenden RBL-Fahrzeuge durch das ITCS-System zu steuern. Das erfordere aber Anpassungen am RBL-System, die vom Subunternehmervertrag nicht umfasst seien.
22Dieser nachträglich zu Tage getretene Dissens rechtfertigt nicht den Ausschluss des ersten Angebots der Beigeladenen. Aufgrund des Subunternehmervertrags schuldete die Antragstellerin die Herbeiführung des in diesem Vertrag vereinbarten Erfolges. Aus dem Kontext des Vertrages, insbesondere dem Umstand, dass die Schnittstellen Teil des seinerzeitigen Migrationskonzepts der Beigeladenen waren, wie auch aus dem Vertragswortlaut, wonach u.a. die einzubringenden Funktionen in der Pflichtenheftphase definiert werden sollten, ist zu schließen, dass jedenfalls in einem gewissen Umfang Anpassungen geschuldet waren; dass mit diesen das seinerzeitige Migrationskonzept der Beigeladenen nicht durchführbar gewesen wäre, ist nicht ersichtlich.
23Das erste Angebot der Beigeladenen ist des Weiteren nicht wegen rechtlicher Leistungsunfähigkeit der Beigeladenen auszuschließen. Das Bestehen des Kooperationsvertrags, auf den die Antragstellerin sich diesbezüglich beruft, war den Antragsgegnerinnen bei der Prüfung des ersten Angebots nicht bekannt. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre ihnen nicht zuzumuten gewesen, umfangreiche tatsächliche und rechtliche Prüfungen dahingehend anzustellen, ob bzw. welche Rechte die Antragstellerin aus dem Vertrag herleiten kann und ob der Vertrag kartellrechtlich zulässig ist. Dies ist weder Aufgabe des Vergabe- noch des Vergabenachprüfungsverfahrens.
24d) Bei dem Vorwurf der Antragstellerin, es müsse zwischen der Antragsgegnerin zu 1.) und der Beigeladenen ein unzulässiger Informationsaustausch stattgefunden haben (über die Leistungsfähigkeit der vorhandenen Schnittstelle bzw. der Emulationssoftware des zu migrierenden Systems, etwa in Form von Handbüchern, Beschreibungen, Spezifikationen der Emulationssoftware), anders sei es nicht möglich, dass die Beigeladene ohne eine Aufzeichnung des Datenverkehrs in der Lage gewesen sei, ein tragfähiges, eindeutiges und bewertbares Angebot abzugeben, handelt es sich um eine bloße Vermutung der Antragstellerin, für die sich in den Vergabeakten keine Anhaltspunkte finden. Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass die Vergabeakten unvollständig wären. In der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer hat der Vertreter der Antragsgegnerinnen B... erklärt, die Beigeladene habe von der Möglichkeit, die Echtdaten an einer Schnittstelle mitzuschreiben, keinen Gebrauch gemacht; es seien keine ‚technischen Hilfsmittel‘ mit der Beigeladenen außerhalb denen, die in den Vergabeunterlagen dokumentiert sind, ausgetauscht worden. Der Senat sieht keine Veranlassung, weitere Beweise heranzuziehen.
253. Nach alledem kann dahinstehen, ob das Angebot der Antragstellerin im Hinblick auf eine mögliche Nichterfüllung von Mindestbedingungen der Leistungsbeschreibung, die Verletzung einer etwaigen Pflicht, auf das Bestehen des geltend gemachten Kooperationsvertrags hinzuweisen, einen etwaigen Kartellrechtsverstoß infolge des Kooperationsvertrags sowie den Umstand, dass die Antragstellerin am Teilnahmewettbewerb (der im vorangegangenen aufgehobenen Vergabeverfahren stattgefunden hat) nicht beteiligt war, auszuschließen ist.
26C.
27Der Antragstellerin kann keine weitergehende Akteneinsicht, insbesondere in die Prüfvermerke der Antragsgegnerinnen zu den streitigen technischen Fragen, gewährt werden. Bei den aus den Angeboten der Beigeladenen und den entsprechenden Prüfvermerken der Antragsgegnerinnen hervorgehenden Lösungskonzepten handelt es sich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 111 Abs. 2 GWB. Dem Sachvortrag der Antragstellerin, diese seien nicht schutzwürdig, weil es sich bei dem konkreten Projekt um das letzte seiner Art handele, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Antragstellerin und die Beigeladene sind Konkurrentinnen auf dem Markt für Betriebsleitsysteme und damit auch bezüglich der Migration bestehender Verkehrsleitsysteme. Es steht daher zu befürchten, dass eine Offenlegung der Migrationskonzepte der Beigeladenen diese im Wettbewerb mit der Antragstellerin um laufende und künftige Migrationsaufträge erheblich benachteiligen könnte.
28D.
29Einer Kostenentscheidung bedarf es in diesem Verfahrensstadium nicht.
30Dicks Rubel Barbian
31Zusatz:
32Der Nachprüfungsantrag wurde am 06.08.2012 zurückgenommen.
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