Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 11/14
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 6. Februar 2014 (VK 22/13//15/12V) aufgehoben und wird der Vollstreckungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer, die dem Antragsgegner in diesem Verfahren entstandenen Aufwendungen und die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Antragsgegner im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 125.000 Euro
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G r ü n d e :
2I. Mit angefochtenem Beschluss vom 6. Februar 2014 (VK 22/13//15/12V) hat die Vergabekammer dem Antragsgegner ein Zwangsgeld von monatlich 850.000 Euro angedroht, weil dieser der Verpflichtung unter 4. des Ausspruchs des in einem Nachprüfungsverfahren ergangenen, bestandskräftigen Beschlusses der Vergabekammer vom 23. Oktober 2012 (VK 15/12) in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 30. Oktober 2012 (VK 15/12) nicht nachgekommen sei. Der Tenor lautet unter 4.:
3Der Antragsgegner hat aufgrund der feststehenden Bedarfslage bei fortbestehender Absicht, die streitgegenständlichen Leistungen (Bemerkung: und zwar Rettungsdienstleistungen und Krankentransporte) an Dritte zu vergeben, diese umgehend mit Vergabebekanntmachung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VOL/A auszuschreiben, so dass diese Leistungen spätestens ab dem 1. April 2013 nur noch auf der Grundlage eines vergaberechtskonformen förmlichen Vergabeverfahrens erfolgen.
4Gegen die Zwangsgeldandrohung hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde eingelegt, die er mit dem Antrag verbunden hat, die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels anzuordnen. Die Antragstellerin tritt dem entgegen.
5Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und die Anlagen Bezug genommen.
6II. Der Senat entscheidet sogleich über die Beschwerde, so dass über den entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO (in Verbindung mit § 112 Justizgesetz NRW, vormals § 8 AG VwGO NRW) gestellten Eilantrag nicht befunden werden muss.
71. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Auch gegen Entscheidungen der Vergabekammer in Vollstreckungsverfahren ist die sofortige Beschwerde nach § 116 Abs. 1 GWB statthaft (Senat, Beschluss vom 25. Juli 2002 - Verg 33/02; Beschluss vom 9. Oktober 2002 - Verg 44/01; Beschluss vom 8. November 2004 - VII-Verg 75/04). Kraft spezialgesetzlicher Regelung in § 112 Justizgesetz NRW kommt der Beschwerde gegen Vollstreckungsmaßnahmen (wie der Androhung von Zwangsgeld) allerdings keine aufschiebende Wirkung zu.
8Der Beschluss der Vergabekammer vom 23.Oktober 2012 (VK 15/12) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30.Oktober 2012 ist im Prinzip fähig, mit Zwangsmitteln durchgesetzt zu werden. Er ist bestandskräftig und unanfechtbar (vgl. § 55 Abs. 1 VwVG NRW, § 114 Abs. 3 Satz 2 GWB).
9Das Rechtsschutzbedürfnis, einen Vollstreckungsantrag anzubringen, kann der Antragstellerin nicht abgesprochen werden. Dafür ist unerheblich, ob sie oder die Schwestergesellschaft F... GmbH sich an einer Ausschreibung des Antragsgegners insbesondere durch Anfordern der Vergabeunterlagen oder Einreichen eines Angebots beteiligt haben. Bislang hat der Antragsgegner kein Vergabeverfahren begonnen, das vergaberechtskonform mit einem Zuschlag hat beendet werden können. In dem durch Bekanntmachung vom 20. November 2012 eingeleiteten Verfahren ist ihm durch Senatsbeschluss vom 19. Juni 2013 (VII-Verg 4/13) die Zuschlagserteilung untersagt worden. An einem solchen Verfahren muss sich der Antragsteller nicht beteiligen, um sein Interesse an einer regelgerechten Ausschreibung zu dokumentieren.
102. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
11a) Die der Zwangsgeldandrohung zugrunde liegende Nachprüfungsentscheidung der Vergabekammer vom 23. Oktober 2012 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30. Oktober 2012 (VK 15/12) ist nichtig, soweit dem Antragsgegner unter 4. des Ausspruchs aufgegeben worden ist, umgehend mit einer Vergabebekanntmachung ein förmliches Vergabeverfahren zu beginnen. Die Entscheidung der Vergabekammer ist im Rechtssinn ein Verwaltungsakt (§ 114 Abs. 3 Satz 1 GWB). Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 44 Abs. 1 VwVfG NRW).
12Der genannte Ausspruch ist besonders schwerwiegend fehlerhaft. Die Vergabekammer hat, weil sie im bisherigen Vorgehen des Antragsgegners eine rechtswidrige Direktvergabe von Rettungs- und Krankentransportleistungen an die im Kreis tätigen Hilfsorganisationen gesehen hat (BA 11), und das formlose Vergabeverfahren durch Direktvergabe abgeschlossen war, diesen verpflichtet, umgehend ein neues Ausschreibungsverfahren einzuleiten, um den Dienstleistungsauftrag so rasch wie möglich zu erteilen (BA 14). Dies und die dabei gesetzte Frist widersprechen nicht nur der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 - VII-Verg 4/13), sondern stellen eine gravierende Kompetenzüberschreitung der Vergabekammer dar.
13Im Vergabenachprüfungsverfahren können gemäß § 104 Abs. 2 GWB vom Antragsteller (nur) Rechte aus § 97 Abs. 7 GWB sowie sonstige Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber geltend gemacht werden, die auf Vornahme oder Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind. Dagegen ist dem Antragsteller verwehrt, gewissermaßen vorbeugend Ansprüche zu stellen, die ein erst künftig einzuleitendes Vergabeverfahren, die Verfahrensart oder Form oder den Zeitpunkt des Beginns betreffen. Für solche Zwecke gibt das Vergabeprozessrecht keine Handhabe. Vielmehr muss sich der Antragsteller dazu, weil die Beschaffung sog. Fiskalhandeln der öffentlichen Hand ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007 - 6 B 10.07, NZBau 2007, 389, VergabeR 2007, 337), einer Klage vor den Zivilgerichten bedienen. § 114 Abs. 2 GWB begrenzt zugleich die Entscheidungsbefugnis der Vergabenachprüfungsinstanzen. Jedwede vorbeugende, nicht in einem Vergabeverfahren ergehende und auf ein künftiges Beschaffungsverhalten des Auftraggebers gerichtete Entscheidung ist der Vergabekammer (sowie dem Beschwerdegericht) untersagt. Dies führt zu der Feststellung, dass die Vergabekammer den Antragsgegner zu einem im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht vorgesehenen und zugelassenen Verhalten verpflichtet, mit anderen Worten, eine im Gesetz nicht vorgesehene, gesetzlose Maßnahme angeordnet hat (vgl. BVerwg-E 35, 343). In Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage leidet die Entscheidung der Vergabekammer vom 23. Oktober 2012 ohne Weiteres an einem besonders schwerwiegenden Fehler.
14Der Fehler ist offenkundig, wobei dies als unbestimmter Rechtsbegriff genauso zu verstehen ist wie „offenbar“ oder „offensichtlich“. Offenkundigkeit hat indes nichts mit Evidenz „auf den ersten Blick“ zu tun, sondern ist dann anzunehmen, wenn sich der Fehler einem fachkundigen Betrachter, wenn auch möglicherweise erst nach eingehender Prüfung der Sache, aufdrängt (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 1034, 1035 m.w.N.). Im so verstandenen Sinn ist an der Entscheidung der Vergabekammer vom 23. Oktober 2012 (VK 15/12) ein offenkundiger Fehler zu bemängeln.
15Nichtigkeit betrifft lediglich den Tenor des Beschlusses der Vergabekammer unter 4. (vgl. § 44 Abs. 4 VwVfG NRW). Die übrige Entscheidung wäre auch ohne den nichtigen Teil so getroffen worden. Dies hat die Vergabekammer bestätigt (vgl. den angefochtenen Beschluss vom 6. Februar 2014 - VK 22/13//15/12V, BA 8).
16Gegen das Ergebnis kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, in Fällen der vorliegenden Art, in denen der öffentliche Auftraggeber den Eindruck erweckt, durch mehrere nacheinander geschaltete Interims-Direktvergaben die Durchführung eines geregelten Vergabeverfahrens hinauszuzögern oder abwenden zu wollen, seien am Auftrag interessierte, vom Auftraggeber aber nicht zugezogene Unternehmen einer solchen Vorgehensweise schutzlos ausgeliefert. Solchen Unternehmen steht der Zivilrechtsweg offen. Davon abgesehen können sie eine Interims-Direktvergabe im Wege eines Nachprüfungsantrags mit der Begründung beanstanden, diese sei vom Vergaberecht nicht mehr gedeckt. Nach Maßgabe des § 101b GWB kann von der Nachprüfungsstelle auch die Unwirksamkeit von Verträgen festgestellt werden. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass dem öffentlichen Auftraggeber eine weitere Vergabe von Interimsaufträgen versagt ist. Für den Streitfall kann dies bedeuten, dass der Antragsgegner Rettungsdienstleistungen und Krankentransporte im Wege der Eigenleistung sicherstellen und ohne eine Übergangsfrist, praktisch durch Übernahme von Personal und Sachmitteln, selbst durchführen muss.
17b) Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ist der Antragsteller der Anordnung unter 4. des Tenors des Beschlusses der Vergabekammer vom 23. Oktober 2012 (VK 15/12) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30. Oktober 2012 nachgekommen, indem er bezüglich der in Rede stehenden Dienstleistungen die Vergabebekanntmachung vom 30. November 2012 herausgegeben und damit ein Vergabeverfahren eingeleitet hat. Infolgedessen hat der Antragsgegner die besagte Anordnung erfüllt und ist diese im Rechtssinn für die Vollstreckung verbraucht. Dass die Ausschreibung nicht mit einem Zuschlag hat abgeschlossen werden können (siehe Senatsbeschluss vom 19. Juni 2013 - VII-Verg 4/13), gebietet keine abweichende rechtliche Beurteilung. Ohnedies bürdet der Beschluss der Vergabekammer vom 23. Oktober 2012 (VK 15/12) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30. Oktober 2012 zu Unrecht auf, bis zu welchem, von ihm nicht beherrschbaren Zeitpunkt das Vergabeverfahren durch einen Zuschlag beendet sein und die Dienstleistung aufgenommen sein soll.
18Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 120 Abs. 2 GWB.
19Der Streitwertfestsetzung hat der Senat zur Bewertung des wirtschaftlichen Interesses des Antragsgegners nach Maßgabe von § 50 Abs. 2 GKG den etwa einjährigen Brutto-Auftragswert der Dienstleistung zugrunde gelegt.
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