Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 2/13
Tenor
Unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 25.01.2013, VK VOB 16/12 aufgehoben:
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens in erster Instanz sowie des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 260.000,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2A.
3Mit Bekanntmachung vom 20.01.2012 schrieb der Antragsgegner das Straßenbauvorhaben „L 150, 4–spuriger Ausbau, Brühl bis Godorf, A 553 und A 555“ in Abstimmung mit dem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden nur Wirtschaftsministerium NRW) europaweit im offenen Verfahren aus. Alleiniges Wertungskriterium war der niedrigste Preis. Die Baumaßnahme war Teil des Landesstraßenbauprogramms 2011 des Landes NRW, für das der Haushaltsplan 2011 Verpflichtungsermächtigungen für Straßenbaumaßnahmen in Höhe von 149.505.000,- € vorsah, wovon 55.000.000,- € den Baumaßnahmen des Landesstraßenbauprogramms zugewiesen worden waren. Nachdem im Dezember 2011 absehbar war, dass es dem Landtag NRW nicht mehr gelingen werde, den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2012 rechtzeitig vor Jahresbeginn zu verabschieden, erließ der Finanzminister NRW mit Schreiben vom 20.12.2011 „Allgemeine Verwaltungsvorschriften zur vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung im Haushaltsjahr 2012“. Danach durften Ausgaben nur noch für gesetzlich beschlossene Maßnahmen sowie Beschaffungen geleistet werden, für die durch den Haushaltsplan des Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden waren. Verpflichtungsermächtigungen, die im Haushaltsplan 2011 veranschlagt und bis zum Ende des Haushaltsjahres 2011 nicht ausgeschöpft worden waren, durften nur in Anspruch genommen werden, wenn sie in den Haushaltsjahren 2013 ff. fällig werden; sie wurden unter den Vorbehalt einer Ministererlaubnis gestellt. Nicht ausgeschöpfte Verpflichtungsermächtigungen aus dem Haushaltsplan 2011 mit Fälligkeit in 2012 sollten nicht mehr zur Verfügung stehen. Verpflichtungsermächtigungen, die im Haushaltsplanentwurf 2012 vorgesehen waren, durften nur im Zusammenhang mit notwendigen Ausgaben und in dem unbedingt erforderlichen Umfang in Anspruch genommen werden.
4Die Antragstellerin beteiligte sich am Vergabeverfahren. Die Submission erfolgte am 29.02.2012. Das Angebot der Antragstellerin war das preisgünstigste. Am 14.03.2012 lehnte der Landtag NRW den von der Landesregierung vorgelegten Entwurf des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012 ab und beschloss seine Auflösung. Mit Schreiben vom 23.03.2012 bekräftigte der Finanzminister NRW erneut seine bereits am 20.12.2011 erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung. Vor Ablauf der Zuschlagsfrist am 16.05.2012 fragte die Antragsgenerin beim Wirtschaftsministerium NRW an, wie in Ansehung der Haushaltslage weiter zu verfahren sei. Mit Schreiben vom 07.05.2012 teilte das Ministerium unter Hinweis auf einen Erlass des Finanzministers vom 19.04.2012 mit, dass das Vergabeverfahren aufzuheben sei. Daraufhin hob der Antragsgegner das Vergabeverfahren unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung seiner Beschaffungsabsicht mit Schreiben vom 11.05.2012 auf. Er stützte seine Entscheidung auf § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EG und führte zur Begründung aus, dass eine Aufhebung des Verfahrens aus schwerwiegenden Gründen wegen nachträglich weggefallener Finanzmittel gerechtfertigt sei. Nach erfolgloser Rüge gegen die Aufhebung des Vergabeverfahrens stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag.
5Sie hat die Rechtswidrigkeit der Aufhebung des Vergabeverfahrens und hilfsweise die Rechtswidrigkeit der Einleitung des Vergabeverfahrens geltend gemacht. Das Scheitern der Verabschiedung eines Haushaltsgesetzes für das Jahr 2012 rechtfertige keine Verfahrensaufhebung, da sich die Grundlage der Ausschreibung nicht wesentlich geändert habe. Durch die Aufnahme der Ausbauplanung für die L 150 in das Landesstraßenbauprogramm 2011 sei die Planung nicht mehr nur als bloßer Bedarf, sondern als eine planungsrechtlich nicht mehr anfechtbare gesetzliche Maßnahme zu qualifizieren. Dies erfordere wegen der mehrere Haushaltsjahre umfassenden Bauphase die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel in der Haushaltsplanung durch Verpflichtungsermächtigungen, was durch den Haushaltsplan 2011 auch geschehen sei. Da alle für den Straßenbau erteilten Verpflichtungsermächtigungen gegenseitig für deckungsfähig erklärt worden seien, hätte die strittige Ausbaumaßnahme auch mit Mitteln finanziert werden können, die für Erhaltungsinvestitionen an Landstraßen vorgesehen gewesen seien.
6Die Aufhebung des Vergabeverfahrens sei nur zum Schein erfolgt. Dies zeige sich bereits daran, dass der Antragsgegner mit seiner Aufhebungsentscheidung zwei Monate seit Auflösung des Landtags zugewartet habe. Zudem habe der Antragsgegner das ihm zustehende Entscheidungsermessen nicht ausgeübt, weil er anderenfalls eine Verlängerung der Bindefrist hätte verfügen können, statt – wie geschehen – zwei Tage vor der Neuwahl des Landtags am 13.05.2012 das Verfahren aufzuheben und die Umsetzung der bereits beschlossenen Baumaßnahme einer neu gewählten Landesregierung zu überlassen, die deren Notwendigkeit im Falle eines Regierungswechsels aller Voraussicht nach hinterfragen würde.
7Sollte die Finanzierung der strittigen Ausschreibung hingegen nicht gesichert gewesen sein, habe der Antragsgegner mit Einleitung des Vergabeverfahrens gegen § 2 Abs. 5 VOB/A-EG verstoßen, weil die erforderliche Ausschreibungsreife gefehlt habe. Diese habe schon deshalb nicht vorgelegen, weil der Haushaltsplan 2012 im Zeitpunkt der Ausschreibung im Januar 2012 vom Landtag nicht beschlossen gewesen sei und wegen der damals bestehenden Mehrheitsverhältnisse im Landtag NRW kein Anlass für die Annahme bestanden habe, der Haushaltsplan werde während der Dauer des Vergabeverfahrens ordnungsgemäß verabschiedet werden. Der Antragsgegner schulde zumindest Schadensersatz.
8Der Antragsgegner ist dem Nachprüfungsantrag entgegen getreten. Er hat die Auffassung vertreten, dass sowohl die Einleitung als auch die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtmäßig gewesen sei. Im Zeitpunkt der Ausschreibung im Januar 2012 hätten die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für die Finanzierung der Straßenbaumaßnahme vorgelegen. Da zu Beginn des Haushaltsjahres 2012 kein verabschiedeter Haushaltsplan 2012 vorgelegen habe, sei die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes ab dem 01.01.2012 nach Art. 82 Abs. 3 der Verfassung des Landes NRW vorläufig und die Landesregierung ermächtigt gewesen, alle notwendigen Ausgaben bis zur Verabschiedung eines Haushaltsplans zu leisten. Als Teil des Landesstraßenbauprogramms sei die ausgeschriebene Ausbaumaßnahme eine gesetzlich beschlossene Maßnahme, die die Voraussetzungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Finanzministers vom 20.12.2011 erfüllt habe. Später sei die haushaltsrechtliche Grundlage für die Finanzierung jedoch entfallen, weil das Wirtschaftsministerium mit Schreiben vom 07.05.2012 unter Hinweis auf einen Erlass vom 19.04.2012 mitgeteilt habe, dass das Vergabeverfahren aufzuheben sei. Dies stelle einen schwerwiegenden Grund nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EG dar, der eine Verfahrensaufhebung rechtfertige. Schadensersatz schulde der Antragsgegner von daher nicht.
9Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen, soweit er sich gegen die Aufhebung des Vergabeverfahrens richtet und soweit die Antragstellerin die Feststellung begehrt hat, durch die Aufhebungsentscheidung in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Soweit sie die Feststellung begehrt hat, die Einleitung des Vergabeverfahrens sei wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 5 VOB/A-EG vergaberechtswidrig gewesen, hat die Vergabekammer dem Nachprüfungsantrag stattgegeben. Die Antragstellerin wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer, soweit ihr Nachprüfungsantrag zurückgewiesen worden ist.
10Sie rügt die Verletzung formellen Rechts und trägt hierzu vor, dass die Vergabekammer nach Schluss der mündlichen Verhandlung weitere telefonische Auskünfte des Antragsgegners zum Vorliegen von Verpflichtungsermächtigungen eingeholt und diese zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht habe.
11Im Übrigen vertritt sie die Auffassung, dass die vergaberechtlichen Voraussetzungen für die strittige Ausschreibung im Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens vorgelegen hätten. Die Finanzierung der ausgeschriebenen Straßenbaumaßnahmen sei durch Verpflichtungsermächtigungen im Haushaltsplan 2011 gesichert gewesen.
12Die spätere Aufhebung des Vergabeverfahrens sei sachlich nicht gerechtfertigt gewesen, weil die strittige Maßnahme nicht von der vom Finanzminister in seinem Schreiben vom 23.03.2012 verfügten Haushaltssperre erfasst worden sei. Richtig sei zwar, dass die Inanspruchnahme von bisherigen Verpflichtungsermächtigungen unter einen ministeriellen Erlaubnisvorbehalt gestellt worden sei. Nach Ziffer 2.1 des Schreibens des Finanzministers vom 23.03.2012 seien aber gesetzlich beschlossene Maßnahmen von der vorläufigen Haushaltsführung ausgenommen worden, für die im Haushaltsplan des Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden seien. Ausweislich Seite 130 des Haushaltsplans 2011 sei für die strittige Maßnahme neben Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 7.431.000,- € ein Betrag in Höhe von 500.000,- € bereits bewilligt worden.
13Es liege eine Scheinaufhebung vor, weil der haushaltsrechtliche Streit in Wirklichkeit nicht der tragende Grund für die Aufhebungsentscheidung gewesen sei. Aus dem Schreiben des Wirtschaftsministeriums vom 12.04.2012 (richtig: 19.04.2012) ergebe sich vielmehr, dass man nicht bereit gewesen sei, Mehrkosten für eine durch die Auflösung des Landtags verursachte Verzögerung des Vergabeverfahrens zu tragen. Sich aus Verfahrensverzögerungen ergebende Kostenrisiken habe jedoch der Auftraggeber zu tragen.
14Zudem habe der Antragsgegner von dem eingeräumten Entscheidungsermessen keinen Gebrauch gemacht.
15Die Aufhebungsentscheidung sei jedenfalls aus heutiger Sicht rechtswidrig, da die strittige Beschaffung nach wie vor beabsichtigt und durch den inzwischen verbindlichen Haushaltsplan 2012 gesichert sei.
16Die Antragstellerin beantragt,
17den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 25.01.2013 – VK VOB 16/12 - aufzuheben und dem Antragsgegner aufzugeben, die Aufhebung des Vergabeverfahrens L 150, 4-spuriger Ausbau, Brühl bis Godorf, A 553 – 555, aufzuheben und das Vergabeverfahren fortzuführen,
18hilfsweise,
19festzustellen, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens L 150, 4-spuriger Ausbau, Brühl bis Godorf, A 553 – 555 rechtswidrig war und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt wurde.
20Der Antragsgegner beantragt,
21die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
22Er tritt der sofortigen Beschwerde unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens entgegen und verteidigt den angefochtenen Beschluss.
23Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten sowie die Vergabeakten und die Verfahrensakten der Vergabekammer verwiesen.
24B.
25Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Der zulässige Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
26I.
27Der Nachprüfungsantrag ist trotz des Abschlusses des Vergabeverfahrens durch die Aufhebung der Ausschreibung zulässig. Anders als die Zuschlagserteilung wirkt die Aufhebung der Ausschreibung nicht als absolute Zäsur, die Primärrechtsschutz ausschließt (vgl. EuGH, Urteil v. 18.06.2002, C-92/00 "Hospital Ingenieure ./. Stadt Wien", VergabeR 2002, 361; BGH, Beschl. v. 18.02.2003, X ZB 43/02, VergabeR 2003, 313; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.11.10, VII-Verg 28/10, OLG Naumburg, Beschl. v. 13.10.2006, 1 Verg 6/06).
28II.
29Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet.
301. Die Entscheidung des Antragsgegners, die Ausschreibung aufzuheben, ist nicht zu beanstanden. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EG kann die Ausschreibung aufgehoben werden, wenn andere als in den Ziffern 1 und 2 dieser Vorschrift genannte schwerwiegende Gründe bestehen. Derartige schwerwiegende Gründe stellen fehlende Haushaltsmittel dar.
31a) Nach der Verfassung des Landes NRW (Art. 81 Verf NRW) sowie der Landeshaushaltsordnung NRW (§§ 3 Abs. 1, 6 LHO NRW) obliegt die Budgethoheit dem Landesparlament (Landtag), so dass Aufträge nur im Rahmen von Haushaltsmitteln sowie Verpflichtungsermächtigungen erteilt werden dürfen. Stehen solche Mittel nicht oder im Verlaufe eines Vergabeverfahrens nicht mehr zur Verfügung, dürfen Aufträge nicht vergeben werden. Es ist allein Sache des Landtags zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Haushaltsmittel für ein Projekt bereit gestellt werden. Stellt sich im Verlauf eines Vergabeverfahrens heraus, dass die bereit gestellten Mittel nicht ausreichen oder aus anderen Gründen nicht mehr verfügbar sind, ist es allein die Entscheidung des Landtags, ob und in welchem Umfang weitere Mittel bereit gestellt werden. Die Haushaltsprärogative des Landtags ist auch im Vergabeverfahren zu beachten (Senat, Beschl. v. 08.06.2011, VII-Verg 55/10 – juris Tz. 35). Das entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die für eine Auftragserteilung fehlenden Haushaltsmittel als Aufhebungsgrund ausdrücklich anerkannt hat (BGH, Urt. v. 08.09.1998, X ZR 48/97 – juris Tz. 26 f.; Senat, Beschl. v. 08.06.2011, VII-Verg 55/10, a.a.O.).
32b) Nichts anderes gilt, wenn die Budgethoheit auf der Grundlage landesverfassungsrechtlicher Vorschriften vorübergehend der Landesregierung übertragen wird, weil der Landtag seine Haushaltsprärogative nicht oder - wie hier - nicht rechtzeitig ausgeübt und sich durch Beschluss aufgelöst hat. In einem solchen Fall tritt die Landesregierung an die Stelle des Landtags (Art. 82 Abs. 3 Verf NRW). Der Landesregierung obliegt es dann, im Rahmen der ihr verfassungsrechtlich erteilten Ermächtigung und über die ihr durch die LHO NRW erteilten Befugnisse hinaus, zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Haushaltsmittel für ein Projekt bereit gestellt werden. Stellt sich im Verlauf eines Vergabeverfahrens heraus, dass die zunächst bereit gestellten Mittel aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen, ist es allein die Entscheidung der durch den Finanzminister und/oder Wirtschaftsminister repräsentierten Landesregierung, ob und in welchem Umfang Mittel freigegeben werden. Wird – wie hier – im Zuge einer vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung durch die Landesregierung die Inanspruchnahme bereits in einem Haushaltsplan ausgewiesener Verpflichtungsermächtigungen untersagt oder ausdrücklich einer Ministererlaubnis unterstellt, diese aber versagt, erschüttert dies die Grundlage einer Ausschreibung und rechtfertigt nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EG deren Aufhebung.
33c) So liegt der Fall hier. Mit Schreiben vom 23.03.2012, das inhaltlich dem bereits am 20.12.2011 verfügten Erlass entsprach, hat der Finanzminister NRW in Ausübung der ihm durch Art. 82 Abs. 3 Verf NRW eingeräumten Befugnisse sein Recht zur vorläufigen Haushaltsführung für die im Haushaltsplan 2011 ausgewiesenen, aber noch nicht in Anspruch genommenen Haushaltsmittel (hier: Verpflichtungsermächtigungen) in Anspruch genommen, indem er sie mit wenigen Ausnahmen gesperrt hat, und den Haushaltsplanentwurf 2012 nur für notwendige Ausgaben und in dem unbedingt erforderlichen Umfang für anwendbar erklärt. Durch seinen Erlass vom 23.03.2012 wurde zugleich die sachliche und zeitliche Bindung des Haushaltsplans 2011 in Abweichung von § 45 Abs. 1 Satz 2 LHO NRW bestimmt und modifiziert. Auch verschärfte der Finanzminister NRW sowohl durch seinen Nichtanwendungserlass für im Haushaltsplan 2011 ausgewiesene und für das Jahr 2012 fällige, aber nicht in Anspruch genommene Verpflichtungsermächtigungen als auch durch eine im Übrigen vorbehaltene Ministererlaubnis die Regelung des § 38 Abs. 2 LHO NRW, die eine Ministererlaubnis nur in bestimmten Fällen vorschreibt. Auch dies entsprach der der Landesregierung durch Art. 82 Abs. 3 Verf NRW vorläufig übertragenen Haushaltsprärogative.
34d) Die ausgeschriebene Straßenbaumaßnahme unterlag den vom Finanzminister getroffenen Anordnungen und führte zum Wegfall der der Ausschreibung zugrunde gelegten Haushaltsmittel. Denn die in den Ziffern 2.1, 4.1 und 4.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Finanzministers zugelassenen Ausnahmen von den einer Haushaltssperre gleich kommenden Maßnahmen lagen nicht vor.
35aa) Entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin, waren für die ausgeschriebene Straßenbaumaßnahme im Haushaltsplan 2011 keine Haushaltsmittel bewilligt worden. Offen bleiben kann, ob es sich bei dem auf Seite 130 des Haushaltsplans 2011 unter der Nr. 150 in der Spalte „Betrag für 2011 (TEUR)“ aufgeführten Betrag in Höhe von 500 (TEUR) um konkret bewilligte Haushaltsmittel oder lediglich um eine der Höhe nach bezifferte Verpflichtungsermächtigung für die Realisierung des Straßenbauprojektes handelte. Zweifel an einem bezifferten Haushaltstitel ergeben sich daraus, dass Seite 130 des Haushaltsplans als „Erläuterungen“ überschrieben ist und lediglich einen Überblick über die im Landesstraßenbauprogramm 2011 im Einzelnen aufgeführten Baumaßnahmen nebst Kostenschätzungen enthält. Hierbei handelt es sich um Erläuterungen der in Kapitel 14 150, Titel 777 13 „Baumaßnahmen des Landestraßenausbauplans“ insgesamt mit einem Betrag von 55.000.000,- € zugewiesenen Verpflichtungsermächtigungen, die keine Bewilligung von Haushaltsmitteln darstellen (§§ 3, 6, 16 LHO NRW). Im Ergebnis kommt es hierauf aber nicht an, da sich aus der vom Antragsgegner in der Vergabeakte dokumentierten Auftragsfinanzierung vom 15.03.2012 ergibt, dass die auf Seite 130 des Haushaltsplans 2011 in der Spalte „Betrag für 2011 (TEUR)“ ausgewiesenen Ausgabemittel in Höhe von 500 (TEUR) nicht für die Durchführung der ausgeschriebenen Baumaßnahme, sondern für einen vorgeschalteten Grunderwerb eingestellt worden sind.
36bb) Ohne Belang ist auch, dass der Haushaltsplanentwurf 2012 zunächst wegen einer jahresübergreifenden Planung der Straßenbaumaßnahme eine Fortschreibung von Verpflichtungsermächtigungen für das Jahr 2013 vorsah. Denn nach Ziffer 4.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Finanzministers NRW durften diese nicht in Anspruch genommen werden. Der in Satz 2 dieser Verwaltungsvorschrift enthaltene Ausnahmetatbestand lag nicht vor. Die ausgeschriebene Maßnahme war zwar gesetzlich durch Aufnahme in den Landesstraßenausbauplan beschlossen worden; nichts spricht jedoch für eine dringende Notwendigkeit ihrer Umsetzung und damit Vorrangigkeit vor anderen und gleichbedeutenden Maßnahmen. Hierauf beruft sich die Antragstellerin im Ergebnis auch nicht.
37cc) Ebenso wenig lag der Ausnahmetatbestand der Ziffer 4.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Finanzministers NRW vor. Denn nach Satz 3 von Ziffer 4.2 waren alle im Haushaltsplan 2011 enthaltenen Verpflichtungsermächtigungen, die im Haushaltsjahr 2012 fällig waren, ausnahmslos gestrichen worden. Für sie galt die in Satz 2 von Ziffer 4.2 aufgenommene Ausnahmeregelung nicht, nach der erst in den Jahren 2013 ff. fällige Verpflichtungsermächtigungen weiter gelten sollten, aber dem Vorbehalt einer Ministererlaubnis unterstellt worden waren. Bei den für die ausgeschriebene Straßenbaumaßnahme im Haushaltsplan 2011 ausgewiesenen Verpflichtungsermächtigungen handelte es sich ausnahmslos um solche mit Fälligkeit in 2012. Da die hier relevanten Verpflichtungsermächtigungen durch den Finanzminister in Ausübung seiner vorübergehenden Budgethoheit ersatzlos gestrichen worden waren, bedurfte es der Einholung einer Ministererlaubnis nicht. Das Wirtschaftsministerium NRW hatte sich außerdem mit Schreiben vom 19.04.2012 wegen des Wegfalls haushaltsrechtlicher Grundlagen und unüberschaubarer Kostenrisiken für eine Aufhebung des Vergabeverfahrens ausgesprochen.
38e) Der Antragsgegner hat seine Aufhebungsentscheidung auch ermessensfehlerfrei getroffen. Sein Ermessen war in Ansehung fehlender Haushaltsmittel erheblich eingeschränkt, weil öffentliche Aufträge nur vergeben werden dürfen, wenn sie haushaltsrechtlich abgesichert sind. Ermessensspielraum bestand nur im Hinblick auf eine das Vergabeverfahren bis zur Verabschiedung des Haushaltsplans 2012 aussetzende Entscheidung. Da der Antragsgegner an seiner Beschaffungsabsicht unstreitig festhielt, kam eine bloße Aussetzung des Vergabeverfahrens nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit auch durchaus in Betracht. Gleichwohl stellte sie sich nicht als einzig richtige Handlungsalternative dar. Denn im Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung am 11.05.2012 war in keiner Weise absehbar, wann mit einer Verabschiedung des Haushalts 2012 gerechnet werden konnte und ob und in welchem Umfang darin Mittel für die ausgeschriebene Baumaßnahme bereitgestellt werden würden. Der Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2012 war endgültig gescheitert und der Landtag NRW hatte sich aufgelöst. Darüber hinaus barg eine Aussetzung des Vergabeverfahrens ein erhebliches Kostenrisiko, das das Wirtschaftsministerium NRW, wie sich aus seinem Schreiben vom 19.04.2012 ergibt, in Ansehung der unsicheren Haushaltslage für unvertretbar hielt. Dass sich der Antragsgegner die hierzu vom Wirtschaftsministerium NRW in seinem Schreiben vom 19.04.2012 nieder gelegte Begründung zu Eigen gemacht und sich für eine Aufhebung des Vergabeverfahrens entschieden hat, ist von daher nicht zu beanstanden.
39Soweit die Antragstellerin unter Berufung auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.05.2009, VII ZR 11/08, geltend macht, dass dem Auftraggeber grundsätzlich das Risiko der Vergabeverfahrensverzögerung und damit einhergehender Mehrkosten obliege, verkennt sie, dass der hier zur Entscheidung stehende Sachverhalt über eine bloße sich aus dem Gang eines Vergabeverfahrens ergebende Verzögerung des Zuschlags weit hinaus geht. Im Streitfall stehen anders als in jenem Fall nicht lediglich Fristen des Vergabeverfahrens in Rede, die nicht mehr eingehalten werden konnten, sondern der Wegfall haushaltsrechtlich notwendiger Grundlagen einer Vergabe. Die mit Verfassungsrang versehene Haushaltsprärogative des Landesparlamentes bzw. der Landesregierung (Art. 82 Abs. 3 Verf NRW) verlöre ihre Wirkung, wenn das Land NRW trotz fehlender Haushaltstitel zur Erteilung bereits ausgeschriebener öffentlicher Aufträge verpflichtet wäre.
40f) Eine Scheinaufhebung liegt ersichtlich nicht vor, weil die Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners wegen fehlender Haushaltsmittel sachlich gerechtfertigt war (vgl. dazu Senat Beschl. v. 08.06.2011, VII-Verg 55/10 – juris Tz. 28; Senat Beschl. v. 15.03.2000, Verg 4/00 – juris Tz. 58; OLG München Beschl. v. 12.07.2005, Verg 8/05 – juris Tz. 22).
412. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Vergabeverfahren in Ansehung fehlender Haushaltsmittel aufzuheben, stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtswidrig dar.
42Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können die Aufhebungsgründe der Verdingungsordnungen (§ 17 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EG) zum Schutz des von den Bietern entgegen gebrachten Vertrauens, eine realistische Chance auf den Zuschlag und auf Amortisation ihrer Aufwendungen für ein sorgfältig ausgearbeitetes Angebot zu haben, nur eingreifen, wenn sie erst nach Beginn der Ausschreibung eingetreten sind oder dem Auftraggeber vorher nicht bekannt sein konnten. Bei der Aufhebungsentscheidung ist die Heranziehung von Gründen, die dem Auftraggeber bekannt waren und/oder mit deren Vorliegen oder Eintritt er bei der Vergabeentscheidung rechnen musste, ausgeschlossen (BGH Urt. v. 08.09.1998, X ZR 48/97 – juris Tz. 22; OLG Düsseldorf Beschl. v. 10.11.2010, VII-Verg 28/10 – juris Tz. 38). Im Zeitpunkt der Ausschreibung war für den Antragsgegner jedoch weder erkennbar noch zu erwarten, dass die im Haushaltsplan 2011 ausgewiesenen Haushaltsmittel bei Zuschlagsreife des Auftrags nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Denn er musste im Januar 2012 weder damit rechnen, dass der Haushaltsplan für das Jahr 2012 endgültig scheitern würde, noch musste er damit rechnen, dass sich der Landtag am 14.03.2012 auflösen würde. Dem Antragsgegner war zwar im Zeitpunkt der Bekanntmachung seiner Ausschreibung bekannt, dass der Haushalt 2012 nicht rechtzeitig zum Jahresende 2011 verabschiedet worden war und der Finanzminister NRW von seinem Recht zur vorläufigen Haushaltsführung Gebrauch gemacht hatte. Erst durch die endgültige Ablehnung des Haushaltsplans 2012 durch den Landtag NRW und dessen Auflösung am 14.03.2012 stand für den Antragsgegner aber fest, dass die darin fortgeschriebenen Verpflichtungsermächtigungen für das ausgeschriebene Straßenbauprojekt endgültig gegenstandslos geworden waren und die vom Finanzminister NRW im Dezember 2011 angekündigte vorläufige Haushaltsführung die ausgeschriebene Baumaßnahme erfasst.
433. Aus den vorstehenden Gründen ergibt sich, dass die Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 97 Abs. 7 GWB) und der in der Beschwerde als Hilfsantrag verfolgte Feststellungantrag, unbegründet ist.
444. Ebenfalls unbegründet ist der im Nachprüfungsverfahren als weiterer Hilfsantrag angebrachte Antrag auf Feststellung, der Antragsgegner habe gegen § 2 Abs. 5 VOB/A-EG verstoßen, indem er das Vergabeverfahren trotz fehlender Ausschreibungsreife eingeleitet habe.
45a) Auch wenn der Antragsgegner die ihn insoweit belastende Entscheidung der Vergabekammer nicht angegriffen hat, ist sie im Beschwerdeverfahren auf die Beschwerde der Antragstellerin zu überprüfen, weil die Vergabekammer über den Hilfsantrag nicht bestandskräftig entschieden hat. Durch die Anfechtung des die Antragstellerin belastenden Hauptantrags bleibt die Rechtshängigkeit des Hilfsantrags wegen der innerprozessualen Verknüpfung beider Anträge sowie zur Wahrung der Rechtssicherheit und – klarheit in der Schwebe (vgl. BGH Urt. v. 05.12.1992, VI ZR 118/91 – juris Tz. 10 und 11; Zöller-Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 705 ZPO Rn 11).
46b) Das Beschaffungsvorhaben des Antragsgegners war ausschreibungsreif und entsprach den Vorgaben des § 2 Abs. 5 VOB/A-EG. Denn der Antragsgegner hat die strittige Straßenbaumaßnahme nach Abstimmung mit dem Wirtschaftsministerium auf der Grundlage zugesagter Haushaltsmittel ausgeschrieben. Zur Ausschreibungsreife eines öffentlichen Auftrags gehört die Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln (§§ 1, 3 LHO NRW). Im Streitfall waren im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Beschaffungsvorhabens im Januar 2012 Haushaltsmittel unabhängig von den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Finanzministers vom 20.12.2011 verfügbar. Denn das Wirtschaftsministerium NRW sagte dem Antragsgegner in einem Telefonat vom 18.01.2012 die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die strittige Ausschreibung ausdrücklich zu. Dies ergibt sich aus der vom Antragsgegner im Termin vor dem Senat am 08.05.2013 in Kopie vorgelegten handschriftlichen Notiz eines Mitarbeiters des Wirtschaftsministeriums NRW über ein Telefonat, das er am 18.01.2012 mit dem Mitarbeiter Riefenroth des Antragsgegners geführt hatte. Danach wurde dem Antragsgegner ausdrücklich zugesagt, dass für das strittige Beschaffungsvorhaben entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt würden. Vor Zuschlagserteilung bedürfe es wegen des noch nicht beschlossenen Haushaltsplans einer erneuten Rücksprache mit dem Ministerium. Sollte der Haushaltsplan zu diesem Zeitpunkt nach wie vor nicht verabschiedet sein, sei die schriftliche Zustimmung des Ministeriums einzuholen. Zu dieser Telefonnotiz führten die im Termin vor dem Senat anwesenden Mitarbeiter des Antragsgegners aus, dass die endgültige Freigabe von Haushaltsmitteln für Ausschreibungsvorhaben üblicherweise telefonisch und wie in dem vorgelegten Vermerk niedergelegt erfolge. Der Antragsgegner durfte seine Ausschreibung auf die gemachte Zusage stützen, weil sie als Einzelanordnung die allgemeine Anordnung des Finanzministers NRW in erfassungsrechtlich zulässiger Weise modifizierte. Denn neben dem Finanzministerium NRW war auch das Wirtschaftsministerium NRW als Repräsentant der Landesregierung nach Art. 82 Abs. 3 Verf NRW zur vorläufigen Haushaltsführung ermächtigt. Die Antragstellerin kann sich auf die von der Zusage des Wirtschaftsministeriums abweichende allgemeine Anordnung des Finanzministers NRW in seinem Erlass vom 20.12.2011 auch deshalb nicht berufen, weil Allgemeine Verwaltungsvorschriften lediglich Innenrecht der Verwaltung darstellen und keinen bieterschützenden Charakter haben.
474. Dem Vorwurf der Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift, die Vergabekammer habe ihrer Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt, der verfahrensordnungswidrig erforscht worden und zudem unrichtig sei, braucht nicht nachgegangen zu werden, auch wenn eine Erforschung des Sachverhalts nach Schluss der mündlichen Verhandlung unzulässig ist. Bereits aus den zur Akte gereichten Unterlagen, die auch der Vergabekammer vorlagen, ergibt sich, dass dem Beschaffungsvorhaben entsprechende Verpflichtungsermächtigungen im Haushaltsplan 2011 zugrunde lagen, die im Haushaltsplanentwurf 2012 fortgeschrieben worden waren. Zu der Nachfrage der Vergabekammer beim Antragsgegner über bestehende Verpflichtungsermächtigungen führte eine Mitarbeiterin des Antragsgegners im Termin vor dem Senat zudem aus, dass mit der telefonischen Auskunft, Verpflichtungsermächtigungen lägen nicht vor, die fehlende Verabschiedung des Haushalts 2012 gemeint gewesen sei, nicht aber Ermächtigungen im Haushaltsplan 2011.
48C.
49Die Entscheidung über Kosten und Auslagen auf §§ 128 Abs. 3 und Abs. 4, 78, 120 Abs. 2 GWB. Der Beschwerdewert ist gemäß § 50 Abs. 2 GKG festgesetzt worden.
50Dicks Brackmann Barbian
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