Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 12/12
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Ver-gabekammer bei der Bezirksregierung Detmold vom 03. April 2012 – VK. 3-12/11 – aufgehoben. Dem Antragsgegner wird im Vergabeverfahren betreffend Ingenieurleistungen für die Baumaßnahme "Kreisstraße …, Abschnitt 1, Ausbau des …weges mit Überführung der Bahnstrecke" ein Zuschlag untersagt.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die den Verfahrensbeteiligten im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen Aufwendungen werden von der Antragstellerin zu ¼ und vom Antragsgegner zu ¾ getragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens unter Einschluss der Kosten des Verfahrens gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB und die den Verfahrensbeteiligten entstandenen außergerichtlichen Kosten werden von der Antragstellerin zu ¼ und vom Antragsgegner zu ¾ getragen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 27.340,70 € festgesetzt.
1
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2A.
3Der Antragsgegner schrieb die Vergabe von Ingenieurleistungen für die Baumaßnahme "Kreisstraße …, Abschnitt 1, Ausbau des …weges mit Überführung der Bahnstrecke (Ingenieurleistung)" im VOF-Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb europaweit aus. In der Bekanntmachung heißt es:
4"Der Kreis Herford unterhält als Straßenbaulastträger im östlichen Teil der Gemeinde L… die Kreisstraße … mit der Eisenbahnkreuzung der Bahnstrecke …-…. Aufgrund der bisherigen Trassenführung und den veralteten Signal- und Schrankenanlagen ist eine veränderte Eisenbahnquerung geplant. Von den im Vorfeld untersuchten Varianten (Trassenverlegung und Querungsveränderung) werden jetzt die zwei Varianten
5- Brückenbauwerk für die Straße über die Bahn und die Landstraße L ….
- Sicherheitslösung mit veränderten Aufstellenlängen und erneuerten Signalanlagen
favorisiert."
7Die Leistungsphasen 1 und 2 der HOAI sollten direkt vergeben werden, die Leistungsphasen 3 bis 9 der HOAI optional.
8Der Antragsgegner wählte sechs der eingegangenen Teilnahmeanträge aus und forderte die Teilnehmer mit Schreiben vom 5.8.2011 zur Abgabe eines vorläufigen Angebots auf. Einziges Zuschlagskriterium sollte der niedrigste Preis sein.
9Alle vier eingereichten Angebote verstießen gegen die Vorgaben der Bewerbungsbedingungen. Gleichwohl entschied sich der Antragsgegner, die Angebote nicht auszuschließen, sondern im Verfahren zu belassen. Er forderte die Bieter mit Schreiben vom 2.9.2011 zur Abgabe eines endgültigen Angebots auf. Darin hieß es:
10"Bitte beachten Sie folgendes: Die Vergabeunterlagen dürfen nicht verändert werden, insbesondere ist es nicht zulässig, Leistungen aus dem Vertragsumfang auszuschließen. Beachten Sie insoweit unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Es ist bekannt, dass die LP 8 bei der Tragwerksplanung nicht als HOAI-gebundene Leistung vorhanden ist. Die Aufnahme in die ergänzenden Leistungen zeigt deutlich, dass der Kreis Herford diese Leistung im Falle der Auftragserteilung erbracht haben will. … Bitte bepreisen sie das Angebot vollständig, insbesondere unter Beachtung der beigefügten allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreises Herford. …"
11Einen angebotsspezifischen Hinweis auf die konkret vorliegenden Verstöße gegen die Bewerbungsbedingungen erhielten die Bieter dagegen nicht. Auch erfuhren sie nicht, dass der Antragsgegner alle Angebote hatte ausschließen können.
12Alle verbliebenen Bieter reichten Angebote ein. Im Angebotsanschreiben der Antragstellerin vom 13.9.2011 hieß es unter anderem:
13"In der Anlage zu 10.4.2 Tragwerksplanung für Ingenieurbauwerke sind Preisangaben zu den Leistungsphasen 7 (Mitwirkung bei der Vergabe) und 8 (Bauüberwachung) gefordert. Alle unter diesen Punkten genannten zu erbringenden Leistung sind bereits vollständig in der Objektplanung bzw. als besondere Leistung zur Objektplanung in der Anlage 10.4.1, Ziffer 8 enthalten. Die ebenfalls angefragten Leistungen zur Leistungsphase 9 Objektbetreuung und Dokumentation entfallen bei der Tragwerksplanung, so dass eine Bewertung mit 0,00 € berechtigt ist."
14Die Antragstellerin gab das günstigste Angebot ab, wurde jedoch mit Schreiben vom 6.10.2011 darüber unterrichtet, dass es - ebenso wie die Angebote von zwei weiteren Bietern - von der Wertung ausgeschlossen werde, weil sie die Vergabeunterlagen geändert und Leistungen ausgeschlossen sowie Preisangaben nicht gemacht habe. Der Antragsgegner bezog sich dabei auf die Ausführungen der Antragstellerin zur Leistungsphase 9 (Tragwerksplanung) im Angebotsanschreiben vom 13.9.2011 sowie die fehlende Preisangabe zur Position "Analyse der erforderlichen signaltechnischen Berechnungen" (Anlage zu 10.5.1 Leistungen für Verkehrsanlagen, ergänzte Leistungsbeschreibung, LP 1). Der Zuschlag solle auf das - nunmehr allein verbliebene - zweitgünstigste Angebot, das der Beigeladenen, erteilt werden.
15Die Antragstellerin rügte die beabsichtigte Vergabe an die Beigeladene mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 11.10.2011. Der Antragsgegner wies die Rüge mit Schreiben vom 13.10.2011 zurück.
16Die Antragstellerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 14.10.2011 einen Nachprüfungsantrag gestellt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, ihr Angebot sei zu Unrecht ausgeschlossen worden. Sie habe die ausgeschriebenen Leistungen nicht verändert. Sie sei bereit, die ausgeschriebenen Tragwerksplanerleistungen der Leistungsphasen 7 bis 9 vollständig zu erbringen, meine aber, die in der Anlage zu 10.4.2 (Tragwerksplanerleistungen) aufgeführten Leistungen seien bereits in der Anlage zu 10.4.1 (Ingenieurleistungen) enthalten. Sie habe die ausgeschriebenen Leistungen nur nicht doppelt bepreisen wollen. Sie habe die Leistungen im endgültigen Angebot genauso wie im vorläufigen Angebot angeboten. Gleichwohl sei das vorläufige Angebot nicht ausgeschlossen worden. Sie sei folglich davon ausgegangen, dass dies auch beim endgültigen Angebot nicht zum Ausschluss führen werde. Überdies sei sie ungleich behandelt worden, denn die Beigeladene sei - anders als sie - auf den ihr ebenfalls drohenden Angebotsausschluss wegen der Angabe eines Preises von 0,00 € bei sechs Angebotspositionen im endgültigen Angebot hingewiesen worden. Diese habe ihr Angebot erläutern dürfen, nachdem der Antragsgegner ihr mit Schreiben vom 27.9.2011 folgende Fragen gestellt hatte:
17"Wir sind verpflichtet aufzuklären, was genau damit gemeint ist:
18- Bedeutet das, dass für die Leistung 0,00 € eingesetzt wurden, weil die Leistung von Ihnen im Falle des Vertragsschlusses nicht erbracht wird? In diesem Fall würde ihr Angebot ausgeschlossen werden, da es nicht mehr mit den übrigen Angeboten zu vergleichen wäre.
- Oder bedeutet das, dass sie die Leistung im Falle des Vertragsschlusses erbringen werden, aber keine gesonderte Vergütung angesetzt wird, die Erbringung dieser Leistungen also mit der von Ihnen im Angebot genannten Vergütung abgegolten sind? In diesem Fall würde ihr Angebot in der Wertung verbleiben."
Die Antragstellerin ist weiter der Auffassung, ihr Angebot dürfe auch nicht wegen eines versehentlich fehlenden und völlig unbedeutenden Preises in der Anlage 10.5.1 ausgeschlossen werden, denn der Antragsgegner habe sich in den Bewerbung- und Angebotsbedingungen die Nachforderung fehlender Erklärungen vorbehalten. Eine Ermessensentscheidung des Antragsgegners sei nicht erfolgt.
21Die Antragstellerin hat beantragt,
22- den Antragsgegner zu verpflichten, den Zuschlag nur unter Berücksichtigung ihres Angebots zu erteilen,
- hilfsweise, den Antragsgegner zu verpflichten, die Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
24die Anträge zurückzuweisen.
25Der Antragsgegner ist diesen Anträgen entgegengetreten. Er ist der Auffassung, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, weil die Antragstellerin verspätet gerügt habe. Der Nachprüfungsantrag sei überdies unbegründet. Der Vortrag der Antragstellerin, die in der Anlage zu 10.4.2 aufgeführten Leistungen seien vollständig in der Anlage zu 10.4.1 enthalten, sei unzutreffend. Die in den Leistungsphasen 7 bis 9 der Tragwerksplanung zu erbringenden Leistungen seien nicht mit den in den Leistungsphasen 7 bis 9 für Ingenieurbauwerke zu erbringenden Leistungen identisch. Wegen des mangelhaften Inhalts der vorläufigen Angebote habe sie den Bietern ausdrückliche Hinweise zum Inhalt der endgültigen Angebote gegeben. Sie habe auch keine Preisangaben nachfordern dürfen, weil sie ausweislich des Anschreibens gefordert habe, sämtliche Preise anzugeben.
26Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 3.4.2012 als zulässig, aber unbegründet zurückgewiesen. Sie hat ausgeführt, die Antragstellerin habe unverzüglich im Sinne von § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB gerügt. Sie habe angesichts ihres Ausschlusses noch Rechtsrat einholen müssen. Hierfür sei ein Zeitraum von fünf Tagen einschließlich des Wochenendes zuzubilligen.
27Die Antragstellerin sei jedoch zu Recht vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen worden, weil sie zwingende Vorgaben des Antragsgegners nicht beachtet habe, indem sie dessen Vordrucke abgeändert habe. So habe sie die Positionen der Leistungsphasen 7, 8 und 9 der Tragwerksplanung jeweils mit 0 € bepreist und dazu ausgeführt, die Leistungen der Leistungsphasen 7 und 8 seien bereits in der Anlage zu 10.4.1. Ziffer 8 (Ingenieurleistungen) enthalten, und die Leistungen der Leistungsphasen 9 würden bei der Tragwerksplanung entfallen. Dies sei jedoch unzutreffend. Der Antragsgegner habe ausweislich der Anlage zu 10.4.2 in den Leistungsphasen 7, 8 und 9 Leistungen erbracht haben wollen, die in der Anlage zu 10.4.1 nicht enthalten gewesen seien, wie sich schon aus seinem Wortlautvergleich ergebe. Soweit der Wortlaut identisch sei, handele es sich nicht um Doppelabfragen, weil es sich zum einen um Ingenieurleistungen und zum anderen Tragwerksplanerleistungen handele. Die Antragstellerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass nicht schon ihr vorläufiges Angebot ausgeschlossen worden sei. Einem entsprechenden Vertrauen der Antragstellerin stehe schon der Inhalt des Schreibens des Antragsgegners vom 1.9.2011 entgegen, indem er alle Bieter darauf hingewiesen habe, dass die Vergabeunterlagen nicht verändert werden dürften und es unzulässig sei, Leistungen aus dem Vertragsumfang auszuschließen. Er habe zudem darauf hingewiesen, dass das Angebot vollständig zu bepreisen sei. Der Auftraggeber habe auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, indem er nur die Beigeladene, nicht aber die Antragstellerin um eine Aufklärung ihres Angebots gebeten habe. Zwar habe auch die Beigeladene zwei Positionen der Leistungsphase 9 mit 0 € bepreist, habe aber - anders als die Antragstellerin - in ihrem Angebot den Grund nicht näher erläutert. Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin könne dagegen nicht auf den fehlenden Preis für signaltechnische Leistungen gestützt werden, weil sich aus § 11 Abs. 3 VOF ergebe, dass der Auftraggeber fehlende Erklärungen nachfordern könne und sich der Antragsgegner in den Bewerbungsbedingungen auch vorbehalten habe, fehlende Erklärungen nachzufordern. Sein ihm zukommendes Ermessen habe er ausweislich des Vergabevermerks nicht ausgeübt.
28Gegen den Beschluss der Vergabekammer hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 27.4.2012 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Verfahren vor der Vergabekammer. Sie führt ergänzend aus, ihre Erklärung, ein Preis einer ausgeschriebenen Position sei bereits in einer anderen Position enthalten, sei nicht zu beanstanden, weil sie ersichtlich die entsprechende Position pauschal mit einer anderen Position des Leistungsverzeichnisses habe abgegolten sehen wollen. Ihre Erklärung habe nicht so verstanden werden können, dass die Leistung nicht habe erbracht werden sollen. Auch ihre Erklärung zur Leistungsphase 9 der Tragwerksplanung sei nicht als unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen anzusehen. Der Antragsgegner habe die Bieter auch nicht darüber aufgeklärt, dass alle vorläufigen Angebote mit Fehlern behaftet gewesen seien, so dass sie hätten ausgeschlossen werden müssen. Die Bieter hätten aus dem Verhalten des Antragsgegners nicht schließen müssen, dass nur auszuschließende vorläufige Angebote vorgelegt worden waren. Es sei für die Bieter auch nicht erkennbar gewesen, dass jedwede Änderung an den Vergabeunterlagen zum Ausschluss des Angebots führen würde. Das Verhalten des Antragsgegners habe gegen die Aufklärungspflicht verstoßen und sei intransparent gewesen. Transparenz habe der Antragsgegner ausschließlich gegenüber der Beigeladenen hergestellt, die die Gelegenheit zur Beantwortung der Fragen im Schreiben vom 27.09.2011 erhalten habe.
29Die Antragstellerin beantragt,
30- die Entscheidung der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Detmold vom 3.4.2012 - VK. 3-12/11 - aufzuheben,
- den Antragsgegner zu verpflichten, den Zuschlag nur unter Berücksichtigung ihres Angebots zu erteilen,
- hilfsweise zu 2.: den Antragsgegner zu verpflichten, die Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats zu wiederholen,
Der Antragsgegner beantragt,
32die Anträge zurückzuweisen.
33Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss, indem er das Vorbringen aus dem Verfahren vor der Vergabekammer wiederholt und vertieft. Die HOAI nehme eine Trennung zwischen Ingenieurleistungen und Tragwerksplanerleistungen vor. Selbst wenn die jeweils zu erbringenden Leistungen ähnlich oder gleich formuliert seien, unterschieden sich die Ingenieurleistungen deutlich von den Tragwerksplanerleistungen. Benötige ein Auftraggeber beide Leistungen, so müsse er auch beide Leistungsbilder vereinbaren und nach den Vorschriften der HOAI gesondert abrechnen, auch wenn die Leistungen von identischen Personen erbracht würden. Daher müsse sowohl für die Ingenieurleistungen als auch für die Tragwerksplanerleistungen jeweils ein Preis im Angebot ausgewiesen werden. Weil alle vorläufigen Angebote hätten ausgeschlossen werden müssen, habe es keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dargestellt, dass alle Bieter zum weiteren Verfahren zugelassen worden seien. Die Bieter seien hierüber nicht informiert worden, weil die vorgenommenen Änderungen offensichtlich gewesen seien. Jeder Bieter habe wegen seiner weiteren Beteiligung am Vergabeverfahren erkennen können, dass er zugelassen worden sei, obwohl er die Vergabeunterlagen geändert habe. Die Tragwerksplanung habe bis zur Leistungsphase 9 von einem Tragwerksplaner erbracht werden müssen. Wäre die Antragstellerin der Meinung gewesen, dass hierfür kein gesonderter Aufwand entstehe, hätte sie die geforderten Leistungen mit 0 € bepreisen dürfen. Sie habe diese Leistung jedoch nicht ausdrücklich aus dem Leistungsumfang herausnehmen dürfen. Dies stelle eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen dar. Er, der Antragsgegner, habe über das Angebot der Antragstellerin nicht aufklären müssen, weil dieses schon wegen der Herausnahme von Leistungen und wegen einer fehlenden Preisangabe auszuschließen gewesen sei.
34Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten sowie auf die Verfahrensakten der Vergabekammer und die Vergabeakte verwiesen.
35B.
36Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg, denn ihr Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Das Vergabeverfahren ist in den Stand vor der Wertung der Angebote zurückzuversetzen. Der Antragsgegner hat bei fortbestehender Vergabeabsicht zunächst bei der Antragstellerin den fehlenden Preis für die Analyse der erforderlichen signaltechnischen Berechnungen nachzufordern und anschließend alle Angebote - einschließlich des Angebots der Antragstellerin - neu zu bewerten.
371.
38Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im Beschluss der Vergabekammer verwiesen.
392.
40Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Das Angebot der Antragstellerin durfte vom Antragsgegner entgegen der Auffassung der Vergabekammer nicht vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.
41a)
42aa) Es ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die Antragstellerin in der Anlage zu 10.4.2 (Leistungen Tragwerksplanung für Ingenieurbauwerke, Ergänzende Leistungsbeschreibung) bei den Leistungsphasen 7 und 8 jeweils einen Preis von 0 € angegeben hat.
43Bei der Angabe eines Preises von 0 € handelt es sich jedenfalls um eine Preisangabe im vergaberechtlichen Sinn, wenn der Bieter diese näher begründet oder erläutert hat (BGH, Beschluss vom 18.05.2004, X ZB 7/04, Juris). Ohnehin ist es einem Auftraggeber verwehrt, den Bietern anzugebende Mindestpreise vorzugeben (Senat, Beschluss vom 22.12.2010, VII-Verg 33/10, juris; Beschluss vom 08.06.2011, VII-Verg 11/11, juris. Eine solche Begründung oder Erläuterung durch den Bieter stellt keine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen dar.
44Wie sich aus dem Angebotsschreiben der Antragstellerin vom 13.9.2011 ergibt, wurde bei den Leistungsphasen 7 und 8 nicht deshalb jeweils ein Preis von 0 € angegeben, weil die ausgeschriebenen Leistungen nicht erbracht werden, sondern weil diese Leistungen zwar erbracht, aber nicht gesondert vergütet werden sollen. Dies geht auch aus einen Vergleich mit dem vorläufigen Angebot der Antragstellerin hervor, in dem sie bei den entsprechenden Positionen zwar ebenfalls einen Preis von 0 € angegeben, aber zusätzlich vermerkt hatte, dass diese Leistungsphasen bei der Tragwerksplanung entfielen, das heißt nicht erbracht werden würden. Aufgrund des Schreibens des Antragsgegners vom 2.9.2011, in dem nochmals darauf hingewiesen worden war, dass die Vergabeunterlagen nicht verändert werden dürften, hatte die Antragstellerin im endgültigen Angebot nicht nur auf den entsprechenden Zusatz in der Anlage zu 10.4.2. verzichtet, sondern im Anschreiben vom 13.9.2011 ausdrücklich die Erbringung der Leistungen bestätigt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die ausgeschriebenen Leistungen schon in den in der Anlage zu 10.4.1. (Leistungen für Ingenieurbauwerke, Ergänzende Leistungsbeschreibung) ausgeschriebenen Leistungen enthalten und mit dem dort angegebenen Preis abgegolten seien.
45Es schadet auch nicht, dass die Antragstellerin im Angebotsschreiben vom 13.9.2011 auf die Anlage 10.4.1. (Leistungen Ingenieurbauwerke) und nicht auf die Anlage zu 10.4.1. verwiesen hat, denn dabei handelt es sich - wie ohne weiteres ersichtlich ist - um ein bloßes Schreibversehen.
46Der Antragsgegner muss angesichts der eindeutigen Erläuterung der Antragstellerin im Angebotsschreiben auch nicht befürchten, dass diese die geforderten Leistungen nicht oder nur gegen zusätzliche Vergütung erbringen wird.
47Es ist auch weder vom Antragsgegner dargelegt worden noch zu erkennen, dass die von der Antragstellerin für die Ingenieur- und Tragwerksplanerleistungen geforderte Vergütung zu einer Unterschreitung der Mindestsätze der HOAI führen wird.
48bb) Es ist im Ergebnis ebenso wenig zu beanstanden, dass die Antragstellerin in der Anlage zu 10.4.2 (Leistungen Tragwerksplanung für Ingenieurbauwerke, Ergänzende Leistungsbeschreibung) bei der Leistungsphase 9 gleichfalls einen Preis von 0 € angesetzt hat.
49Zur Erläuterung dieser Preisangabe hat die Antragstellerin im Angebotsschreiben vom 13.9.2011 allerdings angegeben, diese Leistungen würden bei der Tragwerksplanung entfallen, so dass ein Preis von 0 € berechtigt sei. Bei einer isolierten Betrachtung kann dies zwar so verstanden werden, dass die Leistungen nicht erbracht werden sollen, weil sie bei der Tragwerksplanung nicht er-bracht werden müssen. Ein solches Verständnis der Erklärung greift jedoch zu kurz. Es bedarf einer Auslegung dieser Erklärung aus einer objektivierten Sicht des Auftraggebers unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Inhalts des vorläufigen und des endgültigen Angebots sowie der in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärungen und Erläuterungen des Bieters. Allerdings führt auch eine Auslegung unter Berücksichtigung aller Umstände nicht zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die Leistungen erbracht werden sollen, wenngleich mehr dafür als dagegen spricht. Insbesondere der Vergleich des endgültigen Angebots mit dem vorläufigen Angebot der Antragstellerin spricht dafür, dass die Leistungen ohne zusätzliche Vergütung erbracht werden sollen. Im vorläufigen Angebot hatte die Antragstellerin in der Anlage zu 10.4.2 bei der Leistungsphase 9 ebenfalls einen Preis von 0 € angegeben, aber dort ausdrücklich zusätzlich vermerkt, dass diese Leistungsphase bei der Tragwerksplanung entfalle. Im endgültigen Angebot fehlt dagegen dieser Vermerk in der Anlage zu 10.4.2 bei der Leistungsphase 9; er findet sich nur noch im Angebotsanschreiben vom 13.9.2011. Es ist auch kein sachlicher Grund vorhanden, weshalb die Antragstellerin, die über entsprechend qualifizierte Mitarbeiter verfügt, von objektiven Vorgaben des Antragsgegners abweichen und die Leistung nicht vollständig erbringen wollen sollte, was - wie sie wusste – in jedem Fall zum Angebotsausschluss führen würde.
50Letztlich hätte die Auslegungssituation den Antragsgegner dazu veranlassen müssen, über den Inhalt des Angebots der Antragstellerin aufzuklären, bevor sie es ausschließen konnte. Ein unzulässiges Nachverhandeln des Angebots hätte darin nicht gelegen. Eine Aufklärung wäre insbesondere auch deshalb geboten gewesen, weil der Antragsgegner die mehrfache Preisangabe von 0 € im endgültigen Angebot der Beigeladenen zum Anlass genommen hat, darüber mit Schreiben vom 27.9.2011 aufzuklären und zwar zudem in einer Weise, die für die Beigeladene keinerlei Zweifel zuließ, welche Antwort sie zu geben hatte, um den drohenden Angebotsausschluss zu vermeiden. Der Antragsgegner hätte daher schon zur Wahrung des Gleichbehandlungsgebotes auch über das Angebot der Antragstellerin aufklären müssen.
51Hinzu kommt, dass der Antragsgegner die Bieter, deren vorläufige Angebote in einer Weise gegen seine Vorgaben verstoßen hatten, dass dies ihren Ausschluss gerechtfertigt hätte, nur mit einer pauschal gehaltenen Angebotsaufforderung vom 2.9.2011 auf die Angebotsmängel hingewiesen hatte. Aufgrund des unbestimmten und unklaren Inhalts des Schreibens war für die Bieter nicht zu erkennen, welche konkreten Ausschlussgründe bei ihren vorläufigen Angeboten vorlagen. Erschwerend kam hinzu, dass der Antragsgegner in der Ziffer 6.1. der Aufforderung zur Abgabe eines vorläufigen Angebots vom 5.8.2011 ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass mangelhafte Angebote in jedem Fall ausgeschlossen würden, dies aber tatsächlich nicht getan hatte. Der Antragsgegner hätte auch - wie im Senatstermin erörtert - die Bieter unschwer in individueller und konkreter Weise über die Mängel ihrer vorläufigen Angebote und den Umstand, dass auf einen Ausschluss entgegen dem Inhalt des Schreibens vom 5.8.2011 verzichtet worden war, unterrichten können. Die Bieter mussten stattdessen ihr vorläufiges Angebot im Lichte des Schreibens vom 2.9.2011 selbst daraufhin überprüfen, ob und aus welchen Gründen es möglicherweise hätte ausgeschlossen werden müssen, um die Wiederholung dieser Verstöße im endgültigen Angebot zu vermeiden. Ein einheitliches Verständnis des Schreibens des Antragsgegners durch die Bieter war damit nicht sichergestellt. Damit wurde den Bietern unter Verletzung des Transparenzgebots das Risiko von Missverständnissen auferlegt (vgl. zum Erfordernis der Bestimmtheit von verfahrensbegleitenden Hinweisen/Nachforderungen des Auftraggebers auch: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.03.2011 – VII-Verg 56/10). Dieses Risiko hat sich letztlich auch realisiert, was daran zu erkennen ist, dass der Antragsgegner drei der vier endgültigen Angebote ausgeschlossen hat, so dass unter Ausschaltung des Wettbewerbs nur noch das Angebot der Beigeladenen übrig blieb.
52Die gebotene Aufklärung des Angebots der Antragstellerin ist im Beschwerdeverfahren jedoch erfolgt. Danach sollen sämtliche ausgeschriebenen Leistungen von der Antragstellerin erbracht werden. Die Leistungen der Leistungsphasen 7, 8 und 9 der Anlage zu 10.4.2 sind nur deswegen mit null Euro bepreist worden, weil sie in den Ingenieurleistungen enthalten sind. Sie werden vollständig erbracht und sind mit den in der Anlage zu 10.4.1 angegebenen Preisen abgegolten. Das Angebotsanschreiben vom 13.9.2011 sei – so die Antragstellerin – lediglich "unglücklich formuliert" worden.
53Der Antragsgegner muss wegen der im Nachprüfungsverfahren erfolgten Aufklärung auch nicht befürchten, dass die Antragstellerin die ausgeschriebenen Tragwerksplanerleistungen nicht oder nur gegen zusätzliche Vergütung erbringen wird. Die Antragstellerin hat sich im Prozess ausdrücklich zu der Verpflichtung, die in Rede stehenden Leistungen zu erbringen, bekannt. Ihre dahingehenden Erklärungen sind rechtsverbindlich. Davon abgesehen könnte der Antragsgegner der Antragstellerin diesbezüglich auch noch eine gesonderte Erklärung abverlangen.
54Im Übrigen ist auch hier weder vom Antragsgegner dargelegt, noch ersichtlich, dass die von der Antragstellerin für die Ingenieur- und Tragwerksplanerleistungen geforderte Vergütung zu einer Unterschreitung der Mindestsätze der HOAI führt.
55b)
56Der Antragsgegner hat bei fortbestehender Vergabeabsicht von der Antragstellerin gemäß § 11 Abs. 3 VOF vor einer erneuten Wertung der Angebote allerdings den fehlenden Preis für die Analyse der erforderlichen signaltechnischen Berechnungen (Anlage zu 10.5.1, Leistungen für Verkehrsanlagen, ergänzte Leistungsbeschreibung, LP 1) nachzufordern. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen im Ausgangspunkt auf die Ausführungen im Beschluss der Vergabekammer verwiesen werden. Auch wenn die Vorschrift des § 11 Abs. 3 VOF, anders als die diesbezüglichen Vorschriften der VOB/A (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 c), Nr. 3 VOB/A) und der VOL/A (§ 19 Abs. 2 S. 2 VOL/A-EG), fehlende Preisangaben nicht ausdrücklich erwähnt, sondern nur fehlende Erklärungen und Nachweise aufführt, umfasst der weit auszulegende Begriff der "fehlenden" Erklärungen angesichts des grundsätzlich großen Spielraums im Verhandlungsverfahren nach der VOF, welches es dem Auftraggeber überlässt, wie er das Verfahren im einzelnen gestaltet, auch fehlende Preisangaben (so auch: Voppel in Voppel, VOF, 3. Aufl., 2012, § 11, Rdnr. 13; Müller-Wrede in Müller-Wrede, VOF, 4. Aufl., 2011, § 11, Rdnr. 31; Weynand, Vergaberecht, IBR-Online-Komm., Std. 28.08.2012, § 11 VOF, Rdnr. 40 u. 46). Die in die VOF 2009 neu aufgenommene Vorschrift soll zudem verhindern, dass möglicherweise attraktive Angebote nur wegen des Fehlens einer Erklärung zwingend ausgeschlossen werden und folglich der Wettbewerb übermäßig eingeschränkt wird.
57Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift - anders als die Vergabekammer meint - dem Auftraggeber kein Ermessen einräumt (a.A.: Voppel, a.a.O., Rdnr. 13, siehe auch § 5, Rdnr. 22; Müller-Wrede, a.a.O., Rdnr. 29 u. 31; Weynand, a.a.O., Rdnr. 46/1, 47 u.53). Das Wort "können" bezieht sich nicht auf den Auftraggeber, sondern auf den Bieter. Dieser kann fehlende Erklärungen bei einem entsprechenden Verlangen des Auftraggebers nachreichen. Der Auftraggeber ist, wie auch im Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, nach dem Wortlaut der Vorschrift hingegen verpflichtet, fehlende Preisangaben beim Bieter nachzufordern.
58Selbst wenn die Vorschrift des § 11 Abs. 3 VOF dies in das Ermessen des Auftraggebers stellt, würde das Unterbleiben einer Nachforderung im Streitfall im Übrigen zu beanstanden sein, weil der Antragsgegner ein dahingehendes Ermessen bislang nicht ausgeübt und eine Betätigung nicht dokumentiert hat.
59Die nach der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze der Antragstellerin und des Antragsgegners geben keinen Anlass zu deren Wiederöffnung.
60C.
61Die Entscheidung über die Kosten und Aufwendungen beruht auf § 128 Abs. 3, Abs. 4 S. 2 GWB sowie auf den §§ 120 Abs. 2, 78 GWB. Die Antragstellerin trifft - wie im Senatstermin erörtert - ein erhebliches, vom Senat mit einem Viertel bewertetes, Unterliegen. Sie hat in beiden Instanzen des Nachprüfungsverfahrens - ohne begründete Aussicht auf Erfolg - einen Antrag auf Erteilung des Zuschlags auf ihr Angebot gestellt respektive angekündigt, wohingegen durch die Beschwerdeentscheidung lediglich ihre Auftragschancen im Bieterfeld gewahrt bleiben, so dass es angemessen ist, ihr die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB jeweils zu einem Viertel aufzuerlegen (siehe auch, Senat, Beschluss vom 15.02.2012, VII-Verg 85/11, juris). Die Beigeladene, die sich nicht am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat, trägt ihre eventuellen Aufwendungen und außergerichtlichen Kosten selbst.
62Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG, wobei der Senat das Angebot der Antragstellerin zu Grunde gelegt hat.
63
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