Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 48/12
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 19. November 2012 (VK 1-97/12) aufgehoben, soweit darin die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin angeordnet sowie die durch Akteneinsicht entstandenen Kosten der Antragsgegnerin auferlegt worden sind.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 2000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2I. Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin haben das Nachprüfungsverfahren für erledigt erklärt, nachdem sich die Antragsgegnerin auf einen rechtlichen Hinweis der Vergabekammer verpflichtet hat, das Vergabeverfahren in den Stand vor der Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen und allen Interessenten nach Überarbeitung bzw. Neugestaltung der Vergabeunterlagen Gelegenheit zur Abgabe neuer Angebote zu geben sowie vor Zurückversetzung des Vergabeverfahrens keinen Zuschlag zu erteilen.
3Im Nachprüfungsverfahren gewährte die Vergabekammer der Antragstellerin auf ihren Antrag Akteneinsicht durch Übersenden von Fotokopien.
4Mit Beschluss vom 19. November 2012 hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Nachprüfungsverfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin auferlegt. Die durch Akteneinsicht entstandenen Kosten sind auf 9,50 Euro festgesetzt worden.
5Die Antragsgegnerin wendet sich mit sofortiger Beschwerde gegen die Auferlegung der Aufwendungen der Antragstellerin und der Kosten der Akteneinsicht, weil zum einen keine Rechtsgrundlage zur Auferlegung von Aufwendungen bestehe und sie, die Antragsgegnerin, zum anderen nach allgemeinen kostenrechtlichen Regeln von einer Auslagenerstattung befreit sei oder jedenfalls eine Erstattung von Auslagen wegen Vorrangs des § 61 BHO nicht stattfinde. Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten.
6II. Die sofortige Beschwerde ist begründet.
71. § 128 Abs. 4 GWB gewährt für den Fall einer Erledigung des Nachprüfungsverfahrens keinen Anspruch auf Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat, kann die Regelung in § 128 Abs. 3 Satz 5 GWB nicht als Grundlage für die Auferlegung von Aufwendungen auf einen anderen Verfahrensbeteiligten herangezogen werden. Sie bezieht sich ausschließlich auf die Gebühren und Auslagen für die Amtshandlungen der Vergabekammer (vgl. BGH, Beschl. v. 25. Januar 2012, X ZB 3/11; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. Januar 2013, VII-Verg 41/12; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10. Mai 2012, VII-Verg 5/12).
8Eine Auferlegung der Aufwendungen kann auch nicht auf § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB gestützt werden, weil der Anwendungsbereich der Norm nur im Fall einer tatsächlich ergangenen Entscheidung der Vergabekammer eröffnet ist (vgl. BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.). Die Regelung des § 128 Abs. 4 GWB ist ihrer Auslegung durch den Bundesgerichtshof zufolge abschließend.
9Deswegen bietet entgegen der Auffassung der Vergabekammer und der Antragstellerin ebenso wenig § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit der Verweisung in § 128 Abs. 4 Satz 4 eine Rechtsgrundlage, Aufwendungen im Fall einer Erledigung des Nachprüfungsverfahrens dem Gegner aufzuerlegen. Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Übertragen auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ist die Norm dahin zu verstehen, dass eine Erstattung im Nachprüfungsverfahren nur stattfindet, wenn der Nachprüfungsantrag erfolgreich ist. Erfolgreich ist der Nachprüfungsantrag jedoch nur dann, wenn die Vergabekammer und nicht der öffentliche Auftraggeber dem Antrag des Antragstellers entspricht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Widerspruch - und damit vorliegend der Nachprüfungsantrag - nur Erfolg, wenn eine Entscheidung in der Sache ergeht (BVerwG, Urteil v. 28. April 2009, 2 A 8.08; vgl. auch BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2005, X ZB 26/05; X ZB 22/05; Beschl. v. 09. Dezember 2003, X ZB 14/03). Tritt eine Erledigung außerhalb des Widerspruchsverfahrens - hier also des Nachprüfungsverfahrens - ein, findet eine Kostenerstattung nur statt, soweit dies in § 80 VwVfG vorgesehen ist.
10Bei der Frage der Reichweite des § 80 VwVfG und der Übertragung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Widerspruch im Sinn des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auch dann erfolgreich ist, wenn die Ausgangsbehörde nach § 72 VwGO abhilft (vgl. BVerwG a.a.O.), kommt es entgegen der Auffassung der Antragstellerin auf eine Vergleichbarkeit des Widerspruchverfahrens mit dem Nachprüfungsverfahren an. Eine Übertragung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt nur in Betracht, wenn die Abhilfe des öffentlichen Auftraggebers im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens einer Abhilfeentscheidung im Sinne des § 72 VwGO gleichzuerachten ist.
11Dies ist jedoch zu verneinen. Im Nachprüfungsverfahren nimmt der öffentliche Auftraggeber nicht die Rolle einer Ausgangsbehörde (wie im Widerspruchsverfahren) ein. Im Gegensatz zum (zumindest für den Fall, dass Ausgangs- und Widerspruchsbehörde nicht identisch sind) zweistufig aufgebauten Widerspruchsverfahren ist das Nachprüfungsverfahren einstufig. Die Rüge und deren Abhilfe durch den öffentlichen Auftraggeber sind nicht Teil des Nachprüfungsverfahrens, sondern gehören dem vorher stattfindenden Vergabeverfahren an. Anders als der an die Ausgangsbehörde gerichtete Widerspruch löst die Rüge nicht bereits ein förmliches Verfahren und die Kostenfolgen des § 128 GWB aus, sondern erst der Nachprüfungsantrag selbst. Primäre Kontrollinstanz ist nicht der öffentliche Auftraggeber, sondern erst die Vergabekammer (vgl. BT-Drs. 13/9340, S. 16). Im Gegensatz zur Ausgangsbehörde ist der öffentliche Auftraggeber, der einer Rüge nicht abhilft, auch nicht zur Vorlage an die Vergabekammer verpflichtet.
12Zwar wohnt der Rügeobliegenheit wie der Möglichkeit einer Entscheidung der Ausgangsbehörde der gemeinsame Zweck inne, dass sowohl dem öffentlichen Auftraggeber als auch der Ausgangsbehörde im Rahmen einer Selbstkontrolle zunächst die Möglichkeit gegeben werden soll, Rechtsverstöße zu heilen. Die Rüge und die dadurch eingeräumte Abhilfemöglichkeit sollen aber anders als der Widerspruch die Einleitung eines förmlichen Verfahrens und die Entstehung unnötiger Kosten verhindern (vgl. BT-Drs 13/9340, S. 17). Dass § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eine Kostenerstattung auch für den Fall der Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO vorsieht, ist gerade darin begründet, dass bereits durch die Einlegung des Widerspruchs bei der Ausgangsbehörde als erste Kontrollinstanz die Kosten des Widerspruchsverfahrens entstehen. Anders als die Abhilfeentscheidung der Ausgangsbehörde ist die Abhilfe durch den öffentlichen Auftraggeber jedoch nicht Teil eines einheitlichen Nachprüfungsverfahrens. Allein bei dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer handelt es sich um ein formalisiertes, justizförmig ausgestaltetes Rechtsschutzverfahren, das, ähnlich wie das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren, dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltet ist (vgl. auch Landsberg in: Pünder/ Schellenberg, Vergaberecht, § 102 GWB, Rn. 5). Insoweit fehlt dem öffentlichen Auftraggeber bereits eine mit § 72 VwGO vergleichbare Abhilfekompetenz im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens. Eine Abhilfekompetenz steht ihm nur im Vergabeverfahren zu. Die Entscheidung, dem Nachprüfungsantrag abhzuhelfen, ist allein der Vergabekammer vorbehalten. Eine Ausgangsbehörde im Sinn des § 72 VwGO gibt es demnach im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht. Kommt der öffentliche Auftraggeber dem Begehren des Antragstellers im Vergabeverfahren nach, so erledigt sich das Verfahren daher nur auf sonstige Weise außerhalb des Nachprüfungsverfahrens.
13Aus diesen Gründen ist auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG a.a.O.) nicht auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar. In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob sich die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 48 VwVfG außerhalb des Widerspruchsverfahrens als rechtsformmissbräuchliches Herbeiführen einer Erledigung zur Umgehung der nach § 80 VwVfG ansonsten eintretenden Kostenfolge darstellt, wenn die Ausgangsbehörde zugleich die Möglichkeit gehabt hätte, eine Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO mit der Kostenfolge des § 80 VwVfG zu erlassen. Steht dem öffentlichen Auftragsgeber eine solche Abhilfekompetenz im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens jedoch nicht zu, kann sich seine Abhilfe im Vergabeverfahren auch nicht als Rechtsformmissbrauch darstellen.
14Zwar sprechen in Fällen der vorliegenden Art durchaus Gründe der gerechten Verteilung der Kostenlast und der fairen Ausgestaltung des Verfahrens dafür, eine andere Kostenverteilung vorzunehmen. Jedoch ist es mit Blick auf die vom Gesetzgeber intendierte Reichweite der Verweisung auf § 80 VwVfG und eine nur auf erste Sicht bestehende Vergleichbarkeit mit dem Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO nicht gerechtfertigt, die vom Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik getroffene Entscheidung, für den Fall einer Erledigung eine Erstattung von Aufwendungen nicht vorzusehen, und die dahingehende Auslegung durch den Bundesgerichtshof zu unterlaufen.
15Die von der Vergabekammer zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 09. Dezember 2003 (X ZB 14/03) gebietet keine andere rechtliche Beurteilung. Allein daraus, dass der Widerspruch im Sinne des § 80 VwVfG auch dann erfolgreich ist, wenn die Ausgangsbehörde eine Abhilfeentscheidung trifft, lässt sich nicht herleiten, der Bundesgerichtshof habe eine Abhilfe durch den öffentlichen Auftraggeber einer Abhilfentscheidung der Behörde nach § 72 VwGO gleichsetzen wollen, zumal aus der Entscheidung der Erledigungsgrund nicht ersichtlich ist. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof auch im Leitsatz dieser Entscheidung und in den darauffolgenden neueren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass eine restriktive Auslegung des § 128 Abs. 4 GWB geboten ist (BGH, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 25. Januar2012, X ZB 3/11). Ein gesetzgeberischer Wille, die Vorschrift des § 80 VwVfG in großzügigem Umfang anzuwenden, lässt sich aus den Gesetzesbegründungen nicht entnehmen.
16Zudem bleibt für den ohnehin nur subsidiär geltenden Verweis des § 128 Abs. 4 Satz 4 GWB ein Anwendungsbereich weiterhin eröffnet, soweit die landesrechtlichen Vorschriften eine Kostenerstattung auch für den Fall der Erledigung vorsehen.
172. Die durch die Akteneinsicht entstandenen Kosten hat entgegen der Auffassung der Vergabekammer nicht die Antragsgegnerin zu tragen. Die Vergabekammer hat übersehen, dass es sich bei den durch die Akteneinsicht gemäß § 111 Abs. 1 GWB entstanden Kosten um notwendige Aufwendungen des Antragstellers im Sinn des § 128 Abs. 4 GWB handelt. Gemäß § 111 Abs. 1 GWB ist Kostenschuldner für die der Vergabekammer durch Anfertigen von Kopien zur Gewährung der Akteneinsicht entstandenen Auslagen derjenige, der die Akteneinsicht beantragt hat. Diese hat der Antragsgegner nur zu erstatten, soweit er nach § 128 Abs. 4 GWB verpflichtet ist, die Aufwendungen des Antragstellers zu tragen. Der Rechtscharakter der Kosten als Aufwendungen der Beteiligten wird nicht dadurch umgekehrt, dass die Vergabekammer davon absieht, diese unmittelbar vom Antragsteller zu erheben, um sie anschließend dem Verfahrensgegner als Auslagen nach § 128 Abs. 3 GWB aufzuerlegen. Dies wäre eine Umgehung der Regelung des § 128 Abs. 4 GWB, wonach in Fällen wie dem vorliegenden Aufwendungen nicht erstattet werden sollen.
18Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin lediglich Einsicht in die Akten beantragt, die Vergabekammer jedoch amtswegig Fotokopien angefertigt hat. Wie die Vergabekammer der Gewährung der Akteneinsicht nachkommt, liegt in ihrem Ermessen. Dies ergibt sich daraus, dass § 111 GWB lediglich den Umfang des Anspruchs auf Akteneinsicht regelt und es der Vergabekammer freisteht, in welcher Weise sie Akteneinsicht gewährt. Den Anspruch auf Akteneinsicht kann die Vergabekammer grundsätzlich auch durch Übersenden von Fotokopien erfüllen.
19Die Frage einer Kostenbefreiung der Antragsgegnerin sowie des Vorrangs einer Kostenverteilung nach § 61 BHO bedarf keiner Entscheidung.
20Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus den §§ 120 Abs. 2, 78 GWB. § 66 Abs. 8 GKG findet keine analoge Anwendung, da sich die Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung der Vergabekammer und nicht gegen die Höhe der Gebühren richtet (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10. Mai 2012, VII-Verg 5/12; BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2011, X ZB 5/10). Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind der Antragstellerin aufzuerlegen. Es geht um ihre Aufwendungen, welche nach ihrem Willen die Antragsgegnerin tragen soll.
21Der Gegenstandswert ergibt sich aus dem mit der Beschwerde verfolgten Kosteninteresse.
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