Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 17/14
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 2. April 2014 (VK 1 – 14/14) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB werden der Antragstellerin auferlegt.
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G r ü n d e :
2I. Die Antragsgegnerin, eine gesetzliche Krankenkasse, schrieb am 03.01.2014 im offen Verfahren den Abschluss eines Versorgungsvertrags ihrer Versicherten mit ableitenden Inkontinenzmittel in 15 Regionallosen europaweit aus. Die Auftragsvergabe soll in der Form von Rahmenverträgen mit jeweils einem Vertragspartner erfolgen. Die Antragstellerin forderte die Vergabeunterlagen an, die ihren Verfahrensbevollmächtigten am 10.01.2014 vorlagen. Mit Schreiben vom 17.01.2014 erhoben diese mehrere Rügen. Auf die Rüge eines unzulässigen Verbots von Doppelbewerbungen als Bietergemeinschaft einerseits und Einzelbieter andererseits teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben 28.01.2014 mit, den Bietern die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises einzuräumen. Eine Verlängerung der Angebotsfrist gewährte sie nicht. Die weiteren Rügen wies sie zurück. Die Antragstellerin reichte auf alle Lose ein Angebot ein und hat am 12.02.2014 bei der Vergabekammer des Bundes einen Nachprüfungsantrag gestellt.
3Die Antragsgegnerin ist dem Nachprüfungsantrag entgegen getreten.
4Die Vergabekammer des Bundes hat den Nachprüfungsantrag teilweise als unzulässig und im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Auf die Gründe der Entscheidung wird verwiesen.
5Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt. Sie hält den Nachprüfungsantrag in vollem Umfang für zulässig und ist der Auffassung, die Ausschreibung habe unterbleiben müssen, weil sie unzweckmäßig im Sinn des § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V sei. Ob eine Ausschreibung zweckmäßig sei, sei eine von den Nachprüfungsinstanzen vorgreiflich zu prüfende Frage.
6Das Zuschlagskriterium des niedrigsten Preises sei unzulässig, weil § 127 Abs. 1 SGB V eine qualitative Versorgung der Versicherten fordere, die durch den Preis allein nicht sicher gestellt werde.
7Die Angebotsfrist sei zu kurz gewesen und habe wegen des erst mit Bieterinformation vom 28.01.2014 zugelassenen Entlastungsbeweises für Doppelbeteiligungen verlängert werden müssen.
8Die für Nachunternehmer verlangten Eignungsnachweise seien unter Verstoß gegen § 9 Abs. 4 VOL/A EG verlangt worden und zudem intransparent.
9Die Leistungsbeschreibung sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Sie sei nicht erschöpfend, unbestimmt und ermögliche keine vergleichbaren Angebote. Zudem verstoße sie gegen das Gebot produktneutraler Ausschreibung im Sinn des § 8 Abs. 7 VOL/A EG.
10Es sei darüber hinaus ein fehlerhafter Loszuschnitt gewählt worden, von einer Fachlosbildung sei in vergaberechtswidriger Weise abgesehen worden.
11Die Antragstellerin beantragt,
12unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses dem Nachprüfungsantrag stattzugeben.
13Die Antragsgegnerin beantragt,
14die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
15Sie verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer und begründet dies näher.
16Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und Anlagen sowie auf die Verfahrensakten der Vergabekammer und die beigezogenen Vergabeakten Bezug genommen.
17II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Nachprüfungsantrag bleibt ohne Erfolg.
181. Bedenken gegen die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags bestehen nicht.
19a. Der Zulässigkeit des mit dem Nachprüfungsantrag verfolgten Hauptantrags steht § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift können gesetzliche Krankenkassen Verträge mit Leistungserbringern im Wege der Ausschreibung schließen, soweit dies zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen und in der Qualität gesicherten Versorgung zweckmäßig ist. Der Wortlaut der Vorschrift besagt zur Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages nach §§ 102 ff. GWB nichts. § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist im Zusammenhang mit § 127 Abs. 2 SGB V zu lesen und befasst sich lediglich mit der Frage, ob ein Vertragsabschluss auszuschreiben ist oder nicht. Die Frage der Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages hängt davon nicht ab. Auch in Vergabeverfahren, in denen eine Direktvergabe grundsätzlich zulässig ist (vgl. Art. 31 Richtlinie 2004/18/EG), ist ein Nachprüfungsantrag statthaft (vgl. dazu BGH, Urt. v. 18.06.2012, X ZB 9/11, juris – Rn. 11; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.08.2014, VII-Verg 13/14, BA 8; Beschl. v. 21.07.2010, VII-Verg 19/10, juris – Rn. 83). Die verfahrensrechtliche Frage, ob ein Vergabenachprüfungsantrag statthaft ist, und die materiell-rechtliche Frage, in welcher Form die Vergabe erfolgen muss, dürfen nicht miteinander vermischt werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.07.2007, VII-Verg 19/10 – juris Rn. 83 ff.). Wenn überhaupt, handelt es sich bei § 127 Abs. 1 Satz 1 iVm § 127 Abs. 2 SGB V um Sondervorschriften zu § 101 GWB, nicht aber zu §§ 102 ff. GWB.
20b. Die Antragstellerin ist gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt.
21aa. Sie hat ein Interesse an dem ausgeschriebenen Auftrag. Dies bedarf keiner weiteren Darlegung, weil die Antragstellerin Bieterin in dem eingeleiteten Vergabeverfahren ist und bereits der Umstand der Angebotsabgabe regelmäßig das erforderliche Interesse belegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.07.2004, 2 BvR 2248/03; BGH, Beschl. v. 26.9.2006, X ZB 14/06 – juris Rn. 18; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.02.2009, VII-Verg 66/08 – juris Rn. 13).
22bb. Die weitere Voraussetzung des § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB (Geltendmachung einer Verletzung in Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften) ist ebenfalls erfüllt. Insoweit reicht es aus, dass nach der Darstellung des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Unternehmens eine Verletzung eigener Rechte möglich erscheint. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes, der im Anwendungsbereich des § 100 Abs. 1 GWB durch das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ermöglicht werden soll, kann die Antragsbefugnis nur einem Unternehmen fehlen, bei dem offensichtlich eine Rechtsbeeinträchtigung nicht vorliegt (BVerfG, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 10.11.2009, X ZB 8/09 – juris Rn. 27; BGH , Beschl. v. 26.9.2006, X ZB 14/06 – juris Rn. 18 ff.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.02.2009, VII-Verg 66/08 – juris Rn. 13). Mit ihrem das Nachprüfungsverfahren einleitenden Schriftsatz hat die Antragstellerin mehrere Rechtsverletzungen der Antragsgegnerin vorgetragen, die die Verletzung in eigenen Rechten möglich erscheinen lassen. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer ist der Antragstellerin eine Antragsbefugnis nicht deshalb abzusprechen, weil sie sich darauf beruft, der Auftrag habe wegen Unzweckmäßigkeit nicht ausgeschrieben werden dürfen. Auch die Anwendung von Vergaberecht durch pflichtwidrige Ausschreibung eines Auftrags kann Bieter in eigenen Rechten verletzen, weil eine Zuschlagsentscheidung an den Bestbieter unterlegene Teilnehmer in ihren Marktchancen berührt.
23Die Antragsbefugnis entfällt auch nicht, soweit die Antragstellerin den Zuschnitt der Gebietslose sowie das Unterlassen einer Fachlosbildung und einer Loslimitierung rügt. Auch hier erscheint eine Verletzung in eigenen Rechten möglich, weil eine Angebotskalkulation durch die Gestaltung durch Losbildungen durchaus beeinflusst werden kann. Das reicht aus. An die Darlegung eines Schadens sind im Rahmen der Antragsbefugnis keine hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn, so auch hier, ein Schadenseintritt nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.07.2004, 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 566; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.02.2009, VII-Verg 66/08 – juris Rn. 41).
24b. Die Antragstellerin hat auch der Rügeobliegenheit gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB genügt, weil sie vermeintliche Verstöße gegen Vergaberecht in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erhalt der Vergabeunterlagen gerügt hat. Einer Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung über die Frage, ob die Pflicht zur „unverzüglichen“ Rüge in § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB mit Blick auf den Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne der Richtlinie 2007/66/EG (Rechtsmittelrichtlinie) eine unbestimmte Ausschlussfrist ist, bedarf es nicht.
252. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die von der Antragsgegnerin gestellten Ausschreibungsbedingungen sind vergaberechtlich nicht zu beanstanden und verletzen die Antragstellerin nicht in Rechten, § 97 Abs. 7 GWB.
26Im Einzelnen:
27a. Unzweckmäßigkeit der Ausschreibung gemäß § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V
28aa. Die Zweckmäßigkeit der Ausschreibung ist, anders als die Antragstellerin meint, keine zu beantwortende sozialrechtliche Vorfrage, mit der zugleich über die Anwendbarkeit des Vergaberechts entschieden wird. Nach § 69 Abs. 2 Satz 4 GWB sind vielmehr die §§ 97 ff. GWB auf die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern anzuwenden. Denn § 127 SGB V ist kein Spezialgesetz, das die Anwendbarkeit des Vergaberechts nach §§ 97 ff. GWB ganz oder teilweise ausschließt. Der durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.03.2007 mit Wirkung ab dem 01.04.2007 reformierte § 127 SGB V (BGBl. I 378) legt vielmehr den Vorrang eines Preiswettbewerbs im Hilfsmittelbereich fest, der durch den durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.2008 mit Wirkung ab dem 18.12.2008 in das SGB V eingefügten § 69 Abs. 2 Satz 1, 2. Hlbs. SGB V a.F. (BGBl. I 2426) klargestellt und konkretisiert worden ist.
29Das GKV-WSG hat den Bereich der Hilfsmittelverträge nach den §§ 126, 127 SGB V einer grundlegenden Reform unterzogen, indem das frühere, nicht exklusive System der Versorgungsberechtigung kraft Zulassung durch ein System abgelöst wurde, das die Versorgungsberechtigung zwingend an eine vertragliche Berechtigung knüpfte. Indem das GKV-WSG für den Abschluss dieser Verträge grundsätzlich die vorherige Durchführung von Ausschreibungen verlangte, sollte der Preiswettbewerb im Hilfsmittelbereich gefördert werden (BT-Drucks. 16/3100, S. 30, 141; MünchKommBeihVgR/Gabriel, Vierter Teil, Anl. zu § 98 Nr. 4 GWB, Rn. 93 m.w.N.). Der Vorrang des Vertragsschlusses im Wege der Ausschreibung wurde durch die Einführung der Geltung des GWB-Vergaberechts in § 69 Abs. 2 Satz 1, 2. Hlbs. SGB V a.F. durch das GKV-OrgWG vom 15.12.2008 bestärkt. Eine Relativierung erfuhr dieser Vorrang lediglich durch das ebenfalls durch das GKV-OrgWG eingeführte Beitrittsrecht in § 127 Abs. 2, 2a SGB V (MünchKommBeihVgR/Gabriel, a.a.O., Rn 94). § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist im Zusammenhang mit § 127 Abs. 2, 2a SGB V zu lesen und stellt ein Regel-Ausnahme-Schema dar, nach dem gesetzlichen Krankenkassen in Abweichung vom Grundsatz des Vorrangs einer Auftragsvergabe im Wettbewerb ein Vertragsschluss durch Gewährung eines Beitrittsrechts ermöglicht wird, wenn die Krankenkasse eine Ausschreibung für unzweckmäßig hält. Eine exklusive Direktvergabe gestattete § 127 Abs. 3 SGB V auch schon vor Einführung eines Beitrittsrechts nur in wenigen und hier nicht streitrelevanten Ausnahmenfällen.
30bb. Der Begriff der Zweckmäßigkeit eröffnet Krankenkassen eine Einschätzungsprärogative mit prognostischen Elementen. Die Entscheidung unterliegt einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle und ist nur darauf zu überprüfen, ob sie auf einer unrichtigen oder unzureichenden Sachverhaltsermittlung oder einer groben Fehleinschätzung beruht oder willkürlich getroffen worden ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.11.2009, VII-Verg 27/09 – juris Rn. 55). Keiner dieser Tatbestände liegt hier vor.
31Insbesondere kann von einer groben Fehleinschätzung des Sachverhalts durch die Antragsgegnerin keine Rede sein. In Ziffern II.1.2. der Bekanntmachung hat sie den ausgeschriebenen Auftrag als Lieferauftrag mit Dienstleistungselementen qualifiziert. Hierbei hat sie dem mit Auslieferung der ableitenden Inkontinenzmittel abrufbaren Dienstleistungsanteil kein Gewicht beigemessen, das eine Ausschreibung unzweckmäßig erscheinen lassen würde, und sich für eine Ausschreibung entschieden. Das ist nicht zu kritisieren. Die Antragsgegnerin legte der Vorbereitung der Ausschreibung Daten und Erfahrungen vergangener Jahre zugrunde, die eine grobe Fehleinschätzung des Sachverhalts nahezu ausschloss. Auch § 127 Abs. 1 Satz 4 SGB V verpflichtete sie nicht, von einer Ausschreibung abzusehen. Nach § 127 Abs. 1 Satz 4 SGB V sind Ausschreibungen in der Regel unzweckmäßig, wenn Versorgungen einen hohen Dienstleistungsanteil aufweisen. Auf der Grundlage von § 127 Abs. 1a SGB V haben der GKV-Spitzenverband und die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer hierzu Empfehlungen ausgearbeitet, um Krankenkassen ebenso wie Leistungserbringern wegen bestehender Unsicherheiten eine Orientierungshilfe bei die Entscheidung über die Zweckmäßigkeit zu geben (vgl. BT-Drucks. 16/10609 S. 57). Als Verwaltungsinnenrecht kommt derartigen Empfehlungen zum einen keine Bieter vor Ausschreibungen schützende Wirkung zu. Zum anderen verpflichten weder die Empfehlungen der Spitzenorganisationen und –verbände noch § 127 Abs. 1 Satz 4 SGB V Krankenkassen, von Ausschreibungen abzusehen. Beide Regelwerke erschöpfen sich vielmehr in einer Entscheidungshilfe. Die abschließende Entscheidung obliegt der Krankenkasse, die von ihrer Einschätzungsprärogative vorliegend in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht hat.
32b. Zuschlagskriterium des niedrigsten Preises
33aa. Nach Art. 53 Abs. 1 i.V.m. Erwägungsgrund 46 RL 2004/18/EG wird der Zuschlag auf das Angebot mit dem niedrigsten Preis oder auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. In § 97 Abs. 5 GWB hat sich der deutsche Gesetzgeber für die Maßgeblichkeit des wirtschaftlichsten Angebots entschieden. Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 97 Abs. 5 GWB (§ 21 Abs. 1 VOL/A EG) darf der öffentliche Auftraggeber aber auch den Preis als ausschließliches Zuschlagskriterium bestimmen, sofern andere Kriterien nicht geeignet sind oder erforderlich erscheinen (EuGH, Urt. v. 7.10.2004 - C-247/02; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.12.2013, VII-Verg 22/13, BA 15 f.; Beschl. v. 09.02.2006, VII-Verg 66/08 – juris Tz. 61; Wiedemann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 21EG Rn. 10). Der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium ist jedenfalls hinzunehmen, wenn - wie im Streitfall - die auszuführenden Leistungen in allen für die Zuschlagsentscheidung in Betracht kommenden Punkten in der Leistungsbeschreibung und/oder in den übrigen Ausschreibungsunterlagen vom Auftraggeber hinreichend genau definiert worden sind (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.02.2006, VII-Verg 66/08 – juris Tz. 61; OLG Naumburg, Beschl. v. 5.12.2008, 1 Verg 9/08 - juris Rn. 65).
34Gemessen an diesen Voraussetzungen ist eine Bewertung der eingereichten Angebote allein anhand des Preises nicht zu beanstanden. Sowohl die zu liefernden Hilfsmittel als auch die damit in Zusammenhang stehenden Dienstleistungen sind in der Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin hinreichend klar definiert. Für die zu liefernden Hilfsmittel ergibt sich dies bereits aus ihrer konkreten Bezeichnung nach Produktnummer, Produktart/Produktgruppe und teilweise des Herstellers. Auch die darüber hinaus und im Zusammenhang mit der Lieferung von Hilfsmitteln zu erbringenden Dienstleistungen sind in Ziffern II.2.5.5 ff. der Vergabeunterlagen hinreichend genau definiert. Dort heißt es im Wesentlichen:
35Ziffer 2.5.5.: Einweisung in Handhabung und Verwendung des Hilfsmittels
36Der Auftragsnehmer weist den Versicherten sowie erforderlichenfalls dessen Pflegeperson persönlich in die sachgerechte Handhabung und Verwendung der Hilfsmittel ein. ...
37Ziffer 2.5.6.: Beratung/Nachbetreuung des Versicherten
38Der Auftragsnehmer berät soweit erforderlich den Versicherten bzw. die ihn betreuende(n) Person(en) bezüglich des Hilfsmitteleinsatzes und führt die erforderliche Nachbetreuung (insbesondere Klärung ggf. auftretender Fragen des Versicherten oder erforderliche Folgeeinweisungen in die Handhabung der Hilfsmittel) durch....
39Zur hilfsmittelbezogenen Beratung bietet der Auftragsnehmer dem Versicherten, der dauerhaft auf eine Versorgung mit ableitenden Inkontinenzhilfen angewiesen ist, bzw. den ihn betreuende(n) Person(en) darüber hinaus einmal jährlich weitere Beratungsbesuche „vor Ort“ an. Diese Beratung erfolgt insbesondere mit dem Ziel, den Versicherten bzw. die ihn betreuende(n) Person(en) in die Lage zu versetzen, die vertragsgegenständlichen Hilfsmittel im alltäglichen Gebrauch in seiner Funktion zu bedienen und zu beherrschen. Sie erfolgt insbesondere in den Gebieten:
40-
41
Beratung und Information über die vertragsgegenständlichen Hilfsmittel
-
42
Beratung bei der Auswahl und ggf. Anpassung der geeigneten Versorgung
-
43
Beratung zur Erkennung und Vermeidung von Komplikationen
-
44
Schulung im Handling der zum Einsatz kommenden Produkte sowie zu Pflege- und Hygienemaßnahmen
...
46Ziffer 2.5.8.: Telefonische Beratung und Auftragsannahme/telefonischer Notdienst
47Der Auftragnehmer gewährleistet eine telefonische Auftragsannahme für die Beratung, Erteilung von Auskünften und die Annahme von Aufträgen. Der Auftragsnehmer hat hierzu eine Servicehotline ... einzurichten und in ausreichendem Umfang zu besetzen...
48Die vom Auftragnehmer zu erfüllenden Dienstleistungspflichten werden hierdurch nach Art und Umfang in einer Weise festgelegt, dass Bieter konkret darüber unterrichtet werden, worauf es der Antragsgegnerin neben der Lieferleistung ankommt. Das reicht für einen Wettbewerb allein anhand des Preises aus. Funktionale oder nur teilfunktionale Leistungselemente sind hierin nicht enthalten.
49bb. Ein reiner Preiswettbewerb steht einer Sicherstellung der Qualität der Versorgung im Sinne des § 127 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V nicht entgegen. Es kann dahinstehen, ob es sich bei § 127 Abs. 1 SGB V um eine dem Vergaberecht zuzuordnende Norm handelt, die die Art und Weise einer Beschaffung betrifft und der Krankenkassen einzuräumenden Bestimmungsfreiheit Grenzen setzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.02.2014, VII-Verg 29/13; Beschl. v. 01.08.2012, VII-Verg 10/12). Denn die in § 127 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB V in Bezug genommenen Qualitätsanforderungen an die Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln erfassen ausnahmslos produktbezogene Leistungen, die einem reinen Preiswettbewerb zugänglich sind.
50(1) Von den von Hilfsmittellieferanten zu erbringenden produktbezogenen Leistungen sind medizinische oder therapeutische und pflegerische Leistungen zu unterscheiden, die anderen Leistungserbringern, nämlich Ärzten, Pflegediensten oder den Versicherten betreuenden Dritten obliegen. In diesem Leistungsspektrum mit einerseits der Verantwortung der betreuenden Ärzte für die medizinisch/therapeutische Aufklärung der Patienten und andererseits der Zuständigkeit des ggf. hinzuziehenden Pflegepersonals für die pflegerische Versorgung der Versicherten sind den Hilfsmittellieferanten von Inkontinenzartikeln nur nachgeordnete Beratungsaufgaben zugewiesen. Solche können bestehen, soweit sie die Versicherten im Vorfeld der Versorgung über die Konkretisierung der ärztlichen Hilfsmittelverordnung zu beraten (§ 7 Abs 3 Satz 2 HilfsM-RL) oder ihnen eine hinreichende "Ausbildung in ihrem Gebrauch" zukommen zu lassen haben (§ 33 Abs 1 Satz 4 SGB V). Diese Pflichten leiten sich aus dem Auftrag der Hilfsmittelversorgung zu einer Sachmittelbeschaffung ab und sind deshalb im Wesentlichen produktbezogen. Insoweit ist bei der Konkretisierung der Hilfsmittelverordnung dasjenige Produkt zu wählen, das unter Berücksichtigung des Gebots der Wirtschaftlichkeit der Versorgung (§ 12 Abs 1 SGB V) den Bedürfnissen und Erfordernissen des Versicherten am besten Rechnung trägt. Das kann im Einzelfall zwar auch eingehende medizinische Kenntnisse voraussetzen, vor allem aber benötigt der Leistungserbringer eine umfassende Kenntnis über die für die Produktart angebotenen Hilfsmittel, deren technische Eigenheiten und Kosten. Entsprechend sind auch im Weiteren die für die Einweisung in den "Gebrauch der Hilfsmittel" notwendigen Instruktionen vor allem auf deren technische Implikationen ausgerichtet. Hierzu können ebenfalls medizinische Kenntnisse nötig sein, hier etwa über mögliche gesundheitliche Risiken einer unzureichenden Säuberung der Versorgung. Gleichwohl steht im Hinblick auf den Gebrauch im Sinne von § 33 Abs 1 Satz 4 SGB V das Hilfsmittel in seiner konkreten Beschaffenheit im Vordergrund und nicht der umfassende Umgang mit den Folgen der Erkrankung (BSG, Urt. v. 21.07.2011, B 3 KR 14/10 – juris Rn. 26).
51(2) § 127 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB V schreibt nicht vor, die Qualität der Hilfsmittel sowie notwendige Beratungs- und sonstige Dienstleistungen im Rahmen einer Ausschreibung anhand einer Qualität und Preis berücksichtigenden Angebotswertung sicherzustellen. Denn bereits die Auswahl der zu liefernden Hilfsmittel in der Leistungsbeschreibung ist als Instrument der Qualitätssicherung geeignet, weil Qualitätsanforderungen an Hilfsmittel in dem nach § 139 SGB V zu erstellenden Hilfsmittelverzeichnis festgelegt werden können. Nachgeordnete Beratungs- und sonstige Dienstleistungen sind von Hilfsmittellieferanten ohnehin in der fachlich gebotenen Qualität und wirtschaftlich zu erbringen, § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Zur Sicherstellung der nach §§ 33 Abs. 1 Satz 4, 70 Abs. 1 Satz 2, 127 Abs. 1 Satz 2, 139 Abs. 2 SGB V geschuldeten Versorgungsqualität reicht es aus, den durch das SGB V vorgeschriebenen Mindeststandard zu fordern und einem Preiswettbewerb auszusetzen. Darüber hinausgehende Qualitäten in den nachrangig zu erbringenden Dienstleistungen unterliegt grundsätzlich der Bestimmungsfreiheit der Krankenkassen, die freilich ebenfalls an die Grundsätze wirtschaftlicher Beschaffung gebunden sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen, § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V.
52c. Zu kurze verbleibende Angebotsfrist nach Gestattung des Entlastungsbeweises bei Doppelbeteiligung
53Die Mitteilung der Antragsgegnerin vom 28.01.2014, Bieter hätten grundsätzlich mit dem Angebot die Möglichkeit des Entlastungsbeweises, ist dahin auszulegen, dass es Einzelbietern gestattet ist, sich parallel als Mitglied einer Bietergemeinschaft an der Ausschreibung zu beteiligen. Das entspricht auch dem Verständnis der Antragstellerin (GA 62), die sich in der Beschwerdeschrift nur dagegen wehrt, dass die Antragsgegnerin dies auf eine entsprechende Rüge der Antragstellerin nicht zum Anlass genommen habe, die Angebotsfrist entsprechend zu verlängern. Die Rüge ist unbegründet. Die Bildung einer Bietergemeinschaft zwischen branchenangehörigen Unternehmen ist nur zulässig, wenn die beteiligten Unternehmen ein jedes für sich zu einer Teilnahme an der Ausschreibung mit einem eigenen Angebot auf Grund ihrer betrieblichen oder geschäftlichen Verhältnisse nicht leistungsfähig sind, und erst der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft sie in die Lage versetzt, sich daran (mit Erfolgsaussicht) zu beteiligen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.02.2014, VII-Verg 2/14). Da die Antragstellerin auf alle Lose ein Angebot eingereicht hat, kam für sie die Beteiligung an einer Bietergemeinschaft nicht in Betracht. Auf mögliche Rechtsbeeinträchtigungen anderer Bieter kann sie sich nicht berufen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.04.2013, VII-Verg 45/12 – juris Rn. 23).
54d. Intransparente Eignungsprüfung
55Die Antragstellerin hat das Gebot, die von ihr verlangten Nachweise in einer abschließenden Liste zusammenzustellen (§ 9 Abs. 4 VOL/A EG), nicht verletzt. Auch ist nicht zu beanstanden, dass die Prüfung der Eignung benannter Nachunternehmer nur auf für den Zuschlag vorgesehene Angebote und damit der Angebotswertung nachgelagert erfolgt.
56aa. Durch den Hinweis in Ziffer 9 der Vergabeunterlagen, Nachunternehmer müssten für die von ihnen übernommenen Teile der Leistung den gleichen fachlichen, persönlichen und wirtschaftlichen Eignungsanforderungen genügen, wie der Bieter sowie den Hinweis, die Eignung von Nachunternehmern werde nach Anfordern der Eignungsnachweise geprüft, hat die Antragstellerin ihrer Pflicht aus § 9 Abs. 4 VOL/A EG in ausreichendem Maße genügt. Bei verständiger Würdigung der Ausschreibungsunterlagen konnten diese Hinweise nur dahin verstanden werden, dass für Nachunternehmer die gleichen Eignungsnachweise beizubringen waren wie für den Hauptauftragsnehmer selbst, §§ 133, 157 BGB. Tatsächlich hat die Antragstellerin Ziffer 9 der Vergabeunterlagen ausweislich der in der Vergabeakten befindlichen Unterlagen auch so verstanden und entsprechende Nachweise vorgelegt.
57bb. Die nachgelagerte Eignungsprüfung von Nachunternehmern ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Es kann dahin stehen, ob von Bietern verlangt werden darf, bereits vor Angebotsabgabe die Nachunternehmer namentlich zu benennen, die sie zur Auftragsausführung einsetzen wollen (vgl. dazu BGH, Urt. 10.06.2008, X ZR 78/07 – juris Rn. 14). Kommt dies nicht in Betracht, erfolgt eine Anforderung von Eignungsnachweisen und eine Eignungsprüfung von Nachunternehmer notwendigerweise nachgelagert. Das Vergaberecht schreibt öffentlichen Auftraggebern nicht vor, dass derartige Nachweise vor Auswertung der Angebote verlangt werden müssen. § 19 Abs. 1 VOL/A EG erfasst Nachweise, die vor Ablauf der Angebotsfrist einzureichen sind, nicht aber solche, die erst nach Fristablauf verlangt werden dürfen.
58Der Frage, ob die Antragsgegnerin gegen Vergaberecht verstoßen hat, indem sie mit der Anlage 09 der Vergabeunterlagen neben Art und Umfang der an Nachunternehmer zu vergebenden Leistungen auch deren namentliche Benennung im Angebot verlangt hat, braucht nicht nachgegangen zu werden, weil die Antragstellerin dem rügelos nachgekommen ist.
59e. Fehlerhafte Leistungsbeschreibung
60Die Antragsgegnerin hat die Vorschriften über eine ordnungsgemäße Leistungsbeschreibung nicht verletzt, § 8 Abs. 1 und Abs. 7 VOL/A EG.
61aa. Die Leistungsbeschreibung ist sowohl hinsichtlich der ausgeschriebenen Lieferleistungen als auch hinsichtlich der verlangten Dienstleistungen (Beratung und Schulung) hinreichend bestimmt. Wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat, enthielten die Vergabeunterlagen genaue Angaben darüber, welche Produktarten (sog. 7-Steller) Gegenstand des ausgeschriebenen Rahmenvertrags sein sollen und – soweit dies für die geforderte Mindestabdeckung von 80 % notwendig ist – welche konkreten Produkte (sog. 10-Steller) Gegenstand der Angebote zu den einzelnen Produktarten sein müssen. Die Vergabeunterlagen enthielten auch konkrete und hinreichende Angaben, auf deren Grundlage Bieter die voraussichtliche Vertragsmenge abschätzen konnten. In Ziffern 2.5.5, 2.5.6 und 2.5.8 der Vergabeunterlagen hat die Antragsgegnerin – wie bereits ausgeführt worden ist – auch die verlangten nachgeordneten Dienstleistungen klar und abschließend definiert. Auf die weiteren und zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer wird zur Vermeidung bloßer Wiederholungen verwiesen. Das genügte dem in § 8 Abs. 1 VOL/A EG niedergelegten Bestimmtheitsgrundsatz, nach dem die Leistung eindeutig und so klar zu beschreiben ist, dass Bieter die Beschreibung im gleichen Sinn verstehen müssen und deshalb vergleichbare Angebote erwartet werden können.
62bb. Die Vergleichbarkeit der Angebote ist auch nicht dadurch gefährdet, dass die Antragsgegnerin für das von ihr bestimmte Portfolio nur eine Mindestabdeckung von 80 % der im Jahr 2012 bezogenen Hilfsmittel verlangt. Richtig ist, dass hierdurch die angebotenen Produkte der Angebote nicht zwingend deckungsgleich sind. Richtig ist auch, dass sich hierdurch die Wahrscheinlichkeit, für Versicherte unter Umständen Hilfsmittel beschaffen zu müssen, die von dem späteren Rahmenliefervertrag nicht umfasst sind und möglicherweise teurer sind, als eine Beschaffung auf der Grundlage eines Rahmenvertrags mit einer 100%ige Abdeckung des mitgeteilten Portfolios. Die Vergleichbarkeit der Angebote wird hierdurch jedoch nicht in Frage gestellt, weil die Antragsgegnerin, wie die Vergabekammer richtig ausführt, nicht bestimmte Produkte nachfragt, sondern Produktgruppen, die dem Bedarf der Versicherten entsprechen und durch die tabellarisch aufgeführten Produkte (sog. 10-Steller) lediglich dem tatsächlichen Abruf im Jahr 2012 entsprechend unterlegt sind. Entscheidend für die Vergleichbarkeit und Wertung der Angebote sind deshalb die für Produktgruppen und nicht die für Einzelprodukte angegebenen Preise. Angaben zu Einzelprodukten dienen lediglich der Sicherstellung der Lieferfähigkeit derjenigen Produkte, die dem ärztlichen Verordnungsverhalten und Abruf durch Versicherte im Jahr 2012 entsprechen. Dass die Antragsgegnerin diese Erfahrungswerte der Ausschreibung zugrunde legt, ist nicht zu beanstanden. Es entspricht vielmehr dem Bestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers, der eigenverantwortlich festlegt, was er beschaffen will (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.02.2014, VII-Verg 29/13; Beschl. v. 01.08.2012, VII-Verg 10/12).
63cc. Die Leistungsbeschreibung bietet auch eine ausreichende Kalkulationsgrundlage. Die Antragsgegnerin fordert von Bietern für die jeweiligen Produktarten die Angabe eines Gesamtpreises, in den mindestens 80 % des in den zu den jeweiligen Produktgruppen in Produktlisten (sog. 10-Steller) erfassten Bedarfs einzukalkulieren sind. Das ist nicht zu kritisieren und trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei dem ausgeschriebenen Lieferauftrag um einen Rahmenvertrag im Sinn des § 4 VOL/A EG handelt, dem ein prognostizierter Bedarf nicht nur im Hinblick auf das Auftragsvolumen, sondern auch im Hinblick auf den Liefergegenstand innewohnt. Während das Auftragsvolumen von der Anzahl der erkrankten und zu versorgenden Versicherten abhängt, hängt der sicher zu stellende Abruf von Hilfsmitteln insbesondere vom Verordnungsverhalten der Ärzte ab. Beides unterliegt Veränderungen, auf die die Antragsgegnerin ohne Einfluss ist und die sie daran hindern, sich im Vorhinein festzulegen. Die Bildung eines kalkulatorischen Gesamtpreises ist Bietern zumutbar, weil sie ihnen möglich und den Umständen des ausgeschriebenen Versorgungsbedarfs angemessen ist. Die Ausführungen der Vergabekammer in der angefochtenen Entscheidung sind auch insoweit richtig.
64dd. Es liegt auch keine verbotene produktspezifische Ausschreibung vor, § 8 Abs. 7 VOL/A EG. Es kann dahin stehen, ob in den in Anlage 03 der Vergabeunterlagen aufgeführten Listen bestimmter den jeweiligen Produktgruppen zugeordneter Produkte (sog. 10-Steller) überhaupt von einer Produktspezifizierung im Sinn des § 8 Abs. 7 VOL/A EG ausgegangen werden kann. Zweifel rechtfertigen sich aus dem Vorrang einer nach Produktgruppen geordneten Beschaffung von Hilfsmitteln, die lediglich durch bestimmte in der Vergangenheit auf der Grundlage von ärztlichen Verordnungen verlangter Hilfsmittel konkretisiert und als Portfolio zugrunde gelegt werden. Selbst wenn von einer Produktspezifizierung ausgegangen würde, sprechen gewichtige wirtschaftliche Gründe für die Festlegung eines Portfolios, in dem – wenn auch eine Vielzahl – bestimmter Produkte enthalten sein müssen.
65(1) Bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen ist der öffentliche Auftraggeber im rechtlichen Ansatz ungebunden. Die Entscheidung wird erfahrungsgemäß von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Die Wahl unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Das Vergaberecht regelt nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung (überwiegende Rechtsprechung der Vergabesenate der OLG, vgl. allein OLG München, Beschl. v. 28.7.2008 - Verg 10/08, BeckRS 2008, 17225; Beschl. v. 9.9.2010 - Verg 10/10, Bestuhlung; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.2.2010 - VII-Verg 42/09, ISM-Funk; Beschl. v. 3.3.2010 - VII-Verg 46/09, Klein-Lysimeter; Beschl. v. 27.6.2012 - VII-Verg 7/12, Fertigspritzen, BA 6; Jaeger, ZWeR 2011, 365, 366; Scharen GRUR 2009, 345 - jeweils m.w.N.). Dies ergibt sich aus der Vertragsfreiheit. Die danach im jeweiligen Fall vorgenommene Bestimmung des Beschaffungsgegenstands ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen im Ausgangspunkt nicht zu kontrollieren.
66Nichtsdestoweniger unterliegt die Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers beim Beschaffungsgegenstand, und zwar im Interesse der von der Richtlinie 2004/18/EG angestrebten Öffnung des Beschaffungswesens der öffentlichen Hand für den Wettbewerb, aber auch der effektiven Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit wegen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.5.2012 - C-368/10), bestimmten durch das Vergaberecht gezogenen Grenzen. So schreibt für den Streitfall § 8 Abs. 7 VOL/A-EG vor, dass, soweit dies nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, der Auftraggeber in technischen Anforderungen (in einem weit zu verstehenden Sinn) nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren verweisen darf, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder Produkte ausgeschlossen oder begünstigt werden. Nach der dazu ergangenen Rechtsprechung des Senats (vgl. oben, insbesondere zuletzt OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.6.2012 - VII-Verg 7/12, Fertigspritzen, BA 5 bis 7) sind die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers indes eingehalten,
67-
68
sofern die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist,
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vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist,
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solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind,
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und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.
Bewegt sich die Bestimmung in diesen Grenzen, gilt der Grundsatz der Wettbewerbsoffenheit der Beschaffung nicht mehr uneingeschränkt.
73(2) Ausgehend von diesen Maßstäben, verstößt die Angabe bestimmter und mit einem Abdeckungsgrad von 80 % anzubietender Produkte (sog. 10-Steller) nicht gegen Vergaberecht. Denn die Aufnahme bestimmter und Produktgruppen zugeordneter Hilfsmittel ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, weil die Antragsgegnerin mit der Ausschreibung ausweislich des Vergabevermerks vom 07.02.2014 (dort Punkt 1.2) das Ziel verfolgt, Versicherte nachhaltig mit den ihnen vertrauten Produkten zu versorgen. Das Verlangen bestimmter Produkte erscheint aus der Sicht der Antragsgegnerin notwendig, weil eine Substitution im Bereich ableitender Inkontinenzhilfen nach durchgeführter Markterkundung wegen drohender Compliance-Schwierigkeiten kaum möglich sei. Diese Gründe sind nachvollziehbar, auftragsbezogen und stichhaltig. Das festgelegte Portfolio spiegelt darüber hinaus das branchentypische Verordnungsverhalten der Ärzte wieder, dem sich die Antragsgegnerin zur Vermeidung fehlgeleiteter Vertragsschlüsse mit Hilfsmittellieferanten anzupassen sucht. Die vorgenannten Gründe sind tatsächlich vorhanden. Eine Diskriminierung von Marktteilnehmern ist nicht ersichtlich, weil es sich bei dem angesprochenen Bieterkreis, auch bei der Antragstellerin, nicht um Hersteller, sondern Anbieter auf Handelsebene handelt.
74f. Unterlassene und fehlerhafte Losbildung
75Schließlich begegnet auch die Aufteilung des Auftrags in 15 Gebietslose keinen rechtlichen Bedenken. Nach § 97 Abs. 3 GWB (§ 2 Abs. 2 VOL/A EG) gilt zum Schutz mittelständischer Interessen das Gebot der Bildung von Teil- und Fachlosen. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Da bei der Entscheidung, ob eine Losbildung erforderlich ist, in die Zukunft gerichtete und prognostische Überlegungen anzustellen, ist dem Auftraggeber auch hier eine Einschätzungsprärogative zuzuerkennen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.11.2009, VII-Verg 27/09 – juris Rn. 52; Beschl. v. 11.07.2007, VII-Verg 10/07). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben, ist dem Gebot der Teillosbildung durch die Bildung von 15 Gebietslosen Genüge getan. Die Antragsgegnerin verstößt insbesondere nicht gegen das Gebot der wohnortnahen Versorgung, § 127 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Hierdurch wird nicht verlangt, Lose auf den Geschäftssitz von Lieferanten zuzuschneiden, um ihnen eine unmittelbare Versorgung in ihrem Geschäftsbezirk zu ermöglichen. Bei einem Versorgungsgebiet, wie die Antragsgegnerin es zu verwalten hat, führte dies zu einer unüberschaubaren Anzahl von Losen, bis hin zu Splitterlosen, von deren Bildung öffentliche Auftraggeber befreit sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.03.2011, VII-Verg 63/10; auch OLG Koblenz, Beschl. v. 04.04.2012, 1 Verg 2/11). Dies hat zur Folge, dass es Bietern zugemutet werden darf, Lieferleistungen ebenso wie die damit zusammenhängenden nachgeordneten Dienstleistungen auch außerhalb ihres unmittelbaren Geschäftsbezirks abzuverlangen. Das sieht im Ausgangspunkt auch die Antragstellerin, die - willkürlich gegriffen – eine Bildung von 100 Teillosen fordert. Auch in einem solchen Fall ist eine Auftragserfüllung nur durch ein überregionales Netzwerk möglich. Warum dies der Antragstellerin, die auf ihrer Homepage mit einem bundesweiten Netzwerk auftritt, nicht zumutbar sein soll, ist weder ersichtlich, noch von ihr behauptet worden.
76Die Antragsgegnerin war nicht verpflichtet, über Gebietslose hinaus, Fachlose zu bilden. Zum einen trägt sie nicht vor, welche abtrennbaren Märkte die Antragsgegnerin übergangen haben soll (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.01.2012, VII-Verg 52/11). Zum anderen ist sie als bloße Lieferantin von einer Fachlosbildung nicht in ihrem Rechtskreis berührt. Darüber hinaus bedarf es hier einer Fachlosbildung nicht, weil der Auftraggeber mittelständischen Interessen bereits durch die Bildung einer ausreichenden Anzahl von Gebietslosen Rechnung getragen hat (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.03.2011, VII-Verg 63/11 – juris Rn. 28).
77III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 120 Abs. 2 GWB.
78Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 230.000,- € festgesetzt.
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