Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 18 U 69/12
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 10. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Duisburg vom 30.03.2012 (10 O 196/11) abgeändert und die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e:
2I.
3Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313aAbs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg, wohingegen der Anschlussberufung der Erfolg zu versagen ist.
6Eine Haftung der Beklagten für den streitgegenständlichen Unfall am 30.12.2010 auf dem Gehweg vor dem Schulgebäude der A. ist bereits dem Grunde nach nicht gegeben. Damit ist auch die Anschlussberufung, die sich gegen die Höhe des Schmerzensgeldes wendet, zurückzuweisen.
7Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche gemäß §§ 839, 253 BGB i. V. m. Art. 34 GG, § 9 a NRW StrWG, § 1 NRW StrReinG aus dem Unfallereignis zu.
8Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte überhaupt passivlegitimiert ist, weil nach ihrem Vorbringen der Winterdienst in ihrem Auftrag durch die B. vorgenommen worden ist (vgl. zur Rechtslage bei der Privatisierung des Winterdienstes: Wichmann, Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis, 6. Aufl., Rn. 244 ff.).
9Auch kann offen bleiben, ob die Beklagte nicht lediglich als private Eigentümerin gem. § 823 BGB für die streitgegenständliche Fläche verkehrssicherungspflichtig ist, wenn, wie üblich, der Winterdienst auf die Grundstücksanlieger durch Ortsatzung übertragen worden ist.
10Jedenfalls fehlt es an der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.
11Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH richten sich Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherung nach den Umständen des Einzelfalles. Art und Wichtigkeit des Verkehrs sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt. Grundsätzlich muss sich der Straßenverkehr auch im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Der Sicherungspflichtige hat aber durch Schneeräumen und Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln die Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen, im Rahmen und nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze zu beseitigen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.1993 – III ZR 88/92 – NJW 1993, 2008 Bl. 2 f.).
12Innerhalb geschlossener Ortschaften müssen für Fußgänger die Gehwege, wenn und soweit hierzu ein Bedürfnis des Verkehrs besteht, sowie die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege bestreut werden (vgl. BGH, Urt. v. 01.10.1959 – III ZR 59/58 – NJW 1960, 41; Beschluss v. 20.10.1994 – III ZR 60/94 – NZV 1995, 144). Zudem setzt eine Streu- und Räumpflicht, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, voraus, dass eine allgemeine Glättebildung vorliegt und nicht nur einzelne Glättestellen bestehen (vgl. BGH, Urt. v. 12.06.2012 – VI ZR 138/11 – MDR 2012, 910; Beschluss v. 26.02.2009 – III ZR 225/08 – NJW 2009, 3302, 3303).
13Es kann dahingestellt bleiben, ob das Landgericht im Streitfall zu Recht bereits eine allgemeine Glättebildung angenommen hat. Die allgemeinen Schlussfolgerungen des Landgerichts – gefrorener Boden und Tauwetter – reichen nicht aus, um von einer allgemeinen Glättebildung ausgehen zu können. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörung lediglich von vereinzelten Eisflächen gesprochen. Auch das Schreiben des Herrn C. vom 27.04.2011 (Bl. 40 GA.) belegt abgesehen davon, dass es den Zustand am 27.12.2010 beschreibt, nicht eine allgemeine Glättebildung.
14Grundsätzlich führt die Beschränkung der Streupflicht auf das zumutbare Maß dazu, dass bei ansonsten trockenem Wetter keine fortlaufende Beseitigung bloßer Tropfeisbildung verlangt werden kann (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 10.09.2008 – 7 U 237/07 – NJW-RR 2009, 386, 387). Eine Streupflicht könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn der Bereich als Gefahrenstelle bekannt war, weil es dort häufig zu Tauwasserbildung kommt und die Bediensteten bei der Durchführung ihres Winterdienstes hätten erkennen müssen, dass die naheliegende Gefahr besteht, dass es zum Herabtropfen von Wasser kommt, welches auf dem Boden wieder gefriert (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).
15Ob im Streitfall eine derartige Situation vorgelegen hat, ist ungeklärt.
16Dieser Punkt muss aber ebenso wenig aufgeklärt werden wie die zwischen den Parteien streitige Frage der Verkehrsbedeutung des Fußgängerweges (vgl. dazu: Hager in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 823 Rn.139).
17Dies gilt zunächst vor dem Hintergrund, dass es der Klägerin zuzumuten gewesen wäre, den sicheren Gehweg auf der anderen Straßenseite zu benutzen (vgl. dazu: OLG Hamm, Urt. v. 30.09.2003 – 9 U 86/03 – NJOZ 2004, 71, 72), weil der streitgegenständliche Gehwegbereich durch ein parkendes Fahrzeug versperrt war (vgl. zu diesem Gesichtspunkt OLG München, Urt. v. 18.09.2008 – 1 U 3715/08 – zitiert nach Juris).
18Zu Recht weist die Beklagte ferner, wenn auch unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens, darauf hin, dass jedenfalls der Bereich, wo die Klägerin gestürzt sein will, üblicherweise von der Streu- und Räumpflicht nicht umfasst wird.
19Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin in ihrer Anhörung ist sie unmittelbar nach Verlassen des Gitterrostes zu Fall gekommen (Seite 2 des Protokolls v. 09.03.2012, Bl. 72 GA: „Mit dem nächsten Schritt von dem Gitter runter lag ich da.“).
20Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz Kopien von Fotos von der Unfallstelle zur Akte gereicht (Anl. B 3 bis 5, Bl. 126, 127, 128 GA). Aus diesen Aufnahmen wird ersichtlich, dass ein Fußgänger nach der Verkehrserwartung lediglich mit einem geräumten oder gestreuten Fußweg, wie ihn die Beklagte auf der Skizze (Anl. B 1, Bl. 124 GA.) eingezeichnet hat, rechnen durfte. An der Hauswand, wo sich der Unfall zugetragen haben soll, konnte kein verständiger Fußgänger erwarten, dass dort geräumt oder gestreut ist. Diese Frage betrifft nicht lediglich das Mitverschulden, sondern berührt bereits die Verpflichtung der Beklagten zum Räumen und Streuen.
21Mangels Pflichtverletzung der Beklagten scheiden damit sämtliche von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche aus.
22Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.
23Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in§§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
24Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
25Berufungsstreitwert: 10.500 €
26Wert der Berufung: 6.000 €.
27Wert der Anschlussberufung: 4.500 €.
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Referenzen
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