Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VI-3 Kart 348/12 (V)
Tenor
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Bundesnetzagentur vom 30.10.2012, BK8-12-019, aufgehoben.
Die Bundesnetzagentur trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen. Die weite- ren Beteiligten tragen ihre Kosten selbst.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
1
Gründe
2A.
3Die Betroffene ist künftige Betreiberin des Gemeinschaftskraftwerks C., das im 1. Halbjahr 2015 den Regelbetrieb aufnehmen soll.
4Das Kraftwerk ist ein modernes Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk mit einer elektri- schen Nettoleistung von x MW. Als Mittellastkraftwerk dient es dazu, kurzzeitige Las- terhöhungen abzufedern und den Energiebedarf abzudecken, der über die Grundlast hinausgeht. Rund x % der Nettoleistung (x MW) wird bei Bedarf für Bahnstrom ver- wandt. Das Gas für das Kraftwerk wird über den Großhandelsmarkt beschafft. Das Kraftwerk weist hohe Laständerungsraten auf und ist deshalb für Redispatch- Maßnahmen besonders gut geeignet. Das Kraftwerk soll den Strom mit einer 110 KV-Freileitung über das Umspannwerk „x“ in das Netz einspeisen. Der Netzknoten liegt in einem Netzabschnitt des Übertragungsnetzes, in dem im Jahr 2011 etwa 400 Redispatch-Maßnahmen erfolgt waren. Die Betroffene geht davon aus, dass sie auf- grund des geplanten Offshore-Ausbaus in der Nordsee künftig vermehrt für Redis- patch-Einsätze in Anspruch genommen werden wird. Sie hat mit dem für sie zustän- digen Übertragungsnetzbetreiber bislang keine Verträge über Redispatch- Maßnahmen geschlossen.
5Mit der Festlegung vom 30.10.2012, BK6-11-098 („BK6-Festlegung“) hat die Bun- desnetzagentur Vorgaben „wegen der Standardisierung vertraglicher Rahmenbedin-
6gungen für Eingriffsmöglichkeiten der Übertragungsnetzbetreiber in die Fahrweise von Erzeugungsanlagen“ gemacht und geregelt, wie Redispatch-Maßnahmen durch- zuführen, in welcher Reihenfolge Kraftwerke zu Redispatch-Einsätzen heranzuzie- hen sind („Merit Order“) und wie der Datenaustausch zu erfolgen hat.
7In der Begründung der BK6-Festlegung (S. 53) nimmt die Bundesnetzagentur zu der für den Intraday-Handel relevanten Frage einer jederzeitigen Wirkleistungsanpas- sung Stellung:
8„…Der u. a. in der Stellungnahme von EnBW, E.ON und des VGB geforderten Zuläs- sigkeit einer jederzeitigen, insbesondere auch während eines anstehenden Eingriffs zur Wirkleistungsanpassung möglichen Aktualisierung der Einspeisezeitreihen durch die Anlagenbetreiber kann sich die Beschlusskammer nicht anschließen, auch wenn dies - wie vorgetragen - bereits heute von einem Übertragungsnetzbetreiber zuge- lassen wird. Denn es besteht die Gefahr, dass die Aktualisierung der Einspeisezeit- reihe während einer Maßnahme zu Lasten des Übertragungsnetzbetreibers erfolgt und eine Anweisung zur Wirkleistungsanpassung unterlaufen wird. Die Möglichkeit, eine Anpassungsmaßnahme zu unterlaufen, besteht z. B. dadurch, dass bei einem Kraftwerk, welches aufgrund einer Anweisung zur Anpassung der Wirkleistungser- zeugung von Minimal- auf Maximalleistung hochgefahren wurde, das Leistungsin- krement vom Betreiber als marktgetriebene Stromproduktion umdeklariert und zur Erhaltung des energetischen Gleichgewichtes seines Bilanzkreises die Leistung ei- nes anderen Kraftwerks in gleicher Höhe reduziert würde. Liegt das eingesenkte Kraftwerk auf der gleichen Seite des Engpasses, würde die Maßnahme zur Wirkleis- tungsanpassung in ihrer Wirkung reduziert oder sogar aufgehoben. Das durch die Maßnahme angestrebte Ziel würde dadurch konterkariert…“
9Mit der weiteren, hier streitgegenständlichen Festlegung vom 30.10.2012, BK8-12- 019 („Festlegung“) hat die Bundesnetzagentur eine „Festlegung von Kriterien für die Bestimmung einer angemessenen Vergütung bei strombedingten Redispatch- Maßnahmen und bei spannungsbedingten Anpassungen der Wirkleistungseinspei- sung“ erlassen.
10Hintergrund der beiden Festlegungen ist die Zunahme sog. Redispatch-Maßnahmen,
11u. a. weil im März 2011 acht Kernkraftwerken außer Betrieb genommen worden wa- ren und zunehmend Strom aus erneuerbaren Energien in das Netz eingespeist wird, mit der der Netzausbau nicht Schritt hält. Bei Redispatch-Maßnahmen handelt es sich um physikalische Eingriffe in die Fahrweise von Kraftwerken, die notwendig werden, wenn die strom- oder spannungsbedingte Überlastung eines Netzelements die Netzsicherheit gefährdet. Beim strombedingten Redispatch wird einer Überlas- tung eines Netzelementes dadurch entgegengewirkt, dass ein Kraftwerk auf der Sei- te mit dem Erzeugungsüberschuss seine Einspeisung reduziert und ein Kraftwerk hinter dem Engpass seine Einspeisung entsprechend erhöht. Dadurch nimmt der Stromfluss (Stromstärke) auf dem betroffenen Netzelement ab. Beim spannungsbe- dingten Redispatch wird die Wirkleistungseinspeisung von einem oder mehreren Kraftwerken reduziert oder erhöht, um den Einsatz von Blindleistung aus Kraftwerken zur Spannungsstabilisierung in ausreichender Menge zu gewährleisten. In der Ver- gangenheit erfolgten Redispatch-Maßnahmen nur aufgrund freiwilliger Vereinbarun- gen zwischen Übertragungsnetzbetreibern und Kraftwerksbetreibern.
12Tenorziffer 1 der streitgegenständlichen Vergütungs-Festlegung bestimmt, dass Be- treiber von Anlagen zur Speicherung oder zur Erzeugung von elektrischer Energie bei Verträgen über Redispatch-Maßnahmen nach Maßgabe der BK6-Festlegung ei- ne angemessene Vergütungsregelung nach bestimmten Kriterien zu vereinbaren haben.
13Tenorziffer 2 sieht vor, dass Übertragungsnetzbetreiber als angemessene Vergütung für hochfahrende Erzeugungsanlagen die durch die Redispatch-Maßnahme tatsäch- lich verursachten, zusätzlich entstehenden Aufwendungen zu vergüten haben (Auf- wandsersatz). Bei absenkenden Erzeugungsanlagen haben die Anlagenbetreiber dem Übertragungsnetzbetreiber die durch die Redispatch-Maßnahme ersparten Aufwendungen zu erstatten. Die Festlegung geht davon aus, dass Marktprämien, Gewinnzuschläge und Opportunitäten nicht zu vergüten seien.
14Betreffen Maßnahmen jährlich nicht mehr als 0,9% der Einspeisemengen des Vor- jahres einer Erzeugungsanlage, sollen die entstehenden Grenzkosten bis zu dieser Bagatellgrenze nach Tenorziffer 3 pauschal anhand von EPEX-Spot-Preisen vergütet
15werden. Die Vergütung für Redispatch-Einsätze wird hierbei durch den niedrigsten stündlichen Preis bestimmt, zu dem die betroffene Erzeugungsanlage im Kalender- monat vor dem Einsatzzeitpunkt im Normalbetrieb eingespeist hat. Der Preis wird mit der Redispatch-bedingten Einspeisemenge multipliziert. Im Falle des Herunterfah- rens der Anlage ist als zu erstattende Grenzkosten-Ersparnis ebenfalls auf den ent- sprechenden Stunden-EPEX-Spot-Preis abzustellen. In Zusammenhang mit dem Redispatch stehende An- oder Abfahrkosten einer Erzeugungsanlage werden erstat- tet. Sollte eine Anlage im Kalendermonat vor der Redispatch-Maßnahme nicht im Normalbetrieb eingespeist haben, wird die angemessene Vergütung anhand ver- gleichbarer Erzeugungsanlagedaten der letzten zwölf Vormonate berechnet.
16Es sei im Sinne einer einfachen und handhabbaren Regelung sachgerecht, für Baga- telleinsätze sich an Börsenpreisen zu orientieren. Die Bundesnetzagentur verweist in der Begründung der Festlegung darauf, dass eine Erzeugungsanlage im Normalbe- trieb nur dann Energie an der Börse anbieten werde, wenn mindestens die Grenz- kosten gedeckt seien. Als „Normalbetrieb“ seien solche Zeiten nicht zu berücksichti- gen, bei denen eine Erzeugungsanlagen Regelleistung vorhalte oder erbringe, eine Anlage in Mindestlast gefahren werde, um Ab- und Anfahrvorgänge zu vermeiden, ein Einsatz im Probebetrieb erfolge oder eine KWK-Anlage zeitweise ausschließlich wärmegeführt werde. In allen anderen Fällen sei davon auszugehen, dass eine Er- zeugungsanlage nur dann einspeise, wenn deren Grenzkosten unter dem Börsen- preis lägen. So dürften etwa marktbeherrschende Erzeugungsunternehmen nur ei- nen „im Geld befindlichen“ Kraftwerkseinsatz planen. Überschreitet das Einspeisevo- lumen die Bagatellgrenze, soll nur für den oberhalb der Bagatellgrenze liegenden Anteil eine individuelle Erstattung möglich sein.
17Tenorziffer 4 normiert, dass der Übertragungsnetzbetreiber in „begründeten Aus- nahmefällen“ dem Anlagenbetreiber anstelle der Bagatellvergütung einen individuel- len Aufwandsersatz gewähren könne und die Beschlusskammer unverzüglich zu in- formieren habe. Den Anlagenbetreiber wählen zu lassen, ob er pauschal oder indivi- duell abrechnen möchte, widerspreche dem Vereinfachungsgedanken der Bagatell- regelung. Anhand der Ausnahmeregelung könne etwa abgerechnet werden, wenn ein Pumpspeicherkraftwerk oder Wasserkraftwerk eine Redispatch-Leistung erbrin- ge, belastbare Daten des letzten Kalendermonats nicht vorlägen, der Übertragungs-
18netzbetreiber die Grenzkosten nicht schätzen könne oder die Bagatellregelung er- kennbar zu unplausiblen Ergebnissen führe.
19Tenorziffer 5 sieht ein Leistungsentgelt vor, wenn Redispatch-Maßnahmen einer Er- zeugungsanlage mehr als 10% der Einspeisemengen des Vorjahres betragen. In diesen Fällen könne der Übertragungsnetzbetreiber in Abstimmung mit der Be- schlusskammer einen Leistungsanteil vergüten. Erzeugungsanlagen, die im Vorjahr nicht eingespeist haben, erhalten kein Leistungsentgelt (Satz 2 der Tenorziffer 5).
20Tenorziffer 6 überträgt die Abrechnungsmodalitäten auf Redispatch-Verträge über die spannungsbedingte Anpassung einer Wirkleistungseinspeisung (Spannungshal- tung).
21Tenorziffer 7 regelt, um abrechnen zu können, bestimmte Vorlage-, Nachweis- und Informationspflichten der Anlagenbetreiber gegenüber dem Übertragungsnetzbetrei- ber.
22Die Tenorziffern 8 – 10 legen fest, dass die Bestimmungen zum 17.12.2012 in Kraft treten, bestehende Vereinbarungen bis Ende 2013 fortgeführt werden können und ein Widerruf der Festlegung vorbehalten bleibt.
23In der Begründung der Festlegung (S. 18 f.) äußert die Bundesnetzagentur sich zur Haftung der Übertragungsnetzbetreiber. Bei Schäden, die während einer Redispatch- Maßnahme oder spannungsbedingten Anpassung aufträten und die auch im norma- len Betrieb der Anlage hätten auftreten können, sei davon auszugehen, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Schaden und der Redispatch-Maßnahme existiere. Der Übertragungsnetzbetreiber müsse für diese Schäden nicht haften.
24Die Bundesnetzagentur erläutert in der Festlegung, dass die angemessene Vergü- tung anhand der entstehenden Aufwendungen zu berechnen sei. Da bei Redispatch- Maßnahmen, anders als etwa bei der Regelenergie, kein funktionierender Markt exis- tiere und durch den Redispatch-Eingriff keinesfalls zusätzliche Gewinne erwirtschaf- tet werden dürften, sei nur ein Aufwandsersatz zu gewähren. Andernfalls drohten systemdestabilisierende Anreize, etwa durch einen gezielt leitungsbelastenden
25Kraftwerkseinsatz, und Wettbewerbsverzerrungen, wenn durch Netzengpässe Ge- winne erzielt werden könnten. Es sollten daher nur die zusätzlichen Aufwendungen eines Redispatch-Einsatzes erstattet werden, nicht hingegen Marktprämien, Oppor- tunitäten oder Gewinnzuschläge. Es seien im Übrigen die Angemessenheitsrestrikti- onen der Netzentgeltbetrachtung und die Kalkulationsmaßstäbe der StromNEV her- anzuziehen, die für eine angemessene Vergütung auch auf eine Erstattung der Auf- wendungen abstellten. So würden nach § 5 StromNEV die Aufwendungen mit den erstattungsfähigen und über Netzentgelte refinanzierbaren Kosten gleichgesetzt.
26Es seien daher die Aufwendungen für zusätzliche Brennstoffkosten, zusätzliche An- und Abfahrvorgänge, Hilfs- und Einsatzstoffe, CO2-Emissionsrechte, einsatzabhän- gige Instandhaltungen, einen erhöhten Wartungsaufwand und für verkürzte Revisi- onszyklen ersatzfähig. Die Verschiebung einer Revision beruhe im Regelfall hinge- gen nicht auf einem nur kurzfristig auftretenden und wenige Stunden andauernden Redispatch-Einsatz. Die Aufwendungen seien anhand eines „belastbaren Nachwei- ses“ auf der Basis der Anschaffungswerte aus der Finanzbuchhaltung des letzten Quartals zu ermitteln. Eine Abrechnung anhand von Großhandelspreisen der Roh- stoffbörsen könne hingegen zu Verzerrungen führen, etwa weil Gaskraftwerke teils langfristige Gaslieferverträge abgeschlossen hätten, deren Konditionen von den Großhandelspreisen abwichen. Großhandelspreise könnten daher zu deutlichen Über- oder Unterdeckungen führen. Beschafften Erzeuger den Brennstoff jedoch über den Großhandelsmarkt, seien auch diese tatsächlichen Aufwendungen zu ver- güten.
27Nicht berücksichtigungsfähig seien hingegen Fixkosten, weil Redispatch diese Kos- ten nicht beeinflusse. Erst wenn der strombedingte Redispatch keinen Ausnahmefall mehr darstelle, könnten Leistungspreisbestandteile anteilig vergütet werden. Ein der- art erheblicher Einsatz, bei dem Redispatch zum üblichen Betrieb einer Erzeugungs- anlage gehöre, liege vor, wenn Redispatch mehr als 10% der Erzeugungsleistung ausmache.
28Auch seien Opportunitäten, Marktprämien oder Schattenpreise nicht zu erstatten, weil dies zu Wettbewerbsverzerrungen und Fehlanreizen führe. Hierzu zählten auch gegebenenfalls erwartete vermiedene Netzentgelte. Flexibilitätseinbußen, die fehlen-
29de Möglichkeit, am Intraday-Markt teilzunehmen, seien ebenfalls nicht vergütungsfä- hig. Im Redispatch-Fall könnten die Anlagenbetreiber nicht frei agieren, sondern müssten sich Netzrestriktionen stellen. Der Intraday-Markt sei lediglich ein Optimie- rungsmarkt, bei dem überflüssiger Strom gehandelt und kurzfristig Abweichungen von Verbrauchsprognosen ausgeglichen und so Kosten für Ausgleichs- und Regel- energie reduziert werden sollten, wenn der Übertragungsnetzbetreiber diesem nicht widerspreche. Außerdem seien besondere Abstimmungs- oder zumindest Meldepro- zesse gegenüber den Übertragungsnetzbetreibern zu beachten. Darüber hinaus sei nicht dargelegt worden, ob, auf welche Weise und in welcher Höhe Flexibilitätsein- bußen berechnet werden könnten.
30Diese Grundsätze sollen im Falle der Absenkung einer Einspeisung sinngemäß gel- ten, so dass die durch das Absenken ersparten Aufwendungen dem Übertragungs- netzbetreiber zu erstatten seien.
31Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass die Vergütungsregelung auch Strom- speicher-Betreiber verpflichte. Die Behörde unterscheidet die Eingriffsbetriebszu- stände
321. Entleeren eines Speichers: Erhöhung der Einspeiseleistung
332. Entleeren eines Speichers: Reduzierung der Einspeiseleistung
343. Befüllung eines Speichers: Erhöhung der Abnahmelast
354. Befüllung eines Speichers: Reduzierung der Abnahmelast.
36Werde die Einspeiseleistung Redispatch-bedingt erhöht, könnten zusätzlich angefal- lene Aufwendungen berücksichtigt werden, etwa für den Energiebezug oder gezahlte Netzentgelte. Schattenpreise, fiktive Preise, die möglicherweise zu einem anderen Zeitpunkt hätten erzielt werden können, sollen hingegen nicht berücksichtigungsfähig sein.
37Werde die Einspeiseleistung reduziert, habe der Anlagenbetreiber dem Übertra- gungsnetzbetreiber seine ersparten Aufwendungen zu erstatten (z.B. Aufwendungen für den Energiebezug - Strompreis, Netzentgelte). Werde die Abnahmelast erhöht, der Speicher gefüllt, entspreche dies in der Wirkung der Reduzierung einer Einspei-
38seleistung und sei entsprechend abzurechnen. Hingegen finde die Festlegung keine Anwendung auf die Reduzierung der Abnahmelast, weil dies der Möglichkeit zur Ab- schaltung von Lasten entspreche und die Vergütung abschaltbarer Lasten nicht Ge- genstand der Festlegung sei.
39Das Bundeskartellamt hat in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur ein Kartellver- waltungsverfahren nach Art. 101 AEUV, § 32 GWB gegen die F. GmbH, die H. GmbH und den Übertragungsnetzbetreiber X. wegen zweier Verträge, die auf Tenor- ziffer 5 der Festlegung gestützt worden waren („J.-Verträge“), eingeleitet. Der Übertragungsnetzbetreiber hatte mit den beiden Unternehmen am 26.04.2013 je- weils Verträge mit einer Laufzeit vom 01.04.2013 bis zum 31.03.2016 geschlossen, in denen das Leistungsentgelt nach Tenorziffer 5 der Festlegung konkretisiert wor- den war. Das Bundeskartellamt beanstandet die Ausgestaltung der Verträge, weil sich das Leistungsentgelt nach dem Anteil der Redispatch-Erzeugung an der Ge- samterzeugung bemesse. Die Fixkosten sollen nach den Verträgen pauschaliert in Anlehnung an die StromNEV abgerechnet werden. Darüber hinaus wird ein Arbeits- preis gezahlt. Das Bundeskartellamt ist der Auffassung, dass die Vertragsgestaltung einen Anreiz schaffe, die Stromerzeugung der Kraftwerke einzuschränken, weil die Redispatch-Vergütung umso höher ausfalle, je weniger die Kraftwerke auf dem „re- gulären Markt“ eingesetzt werden.
40Die Betroffene wendet sich gegen die Festlegung.
41Die Bundesnetzagentur habe ihr Aufgreifermessen fehlerhaft ausgeübt, weil sie die durch Countertrading entstandenen Kosten berücksichtigt habe, obwohl Countertra- ding und Redispatch zwei verschiedene Maßnahmen seien.
42Die Festlegung überschreite die Grenzen der Ermächtigung in § 13 Abs. 1a EnWG, weil sie nicht nur Vergütungskriterien bestimme, sondern eine vollständige Berech- nungsformel vorgebe. Kriterien zu normieren, wäre ausreichend gewesen, weil auf- tretenden strukturellen Störungen der Vertragsparität mit zivilrechtlichen General- klauseln (z.B. §§ 138, 242 BGB) hätte begegnet werden können.
43„Angemessene Vergütung“ i.S.d. § 13 Abs. 1a EnWG sei mehr als bloßer Aufwen- dungsersatz. Hierfür sprächen Wortlaut, Gesetzeshistorie, Systematik sowie Sinn und Zweck. Eine marktbezogene Maßnahme wie das Redispatch sei marktbezogen zu vergüten. Eine angemessene Vergütung enthalte auch einen Gewinn (vgl. auch
44§ 7 StromNEV - kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung). Redispatch-Betroffene er- brächten ein Sonderopfer gegenüber anderen Stromerzeugern, etwa wenn in Fällen eines Netzengpasses nach § 11 Abs. 1 EEG 2012 bzw. § 4 Abs. 1 S. 2 KWKG in die Fahrweise eingegriffen werde, die Betreiber in den dort genannten Fällen 95% der entgangenen Einnahmen und sogar 100% erhielten, wenn die entgangenen Einnah- men mehr als 1% der Einnahmen eines Jahres ausmachten (vgl. § 12 EEG 2012). Auch die Beschaffung von Regelenergie, die ebenfalls netzstützende Wirkung habe, werde ausgeschrieben und marktgerecht vergütet. Auch für ab- und zuschaltbare Lasten werde ein Entgelt gewährt (§ 18 Abs. 1 AbLaV).
45Zu Unrecht berücksichtige die Vergütungsberechnung nicht verschiedene Erlöse und Kosten:
46- 47
Kosten für Wärmeersatzbeschaffung bei KWK-Anlagen
Da KWK-Anlagen Wärme deutlich kostengünstiger als Heizkessel-Anlagen produzierten, entstünden erhöhte, bis zum Faktor x höhere Kosten, wenn auf- grund einer Redispatch-Maßnahme Fernwärme nicht verfügbar sei und eine Ersatzanlage die Wärme produzieren müsse.
49- 50
Strombezug von Dritten bei Absenkung auf null - Bahnstrom
Wenn das Kraftwerk aufgrund einer Redispatch-Maßnahme die Leistung auf null reduzieren müsse, müsse der Bahnstrom aus dem Netz der allgemeinen Versorgung bezogen werden, wodurch Mehrkosten entstünden (Netzentgelte, EEG-Umlage u. ä.).
52- 53
Zinsnachteil aus der zeitverzögerten Auszahlung von KWK-Zulagen nach Ein- speiseabsenkung
Es entstehe ein Barwertverlust, weil bei der Absenkung einer Anlage aufgrund einer Redispatch-Maßnahme keine KWK-Zulage gezahlt werde. Dieser ent-
55gangene KWK-Anteil der Gesamt-Anlagen-KWK-Zulage werde dann erst zeit- verzögert genutzt und damit erst später gewährt.
56- 57
Entgangene Erlöse aus vermiedenen Netzentgelte
Auch die teils ganz erheblichen entgangenen Erlöse aus vermiedenen Netz- entgelten seien zu ersetzen. Werde aufgrund einer Redispatch-Maßnahme ein durchgängiges Leistungsband der Netzeinspeisung unterbrochen, entstehe eine Bezugsspitze aus der vorgelagerten Netzebene. Die maximale Bezugs- last im Jahreszeitraum entspreche nun der höheren Bezugslast während der Redispatch-Maßnahme, so dass sich dadurch die Erlöse aus vermiedenen Netzentgelten, die am Jahresende berechnet würden, erheblich reduzieren könnten (vgl. § 18 Abs. 2 S. 2 und 4 StromNEV). So könne die Reduzierung der Einspeiseleistung der Anlage um 100 MW für eine Stunde im Kalenderjahr (bei hoher Netzlast) zu einer Erlöseinbuße von etwa x € führen, die Festle- gung gewähre aber nur eine Kompensation von x € (Berechnung Bl. 86 GA).
59- 60
Gemeinkosten – Dienstleistungen
Außerdem müssten Gemeinkosten berücksichtigt werden, die in Zusammen- hang mit der Redispatch-Maßnahme stünden, wie Personalkosten für die Ein- richtung einer Rund-um-die-Uhr-Kontaktstelle oder die Kosten für die Anpas- sung der IT-Struktur.
62- 63
Take-or-pay-Verträge
Außerdem fielen Brennstoffkosten teilweise unabhängig von der vereinbarten Menge an (Take-or-Pay-Brennstoff-Lieferverträge). Werde in diesen Fällen die Erzeugung abgesenkt, würden keine Kosten erspart, sondern die nicht ver- wandte Brennstoffmenge müsse zu einem späteren Zeitpunkt für geringere Er- löse zur Stromerzeugung eingesetzt werden oder könne überhaupt nicht ge- nutzt werden. Müsse die Erzeugungsleistung aufgrund einer Redispatch- Maßnahme erhöht werden, stünde der zusätzliche verbrauchte Brennstoff zu einem späteren Zeitpunkt nicht für die Erwirtschaftung höherer Erlöse zur Ver- fügung.
65- 66
Verschiebung von Revisionen
Da Revisionen externe Firmen durchführten, seien die Arbeiten zeitlich nicht beliebig disponibel. Es könne daher sein, dass eine Anlage bis zu einem Re- visionstermin nur eingeschränkt oder gar nicht betrieben werden könne.
68- 69
Intraday-Handel
Es seien ferner Opportunitätskosten sowie Flexibilitätseinbußen, insbesondere entgangenen Gewinnchancen am Intraday-Markt, zu berücksichtigen. Der In- traday-Handel sei kein bloßer Optimierungsmarkt, sondern inzwischen we- sentlicher, immer wichtiger werdender Bestandteil des Strommarktes. Die ent- gangenen Gewinnmöglichkeiten seien auch bezifferbar. So hätten sich etwa die Erlöse beispielhaft für ein Kraftwerk mit Grenzkosten von x €/MWh und un- ter Berücksichtigung der Intraday-Preise für die Woche vom x um x % erhöht (Schriftsatz vom 23.12.2014, S. 5 ff.).
71Die Bagatellregelung nach Tenorziffer 3 der Festlegung sei rechtswidrig und verein- fache nicht. Es sei ein unverhältnismäßiger Aufwand, bei Überschreiten der Baga- tellgrenze die Vergütung zweigeteilt abzurechnen (bis 0,9 % nach Bagatellregelung, ab dann individuell). Ob die 0,9%-Schwelle überschritten werde, stehe auch erst am Ende eines Kalenderjahres fest. Dann könnten aber auch die Grenzkosten für das abgelaufene Jahr berechnet werden und individuell abgerechnet werden. Die Infor- mationspflichten nach Tenorziffer 7 b) seien insoweit unverhältnismäßig. Der Begriff
72„Normalbetrieb“ sei nicht definiert und unklar. Regelmäßig würden freie Leistungs- scheiben von Kraftwerken als Regelenergie vermarktet werden, so dass der „Normal- fall“ nur selten gegeben sei. Anlagenbetreiber planten die Stromerzeugung auf der Basis von Prognosen für den EPEX-Spotmarkt, die jedoch fehlerhaft sein und „Aus- reißer“ nicht prognostiziert werden könnten. Käme es entgegen der Planung etwa zu negativen Strompreisen, würden auf dieser Basis dann die Grenzkosten fehlerhaft berechnet werden. Es sei auch nicht sachgerecht, auf den niedrigsten Preis des Vormonats abzustellen, weil die Grenzkosten erheblich schwankten und die Preise für Primärenergie sehr volatil seien. Auch entstünden gegebenenfalls erhöhte Kosten für Gas-Netznutzungsentgelte. So richteten sich die Kosten für die Leistungskompo- nente bei einem Gasbezug nach der Bezugsspitze in einem bestimmten Zeitraum. Bei einer hohen Leistungsabforderung durch Redispatch könne eine neue Gasbe- zugsspitze entstehen, die nicht von der Bagatellregelung erfasst werde.
73Tenorziffer 5 S. 2 verstoße gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, weil Erzeugungsanlagen, die im Vorjahr nicht eingespeist hätten, kein Leistungsentgelt erhielten. Dies benachteilige Anlagen, die wie die der Betroffenen, neu in Betrieb ge- nommen würden. Es sei auch sachgerecht, eine Leistungsvergütung nach der StromNEV unabhängig vom Umfang der Redispatch-Erzeugung zu gewähren, weil nur einsatzbereite und funktionsfähige Kraftwerke zum Redispatch genutzt werden könnten.
74Aus den genannten Gründen sei auch eine entsprechende Anwendung (Tenorziffer 6 des Tenors) für spannungsbedingte Anpassungen rechtswidrig. Die in der Begrün- dung der Festlegung erwähnte Haftungsverteilung stehe in keinem Zusammenhang mit der Frage der Vergütung, so dass sie nicht auf § 13 Abs. 1a S. 3 EnWG gestützt werden könne. Es sei fraglich, ob es sich überhaupt um eine Regelung handle. Da- rüber hinaus sei die Bestimmung unverhältnismäßig, weil das Haftungsrisiko der An- lagenbetreiber stark erhöht werde.
75Die Betroffene beantragt,
76den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 30.10.2012 (BK8-12-019) aufzuheben,
77hilfsweise den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 30.10.2012 (BK8-12-019) aufzuheben und die Bundesnetzagentur analog § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechts- auffassung des Gerichts zu verpflichten.
78Die Bundesnetzagentur beantragt,
79die Beschwerde zurückzuweisen.
80Sie verweist auf die Gründe ihres Beschlusses und erläutert, dass sie ihr Aufgreifer- messen sachgerecht ausgeübt habe. Einige Kraftwerksbetreiber hätten nur unzurei- chend oder gar nicht an Redispatch-Maßnahmen mitwirken oder nur zu unangemes-
81senen Konditionen kontrahieren wollen. Es sei daher nicht mehr vertretbar gewesen, die bisherige Praxis freiwilliger Redispatch-Vereinbarungen fortzusetzen. Bei der Abwägung, ob eine Festlegung geboten sei, sei der Umfang der Countertrading- Maßnahmen zu berücksichtigen, die ebenfalls der Engpassbeseitigung dienten. Die Kraftwerksbetreiber hätten ausreichend Gelegenheit gehabt und dies auch genutzt, sich im Konsultationsverfahren zu äußern, etwa zur Frage der Abrechnung anhand der Grenzkosten. Die Vergütungskriterien könnten durch eine Festlegung bestimmt werden. Sie seien nicht so tiefgreifend, dass dies der Verordnungsgeber hätte regeln müssen.
82Der Bundesnetzagentur stehe ein weiter Ermessensspielraum zu, wie sie die Festle- gung und die „angemessene Vergütung“ ausgestalte. „Vergütung“ beschreibe eine Gegenleistung in Geld, ohne dass zwingend weitere Kostenbestandteile zu berück- sichtigen seien. § 13 Abs. 1a EnWG sei auch nicht mit Vergütungsvorschriften ande- rer Rechtsbereiche vergleichbar, weil bei einem Redispatch nur geringfügige, notfall- bedingte Anpassungen erfolgten.
83§ 13 Abs. 1b S. 1 EnWG und § 6 Abs. 1 ResKV verdeutlichten, dass mit „angemes- sener Vergütung“ „notwendige Auslagen“ im Sinne eines Aufwendungsersatzes zu verstehen und Opportunitäten nicht zu erstatten seien. Dass Redispatch marktbezo- gen sei, bedeute nicht, dass Eingriffe auch marktbezogen zu vergüten seien. Auf- grund des netztopologischen lokalen Charakters bestehe – anders als etwa bei der Regelenergiebeschaffung - kein Markt für Redispatch-Kapazitäten. Es sei daher auch sachgerecht, die Kalkulationsmaßstäbe der StromNEV anzuwenden.
84Opportunitätskosten und Flexibilitätseinbußen seien nicht zu erstatten. Anlagenbe- treiber würden wirtschaftlich so gestellt, als hätte die Redispatch-Maßnahme nicht stattgefunden. Sie könnten im Redispatch-Fall aufgrund des Netzengpasses nicht mehr frei agieren, untertägige Vermarktungsmöglichkeiten seien von vornherein ein- geschränkt, weil Übertragungsnetzbetreiber kurzfristige Fahrplanänderungen auf- grund der Gefährdungssituation ablehnten. Der wirtschaftliche Erfolg der Vortages- vermarktung komme den Kraftwerksbetreiber hingegen zugute und könne auf Basis eines Day-Ahead-Fahrplans kostenneutral abgewickelt werden. Es bestehe ein An- reiz, die Anlage am Vortag auszulasten und nicht etwa durch eine bewusste Kapazi-
85tätszurückhaltung strategische Vermarktungspotentiale für den Intraday-Markt zu vergrößern. Haupthandelsplatz seien die Termin- und Spotmärkte, hingegen diene der Intraday-Handel (8% Handelsvolumens des Day-Ahead-Marktes) vorrangig dem kurzfristigen Ausgleich zur untertägigen Optimierung. Opportunitäten, Gewinnzu- schläge oder Schattenpreise einzubeziehen, setze Anreize für einen destabilisieren- den Kraftwerkseinsatz und beeinträchtige so die Systemsicherheit und Planbarkeit. Es sei nicht unangemessen, die Anlagenbetreiber am wirtschaftlichen Erfolg der län- gerfristigen Vermarktung festzuhalten, weil für die Netzstabilität nicht allein die Netz- betreiber verantwortlich seien. Opportunitätskosten und Flexibilitätseinbußen seien nicht bezifferbar. Rechne man auf der Basis von Wiederbeschaffungswerten ab, be- ziehe man fiktive Kostenpositionen ein und berücksichtige nicht langfristige Lieferver- träge, etwa bei Gaskraftwerken, oder die Eigenarten des Betriebs von Braunkohle- kraftwerken, die den Brennstoff nicht am Weltmarkt beschafften. Entgangene Erlöse aus vermiedenen Netzentgelten würden erstattet, wenn sie bei hypothetischer Durch- führung des Day-Ahead-Fahrplans angefallen wären, nicht aber die in Zusammen- hang mit dem Intraday-Handel entgangenen Erlöse.
86Anhand der Bagatellregelung könnten die Grenzkosten einfach und sachgerecht er- mittelt werden. Der niedrigste Preis, zu dem die Anlage im abgeschlossenen Kalen- dermonat vor der Redispatch-Maßnahme freiwillig und marktgetrieben im Rahmen des Normalbetriebs eingespeist habe, entspreche in der Regel ihren Grenzkosten. Kleinere Abweichungen seien möglich, aber im Hinblick auf die pauschalierte Baga- tellregelung hinzunehmen. Außerdem könne in Ausnahmefällen, etwa für Pumpspei- cherkraftwerke, alternativ individuell abgerechnet werden. Der Schwellenwert von
87„0,9%“ sei nicht willkürlich (Wertung des § 12 Abs. 1 EEG 2012).
88Fixkosten seien nicht zu erstatten, weil diese unabhängig vom Einsatz der Erzeu- gungsanlagen anfielen. Erst wenn Redispatch-Einspeisungen 10% der Gesamtnetz- einspeisung des Vorjahres ausmachten, sei es angemessen, Fixkosten zu berück- sichtigen und ein Leistungsentgelt zu gewähren. Habe eine Anlage im Vorjahr aller- dings nicht eingespeist, fehle ein Bezugspunkt für die Einspeisemenge, so dass in diesen Fällen kein Leistungsentgelt angesetzt werden könne. Ein Leistungsbestim- mungsrecht stehe dem Übertragungsnetzbetreiber nicht zu, weil die Festlegung klare Vorgaben („Überschreiten der 10%-Schwelle“) mache. Der Übertragungsnetzbetrei-
89ber könne auch nicht frei entscheiden, sondern habe sich mit der Bundesnetzagentur abzustimmen. Ein Leistungsentgelt sei keine verbotene Beihilfe, weil der Leistung eine Gegenleistung gegenüberstehe und diese nicht aus staatlichen Mitteln gewährt werde. Es liege auch keine Wettbewerbsverfälschung vor, weil die Anlagenbetreiber so gestellt werden, wie sie ohne Anweisung gestanden hätten. Auch verstoße Ziffer 5 nicht gegen Art. 6 StromhandelZVO, weil die Vergütungsregelung nicht zu Wettbe- werbsverzerrungen führe.
90Die in der Festlegung angeordneten Informations- und Vorlagepflichten seien not- wendig, um Redispatch-Maßnahmen abrechnen zu können, und von der Ermächti- gung gedeckt („Methodik“), jedenfalls als Annex zulässig. Eine Sonderregelung für Pumpspeicherkraftwerke sei nicht erforderlich und deren Notwendigkeit auch nicht dargelegt. Klarstellend erfasse die Festlegung auch die Reduzierung der Abnahme- last durch einen Speicher.
91Die in der Begründung der Festlegung erwähnte Haftungserleichterung für Übertra- gungsnetzbetreiber sei ohne rechtliche Bedeutung. Die Formulierung erwachse nicht in materieller Bestandskraft.
92Das Bundeskartellamt hält das gewählte Abrechnungssystem anhand der geringsten variablen Kosten (Ersatz der variablen Kosten, Merit Order) im Grundsatz für volks- wirtschaftlich sachgerecht, weil so Anreize zur gezielten Herbeiführung von Netzeng- pässen vermieden würden.
93Die 10%-Schwelle für die Gewährung eines Leistungsanteils sei hingegen bedenk- lich, setze Fehlanreize und könne die Gefahr von Marktverwerfungen begründen. Das Redispatch-Leistungsentgelt dürfe keine Alternativlösung für die Reservekraft- werksverordnung sein. Es könne zu Überschneidungen kommen, weil betroffene An- lagen mit derart hohen Redispatch-Anteilen regelmäßig auch „systemrelevant“ seien. Das Bundeskartellamt geht davon, dass mehrere Kraftwerke die 10%-Schwelle über- schreiten werden. So hätten bereits im Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.05.2014 bundesweit neun Kraftwerke mehr als 10% der Einspeisemengen des Vorjahres er- reicht.
94Die Tenorziffer 5 stelle eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für einen Zahlungsanspruch dar. Soweit in den sog. „J.-Verträgen“ das Leistungsentgelt konkretisiert worden sei, beschränke diese Vereinbarung die Stromerzeugung und sei daher kartellrechtlich unzulässig. Redispatch-Zahlungen an die Kraftwerksbetrei- ber fielen umso höher aus, je weniger eine Anlage auf dem regulären Erzeugungs- markt eingesetzt werde. Dass die Kraftwerke nach den Verträgen „marktgetrieben“ einzusetzen seien, genüge nicht, diesen Anreiz zu vermeiden. Auch könne die 10%- Schwelle schon dadurch überschritten werden, dass die Gesamteinspeisemenge eines Kraftwerks im Vorjahr besonders niedrig gewesen sei. Kraftwerksbetreiber könnten versuchen, die Produktion bewusst zu drosseln, um den Schwellenwert zu erreichen. Auch dadurch, dass die Anweisung an alle an einem Netzknoten ange- schlossenen Kraftwerksblöcke eines Betreibers erfolge, die 10%-Schwelle aber auf den einzelnen Kraftwerksblock abstelle, könne durch eine geschickte Verteilung der Redispatch-Einsätze auf einzelne Kraftwerksblöcke ein möglichst hoher Zahlungsan- spruch generiert werden. Es sei nicht nachvollziehbar, die Zahlungshöhe an den Um- fang der regulären Stromerzeugung zu koppeln, geschweige – wie in den „J.- Verträgen“ – umgekehrt proportional. Die Anwendung der StromNEV dürfe nicht da- zu führen, dass im Ergebnis eine Abrechnung über Tenorziffer 5 der Festlegung ge- genüber den Bestimmungen der Reservekraftwerksverordnung vorzugswürdig sei oder ein Auffangnetz im Sinne eines Kapazitätsmechanismus geschaffen werde. Auch im Hinblick auf die Merit Order sei die 10%-Schwelle bedenklich, weil dann nicht zwingend das Kraftwerk mit den geringsten variablen Kosten für den Redis- patch eingesetzt werde.
95Es seien andere Vergütungsregeln denkbar, die die reguläre Stromerzeugung kartell- rechtskonform nicht einschränkten. Sofern überhaupt eine Schwelle vorgesehen werden sollte, könnte dies etwa durch eine Anknüpfung an die Anzahl der Redis- patch-Einsätze oder das Redispatch-Volumen (z.B. Volllaststunden) erfolgen. Auch ein bestimmter Zusatzbetrag pro Redispatch-Einsatz oder ein Pauschalbetrag für die Leistungsvorhaltung sei denkbar.
96Die Beteiligte zu 2 weist darauf hin, dass die Festlegung bereits deswegen aufzuhe- ben sei, weil die BK6-Festlegung rechtswidrig sei und die hier streitgegenständliche Festlegung darauf aufbaue. „Angemessene Vergütung“ bedeute ein Entgelt (§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB a.F., § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB n.F.). Es sei auf ein Vergleichsmarkt- konzept auf der Basis eines Wettbewerbsmarktes abzustellen. Es seien auch Oppor- tunitäten, Fixkosten anteilig zu vergüten und Erlöse aus vermiedenen Netzentgelten zu berücksichtigen. Die Opportunitätskosten seien auch bezifferbar. Die Bagatellre- gelung sei rechtswidrig und es sei unangemessen, die Vergütung anhand der Grenz- kosten zu berechnen. Im Übrigen gestehe die Festlegung einem Übertragungsnetz- betreiber zu Unrecht ein Entgeltbestimmungsrecht zu, ob die Ausnahmeregelung angewandt werde. Hinsichtlich des Leistungsentgeltes seien die Kriterien nicht fest- gelegt und lägen unzulässigerweise im Ermessen des Übertragungsnetzbetreibers. Auch soweit in der Begründung der Festlegung auf die Haftung der der Übertra- gungsnetzbetreiber eingegangen werde, fehle es an einer Ermächtigung.
97Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze mit Anlagen, den beigezogenen Verwal- tungsvorgang der Bundesnetzagentur sowie das Protokoll der Senatssitzung Bezug genommen.
B.
98Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Festlegung ist rechtswidrig und die Be- troffene dadurch in ihren Rechten verletzt.
I.
99Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie als Anfechtungsbeschwerde statthaft (§§ 75 Abs. 1, 78 Abs. 1, 3, 83 Abs. 2 S. 1 EnWG).
100Als Adressatin der Festlegung ist die Betroffene auch beschwerdebefugt. Darüber hinaus hat sie dargelegt, dass durch die in der Festlegung bestimmten Vergütungs- regeln die Gefahr einer Kostenunterdeckung und damit die Möglichkeit einer Beein- trächtigung ihrer Rechte bestehen kann.
II.
101Die Beschwerde ist begründet. Die Festlegung regelt eine Vergütung für Redispatch- Maßnahmen, die nicht mehr angemessen ist. Tenorziffern 2, 3 und 5 der Festlegung sind rechtswidrig. Da die Festlegung inhaltlich nicht teilbar ist, ist sie insgesamt auf- zuheben.
102- 1.103
Aufgreifermessen
Die Bundesnetzagentur hat ihr Aufgreifermessen sachgerecht ausgeübt. Die beiden Festlegungen sollten eine gesicherte Rechtsgrundlage schaffen, um Redispatch- Einsätze durchführen und einheitlich abrechnen zu können.
105Angesichts des Atomausstiegs und der damit verbundenen Abschaltungen mehrerer Kernkraftwerke sowie des stark gewachsenen Ausbaus von Photovoltaik- und Wind- energieanlagen haben die Zahl der Störungen und Engpässe im Stromnetz und da- mit die Redispatch-Maßnahmen deutlich zugenommen. Die Bundesnetzagentur hatte in einem Schreiben an das Bundesministerium für Wirtschaft zutreffend erläutert, dass nach damaliger Rechtslage Kraftwerksbetreiber nicht zur Teilnahme am Redis- patch hätten verpflichtet werden können (Bl. 13 VV). Die Behörde hatte darauf hin- gewiesen, dass Kraftwerksbetreiber Redispatch-Verträge einseitig hätten kündigen, sich andererseits aber auch kein Markt für Redispatch-Maßnahmen habe bilden kön- nen, für die Zukunft daher ein operativ einfaches Eingreifen notwendig sei, um auf drohende Engpässe ohne Zeitverzug reagieren zu können (Bl. 13 VV, vgl. auch die Stellungnahme der vier Übertragungsnetzbetreiber, Bl. 43 VV). Es sei daher „drin- gend geboten“ gesetzliche Vorgaben zu schaffen, damit die Übertragungsnetzbetrei- ber Redispatch-Maßnahmen durchsetzen könnten (Bl. 14 f. VV: „Redispatch und Redispatch-Kosten werden mehr und mehr zum Ärgernis.“).
106Auch Übertragungsnetzbetreiber haben dargestellt, dass sich Kraftwerksbetreiber inzwischen weigerten, in dem – nach Ansicht der Übertragungsnetzbetreiber - erfor- derlichen Umfang an Redispatch-Maßnahmen mitzuwirken und Redispatch-Verträge abzuschließen. Die vier Übertragungsnetzbetreiber hatten etwa im April 2011 erläu- tert, dass die Netzsituation angespannt sei und sich weiter verschärfen werde (Bl. 40 ff. VV). Die B. GmbH hatte im Mai 2012 erklärt, dass es dem Unternehmen nicht mehr möglich sei, Redispatch-Eingriffe auf Basis einvernehmlicher Verträge zu re- geln (Bl. 360 VV). A. GmbH hatte im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen, dass Kraftwerksbetreiber versucht sein könnten, an sich für Redispatch technisch verfüg- bare Leistung „nach unten“ als auch nach „nach oben“ zu „optimieren“, um sich so Redispatch-Maßnahmen zu entziehen, ohne dass dieses für das Redispatch nachtei- lige Verhalten erkennbar oder kurzfristig sanktioniert werden könne (Stellungnahme vom 12.9.2011, Bl. 84 VV). Auch der Gesetzentwurf hatte diese Problematik gese- hen und auf die fehlende Möglichkeit hingewiesen, Kraftwerksbetreiber zu Redis- patch-Maßnahmen und den Abschluss entsprechender angemessener Vereinbarun- gen zu verpflichten (Gesetzentwurf CDU/CSU und FDP, BT-Drs. 17/6072, S. 71).
107Es ist daher gut nachvollziehbar, dass die Bundesnetzagentur einheitliche Vorgaben für Redispatch-Maßnahmen und deren Abrechnung regelt. Es ist nicht fernliegend, dass das System freiwilliger Vereinbarungen in Zukunft nicht oder jedenfalls nicht so wie in der Vergangenheit weiter funktioniert hätte. Bereits in dem Entwurf eines „Leit- fadens zur Findung sachgerechter Vergütungsregelungen zur Einhaltung oder Wie- derherstellung der Systemsicherheit im Übertragungsnetz durch Redispatch- Maßnahmen 2010“ hatte die Bundesnetzagentur deutlich gemacht, dass aufgrund der unterschiedlichen und bundeseinheitlich nicht annähernd vergleichbaren Situati- on Diskriminierungspotenziale und Ineffizienzen bestünden und sich Fragen der Ver- teilungsgerechtigkeit stellten (Bl. 3 VV). Im Entwurf wurde darauf hingewiesen, dass die seinerzeit geltenden Maßnahmen, etwa Countertrading, zur Intransparenz der Marktgeschehnisse führe und Gestaltungsanreize nicht auszuschließen seien (Bl. 9 VV).
108Darüber hinaus bestehen im Strommarkt aufgrund der erheblichen Veränderungen derzeit Unsicherheiten, die wirtschaftlichen Aussichten der Beteiligten für die Zukunft
109sind teilweise unklar. So wurden zahlreiche Anträge gestellt, Stromerzeugungsanla- gen vom Netz zu nehmen. Die derzeitigen Anstrengungen, den Netzausbau zu be- schleunigen, und die gesetzlichen Anpassungen zur Verbesserung der Systemsi- cherheit machen deutlich, dass das bisherige Stromnetz in Deutschland den sich verändernden Gegebenheiten derzeit nicht mehr voll gerecht wird. Die Einschrän- kungen und damit die Redispatch-Maßnahmen betreffen häufig wiederkehrend die- selben Streckenabschnitte. Es liegt daher nahe, aus Gründen der Systemstabilität eine einheitliche Redispatch-Regelung anzustreben. Es ist auch nachvollziehbar, dass durch einheitliche und transparente Kriterien Anreize vermindert werden sollten, etwa gezielt Engpässe zu erzeugen, um dann systemdestabilisierend eine Engpass- situation „bewusst“ auszunutzen (vgl. Festlegung, S. 5).
110Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Countertrading-Mengen mit in die Abwägung einzubeziehen waren. Jedenfalls auch ohne Berücksichtigung des Coun- tertradings hat die Bundesnetzagentur ihr Aufgreifermessen anhand nachvollziehba- rer Gründe sachgerecht ausgeübt. Dabei hat sie durch die gewählten Formulierun- gen, die Notwendigkeit konkretisierender Vorgaben „ergibt sich bereits“, „folgt auch aus“ und „ergibt sich nicht zuletzt aus“ (vgl. BK6-Festlegung, S. 29 ff.) deutlich ge- macht, dass jeder Ermessensgrund für sich gesehen den Erlass der Festlegung rechtfertigt. Der Ermessensgrund „Countertrading-Mengen“ war daher für den Erlass der Festlegung nicht kausal.
111- 2.112
Anhörung
Die Bundesnetzagentur hat bei dem Erlass der Festlegung auch keine Anhörungs- rechte verletzt.
114Die Netzbetreiber hatten im Konsultationsverfahren ausreichend Gelegenheit, zu der geplanten Festlegung Stellung zu nehmen. Diese Möglichkeit haben auch mehrere Unternehmen genutzt. So hatte am 07.12.2011 ein Workshop stattgefunden, an dem zahlreiche Netzbetreiber und Kraftwerksbetreiber teilgenommen hatten (Bl. 91 ff. VV). In der Folge sind eine Vielzahl von Stellungnahmen eingegangen, sowohl hin- sichtlich des Konsultationsverfahrens der Beschlussabteilung 6 als auch des im April 2012 eingeleiteten Konsultationsverfahren der Beschlusskammer 8 (vgl. Bl. 207 VV).
115Wenn auch die Bundesnetzagentur im Wesentlichen bei der ursprünglichen Ausge- staltung der Festlegung geblieben ist, hat sie einige Anregungen in die Festlegung aufgenommen (z. B. hinsichtlich der Bagatellregelung Umstellung von „vier Wochen vor dem Einsatzzeitpunkt“, Bl. 216 f. VV auf „im Kalendermonat vor dem Einspeise- zeitpunkt“, Festlegung, S. 3).
116Im Übrigen kann eine fehlende Anhörung im gerichtlichen Beschwerdeverfahren in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG nachgeholt werden (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 45, Rdnr. 101 ff.).
117- 3.118
Abhängigkeit von BK6-Festlegung
Die Rechtswidrigkeit der BK6-Festlegung und die Aufhebung der BK6-Festlegung durch den Senat führen nicht dazu, dass die hier streitgegenständliche BK8- Festlegung deswegen rechtswidrig wäre.
120Vielmehr sind beide Festlegungen getrennt voneinander, von verschiedenen Be- schlusskammern, erlassen worden und in ihrem Bestand im Grundsatz unabhängig, wenn es auch Vollzugsprobleme geben mag. Allerdings ergibt sich die Verpflichtung, gegebenenfalls an Redispatch-Maßnahmen teilzunehmen, bereits unmittelbar aus dem Gesetz (siehe unten).
121- 4.122
Tenorziffer 1
Tenorziffer 1 der Festlegung ist rechtmäßig.
124a) Anwendungsbereich
125Redispatch-Maßnahmen erfordern auch nicht zwingend eine vertragliche Vereinba- rung zwischen Übertragungsnetz- und Kraftwerksbetreiber.
126Zwar gibt die Vergütungsfestlegung in Tenorziffer 1 vor, dass „bei Verträgen“ über strombedingte Anpassungen der Wirkleistungseinspeisungen i.S.d. § 13 Abs. 1a EnWG nach Maßgabe der BK6-Festlegung eine Vergütungsregelung zu vereinbaren ist, die den festgelegten Kriterien für die Bestimmung einer angemessenen Vergü- tung entspricht. § 13 Abs. 1a EnWG verpflichtet Anlagenbetreiber jedoch kraft Ge- setzes zur Mitwirkung an einer Redispatch-Maßnahme. Dementsprechend setzt auch die Festlegung der Beschlusskammer 6 keinen Vertragsschluss voraus. Auch für die Vergütung ist ein Vertragsschluss nicht erforderlich. Die BK8-Festlegung gilt sowohl für freiwillige auf vertraglicher Basis als auch nach § 13 Abs. 1 a EnWG kraft gesetz- licher Verpflichtung erbrachte Redispatch-Leistungen. Dies ergibt sich schon aus der Bezugnahme in Tenorziffer 1 der Vergütungsfestlegung auf § 13 Abs. 1a EnWG. Ferner wird in der Begründung des Aufgreifermessens in der BK8-Festlegung aus- drücklich darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Verpflichtung nach § 13a Abs. 1 EnWG einer konkretisierenden Ausgestaltung im Hinblick auf die Vergütungshöhe bedarf, um eine diskriminierungsfreie, sich an sachlichen Kriterien orientierende Ver- gütung von Redispatch-Maßnahmen und spannungsbedingten Eingriffen zu ermögli- chen.
127Soweit eine vertragliche Vereinbarung zwischen Anlagenbetreiber und Übertra- gungsnetzbetreiber im Energierecht als Voraussetzung erforderlich ist, hat der Ve- rordnungsgeber dies etwa für die Netzreserve in § 1 Abs. 2 S.1 und 2 ResKV (vgl. auch § 5 ResKV und § 1 S. 1 und 2, § 3 Abs. 1 AbLaV) ausdrücklich angeordnet. Eine entsprechende Regelung fehlt in § 13 Abs. 1a EnWG. Der Wortlaut des § 13 Abs. 1a EnWG verpflichtet die Beteiligten daher unmittelbar, im Engpassfall entspre- chende Redispatch-Maßnahmen zu ergreifen.
128b) Kriterien
129Die Festlegung ist nicht deswegen zu beanstanden, weil ein Berechnungssystem in gewisser Detailtiefe vorgegeben wird. Erfolglos ist beanstandet worden, dass die Regelungen der Festlegung über den Begriff „Kriterien“ i.S.d. § 13 Abs. 1a S. 3 EnWG hinausgingen. Die Bundesnetzagentur hat mit ihrer Festlegung nicht die Er- mächtigungsgrundlage gemäß § 13 Abs. 1a S. 3 EnWG überschritten.
130Mit der Festlegung werden Kriterien bestimmt, wie die angemessene Vergütung zu berechnen ist. Um konkrete Vorgaben machen zu können, setzt dies notwendiger- weise voraus, detailliert den Berechnungsmodus, etwa Schwellenwerte, Ober- und Untergrenzen oder Referenzpreise vorzugeben. Andernfalls wäre auch kaum mit ei- ner bundesweiten einheitlichen Handhabung zu rechnen. So ist etwa - wie unten wei- ter ausgeführt wird - mit Recht beanstandet worden, dass das Leistungsentgelt nach Tenorziffer 5 der Festlegung zu unkonkret und unbestimmt ist.
131Die Bundesnetzagentur hat hinsichtlich der Vorgaben einen nicht unerheblichen Ent- scheidungsspielraum. Den Regulierungsbehörden steht - wie der Bundesgerichtshof im Rahmen der Überprüfung des Effizienzvergleichs und des Qualitätselements ent- schieden hat – im Rahmen der rechtlichen Vorgaben bei der Auswahl der einzelnen Parameter und Methoden ein Spielraum zu, der in einzelnen Aspekten einem Beur- teilungsspielraum, in anderen Aspekten einem Regulierungsermessen gleichkommt (BGH, Beschluss vom 21.01.2014, EnVR 12/12, „Stadtwerke Konstanz GmbH“, juris 10, 25 ff.; BGH, Beschlüsse vom 22.07.2014, EnVR 58/12 und EnVR 59/12, Rn. 13). Ob und inwieweit es sich bei den der Regulierungsbehörde eröffneten Spielräumen um einen Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite der Norm oder um ein Re- gulierungsermessen auf der Rechtsfolgenseite handelt, kann offenbleiben. Die für diese beiden Kategorien geltenden Kontrollmaßstäbe unterscheiden sich eher verbal und weniger in der Sache (BGH, Beschluss vom 21.01.2014, EnVR 12/12, „Stadt- werke Konstanz GmbH“, juris Rn. 26 f. m. w. Nachw.).
132Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass sich dies auf die gerichtliche Kontroll- dichte auswirke, diese nicht weiter reichen könne als die materiell-rechtliche Bindung der Instanz, deren Entscheidung überprüft werden soll. Die Kontrolle ende deshalb dort, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Ent- scheidungsverhalten nicht vollständig determiniert (BGH, Beschluss vom 21.01.2014, EnVR 12/12, „Stadtwerke Konstanz GmbH“, Rn. 25 m. w. Nachw.). Der genutzte Be- urteilungsspielraum ist daher (nur) darauf zu überprüfen, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des an- zuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt voll- ständig und zutreffend ermittelt und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allge- meingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht ver-
133letzt hat (BGH Beschluss vom 21.01.2014, EnVR 12/12, „Stadtwerke Konstanz GmbH“, Rn. 27). Die Ausübung des eine Abwägung zwischen unterschiedlichen ge- setzlichen Zielvorgaben erfordernden Regulierungsermessens ist vom Gericht zu beanstanden, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat (Abwägungs- ausfall), wenn in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden musste (Abwägungsdefizit), wenn die Be- deutung der betroffenen Belange verkannt worden ist (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen ihnen zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Be- lange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität; BGH, Beschluss vom 21.01.2014, EnVR 12/12, „Stadtwerke Konstanz GmbH“, Rn. 27, juris). So steht der Regulierungsbehörde etwa auch im Rahmen einer Festlegung nach § 32 Abs. 1 Nr. 4a, § 11 Abs. 5 ARegV ein weites Regulierungsermessen zu (Meyer/Paulus in Holznagel/Schütz, ARegV, 1. Aufl. 2013, § 11, Rn. 136 f.).
134Es ist auch fernliegend, dass die Vergütungsregelung hier derart umfassend oder komplex ist, dass dies nicht mehr durch eine Allgemeinverfügung hätte geregelt wer- den können. Angesichts der technischen Besonderheiten des Redispatch, bei dem mehrere Übertragungsnetzbetreiber und zahlreiche Kraftwerksbetreiber mit ver- schiedenen Anlagentypen beteiligt sind, ist eine bestimmte Regelungstiefe erforder- lich, um überhaupt ein handhabbares, bundesweit nach einheitlichen Grundsätzen funktionierendes Abrechnungssystem schaffen zu können.
135Die Bundesnetzagentur konnte im Grundsatz auch verschiedene Abrechnungsalter- nativen normieren (Bagatellgrenze, individuelle Abrechnung, Leistungsentgelt). § 13 Abs. 1a S. 3 EnWG erlaubt, „Kriterien“ zu bestimmen. Dies macht deutlich, dass nicht nur „die eine“ Abrechnungsvariante möglich sein soll. Vielmehr legt der Begriff
136„Kriterien“ nahe, dass der Bundesnetzagentur hier hinsichtlich möglicher Abrech- nungsmodi ein Regulierungsermessen zukommen soll.
137Es überzeugt auch nicht, dass auf eine Vergütungsregelung deshalb hätte verzichtet werden können, weil gegebenenfalls zivilrechtliche Generalklauseln (z.B. §§ 138, 242 BGB) einen ausreichenden Schutz vor möglichen Diskriminierungspotenzialen oder einer missbräuchlichen Handhabung hätten bieten könnten. Vielmehr lag es schon aufgrund der wachsenden Bedeutung des Redispatch für die Versorgungssi-
138cherheit nahe, Kriterien vorzugeben, um von vornherein etwaigen Diskriminierungs- oder Missbrauchsrisiken zu begegnen. Eine gegebenenfalls nur nachträglich greifen- de Rechtskontrolle mit Hilfe zivilrechtlicher Generalklauseln ist weniger effektiv.
139c) kein Marktmodell
140Es ist ferner plausibel, dass die Bundesnetzagentur kein Marktmodell gewählt hat, um Redispatch-Leistungen zu vergüten.
141Da Redispatch an einem konkreten Netzknoten oder jedenfalls in einem bestimmten Netzgebiet erfolgen muss, liegt es auf der Hand, dass die angeforderte Redispatch- Leistung nur von wenigen, in örtlicher Nähe stehenden Kraftwerken erbracht werden kann. Es ist nicht dargelegt worden, wie in dieser Situation ein Markt funktionieren soll. So hatte die Bundesnetzagentur bereits im Verwaltungsverfahren zutreffend da- rauf verwiesen, dass eine wettbewerbliche Ausgestaltung des Redispatch ähnlich wie bei den Regelenergiemärkten an der lokalen, knotenscharfen Charakteristik des Redispatch scheitere (Bl. 57 VV). Dies wurde nachvollziehbar damit begründet, dass überhöhte Gebote der engpasssensitiven Kraftwerke und ein engpassprovozierender Kraftwerksfahrplan zu befürchten seien (Bl. 58 VV).
142d) Rückzahlung ersparter Aufwendungen
143§ 13 Abs. 1a S. 3 EnWG ist auch eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rückzahlung etwaiger ersparter Aufwendungen, wenn ein Kraftwerk im Redispatch- Fall herunterzufahren ist.
144Die Ermächtigung in § 13 Abs. 1a S. 3 EnWG, die in Zusammenhang mit einer Re- dispatch-Maßnahme stehenden Vergütungsfragen zu regeln, schließt denklogisch ein, dass auch im Falle des „Herunterfahrens“ des Kraftwerks ersparte Aufwendun- gen an den Übertragungsnetzbetreiber zu erstatten sind. Dass § 13 Abs. 1a EnWG auch das Herunterfahren einer Anlage erfassen will, ergibt sich aus Satz 1 der Norm, wonach die Erzeugungsleistung „anzupassen“ ist. Diese offene Formulierung um- fasst das Hoch- und Herunterfahren einer Anlage.
145Die Festlegung regelt Vergütungskriterien für die Abrechnung zwischen Übertra- gungsnetzbetreiber und angewiesenem Kraftwerksbetreiber und greift so in die ver- tragliche, zivilrechtliche Gestaltung ein und regelt hierbei auch die Frage, inwieweit ersparte Aufwendungen als Bereicherung herauszugeben sind. Es wird kein öffent- lich-rechtlicher Erstattungs- oder Rückforderungsanspruch geregelt, so dass die Fra- ge, ob eine gesonderte Ermächtigungsgrundlage für eine Rückzahlungspflicht erfor- derlich ist, dahinstehen kann.
146- 5.147
Tenorziffer 2
Das enge Verständnis der Bundesnetzagentur des Begriffs „angemessene Vergü- tung“, wie er in der Tenorziffer 2 der Festlegung normiert ist, führt zu einer nicht mehr sachgerechten Abrechnung entstandener Redispatch-Kosten und ist daher rechts- widrig.
149Die Bundesnetzagentur geht im Grundsatz zutreffend davon aus, dass als angemes- sene Vergütung die durch die Redispatch-Maßnahme verursachten, zusätzlich ent- standenen Aufwendungen zu ersetzen sind (Festlegung, S. 4). Allerdings nimmt die Bundesnetzagentur nicht unerhebliche Einschränkungen vor, die diesen Grundsatz dann nicht mehr ausreichend beachten. Außerdem werden andere Kosten und Ge- winnchancen nicht berücksichtigt. Im Ergebnis führt dies dazu, dass den betroffenen Kraftwerksbetreibern keine „angemessene Vergütung“ mehr gewährt wird. Die Be- troffene und andere Anlagenbetreiber haben hier substantiiert erhebliche Umstände vorgetragen, die zu einer wirtschaftlichen Schlechterstellung des betroffenen Anla- genbetreibers während einer Redispatch-Maßnahme führen können.
150a) „Vergütung“
151Der Begriff der „angemessenen Vergütung“ ist im Grundsatz über einen bloßen Aus- lagenersatz hinausgehend zu verstehen.
152aa) Wortlaut
153So legt bereits der Wortlaut „angemessene Vergütung“ des § 13 Abs. 1a S. 1 EnWG eine über einen bloßen Auslagenersatz hinausgehende Bedeutung des Begriffs na- he. Es ist schon nicht erklärlich, weshalb der Gesetzgeber nicht den Begriff „Aufwen- dungsersatz“, „Auslagen“, „variable Kosten“ oder eine ähnliche Formulierung ver- wendet hat, wenn eine Beschränkung auf Grenzkosten, im Wesentlichen „bloße Brennstoffkosten“ beabsichtigt gewesen wäre.
154Die Bezeichnung „Vergütung“ wird im Energierecht regelmäßig in einem weiteren Sinne verstanden, der über den Ersatz variabler Auslagen hinausgeht. So wird etwa die Bezeichnung „Vergütung“ in § 17e Abs. 1 EnWG verwandt und meint dort die Einspeisevergütung (vgl. auch § 19 Abs. 1 Nr. 2 EEG). Auch § 46 Abs. 2 EnWG re- gelt, dass bei Wegenutzungsverträgen der bisherige Nutzungsberechtigte verpflichtet ist, die Netze dem neuen Energieversorgungsunternehmen gegen „eine wirtschaftlich angemessene Vergütung“ zu übereignen. „Vergütung“ meint dort mehr als Aufwen- dungsersatz und soll sich an der Wirtschaftlichkeit orientieren und eine wirtschaftlich sinnvolle Verwertung ermöglichen (vgl. Theobald in Danner/Theobald, Energierecht,
15581. Ergänzungslieferung 2014, § 46, Rn. 59 ff; Ertragswert als „angemessene Vergü- tung“: OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.03.2014, 11 U 112/13 (Kart), zit. nach juris). Auch dort geht es nicht um bloßen Auslagenersatz, sondern um die Amortisation und den wirtschaftlichen (Gesamt)-Wert des Netzes.
156Auch in anderen Gesetzen wird der Begriff „Vergütung“ verwandt, regelmäßig in ei- nem über einen bloßen Auslagenersatz hinausgehendem Verständnis, vielmehr im Sinne einer „Entlohnung“, eines „Gehaltes“ (z.B. § 23 PatG, § 32 Abs. 1 und Abs. 2
157S. 2 UrhG, § 61b UrhG; § 54 Abs. 1 UrhG, § 24 GebrMG; § 1987 BGB für Nachlass- verwalter, § 2221 BGB für Testamentsvollstrecker, § 1684 Abs. 3 S. 6 BGB für Um- gangspfleger: „Ersatz von Aufwendungen und die Vergütung“; § 12 BauSparkG: an- gemessene Vergütung für Vertrauensmann, § 38 KWG, § 15 Abs. 5 S. 1 Kapitalan- lagegesetzbuch: Abwickler erhält „eine angemessene Vergütung und den Ersatz sei- ner Aufwendungen“; § 35 Abs. 5 Rundfunkstaatsvertrag: KEK-Mitglieder erhalten für ihre Tätigkeit eine angemessene Vergütung und Ersatz ihrer notwendigen Auslagen;
158§ 59 BNotO: Notariatsverwalter erhält „angemessene Vergütung“; § 412 Abs. 3 HGB;
159§ 418 Abs. 2 HGB, § 491 Abs. 2 HGB und § 419 Abs. 4 HGB: dem Frachtführer sind
160„entstehenden Mehraufwendungen zu ersetzen sowie eine angemessene Vergütung;
161§ 15 Abs. 3 SGB X: Vertreter von Amts wegen hat „Anspruch auf eine angemessene Vergütung und auf die Erstattung seiner baren Auslagen“; BGH zur Auslegung des Begriffs Aufwendungsersatz in AGB: BGH, Urteil vom 20.07.2005, VIII ZR 121/04, NJW-RR 2005, 1496, Rn. 49, juris).
162Soweit die Bundesnetzagentur darauf verweist, dass eine Vergleichbarkeit mit ande- ren Erwerbstätigkeiten, wie etwa einem Frachtführer oder Nachlassverwalter, nicht gegeben sei, weil diese hauptberuflich tätig, Redispatch aber eine Ausnahme sei, überzeugt dies nicht. Auch bei Tätigkeiten wie Nachlassverwalter, Abwickler oder Testamentsvollstrecker handelt es sich keineswegs immer um die hauptberufliche Tätigkeit des Handelnden. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich um eine berufs- bezogene Aufgabe handelt, bei der der Gesetzgeber es für sachgerecht hält, die je- weilige Person auch „wie einen im Beruf Tätigen“ zu entlohnen.
163So ist etwa im Rahmen des § 683 BGB ganz überwiegend anerkannt, dass im Grundsatz zwar die Geschäftsführung ohne Auftrag unentgeltlich erfolgt. Jedoch kann als „Ersatz von Aufwendungen“ dann eine übliche Vergütung verlangt werden, wenn die erbrachte Tätigkeit zum Beruf oder Gewerbe des Geschäftsführers i.S.d.
164§ 683 BGB gehört (BGH, Urteil vom 15.12.1975, II ZR 54/74, BGHZ 65, 384; Seiler in Münchener Kommentar, 6. Auflage 2012, § 683, Rn. 24; Bergmann in Staudinger,
1652006, § 683, Rn. 58 f.; Schulze in Schulze, BGB, 8. Auflage 2014, § 683, Rn. 8; Werk in Jauernig, 15. Auflage 2014, § 683, Rn. 6 f.). Bei professionellen Tätigkeiten wird in diesen Fällen das übliche Entgelt geschuldet (Seiler in Münchener Kommentar,
1666. Auflage 2012, § 683, Rn. 24). Eine stärker werdende Auffassung will dem Ge- schäftsführer sogar regelmäßig, unabhängig von einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit, als „Ersatz von Aufwendungen“ eine angemessene Vergütung gewähren (Bergmann in Staudinger, 2006, § 683, Rn. 58).
167bb) Gesetzeshistorie
168Auch die Gesetzeshistorie und die Begründung des Gesetzentwurfs sprechen für ein weitergehendes Verständnis der „angemessenen Vergütung“.
169So sieht der Gesetzentwurf die Fehlentwicklung, dass Kraftwerksbetreiber Redis- patch-Maßnahmen infrage gestellt hätten und diese nicht oder nur zu unangemesse- nen Konditionen hätten mitwirken wollen (BT-Drs. 17/6072, S. 71). Mit der gesetzli- chen Verpflichtung zur Teilnahme am Redispatch sollte daher eine Regelung zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen“ geschaffen werden (BT-Drs. 17/6072,
170S. 71). Dies spricht dafür, dass vorrangig beabsichtigt war, eine gesetzliche Teilnah- mepflicht der Kraftwerksbetreiber anzuordnen, ohne zu stark in das seinerzeit beste- hende Vertrags- oder Preisgefüge eingreifen oder die Vergütung auf einen bloßen Aufwendungsersatz begrenzen zu wollen.
171Für dieses Verständnis spricht auch, dass die Formulierungshilfe für einen „Ände- rungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu dem Gesetzentwurf der Bun- desregierung für ein Drittes Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften“ den Begriff der „angemessenen Vergütung“ konkretisieren wollte und vorgeschlagen hatte, die Formulierung „gegen angemessene Vergütung in Form der notwendigen Auslagen“ zu verwenden, dies aber dann nicht Gesetz geworden ist (Formulierungshilfe, S. 9, 29).
172cc) Systematik
173Ferner zeigt der Vergleich zwischen § 13 Abs. 1a EnWG und § 13 Abs. 1b EnWG, dass mit „angemessener Vergütung“ nicht eine bloße Erstattung variabler Kosten gemeint sein kann. So sollen nach § 13 Abs. 1b EnWG bei an sich vorläufig stillzule- genden Anlagen, die aber aufgrund der Netzsicherheit betriebsbereit gehalten wer- den sollen,
174„…die für die Vorhaltung oder die Herstellung der Betriebsbereitschaft not- wendigen Auslagen (Betriebsbereitschaftsauslagen) neben den notwendigen Auslagen für konkrete Anpassungen der Einspeisung (Erzeugungsauslagen) als angemessene Vergütung geltend…“
175gemacht werden können. Die Vorschrift schränkt den Begriff der „angemessenen Vergütung“ – anders als in § 13 Abs. 1a EnWG – einengend auf „Auslagen“ ein (vgl.
176auch § 11 Abs. 2 ResKV). Dies ist auch sachgerecht, weil bei einer an sich stillzule- genden Anlage keine Opportunitätskosten mehr entstanden wären (vgl. Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie, BT-Drs. 17/11705, S. 45). Nach § 13 Abs. 1b EnWG werden auch Kosten für die Vorhaltung der Betriebs- bereitschaft, also die entstehenden Fixkosten, erstattet (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 ResKV).
177§ 13a Abs. 3 EnWG könnte zunächst für ein engeres Verständnis sprechen, weil für den Fall der Stilllegung der Kraftwerksbetreiber nur Anspruch
178„..auf eine angemessene Vergütung für erforderliche Erhaltungsmaßnahmen nach Satz 1 (Erhaltungsauslagen)..“
179hat. Die Vorschrift versteht den Begriff „angemessene Vergütung“ als „Erhaltungs- auslagen“ und damit in einem engen Sinne. Hierbei ist jedoch zu sehen, dass der Anlagenbetreiber beabsichtigt hatte, das Kraftwerk vollständig abzuschalten und für die Zukunft keine Gewinne oder Opportunitätskosten mehr zu erwirtschaften (vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie, BT-Drs. 17/11705, S. 45). Es ist nachvollziehbar, dass vor diesem Hintergrund nur Auslagen erstattet werden. In Zusammenhang mit der Verpflichtung nach § 13a Abs. 3 S. 1 EnWG, die Anlage in einem funktionsfähigen Zustand zu erhalten, wird deutlich, dass zu den Erhaltungsauslagen im Übrigen nicht nur die variablen Kosten zählen, son- dern auch die mit der Erhaltung in Zusammenhang stehenden, im Ergebnis dann als Fixkosten zu berücksichtigenden Investitionen.
180Auch der Vergleich mit § 6 Abs. 1 ResKV spricht für ein umfassenderes Verständnis der „angemessenen Vergütung“. Die Norm stellt auf den engeren Begriff der „entste- henden Kosten“ ab, gewährt dann nach Absatz 2 neben einem Arbeitspreis aber auch einen Leistungspreis. Nach § 6 ResKV sollen also „als Kosten“ im Grundsatz alle die durch die Nutzung der Anlage entstehenden Kosten, seien sie variabel oder fix, erstattet werden. Es wird nicht nur ein Arbeitspreis-, sondern (sogar) ein Leis- tungspreisanteil gewährt. Um eine überschießende Vergütung zu vermeiden, sollen allerdings solche Kosten nicht berücksichtigt werden, die auch im Falle einer Stillle- gung einer Anlage angefallen wären. So schließt § 11 Abs. 2 Nr. 2 S. 4 ResKV nach-
181vollziehbar den Ersatz von Opportunitätskosten aus, weil solche Opportunitäten im Falle der Stilllegung nicht angefallen wären.
182Hingegen ist der teilweise erhobene Hinweis auf § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB wenig ziel- führend. Die Norm verwendet schon nicht den Begriff „Vergütung“, sondern „Entgelt“ im Sinne eines „Preises“. Die Norm will eine unangemessene Preisgestaltung ge- genüber anderen Unternehmen und Konkurrenten sanktionieren. Hingegen steht im Rahmen der Redispatch-Abrechnung im Vordergrund, dass aus Gründen der Sys- temstabilität Maßnahmen gegenüber einzelnen Kraftwerksbetreibern durchgesetzt und diese dann - abzurechnen über den Übertragungsnetzbetreiber - entschädigt werden sollen.
183dd) Sinn und Zweck
184Auch Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1a EnWG rechtfertigen nicht ein besonders en- ges Verständnis der „angemessenen Vergütung“, sprechen vielmehr für eine erwei- ternde Auslegung.
185Eine Beschränkung auf einen bloßen Aufwendungsersatz kann nicht daraus herge- leitet werden, dass es sich bei den Redispatch-Maßnahmen nur um verhältnismäßig geringe Beeinträchtigungen der Netzbetreiber handele, diese die Belastungen daher hinzunehmen hätten. Die Belastungen durch Redispatch mögen für das Gesamtnetz zwar von untergeordneter Bedeutung sein. Sie betreffen aber aufgrund des lokalen Charakters immer wieder dieselben Kraftwerksbetreiber, weil Redispatch- Maßnahmen regelmäßig auf denselben Streckenabschnitten oder an denselben Netzknoten notwendig sind.
186Es überzeugt auch nicht, dass die betroffenen Kraftwerksbetreiber Redispatch- bedingte Kosten oder Nachteile deshalb als Sonderopfer tragen sollten, weil eine funktionierende Stromversorgung im Interesse der Kraftwerksbetreiber liege. Viel- mehr sind die Anlagenbetreiber vorrangig im Interesse des Übertragungsnetzbetrei- bers tätig.
187Systematisch ist die Regelung des Abs. 1a in § 13 „Systemverantwortung der Betrei- ber von Übertragungsnetzen“ aufgenommen worden und in den Abschnitt „Aufgaben der Netzbetreiber“ eingebettet (vgl. auch zur Systemverantwortung der Übertra- gungsnetzbetreiber: König in Säcker, Energierecht, 3. Auflage 2014, § 13, Rn. 1 ff.). Dies macht deutlich, dass die Kraftwerksbetreiber im Redispatch-Fall Funktionen wahrnehmen, die an sich vom Übertragungsnetzbetreiber durchzuführen wären, nämlich für ein stabiles und ausreichend leistungsfähiges Übertragungsnetz zu sor- gen. Allein weil die Übertragungsnetzbetreiber bislang aufgrund der sich verändern- den Stromerzeugung noch nicht die erforderlichen Leitungen errichtet haben, sind Redispatch-Maßnahmen und damit die Inanspruchnahme von Kraftwerken in erheb- lichem und zunehmendem Umfang erforderlich. So fallen die Redispatch- Maßnahmen, oft wiederholend, an überlasteten und nicht ausreichend dimensionier- ten Netzknoten an. Der angewiesene Anlagenbetreiber wird daher vor allem im Dritt- interesse tätig. Hätte der jeweilige Übertragungsnetzbetreiber bereits die erforderli- chen Maßnahmen erbracht, etwa das Leitungsnetz verstärkt, wären die dadurch ent- stehenden Kosten, einschließlich Fixkosten und Eigenkapitalverzinsung, im Übrigen auch abrechnungsfähig gewesen.
188Dem steht nicht entgegen, dass Anlagenbetreiber durchaus ein Eigeninteresse ha- ben, ein funktionierendes Netz nutzen zu können. Dies gilt aber nicht nur für den Re- dispatch-betroffenen Kraftwerksbetreiber, sondern für alle Erzeugungsunternehmen. Das sichere Stromnetz ist Teil der Daseinsvorsorge und kommt daher allen in der Bundesrepublik, Privaten oder Unternehmen, zugute. Es ist daher auch nicht sach- gerecht, dem konkret betroffenen Anlagenbetreiber insoweit wiederkehrend ein Son- deropfer aufzuerlegen, weil sein Interesse an einem sicheren Stromnetz nicht oder nur unwesentlich über das Interesse Anderer hinausgeht. Entschädigungslos sind ggfs. Maßnahmen nach § 13 Abs. 2 EnWG zu erbringen, nicht aber nach § 13 Abs. 1a EnWG (vgl. § 13 Abs. 2 und 4 EnWG).
189Die Bundesnetzagentur hat Bedenken gegen ein erweiterndes Verständnis, weil sie die Gefahr von Verwerfungen und Fehlanreizen sieht. Allerdings kann sich diese Ge- fahr auch bei einer besonders niedrigen Redispatch-Vergütung ergeben. Übertra- gungsnetzbetreiber könnten geneigt sein, statt Regelenergie Redispatch-Energie anzufordern, um so die Kosten für die teurere Regelenergie zu umgehen. So hatte
190die U. GmbH in ihrer Stellungnahme vom 25.01.2012 (Bl. 330 VV) vorgetragen, dass es „bereits heute nämlich aus der Praxis des Redispatch Anzeichen dafür (gebe), dass die Übertragungsnetzbetreiber offenbar nicht nur aus technischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen auf Redispatch-Verträge zurückgreifen, um teure Regelenergie zu vermeiden.“ A. GmbH hat im Verwaltungsverfahren darauf hinge- wiesen, dass Kraftwerksbetreiber bei einer nicht angemessenen Redispatch- Vergütung ihren Kraftwerkseinsatz so „nach oben“ oben oder „nach unten“ „optimie- ren“ könnten, dass an sich vorhandene Redispatch-Leistung nicht verfügbar sei (Stellungnahme vom 12.09.2011, Bl. 84 VV).
191b) nicht marktbezogen
192Aus dem Umstand, dass es sich bei Redispatch um eine marktbezogene Maßnahme im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 EnWG handelt, kann nicht gefolgert werden, dass diese Maßnahme damit auch marktbezogen zu vergüten sei. Vielmehr hat die Bun- desnetzagentur zutreffend darauf hingewiesen, dass eine wettbewerbliche Ausge- staltung des Redispatch etwa in Anlehnung an die Beschaffung von Regelenergie nicht infrage kommt, weil ein marktbasierter Ansatz aufgrund der lokalen, knoten- scharfen Charakteristik des Redispatch nicht sinnvoll möglich ist.
193Da eine Redispatch-Maßnahme nur lokal auftritt und mithilfe der dort verfügbaren Kraftwerke durchgeführt werden muss, liegt es nahe, dass kaum ein effizienter Markt entstehen kann. Es ist auch nicht fernliegend, dass bei einer pseudo- wettbewerblichen Ausgestaltung die Gefahr überhöhter Gebote sowie engpasspro- vozierender Kraftwerksfahrweise besteht. Auch die Kraftwerksbetreiber haben nicht erläutert, wie ein wirklicher Redispatch-Markt funktionieren soll.
194Art. 15 Abs. 6 Elektrizitätsrichtlinie erfordert es ebenfalls nicht, einen Markt für Re- dispatch-Maßnahmen zu schaffen oder marktbezogen abzurechnen. Die Vorschrift bestimmt, dass die Energie zur Deckung von Energieverlusten und Kapazitätsreser- ven durch ein transparentes, nichtdiskriminierendes und marktorientiertes Verfahren zu beschaffen ist. Die Formulierung ist weit gefasst, verlangt kein „Marktverfahren“, sondern nur ein „marktorientiertes“ Verfahren. Dies macht deutlich, dass hier ein
195nicht unerheblicher Ermessensspielraum besteht, wie die Energie zur Deckung von Energieverlusten und Kapazitätsreserven beschafft werden soll.
196Darüber hinaus scheidet ein marktorientiertes Verfahren jedenfalls dann aus, wenn kein echter Markt besteht. Wie bereits erläutert, ist dies beim Redispatch gegeben, weil für eine Redispatch-Maßnahme regelmäßig nur wenige bestimmte Kraftwerke in Betracht kommen. Es ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen, wie ein echter Redispatch-Energiemarkt geschaffen werden sollte. Jedenfalls bestünde bei der Schaffung eines Redispatch-Marktes, an dem nur weniger Anlagenbetreiber teilnäh- men, die erhebliche Gefahr, dass im Ergebnis ein diskriminierungsgefährdeter und möglicherweise wettbewerbswidriger und damit europarechtswidriger Markt geschaf- fen werden könnte. Dies will die Elektrizitätsrichtlinie jedoch gerade verhindern.
197c) einzelne Kostenpositionen
198Die Kraftwerksbetreiber haben nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass Anlagenbe- treiber neben den Aufwendungen im engeren Sinne, den variablen Kosten wie etwa Brennstoffkosten, durch die Anordnung einer Redispatch-Maßnahme weitere, nicht unerhebliche Nachteile, einschließlich des Verlusts von Opportunitäten, zu tragen hätten. Jedenfalls diese Nachteile sind auszugleichen.
199So sieht § 15 Abs. 3 AbLaV vor, dass eine Netzentgeltbefreiung auch dann gewährt wird, wenn aufgrund abzuschaltender Lasten die Grenzwerte für eine Netzentgeltbe- freiung nicht (mehr) vorliegen. Die Bundesnetzagentur verweist darauf, dass abgeru- fene Abschaltleistung und Redispatch kaum vergleichbar seien. Allerdings ist die Norm jedenfalls Ausprägung des Rechtsgedankens, dass derjenige, der aus Grün- den der Systemstabilität Eingriffe in seine Anlage hinnehmen muss, nicht benachtei- ligt werden soll.
200Wie die Bundesnetzagentur die durch das Redispatch entstehende Belastungen be- rücksichtigt, steht in ihrem Regulierungsermessen (z.B. anhand von Indizes, Preisen, Aufschlägen, pauschal oder individuell). Gegebenenfalls sind für bestimmte Kraft- werke Sonderregelungen zu treffen, wenn etwa ein Bezug zu Börsenpreisen zu nicht
201sachgerechten Ergebnissen führen würde (siehe unten, z.B. bei Pumpspeicherkraft- werken).
202aa) variable Kosten - Brennstoff
203Die Festlegung geht davon aus, dass die Kosten der zusätzlichen Brennstoffeinsätze als Aufwendungen zu erstatten seien, einschließlich der erforderlichen Kosten für An- und Abfahrvorgänge, Hilfs- und Einsatzstoffe, CO2-Emissionsrechte, erhöhten War- tungsaufwand und die Kosten aufgrund verkürzter Revisionszyklen (vgl. zur Ver- schiebung von Revisionen wegen Redispatch: BT-Drs. 17/6072, S. 71). Zu diesen Kosten zählen auch etwaige Kosten, die durch eine Verzögerung der Revisionen entstehen können, weil eine Revisionsmannschaft nicht disponibel ist. Diese „unmit- telbaren“, variablen Kosten sind unstreitig Aufwendungsersatz und auch nach Auf- fassung der Bundesnetzagentur berücksichtigungsfähig.
204Hinsichtlich der Frage, in welcher Höhe und auf welcher Basis Brennstoffkosten an- zusetzen sind, steht der Bundesnetzagentur ein Beurteilungsermessen zu. Eine Ab- rechnung anhand angefallener Einkaufspreise ist denkbar, wobei die Ermittlung mit Schwierigkeiten verbunden sein kann (z.B. Referenzzeitraum, Berechnungsweise). Der Senat hat keine Bedenken, dass die Kosten handhabbar anhand von Referenz- zeiträumen der Vergangenheit berechnet werden können, wenn diese Werte jeden- falls im Mittel und über einen bestimmten Zeitraum den entstehenden Aufwand rea- listisch abbilden.
205Ggfs. durch besondere Vertragsgestaltungen, etwa durch langfristige Gaslieferver- träge, entstehende Nachteile, können ggfs. ausgleichspflichtig sein. So mag es durch Take-or-Pay-Regeln in Erdgasbezugsverträgen, nach denen Brennstoffkosten inner- halb einer vereinbarten Menge unabhängig von der tatsächlichen Abnahmemenge abgerechnet werden, im Redispatch-Fall zu Mehrkosten kommen. Ein solcher Nach- teil kann allerdings nur dann vorliegen, wenn eine bestimmte Brennstoffmenge be- zahlt, aber auch später tatsächlich nicht mehr genutzt werden könnte und Anpassun- gen nicht möglich sind. Erstattungsfähige Mehrkosten durch Redispatch könnten ggfs. auch dann entstehen, wenn etwa Gasbezugskosten zwischen einer Arbeits- und einer Leistungskomponente unterscheiden. Bei einer hohen Leistungsabforde-
206rung durch Redispatch kann eine neue Gasbezugsspitze mit entsprechender Auswir- kung auf den Gas-Leistungspreis entstehen.
207Der Senat hat keine Bedenken, Brennstoffkosten anstatt von Einkaufspreisen nach aktuellen Marktpreisen, anhand der Wiederbeschaffungskosten, abzurechnen. So werden auch im Schadenersatzrecht Schäden regelmäßig auf der Basis von Markt- preisen oder Wiederbeschaffungskosten abgerechnet. Im Enteignungsrecht ist etwa anerkannt, dass auf Basis des Verkehrswertes, also den zum Zeitpunkt der Ermitt- lung geltenden Preisen, abgerechnet werden kann (§§ 95, 194 BauGB). Im Einzelfall mag zu überprüfen sein, inwieweit etwa im Fall der „Direktbekohlung“ eines Braun- kohlekraftwerks Weltmarktpreise, auch im Hinblick auf nicht vorhandene Transport- kosten, ein realitätsnaher Abrechnungsmaßstab sein können. Allerdings ist keine
208„Meistbegünstigung“ geboten, jeweils auf den höheren der beiden Werte (tatsächli- cher Einkaufspreis - Wiederverkaufspreis) abzustellen.
209Hinsichtlich der Möglichkeit, Brennstoffkosten, anhand von Strom-Börsenpreisen zu pauschalieren, wird auf die Ausführungen zur Bagatellregelung (Tenorziffer 3) ver- wiesen (siehe unten).
210bb) Opportunitäten
211Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur ist der Ansatz von Opportunitäts- kosten, Marktprämien oder Schattenpreisen nicht von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr sind solche entgangenen Gewinnmöglichkeiten, die durch Redispatch ent- stehen, im Sinne einer „angemessenen Vergütung“ zu berücksichtigen.
212aaa) Grundsatz
213Kraftwerksbetreibern, die am Redispatch teilnehmen müssen, wird die Möglichkeit genommen, Gewinne, hier insbesondere am Intraday-Markt, zu erwirtschaften. Dies ist ein Nachteil, der in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Anordnung einer Redispatch-Maßnahme steht. Entsprechend dem Grundsatz, dass die mit der Redis- patch-Durchführung entstehenden Nachteile zu erstatten sind, sind daher auch Op- portunitäten im Grundsatz als ersatzfähig zu berücksichtigen.
214Die BK6-Festlegung geht davon aus, dass dem angewiesenen Kraftwerksbetreiber jeglicher Intraday-Handel verboten sei (vgl. die Begründung in den Beschlüssen des Senats vom 28.04.2015 zur BK6-Festlegung). In der mündlichen Verhandlung hat die Bundesnetzagentur dann zwar klargestellt, dass dies nicht im Sinne eines generellen Intraday-Verbots für den angewiesenen Kraftwerksbetreiber gemeint sei. Es habe dem angewiesenen Kraftwerksbetreiber nicht grundsätzlich der Intraday-Handel ver- boten werden sollen. Es habe lediglich ein Rechtsanspruch auf Intraday-Geschäfte während einer Redispatch-Maßnahme ausgeschlossen werden sollen. Intraday- Handel solle dann weiter möglich sein, wenn der zuständige Übertragungsnetzbe- treiber keine Einwände erhebe. Gleichwohl bleibt auch nach der nun erfolgten Klar- stellung für einen Kraftwerksbetreiber das Risiko, dass er Intraday-Handel nicht wie Dritte, die nicht zu Redispatch-Maßnahmen herangezogen worden sind, betreiben kann. Jedenfalls dann, wenn ihm im konkreten Fall Intraday-handeln verboten wird, können Opportunitäten entgehen, die er ansonsten hätte realisieren können.
215Opportunitätskosten sind die entgangenen Vorteile der nächstbesten Entschei- dungsalternative, die durch die getroffene Entscheidung verworfen wird (vgl. etwa: Sektoruntersuchung Stromerzeugung und –großhandel des Bundeskartellamtes Ja- nuar 2011, „Sektoruntersuchung“, S. 187 f.). Die Grenzkosten werden hierbei durch die variablen Kosten, etwa die Brennstoffkosten, als auch die Opportunitätskosten bestimmt. Das Bundeskartellamt hat in der Sektoruntersuchung erläutert, dass Op- portunitätskosten eine erhebliche Rolle spielten, und sie keine Bedenken sehe, sol- che Kosten im Rahmen der Kalkulation dem Grunde nach zu berücksichtigen (Sekto- runtersuchung, S. 25, 187, 188). Auch die österreichische Netzengpassentgelt- Verordnung geht zwar von einem eher engen Vergütungsbegriff aus, will aber neben den variablen Kosten auch Opportunitätskosten erstatten (Bl. 51 VV, Begründung der österreichischen Netzengpassentgelt-Verordnung S. 2).
216Aus der Wertung des § 13 Abs. 1b EnWG und § 13a Abs. 3 EnWG ergibt sich im Umkehrschluss ebenfalls, dass Opportunitätskosten im Grundsatz zu erstatten sind. Die beiden Vorschriften schließen einen Ersatz von Opportunitäten zutreffend dann aus, wenn die betreffende Anlage – anders als beim Redispatch – nicht mehr am Markt aktiv ist. Die Gesetzesbegründung der beiden Regeln macht deutlich, dass in
217diesen „Stilllegungsfällen“ ausnahmsweise keine Opportunitäten vergütet werden sollen (vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie, BT-Drs. 17/11705, S. 45). Dies gilt sinngemäß auch für ein Kernkraftwerk, das im Reservebetrieb nach § 118a EnWG in Anspruch genommen wird (vgl. Gesetzentwurf CDU/CSU und FDP, BT-Drs. 17/6072, S. 98; Theobald in Danner/Theobald, Energie- recht, 81. Ergänzungslieferung 2014, § 118a, Rn. 3).
218bbb) Intraday-Handel
219Damit sind im Grundsatz auch die durch die Inanspruchnahme entstehenden Flexibi- litätseinbußen und die fehlende Möglichkeit der Teilnahme am Intraday-Handel ver- gütungsfähig. Hierbei handelt es sich um entgangene Gewinnmöglichkeiten, die nur deswegen nicht wahrgenommen werden können, weil ein Kraftwerksbetreiber Redis- patch-Maßnahmen erbringen muss.
220Soweit die Bundesnetzagentur darauf verweist, dass Intraday-Handel lediglich er- mögliche, kurzfristig Abweichungen von Verbrauchsprognosen auszugleichen und
221- wenn der Übertragungsnetzbetreiber nicht widerspreche - die Kosten für Aus- gleichs- und Regelenergie zu reduzieren, greift dies zu kurz (Festlegung, S. 14). Der Intraday-Handel ist inzwischen ein relevanter und erheblicher Markt, um Renditen und Deckungsbeiträge zu erwirtschaften.
222Auch der Hinweis der Bundesnetzagentur, dass der Intraday-Handel in einer Netz- engpasssituation ohnehin eingeschränkt sei, Intraday-Chancen nicht nutzbar seien, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Grundsätzlich können Fahrpläne auch im Re- dispatch-Fall kurzfristig geändert werden (§ 5 Abs. 2 S. 1 StromNZV). Durch die blo- ße Möglichkeit des Übertragungsnetzbetreibers, Fahrplanänderungen abzulehnen (§ 5 Abs. 2 S. 2 StromNZV), wird der Markt nicht von vornherein und regelmäßig be- schränkt. So können auch die nicht Redispatch-angewiesenen Netzbetreiber wäh- rend eines Netzengpasses weiterhin uneingeschränkt am Intraday-Handel teilneh- men. Damit wird im Redispatch-Fall nicht jeder Intraday-Handel ausgeschlossen, sondern aufgrund der BK6-Festlegung-Redispatch-Vorgaben nur dem betroffenen Redispatch-Kraftwerksbetreiber der Intraday-Handel verwehrt oder erschwert.
223Die Bundesnetzagentur weist allerdings zu Recht darauf hin, dass entgangene Op- portunitäten und Erlösausfälle im Einzelfall schwierig und nur schwer zu beziffern sein können. Auch besteht die Gefahr, dass je nach Art der Berechnung Fehlanreize gesetzt werden könnten. Diese im Tatsächlichen liegenden Probleme führen aller- dings nicht dazu, dass solche Kosten von vornherein nicht berücksichtigungsfähig wären. Gegebenenfalls sind Opportunitäten zu schätzen oder zu pauschalieren, etwa durch einen Aufschlag.
224So hat etwa der Vertreter der Stadtwerke Q. in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass durchaus Indizes existierten, um Intraday-Ergebnisse abzubilden, etwa für die 96 vorangegangenen Stunden eines Zeitpunkts und man auf einen Mittelpreis abstellen könne. Die S. hatte in dem Verfahren VI-3 Kart 364/12 (V) ein Gutachten der G. („Angemessene Vergütung von Redispatch-Maßnahmen“, VI-3 Kart 364/12, Anlage BF2) vorgelegt, in dem versucht worden war, entgangene Ge- winne aus Intraday-Geschäften zu berechnen. Die U. GmbH hatte beispielhaft für den 06.01.2012 und das Gaskraftwerk Z. ebenfalls entgangene Gewinne zu berech- nen versucht (Stellungnahme vom 25.05.2012, Bl. 310, 311, 316 ff. VV).
225Hinsichtlich der Höhe der entgangenen Gewinne ist nicht darauf abzustellen, welche Chancen theoretisch hätten realisiert werden können, sondern nur welche De- ckungsbeiträge typischerweise oder „üblicherweise“ hätten erwirtschaftet werden können. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass – je nach Abrechnungsmethode - Gewinnerwartungen nicht doppelt berücksichtigt werden sollten, wenn etwa auf der Grundlage der StromNEV eine bestimmte Eigenkapitalverzinsung gewährt werden sollte (vgl. die Regelung in den „J.-Verträgen“).
226ccc) vermiedene Netzentgelte
227Dass Opportunitäten, die aufgrund der Redispatch-Anweisung nicht wahrgenommen werden, im Grundsatz ein ersatzfähiger Schaden sein können, schließt entgangene Erlöse aus vermiedenen Netzentgelten ein.
228Dass Erlösausfälle durch energierechtliche Zwangsmaßnahmen ein erstattungsfähi- ger Schaden sein können, verdeutlicht auch § 15 Abs. 3 AbLaV, der vorsieht, dass
229eine Netzentgeltbefreiung nicht deswegen versagt werden darf, weil ein Verbraucher für Abschaltleistung in Anspruch genommen worden ist. Auch die Bundesnetzagen- tur geht davon aus, dass Erlöse aus vermiedenen Netzentgelten durchaus ein erstat- tungsfähiger Schaden sein können, wenn sie dies – bei ihrer Argumentation konse- quent - nur auf solche Erlöse aus vermiedenen Netzentgelten beschränken will, die bei hypothetischer Durchführung des Day-Ahead-Fahrplans angefallen wären.
230Die entgangenen Erlöse aus vermiedenen Netzentgelten können auch spürbar sein. So ist etwa in einem Aktenvermerk vom 07.09.2011 deutlich gemacht worden, dass der Effekt der vermiedenen Netzentgelte erheblich sein und etwa Neuansiedlungen in Netzgebieten mit hohen Netzentgelten beeinflussen könne (Bl. 89 VV).
231cc) Wärmeersatzbeschaffung – Strombezug über Dritte
232Zusätzliche Kosten, die ggfs. durch Wärmersatzbeschaffung bei KWK-Anlagen auf- grund eines Redispatch-Einsatzes entstehen, belasten einen Kraftwerksbetreiber ebenfalls Redispatch-bedingt.
233So kann, worauf Anlagenbetreiber nachvollziehbar hingewiesen haben, der Fall ein- treten, dass bei einer Redispatch-Maßnahme eine bestimmte Fernwärme- Erzeugungsleistung nicht verfügbar ist, die Ersatzenergie dann gegebenenfalls zu erhöhten Kosten anderweitig beschafft werden muss (vgl. für § 12 Abs. 1 S. 1 EEG: Schäfermeier in Reshöft/Schäfermeier, EEG, 4. Auflage 2014, § 12, Rn. 18). Die Bundesnetzagentur hat auch gesehen, dass bei KWK-Anlagen Besonderheiten be- stehen. So geht die Festlegung davon aus, dass ein „Normalbetrieb“ nicht vorliege, wenn eine Anlage ausschließlich wärmegeführt werde (Festlegung, S. 16).
234Eine ähnliche Sachlage kann sich auch dann ergeben, wenn ein Kraftwerk im Rah- men eines Redispatch-Einsatzes auf „Null“ herunterzufahren ist und der Stromeigen- bedarf deshalb nicht mehr selbst gedeckt werden kann. Der Strom muss dann zu höheren Preisen über das öffentliche Netz bezogen werden. Die C. (VI-3 Kart 348/12) hat darauf hingewiesen, dass gegebenenfalls auch zusätzliche Netzentgelte für Bahnstromlieferung entstehen könnten, wenn im Redispatch-Fall der Bahnstrom nicht über die kraftwerkseigene Stromsammelschiene, sondern aus dem öffentlichen
235Netz bezogen werden müsste. Auch solche Mehrkosten stehen in einem engen Zu- sammenhang mit der angeordneten Redispatch-Maßnahme und sind im Grundsatz zu vergüten.
236dd) Zinsnachteil bei KWK-Zulagen
237Auch Zinsnachteile können entstehen, wenn ein Anlagenbetreiber ein Kraftwerk Re- dispatch-bedingt herunterfährt. So kann sich etwa ein Barwertverlust dadurch erge- ben, dass bei einer Einspeiseabsenkung nur eine geringere KWK-Zulage für das be- treffende Jahr gewährt wird, der Anlagenbetreiber die nicht in Anspruch genommene Zulage erst in den Folgejahren zeitverzögert erhält.
238ee) Redispatch-bedingte Anpassungen
239Soweit Kraftwerksbetreiber darauf hingewiesen haben, dass Gemeinkosten, die in einem direkten Zusammenhang mit der Redispatch-Maßnahme stehen, ebenfalls abzurechnen seien, trifft dies im Grundsatz zwar zu. Dies erfasst jedoch nur solche Kosten, die nicht schon aufgrund der typischen Funktionsweise des Kraftwerks so- wieso angefallen wären.
240Die C. (VI-3 Kart 348/12) hat etwa geltend gemacht, dass die Kosten durch die Be- setzung einer Kontaktstelle, die rund um die Uhr zur Entgegennahme von Anweisun- gen zur Anpassung der Wirkleistungseinspeisung einzurichten sei, auszugleichen seien. Der Senat geht jedoch davon aus, dass ein Kraftwerk mit erheblicher Erzeu- gungsleistung grundsätzlich rund um die Uhr besetzt und unabhängig von einem Re- dispatch darauf vorbereitet ist, Informationen und Anweisungen, insbesondere auch von Seiten des Übertragungsnetzbetreibers, entgegenzunehmen, schon um etwa zeitnah auf Notmaßnahmen nach § 13 Abs. 2 EnWG reagieren zu können. Es ist auch nicht vorgetragen worden, welche konkreten Mehrkosten entstehen sollen.
241Dies gilt sinngemäß auch für Kosten in Zusammenhang mit der Anpassung von Pro- zessen oder Datenformaten, Kosten der allgemeinen Verwaltung, wie sie typischer- weise mit dem Ablauf einer Kraftwerksanlage verbunden sind. Ein Kraftwerksbetrei- ber hat sich auf verändernde rechtliche Vorgaben, hier durch das Redispatch, einzu-
242stellen und die entsprechenden organisatorischen Maßnahmen vorzunehmen. Es ist nicht vorgetragen, dass die verwaltungstechnischen und organisatorischen Anpas- sungen, die durch Redispatch geboten sind, diesen typischerweise mit dem Betrieb eines Kraftwerks verbundenen Aufwand erheblich übersteigen.
243ff) Pumpspeicherkraftwerke
244Soweit die Festlegung die Vergütung für Redispatch-Maßnahmen von Pumpspei- cherkraftwerken regelt, ist die vorgesehene Abrechnungsmethode ebenfalls rechts- widrig.
245Die Bundesnetzagentur hat gesehen, dass Pumpspeicherkraftwerke Besonderheiten aufweisen, die gegebenenfalls gesondert zu regeln sind (Festlegung, S. 20 f.). Aller- dings will die Behörde (nur) anhand der aufgewendeten oder ersparten Strompreis- kosten abrechnen. Dies ist nicht sachgerecht. Die erheblichen Besonderheiten der Pumpspeicherkraftwerke sind zu berücksichtigen, um einem Kraftwerksbetreiber eine
246„angemessene Vergütung“ zu gewähren.
247Die Kostenstruktur von Speicherkraftwerken unterscheidet sich erheblich von derje- nigen thermischer Kraftwerke (vgl. auch die Sektoruntersuchung des Bundeskartell- amtes, S. 184, 187, „fundamental“, zur Bedeutung von Schattenpreisen: S. 185). Die Energiemenge ist anders als bei anderen Kraftwerken begrenzt oder steht jedenfalls zeitlich nur beschränkt oder verzögert zur Verfügung. Aufgrund dieser Besonderhei- ten liegt es nahe, dass ein Kraftwerksbetreiber regelmäßig versuchen wird, ein Pumpspeicherkraftwerk noch gezielter als andere Anlagen an den attraktivsten Stun- den zu betreiben. Die Speicher werden während der Off-Peak-Stunden mit Hilfe günstigen Stroms aufgefüllt und dann zu Zeiten mit hoher Last entleert.
248Dass die Ermittlung der relevanten Kosten oder anzusetzenden Börsenpreise bei Pumpspeicherkraftwerken problematisch sein kann, hatte der Vorschlag der W.
249„Grundsätze zur Anforderung, Erbringung und Abrechnung von Redispatch- Maßnahmen“, Stand: 25.02.2011“ dargestellt (Bl. 28 VV). I. hatte ebenfalls bei- spielhaft erläutert, dass bei einem Pumpspeicherkraftwerk sich der nutzbare Zeit- raum durch die Redispatch-Maßnahme verschiebe und das Kraftwerk daher dann
250gegebenenfalls nicht im wirtschaftlich attraktiven Stundenkorridor eingesetzt werden könne (vgl. das Beispiel Bl. 138 ff. VV).
251Auch die Ausnahmeregelung nach Tenorziffer 4, die an sich - jedenfalls im Anwen- dungsbereich der Bagatellregelung insbesondere für Pumpspeicherkraftwerke - ab- weichende Vergütungsregeln, nach seinem Wortlaut ggfs. auch die Berücksichtigung von Opportunitäten, zuließe (vgl. Festlegung, S. 19), führt nicht zu einer angemesse- nen Vergütungsregelung für Pumpspeicherkraftwerke. So hat die Bundesnetzagentur in der Festlegung unmissverständlich deutlich gemacht, dass im Anwendungsbereich der Festlegung grundsätzlich keine Opportunitäten vergütet werden sollen. Dieser tragende Gedanke erfasst als allgemeiner Grundsatz die Festlegung insgesamt und damit auch die Ausnahmeregelung (vgl. Festlegung, S. 14).
252Dass eine Schätzung im Einzelfall Unsicherheiten aufweisen kann, führt - wie bereits erläutert - nicht dazu, dass ein entsprechender Ansatz entgangener Gewinnchancen von vornherein ausgeschlossen ist.
253Darüber hinaus ist die Vergütungsregelung für Pumpspeicherkraftwerke aber auch deswegen rechtswidrig, weil sie zu den Bestimmungen der BK6-Festlegung inkonsis- tent ist.
254Die BK6-Festlegung geht schon unzutreffend davon aus, dass als Wirkleistungsein- speisung nicht nur eine positive Einspeisung, sondern auch eine negative Einspei- sung, d.h. ein Wirkleistungsbezug als Redispatch-Maßnahme in Betracht komme (BK6-Festlegung, Tenorziffer 3 Satz 2, S. 3, 38 f., siehe die Begründung in den Be- schlüssen des Senats vom 28.04.2015 zur BK6-Festlegung).
255Die streitgegenständliche Festlegung gewährt ferner keine Vergütung für den Fall, dass die Abnahmelast bei der Befüllung eines Speichers reduziert wird, obwohl die BK6-Festlegung auch diesen Fall, mithin vier Betriebszustände regeln will (vgl. BK6- Festlegung, Tenorziffer 3). So geht die hier streitgegenständliche Festlegung bei der Bestimmung der angemessenen Vergütung davon aus, dass nur drei mögliche Handlungsalternativen eines Pumpspeicherkraftwerks von Redispatch-Maßnahmen erfasst seien (Festlegung, S. 20 f.). Die streitgegenständliche Festlegung schließt die
256Reduzierung der Abnahmelast bei der Befüllung eines Speichers vom Anwendungs- bereich aus und will damit für diese Fälle keine Vergütung gewähren (BK8- Festlegung, S. 20 f.). Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum – wenn eine bestimmte Maßnahme als Redispatch-Maßnahme eingestuft werden sollte – diese nicht auch vergütet werden sollte. Es bleibt auch offen und ist zweifelhaft, ob und inwieweit eine Abrechnung nach der „Verordnung zu abschaltbaren Lasten“ in Betracht käme. Die Verordnung sieht ein Ausschreibungsverfahren vor (§ 1 AbLaV), das die Bundes- netzagentur jedoch bei Redispatch-Maßnahmen aufgrund eines fehlenden Marktes gerade nicht durchführen möchte.
257gg) Phasenschieberbetrieb
258Soweit auf eine fehlende Regelung zum Phasenschieberbetrieb hingewiesen worden ist, ist ein Regelungsbedarf weder dargelegt noch erkennbar. Die Festlegungen der BK 6 sowie der BK 8 beziehen sich ausschließlich auf die Wirkleistungseinspeisung, nicht etwa auf eine Blindleistung ohne Änderung der Wirkleistung (vgl. S. 11 der Festlegung BK 6).
259- 6.260
Tenorziffer 3
Die Festlegung ist rechtswidrig, soweit sie die Grenzkosten auf der Basis des punk- tuell niedrigsten stündlichen EPEX-Spot-Preises, zu dem eine Anlage im Kalender- monat vor dem Einspeisezeitpunkt im normalen Betrieb eingespeist hat, berechnen will.
262a) Bagatellgrenze
263Es steht im Ermessen der Bundesnetzagentur zu entscheiden, ob bestimmte Baga- tellgrenzen eingefügt werden. Im vorliegenden Fall hat die Bundesnetzagentur sich an der 1%-Schwelle des § 12 Abs. 1 S. 2 EEG 2012 orientiert und die Grenze mit 0,9% der Einspeisemengen des Vorjahres einer Erzeugungsanlage zugunsten der Anlagenbetreiber geringfügig niedriger angesetzt (Festlegung, S. 15). Die Behörde kann auch entscheiden, ob – wie hier – bestimmte Grenzen für alle betroffenen Un-
264ternehmen gelten oder der Abrechnungsmodus nur für solche Anlagenbetreiber gilt, die die Schwelle nicht überschreiten (Festlegung, S. 19). Es kann dahinstehen, ob die Anlehnung an den Schwellenwert nach § 12 Abs. 1 S. 2 EEG 2012 sachgerecht ist. Bei einer derart geringen Schwelle liegt ein Bagatelleinsatz eines Kraftwerks je- denfalls nicht fern und ist nicht zu beanstanden.
265b) Grenzkosten
266Die Bundesnetzagentur geht im Grundsatz zutreffend davon aus, dass ein Unter- nehmen erst dann am Markt aktiv werden wird, wenn zumindest die Grenzkosten gedeckt sind (Festlegung, S. 16). Der Bundesnetzagentur steht es im Übrigen frei, für die Berechnung einer angemessenen Vergütung auf bestimmte Börsen- oder Marktpreise abzustellen, um so eine angemessene Vergütung zu berechnen, wobei die gewählten Indizes die entstehenden Kosten allerdings nicht realitätsfern abbilden dürfen. Ihr steht ein Regulierungsermessen zu.
267Mit Referenzpreisen ist im Grundsatz auch eine Vereinfachung verbunden. Dies wird auch nicht etwa dadurch infrage gestellt, dass es im Einzelfall schwierig sein kann, weitere Kosten, wie etwa einen erhöhten Wartungsaufwand aufgrund von An- und Abfahrten, im Rahmen der Tenorziffer 3c nachzuweisen.
268Es bestehen keine Bedenken, für die Bestimmung eines Referenzpreises auf einen vergangenen Zeitraum zurückzugreifen, um eine Abrechnung handhabbar zu ma- chen. Insoweit hier Unschärfen durch schwankende Börsenpreise eintreten, ist da- von auszugehen, dass sich diese über einen längeren Zeitraum ausgleichen. Auch der Begriff „Vorjahr“ ist nicht unklar, meint vielmehr ersichtlich das Kalenderjahr. Der Begriff „Einspeisemenge“ ist ebenfalls hinreichend bestimmt. Er bezieht sich auf die in das öffentliche Netz eingespeiste Menge, da es bei der Bagatellgrenze offenkun- dig auf die Relation der Redispatchmengen zu den sonstigen in das Netz eingespeis- ten Mengen ankommt. Auch bei dem von der Bundesnetzagentur in Bezug genom- menen § 12 Abs. 1 Satz 1 EEG geht es um die Einspeisung in das öffentliche Strom- netz.
269Die Behörde hat sich hier ersichtlich an den Konditionen orientiert, die in der Vergan- genheit bei freiwilligen Vereinbarungen üblich waren (Entwurf „Leitfaden zur Findung sachgerechter Vergütungsregelungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Sys- temsicherheit im Übertragungsnetz durch Redispatch-Maßnahmen 2010“, Bl. 71 VV, vgl. auch Bl. 86, 88 VV, vgl. Stellungnahme L. vom 30.04.2012, Bl. 205 VV; in einem Vermerk vom 26.09.2012 stellt die W. fest, dass die Bundesnetzagentur eine Vergütungsregelung erreichen wolle, die nicht besser sei als die Vergütung über existierende Redispatch-Verträge, Bl. 670 VV).
270Die Bundesnetzagentur hält die Bagatellregelung für sinnvoll, weil ein Missbrauch von Bewertungsspielräumen verhindert werde, eine rein kostenbasierte Vergütungs- regelung hingegen kaum überprüfbar sei (Bl. 88 VV). Allerdings wurde gesehen, dass durch die pauschalierte Regelung anfallende Kosten möglicherweise nur teil- weise gedeckt seien und so die Errichtung neuer Kraftwerke in Süddeutschland er- schwert werden könnte. So wurde etwa in einem Vermerk die Gefahr gesehen, dass Kraftwerke die Anweisung zum Hochfahren unterlaufen, Betreiber Kraftwerke als
271„nicht verfügbar“ melden könnten, wenn die Stromproduktionskosten, etwa bei einem Gaskraftwerk, über dem EPEX-Spot-Preis lägen (Vermerk vom 07.09.2011, Bl. 90 VV; Stellungnahme der A. GmbH vom 23.05.2012, Bl. 305 VV). Außerdem könnten Kraftwerksbetreiber Anweisungen der Übertragungsnetzbetreiber möglicherweise unterlaufen, indem sie technische Probleme vorgeben und stattdessen ein entfernt liegendes Kraftwerk hochgefahren werden müsse (Bl. 88 VV). Hochzufahrende Kraftwerke könnten benachteiligt sein, weil deren Stromproduktionskosten über dem EPEX-Spot-Preis liegen könnten, sie aufgrund der niedrigen EPEX-Preise gerade nicht produzierten und nicht „im Geld“ wären (Bl. 89 VV; vgl. auch die Stellungnahme der F. vom 22.12.2011, Bl. 158 VV; vgl. die Stellungnahme der FF. vom 22.12.2011, Bl. 163 VV). Auch die W. hat dies aufgegriffen und ebenfalls auf das Problem hoch- zufahrender Kraftwerke hingewiesen und deutlich gemacht, dass umgekehrt einzu- senkende Kraftwerke „im Geld“ seien, deren variable Kosten zum Teil signifikant un- ter den Börsenpreisen lägen (Stellungnahme vom 16.12.2011, Bl. 115 VV). I. hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass Redispatch-Leistung häufig den Einsatz von schnell anfahrbereiten Spitzenlastkraftwerken erfordere, die relativ hohe variable Kosten hätten (Vergleiche Bl. 138 VV). In der mündlichen Verhandlung hat ein Ver- treter der Y. AG darauf hingewiesen, dass durch die Bagatellregelung etwa bei ei-
272nem herunterfahrenden Braunkohlekraftwerk die tatsächlichen Grenzkosten von 15
273€/MWh regelmäßig erheblich überschätzt würden, daher überhöhte Beträge von 25
274€/MWh und mehr an den Übertragungsnetzbetreiber zu erstatten seien.
275Im Ergebnis hat die Bundesnetzagentur die Bedenken gegen eine pauschalierte Kos- tenregelung dann zurückgestellt, weil Bestimmungen in der Vergangenheit bereits freiwillig vereinbart worden und deshalb als auskömmlich und angemessen einzustu- fen seien (Bl. 89 VV). Der Umstand, dass in der Vergangenheit Vereinbarungen zwi- schen Kraftwerksbetreibern und Übertragungsnetzbetreibern getroffen worden wa- ren, die ebenfalls auf den von der Bundesnetzagentur gewählten Abrechnungsmo- dus abstellten, kann die hier im Streit stehende Regelung aber nicht rechtfertigen. So mögen die Verträge möglicherweise nicht immer nicht marktgerecht ausgestaltet ge- wesen sein, weil Vereinbarungen häufig innerhalb eines Energiekonzerns, zwischen der Netzsparte und der Energieerzeugung, geschlossen worden waren oder das Re- dispatch-Volumen in der Vergangenheit gering war (vgl. Bl. 205 VV). In der mündli- chen Verhandlung haben die Vertreter der Bundesnetzagentur deutlich gemacht, dass die Bagatellregelung vor allem auch deshalb gewählt worden sei, damit die Kraftwerksbetreiber nicht sensible Daten an die Übertragungsnetzbetreiber übermit- teln müssten.
276c) Normalbetrieb
277Die Bundesnetzagentur hat gesehen, dass es durchaus Fälle geben kann, bei denen für die Grenzkostenberechnung nicht auf einen Börsenpreis abgestellt werden kön- ne.
278Sie hat in der Festlegung noch ausreichend deutlich gemacht, was sie unter „Nor- malbetrieb“ versteht und Betriebszustände abgegrenzt, wann ein „Normalbetrieb“ nicht vorliegen solle, ein Anlagenbetreiber also gegebenenfalls auch einspeist, wenn seine Grenzkosten über dem Börsenpreis liegen können (Festlegung, S. 16: Vorhal- tung von Regelleistung, Erbringung von Regelenergie, Betrieb in Mindestlast um An- und Abfahrkosten zu vermeiden, Probebetrieb, Redispatch, wärmegeführte KWK- Anlagen). Es ist auch nachvollziehbar, dass nicht alle möglichen Fälle geregelt wer- den können, in denen ein „Normalbetrieb“ nicht gegeben ist. So ist etwa vorgetragen
279worden, dass der anzusetzende Grenzpreis bei einem nicht stundenscharfen An- und Abfahren unklar sei. Es ist daher auch nicht zu beanstanden, dass etwa der Be- griff in Tenorziffer 3d „vergleichbarer Erzeugungsanlagedaten“ nicht noch näher kon- kretisiert und auslegungsbedürftig ist.
280d) Referenzstunde Vormonat
281Die Bundesnetzagentur hat hier aber die Grenzen Ihres Regulierungsermessens überschritten, wenn sie eine Kostenregelung wählt, die Kraftwerksbetreiber in nicht mehr sachgerechter Weise benachteiligt. Soweit die Bagatellregelung sich an dem niedrigsten stündlichen Börsenpreis des Vormonats orientiert, zu dem eingespeist worden ist, führt dies dazu, dass auch dieser niedrigste Stunden-Vormonats-Preis als Monatsbasis für die Redispatch-Maßnahme zugrunde gelegt wird.
282Hierdurch ergeben sich besondere Unsicherheiten für die Kraftwerksbetreiber, weil für die Abrechnung der Redispatch-Maßnahme auf eine einzelne Stunde im Vormo- nat abgestellt wird. Diese können im Rahmen der ihnen obliegenden Darlegungslast und aufgrund der aufgezeigten zahlreichen Möglichkeiten, ein Kraftwerk außerhalb des „Normalbetriebs“ zu betreiben, für diese preisentscheidende Stunde möglicher- weise nicht nachweisen, dass die jeweilige Anlage außerhalb des von der Festle- gung vorgesehenen „Normalbetriebes“ gefahren wurde.
283Die Anlagenbetreiber haben substantiiert erhebliche Umstände vorgetragen, aus de- nen sich ergibt, dass solche Fallgestaltungen in nicht unerheblichem Maße auftreten können. So kann die Fahrweise eines Kraftwerks maßgeblich durch die am Spot- markt sich ergebenden Preise beeinflusst sein, auch wenn das Kraftwerk langfristig vermarktet ist. Es kann gegebenenfalls günstiger sein, Kraftwerke herunterzufahren und die Stromlieferverpflichtungen durch einen Zukauf am Markt zu erfüllen. Wenn geringere oder negative Preise nur in Einzelstunden auftreten, kann es für einen An- lagenbetreiber ökonomisch sinnvoller sein, die Kraftwerke am Netz zu lassen, weil ihnen andernfalls Opportunitäten in den Folgestunden entgehen. Auch aufgrund von Min- oder Max-Take-Verpflichtungen kann ein Kraftwerk betrieben werden, obwohl die Grenzkosten nicht gedeckt sind.
284Hier kann die Bagatellregelung daher für die Kraftwerksbetreiber zu nicht mehr hin- nehmbaren Nachteilen führen. Aufgrund der hohen Volatilität der Strompreise ist es nicht sachgerecht, dass ein derartiger „Ausreißer“-Wert, ein einzelner Stundenpreis des Vormonats - gerade vor dem Hintergrund der Unsicherheiten eines „Normalbe- triebs“ einer Anlage - einschränkungslos für die Berechnung der Grenzkostenbe- rechnung zugrunde gelegt wird. Der möglicherweise punktuell entstandene Nachteil in einer einzigen Stunde des Vormonats schlägt auf die anzusetzenden Kosten im gesamten laufenden Monat, auch bei mehreren Redispatch-Maßnahmen in einem Monat, durch (vgl. das Berechnungsbeispiel des CC. vom 13.07.2012, Bl. 562 VV und vom 21.08.2012, Bl. 613 VV, niedrigster EPEX-Spot-Preis im April 2012: 4,39
285€/MWh).
286Diese Problematik hatte der Entwurf eines „Leitfadens zur Findung sachgerechter Vergütungsregelungen zur Einhaltung oder Wiederherstellung der Systemsicherheit im Übertragungsnetz durch Redispatch-Maßnahmen 2010“ noch gesehen und zu- nächst bestimmt, dass ein Aufschlag von 10% auf den Spotmarkt-Preis gezahlt, bzw. bei einem eingeschränkten Kraftwerk nur 90 % des Spotmarkt-Preises in Rechnung gestellt werden sollten (Bl. 7 VV). Auch war zu Beginn noch ein Mindestwert von 20 € je Megawattstunde als Preisuntergrenze vorgesehen, falls der Spotmarkt-Preis unter diesen Wert sinken sollte, der im Konsultationsverfahren auf 25 € pro Megawattstun- de erhöht wurde (Bl. 7, 209 VV). Der Entwurf des Leitfadens wies darauf hin, dass die Vergütungsregelung für die beteiligten Kraftwerke von Vorteil sei, es aber in ein- zelnen Stunden zu einem Auseinanderfallen von einsatzrelevanten Grenzkosten und der Vergütung kommen könne.
287Hierbei handelt es sich auch nicht um Einzelfälle. Dieser Effekt des „Ausreißer“- Wertes zeigt sich etwa bei negativen Strompreisen, die häufig nur in einzelnen Stun- den auftreten und dann Berechnungsgrundlage für eine Redispatch-Maßnahme im Folgemonat wären. Der Strompreis kann etwa bei starker Sonnen- und Windeinspei- sung volatil und niedrig sein und dann auf einen Betrag nahe null oder sogar darun- ter sinken. Die Festlegung verweist einen Anlagenbetreiber dann für alle Redispatch- Maßnahmen im gesamten Folgemonat auf diesen niedrigsten Preis, obwohl die Marktsituation nur kurz vorgelegen hat. Für den Kraftwerksbetreiber entsteht ein er- heblicher Nachteil bereits dann, wenn das Kraftwerk nur einmal innerhalb des Refe-
288renz-Monatszeitraums Strom „für wenige Minuten“ eingespeist hat, obwohl die Grenzkosten des Kraftwerks nur für kurze Zeit oberhalb des aktuellen Börsenpreises lagen. Es überzeugt nicht, dass etwa konventionelle Kraftwerke mit vergleichsweise hohen variablen Kosten „freiwillig“ oder im „Normalbetrieb“ am Markt zu niedrigen Preisen von 3 oder 4 Euro/MWh Strom eingespeist hätten, auf dieser Basis dann die Grenzkosten berechnet werden sollen. Werden sie gleichwohl aufgrund eines Netz- engpasses dazu verpflichtet, Strom zu liefern, kann dieser niedrige Preis, der ersicht- lich in keinem Zusammenhang mehr mit den Kosten des Kraftwerks steht, nicht als Abrechnungsgrundlage dienen.
289- 7.290
Tenorziffer 4
Auch Tenorziffer 4 führt nicht dazu, dass die Bagatellregelung deshalb angemessen wäre, weil in „begründeten Ausnahmefällen“ auf der Basis eines individuellen Auf- wandsersatzes abgerechnet werden kann.
292So will die Bundesnetzagentur mit der Festlegung den Anwendungsbereich auf we- nige Fälle beschränken, so dass die Alternative einer individuellen und möglicher- weise höheren Abrechnung nur für wenige Anlagenbetreiber in Betracht kommen sollte. Die Festlegung nennt als Beispiele etwa Pumpspeicherkraftwerke, fehlende Schätzungsgrundlagen oder Fälle, in denen die Bagatellregelung zu erkennbar un- plausiblen Ergebnissen führen würde.
293Eine individuelle Abrechnung wird Kraftwerksbetreibern auch dadurch erschwert, dass nicht er, sondern der Übertragungsnetzbetreiber entscheidet, ob die Ausnah- meregelung genutzt werden soll (Festlegung, S. 19). Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei um ein echtes Leistungsbestimmungsrecht des Übertragungsnetzbetrei- bers handelt. Es ist fraglich, warum der Übertragungsnetzbetreiber darüber entschei- den soll. Die genannten Fälle beeinträchtigen vorrangig den Anlagenbetreiber und führen bei ihm zu einem unplausiblen Ansatz der tatsächlich entstandenen Grenz- kosten. Ursprünglich hatte die Beschlusskammer 8 auch kein Wahlrecht, sondern ein Antragsverfahren bei der Bundesnetzagentur für diese Fälle vorgesehen, dann aber anscheinend im Konsultationsverfahren nach entsprechenden Bedenken davon ab- gesehen (vgl. Bl. 108, 116 VV).
294Auch überzeugt die Begründung in der Festlegung nicht, dass „ein Wahlrecht für die jeweilige Erzeugungsanlage, ob sie pauschal oder individuell vergütet wird… dem Grundgedanken der Bagatellregelung, mit der eine Vereinfachung der Vergütungsre- gelung erzielt werden soll“, widerspreche (Festlegung, S. 19). Eine Vereinfachung ist jedenfalls dann nicht erkennbar, wenn eine Anlage oberhalb der Bagatellgrenze ein- speist. Denn dann ist auf zwei verschiedene Arten, zunächst bis zur 0,9%-Schwelle pauschal und darüber hinaus individuell, abzurechnen.
295- 8.296
Tenorziffer 5
Tenorziffer 5 der Festlegung ist rechtswidrig, weil sie gegen das Gleichbehandlungs- gebot verstößt und kartellrechtlich bedenklich ist. Darüber hinaus ist die Regelung zu unbestimmt.
298Sie ordnet an, dass ein Leistungsanteil dann gewährt werden kann, wenn die Redis- patch-Maßnahmen jährlich mehr als 10% der Einspeisemengen des Vorjahres einer Erzeugungsanlage betreffen. Hat eine Anlage im Vorjahr nicht eingespeist, erhält sie kein Leistungsentgelt. Die Vertreter der Bundesnetzagentur haben in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass bei Überschreiten des Schwellenwertes ein Ka- pitalkostenersatz erfolgen solle. Hintergrund sei auch gewesen, dass - seinerzeit noch vor Inkrafttreten der ResKV - eine Fixkostenvergütung zwar als Fremdkörper in der Branche angesehen worden sei, jedoch durch die Leistungsentgelt-Regelung habe versucht werden sollen, systemrelevante Kraftwerke am Netz zu halten, die andernfalls abgeschaltet worden wären. Die Vertreter der Bundesnetzagentur haben erläutert, dass ohne die kartellrechtlichen Bedenken des Bundeskartellamtes die Kraftwerksbetreiber, die mit ihren Anlagen die 10%-Schwelle überschritten hätten, zu den Konditionen der „J.-Verträge“ und anhand der StromNEV hätten abrechnen können.
299a) keine Kriterien
300Die Kraftwerksbetreiber weisen zutreffend darauf hin, dass es an einer konkreten Vorgabe, an Kriterien fehlt, nach welchen Grundsätzen sich ein zusätzliches Leis-
301tungsentgelt berechnen soll. Die Bundesnetzagentur nennt lediglich einen Schwel- lenwert, ohne im Ansatz bestimmte Kriterien vorzugeben, wie ein Leistungsentgelt ausgestaltet sein könnte.
302In der Festlegung ist nur geregelt, dass ab Überschreiten der Schwelle dem Grunde nach ein Leistungsentgelt bezahlt werden kann, ohne dass darüber hinaus Vorgaben gemacht werden. § 13 Abs. 1a S. 3 EnWG ermächtigt zum Erlass von „Kriterien“ zur Bestimmung eines angemessenen Entgelts. Dies erfordert keineswegs eine umfas- sende und detaillierte Regelung. Jedoch ist ein Mindestmaß an Bestimmtheit erfor- derlich, um jedenfalls die Größenordnung einschätzen oder erkennen zu können, nach welchen Grundsätzen das Leistungsentgelt bestimmt werden soll. Dies gilt ins- besondere deshalb, weil die Tenorziffer 5 als „kann“-Bestimmung ausgestaltet ist, so dass nach dem Wortlaut ein Übertragungsnetzbetreiber „nach Belieben“ auch ein Leistungsentgelt verweigern könnte, selbst wenn die 10%-Schwelle überschritten worden sein sollte.
303b) Leistungsanteil
304Es ist nicht unzulässig, einen Leistungsanteil zu gewähren. Der Senat hat keine Be- denken, dass ein Fixkostenanteil - bei einer wettbewerbsrechtlich und europarecht- lich unbedenklichen Ausgestaltung - im Rahmen von Redispatch-Einsätzen dem Grunde nach zulässig ist. Auch sprechen maßgebliche Gründe dafür, einen Leis- tungs- oder Fixkostenanteil bei Redispatch-Maßnahmen anzusetzen. Jedenfalls bei einer nicht nur unerheblichen Redispatch-Inanspruchnahme wird unverhältnismäßig in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen, wenn nur Grenz- kosten erstattet werden.
305Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass ein Leistungsentgelt und damit Fixkos- ten im Redispatch-Fall im Grundsatz nicht anzurechnen seien, weil der zusätzliche Einsatz eines Kraftwerks keinen Einfluss auf die Höhe der Fixkosten habe (Festle- gung S. 13). Es fehle an einem kausalen Zusammenhang, weil die Fixkosten unab- hängig von dem Redispatch-Eingriff anfielen. Auch die österreichische Redispatch- Regelung, die Netzengpassentgelt-Verordnung, bestimmt ebenfalls, dass Leistungs- vorhaltungskosten grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (Bl. 47 f. VV).
306Die Regulierungsbehörde hält den Ansatz eines Leistungsanteils aber dann für sachgerecht, wenn der Redispatch-Einsatz keinen Ausnahmefall mehr darstelle (Festlegung, S. 13 f.). In dem Entwurf eines „Leitfadens zur Findung sachgerechter Vergütungsregelungen zur Einhaltung oder Wiederherstellung der Systemsicherheit im Übertragungsnetz durch Redispatch-Maßnahmen 2010“ war die Bundesnetzagen- tur noch davon ausgegangen, dass es bereits dann unverhältnismäßig sei, einem Kraftwerk kein Leistungsentgelt zu gewähren, wenn gemessen an der installierten Leistung mehr als 5% dieser Leistung pro Jahr für Redispatch-Zwecke zur Verfügung gestellt werden müssen (Bl. 7 VV). Hintergrund der Bestimmung der 10%-Grenze ist der zutreffende Gedanke, dass die dauerhafte Inanspruchnahme eines Kraftwerks im Interesse der Allgemeinheit nur gegen Ersatz der unmittelbar entstehenden Auslagen nicht sachgerecht sei.
307Das Bundeskartellamt hatte schriftsätzlich zunächst ausgeführt, dass es sinnvoll sei, nur variable Kosten zu erstatten, weil andernfalls die Gefahr von Fehlanreizen be- stünde und – für die typischerweise auch systemrelevanten Kraftwerke - keine Alter- nativlösung für die Reservekraftwerksverordnung geschaffen werden dürfe. Sie hatte schriftsätzlich auf die Notwendigkeit einer europarechtskonformen Auslegung hinge- wiesen, die 10%-Schwelle für bedenklich gehalten. Die Vertreter des Bundeskartell- amtes haben in der mündlichen Verhandlung dann aber auch deutlich gemacht, dass sie keine grundsätzlichen Bedenken gegen einen Leistungsanteil bei Redispatch- Maßnahmen haben.
308Wird ein Kraftwerk in erheblichem und wiederkehrendem Umfang für Redispatch- Maßnahmen eingesetzt, kann dies zu einseitigen und im Ergebnis nicht mehr hin- nehmbaren Belastungen Einzelner führen. So werden im Redispatch-Fall aufgrund der netztopologischen lokalen Gegebenheiten regelmäßig immer dieselben Kraftwer- ke in Anspruch genommen. Durch die Merit Order, durch die das jeweils relativ güns- tigste Kraftwerk ausgewählt wird, wird dieser Effekt weiter verstärkt. Regelmäßig tra- gen also dieselben Kraftwerke die Belastungen. Wird dann auf die Erstattung eines Leistungsanteils verzichtet, werden diese Kraftwerke regelmäßig und gegebenenfalls über viele Jahre im Drittinteresse und im Interesse der öffentlichen Hand (Daseins- vorsorge) übermäßig und in nicht mehr verhältnismäßiger Weise für „Notfallmaß-
309nahmen“ in Anspruch genommen. Sie werden durch den Verweis auf einen bloßen Aufwendungsersatz benachteiligt. Es überzeugt nicht, dass bei einem erheblichen Redispatch-Einsatz, der im Interesse der Daseinsvorsorge, hier der Systemsicher- heit, liegt, die Allgemeinheit nur die entstehenden variablen Kosten tragen soll. Dass die Redispatch-Maßnahme nicht unmittelbar gegenüber der öffentlichen Hand erb- racht wird, sondern – wie bereits erörtert - vorrangig im Interesse des Übertragungs- netzbetreibers liegt, steht dem übergeordneten öffentlichen Interesse nicht entgegen.
310Auch andere energierechtlicher Vorschriften, etwa § 4 Abs. 1 und 2 AbLaV, erlauben es, neben einem Arbeitspreis einen Leistungspreis zu gewähren (vgl. hierzu König, EnWZ 2013, 201, der darauf verweist, dass die ABLaV-Vergütungen „sehr hoch“, deutlich über Marktniveau lägen). So stehen auch die Vorschriften der AbLaV eben- falls in Zusammenhang mit der Entlastung des Stromnetzes und der Verbesserung der Systemsicherheit. Dies gilt auch für die Regelenergiebeschaffung, bei der eben- falls nach einem Leistungspreis abgerechnet wird, es sich aber weniger um eine ech- te „Engpassmaßnahme“ handelt (vgl. z.B. Festlegung „Ausschreibung von Regel- energie in Gestalt der Primärregelung“, BK6-10-097 vom 12.04.2011; Festlegung
311„Ausschreibung von Regelenergie in Gestalt der Sekundärregelung“, BK6-10-098 vom 12.04.2011).
312Es entspricht ferner einem allgemeinen Rechtsgedanken, dass derjenige, der im In- teresse der öffentliche Hand, etwa als sog. Verwaltungshelfer Tätigkeiten aus Grün- den der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erbringt, nicht nur „variable“ Kosten ab- rechnen, sondern auch einen Gemeinkostenzuschlag geltend machen kann (BGH, Urteil vom 15.12.1975, II ZR 54/74, BGHZ 65, 384, Bergung von die Schifffahrt ge- fährdenden Lukendeckeln durch Behörde; Bergmann in Staudinger, 2006, § 683, Rn. 61; OVG Hamburg, Urteil vom 07.10.2008, 3 Bf 81/08, VRS 116, 144; vgl. auch z.B.
313§ 25a Abs. 1 Hamburger Feuerwehrgesetz; vgl. zum Gemeinkostenzuschlag für Ab- schleppunternehmer, der für eine Kommune verbotswidrig geparkte Fahrzeuge ab- schleppt: OVG Hamburg, Urteil vom 11.02.2002, 3 Bf 237/00, HmbJVBl 2003, 79, zit. nach juris; vgl. auch § 12 Abs. 1 S. 1 JVEG; vgl. zur Berücksichtigung eines Gemein- kostenzuschlags bei dem Erlass von Gebührenbescheiden: VG Köln, Urteil vom 03.07.2009, 27 K 4568/07; vgl. zur Berücksichtigung von Gemeinkosten im Scha- densrecht: BGH, Urteil vom 19.11.2013, VI ZR 363/12, NZV 2014, 162; BGH, Urteil
314vom 03.02.1961, VI ZR 178/59, NJW 1961, 729; BGH, Urteil vom 28.02.1969, II ZR
315154/67, NJW 1969, 1109; OLG Frankfurt, Urteil vom 24.01.2012, 16 U 100/11, ZfSch
3162013, 204; OLG Zweibrücken, Urteil vom 06.03.2002, 1 U 209/00, NJW-RR 2002,
3171246; einschränkend: BGH, Urteil vom 31.05.1983, VI ZR 241/79, NJW 1983, 2815; LG Koblenz, Urteil vom 10.07.2012, 6 S 197/08, juris m. w. Nachw. aus der Rspr.).
318Darüber hinaus ist auch die Funktion des Redispatch als Netzersatz zu sehen. So dient Redispatch als Notfallmaßnahme, um einen erforderlichen, aber bislang noch nicht erfolgten Netzausbau zu kompensieren. Könnten aber bei einem ordnungsge- mäßen Netzausbau die anfallenden Fixkosten einschließlich Eigenkapitalverzinsung im Rahmen der StromNEV geltend gemacht werden, ist nicht ersichtlich, warum Kraftwerksbetreiber im Redispatch-Fall auf die Grenzkosten verwiesen werden sol- len. Es überzeugt nicht, einem Anlagenbetreiber, der mit Hilfe von Redispatch als
319„Leitungsersatz“ für die Systemsicherheit im Netz des jeweiligen Übertragungsnetz- betreibers sorgt, einen Fixkostenersatz von vornherein zu verwehren. Zwar muss ein Kostenersatz nicht nach den Regeln der StromNEV erfolgen, zeigt aber, dass ein Leistungsanteil – auf welche Weise auch immer – sachgerecht ist. Auch die Bundes- netzagentur will für die Erstattung der Aufwendungen die Kalkulationsmaßstäbe der StromNEV heranziehen (Festlegung, S. 12), allerdings – soweit der 10%- Schwellenwert nicht erreicht wird - die Vorschriften der StromNEV nur auf die Erstat- tung der variablen Kosten anwenden.
320Die Wertung des § 13 Abs. 1b EnWG, § 11 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 ResKV steht nicht entgegen, ein Leistungsentgelt zu gewähren. Nach § 13 Abs. 1b EnWG sollen Be- triebsbereitschaftsauslagen, also Fixkosten, vergütet werden, wenn ein Kraftwerk ausschließlich für Systemsicherheitsmaßnahmen eingesetzt wird. Dass § 13 Abs. 1b EnWG für die angemessene Vergütung bei vorübergehend stillgelegten Kraftwerken näher konkretisiert und zwischen Betriebsbereitschaftsauslagen und Erzeugungsaus- lagen unterscheidet, zwingt nicht dazu, im Umkehrschluss ein Leistungsentgelt im Rahmen des § 13 Abs. 1a EnWG auszuschließen. So existierte § 13 Abs. 1a EnWG bei Erlass des Abs. 1b des § 13 EnWG bereits, so dass die später eingefügte Rege- lung für die Auslegung der früher eingefügten kaum Bedeutung hat.
321c) Art. 3 Abs. 1 GG
322Vor diesem Hintergrund ist Tenorziffer 5 rechtswidrig, soweit ein Leistungsanteil erst ab Überschreiten der 10%-Schwelle zu gewähren ist. Es mag zwar, wie bereits erläu- tert, zunächst im Ansatz noch vertretbar sein, einen Leistungsanteil erst ab einer ge- wissen, niedrigen Eingriffsschwelle zu gewähren. Jedoch ist ein Schwellenwert von 10% jedenfalls deutlich zu hoch. Außerdem ergeben sich durch den starren Schwel- lenwert gravierende Gleichbehandlungswidersprüche und kartellrechtliche Probleme.
323So verstößt Tenorziffer 5 gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil nicht erkennbar ist, weshalb die Schwelle 10% beträgt. Die Grenze ist hoch und wirkt „gegriffen“. So war in dem Entwurf eines „Leitfadens zur Findung sachgerechter Vergütungsregelungen zur Einhaltung oder Wiederherstellung der Systemsicherheit im Übertragungsnetz durch Redispatch-Maßnahmen 2010“ noch davon ausgegangen worden, dass es unver- hältnismäßig sei, wenn ein Kraftwerk, gemessen an der installierten Leistung, mehr als 5% dieser Leistung pro Jahr für Redispatch-Zwecke zur Verfügung stellen müsse (Bl. 7 VV). In diesem Fall sei entweder eine besondere Vergütung zu gewähren oder ein anderes Kraftwerk auszuwählen (Bl. 7 VV).
324Der hier vorgegebene erhebliche Schwellenwert verursacht eine Ungleichbehand- lung vergleichbarer Sachverhalte, die nicht überzeugt. Es ist angesichts der gravie- renden finanziellen Konsequenzen für die Kraftwerksbetreiber kein Grund ersichtlich, warum etwa bei einem Redispatch-gesteuerten Einsatz eines Kraftwerks von 10,0% keinerlei Leistungsentgelt gezahlt werden soll, darüber hinaus, ab z.B. 10,1%, sogar ein „Vollkostenersatz“ und gegebenenfalls, wie etwa in den „J.-Verträgen“ ver- einbart, eine Eigenkapitalverzinsung möglich sein soll.
325Auch soweit in der mündlichen Verhandlung die Vertreter der Bundesnetzagentur vorgetragen haben, dass die Beschränkung auf die variablen Kosten bis zum 10%- Schwellenwert sachgerecht sei, weil man davon ausgehe, dass die Investitionspla- nung eines Kraftwerks eine Unsicherheitsmarge abdecke, überzeugt dies den Senat nicht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb Sicherheitsreserven bei der Investitionsplanung der öffentlichen Hand zugutekommen sollen. Dass ggfs. auch Kraftwerksbetreiber zur Systemstabilität beitragen müssen, trifft zwar zu (vgl. etwa § 13 Abs. 2 EnWG).
326Wie bereits dargestellt, tragen aber vor allem die Übertragungsnetzbetreiber die Sys- temverantwortung. Die Kraftwerksbetreiber wirken nur nachrangig mit. Es ist nicht plausibel, dass – wie für das Redispatch typisch – immer wieder dieselben Kraftwer- ke im Interesse der Allgemeinheit weitgehend entschädigungslos Sonderleistungen erbringen oder sogar ihre Sicherheitsreserven bei der Investitionsplanung wiederkeh- rend im Interesse der Allgemeinheit auflösen sollen.
327Darüber hinaus geht die Bundesnetzagentur davon aus, dass die „Bagatellgrenze“ bei 0,9% der Einspeisemengen des Vorjahres einer Anlage liege. Andererseits soll
328„kein Ausnahmefall“, also ein Redispatch-„Normalfall“, bei dem Kraftwerke Redis- patch als Teil der normalen Geschäftstätigkeit betreiben, vorliegen, wenn mehr als 10% Redispatch-Leistung erbracht werden. Ist aber ein Einsatz bis zu 10% als „Aus- nahmefall“ anzusehen, ist nicht nachvollziehbar, wieso dann noch – eine weitere – Bagatell- oder Ausnahmegrenze geschaffen worden ist („doppelter Ausnahmefall“).
329Es ist darüber hinaus gleichheitswidrig, einem Kraftwerk, das im Vorjahr nicht einge- speist hat, kein Leistungsentgelt zu gewähren. Es ist zwar nachvollziehbar, dass die Bundesnetzagentur durch den Bezug auf den Einsatz im Vorjahr die Abrechnung erleichtern und Manipulationen vermeiden will. Dies benachteiligt aber Kraftwerke, etwa das C., also in der Regel hochmoderne Kraftwerke, die erstmals am Markt tätig sind. Dass für das Vorjahr aufgrund der gewählten Abrechnungsmethode keine Da- ten vorliegen, genügt nicht, diese Ungleichbehandlung zu rechtfertigen und Anlagen- betreiber, die möglicherweise weit mehr als 10% ihrer Einspeisemenge zum Redis- patch einsetzen, vollständig von einem Leistungsentgelt auszuschließen. Ggfs. sind die Daten zu schätzen oder – da keine Vorjahreswerte vorliegen – die Zahlen des laufenden Jahres als Anhaltspunkt zu nehmen.
330d) EU-Recht
331Tenorziffer 5 ist darüber hinaus auch im Hinblick auf die europa- und kartellrechtli- chen Vorschriften bedenklich. Ein Leistungsentgelt muss im Hinblick auf EU-Beihilfe- und Kartellvorschriften europarechtskonform ausgestaltet sein. Die „J.- Verträge“ haben gezeigt, dass die wenig konkrete Tenorziffer 5 kartellrechtswidrige und gegen Art. 101 AEUV verstoßende Vereinbarungen erlaubt. Die offene Formulie-
332rung der Tenorziffer 5 schließt eine derartige Vereinbarung nicht nur aus, sondern legt eine solche aufgrund der mit dem Schwellenwert verbundenen Anteilsregelung sogar eher nahe.
333Das Bundeskartellamt hat in seiner Stellungnahme plausibel erläutert, dass durch die vertragliche Gestaltung eine Beschränkung der Stromerzeugung, mithin eine wett- bewerbsbeschränkende Absprache nach Art. 101 Abs. 1 AEUV getroffen worden ist. Das Bundeskartellamt hat insoweit nachvollziehbar und ausführlich dargelegt, wie durch die umgekehrt proportionale Vergütungsregelung ein Anreiz gesetzt wird, ein Kraftwerk in möglichst geringem Umfang marktgetrieben einzusetzen. Da ein markt- getriebener Einsatz bereits erfolgt, wenn die Grenzkosten gedeckt sind, bei einem Redispatch-Einsatz aber die Kraftwerkskosten insgesamt zugrunde gelegt werden, besteht ein erheblicher Anreiz, das jeweilige Kraftwerk so wenig wie möglich markt- getrieben einzusetzen. So können etwa alle Fixkosten eines Kraftwerks zuzüglich eines Gewinns bzw. einer Eigenkapitalverzinsung (Anlehnung an die StromNEV) im Rahmen der Redispatch-Vereinbarung abgerechnet werden, wenn auf einen Markt- einsatz des jeweiligen Kraftwerks verzichtet würde.
334Ein bestimmter Schwellenwert verschärft die kartellrechtlichen Bedenken. Es bleibt die Gefahr, dass durch einen entsprechenden Kraftwerkseinsatz versucht werden könnte, den Schwellenwert zu erreichen. Auch kann der Schwellenwert im Hinblick auf die Merit Order zu zufälligen Ergebnissen führen und die Einsatzreihenfolge un- gewollt verändern.
335Da ein Leistungsentgelt auch Kapazitätselemente vergütet, sind auch die europa- rechtlichen Beihilfevorgaben zu beachten. Ein Leistungsentgelt ist jedenfalls im Grundsatz auch beihilferechtlich, bei entsprechender Ausgestaltung, europarechtlich gemäß Art. 107 Abs. 1 und 3 AEUV zulässig (vgl. etwa zum Britischen Kapazitäts- markt: Entscheidung der Europäischen Kommission C (2014) 5083 final, SA.35980 vom 23.07.2014, „United Kingdom Electricity market reform – Capacity market“, Anm. hierzu Helbig, ER 2015, 9, Riewe, EWeRK 2014, 358).
336e) „Abstimmung“
337Der Senat hat keine Bedenken, dass eine vertragliche Vereinbarung über ein Leis- tungsentgelt mit der Bundesnetzagentur „abzustimmen“ ist, wenn auch die Bezeich- nung „abzustimmen“ nicht eindeutig juristisch einzuordnen ist. Der Begriff ist hier im Sinne einer Genehmigungs- oder Anzeigepflicht gemeint.
338Die Bundesnetzagentur ist ermächtigt, in einer Festlegung „Kriterien für eine ange- messene Vergütung“ zu bestimmen. Der Begriff „Kriterien“ erfasst nicht nur die Be- stimmung bestimmter Preisregeln, sondern auch die praktische Handhabung und verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Vergütungsregelung. Ohne eine Mitteilungs-, Anzeige- oder Genehmigungspflicht an die Bundesnetzagentur bestünde die Gefahr, dass Übertragungsnetzbetreiber und Redispatch-Betroffene Verträge zu überhöhten oder wettbewerbswidrigen Konditionen abschließen könnten.
339- 9.340
Tenorziffer 6
Die obigen Ausführungen gelten sinngemäß auch für den spannungsbedingten Re- dispatch, so dass die Festlegung auch insoweit rechtswidrig ist.
342- 10.343
Tenorziffer 7
Soweit die Festlegung bestimmte Vorlage-, Mitteilungs- und Nachweispflichten nor- miert, ist dies nicht zu beanstanden.
345§ 12 Abs. 4 EnWG sieht eine weitreichende Pflicht vor, notwendige Informationen auszutauschen, die auch Redispatch-bedingte Informationspflichten erfasst. Es kann daher dahinstehen, ob auch § 13 Abs. 1a S. 3 EnWG zum entsprechenden Aus- tausch der notwendigen Informationen ermächtigt. Auch bei Redispatch-Maßnahmen sind zur Abwicklung und Abrechnung zahlreiche Informationen erforderlich, um kurz- fristig Daten zwischen Übertragungsnetzbetreiber und Anlagenbetreiber auszutau- schen. Soweit während der Übergangsfrist (Tenorziffer 9) abweichende Nachweis- pflichten zu beachten waren, bedarf es nach Ablauf der Frist keiner Entscheidung mehr, ob diese unverhältnismäßig waren.
346- 11.347
Haftung
Hinsichtlich der Ausführungen zur Haftung der Übertragungsnetzbetreiber (Begrün- dung der Festlegung, S. 18) fehlt es bereits an einer eindeutigen Regelungswirkung. Die Vertreter der Bundesnetzagentur haben in der mündlichen Verhandlung klarge- stellt, dass keine Regelung habe getroffen werden sollen.
349Es ist im Übrigen auch nicht nachvollziehbar, wieso die Haftung der Übertragungs- netzbetreiber von vornherein pauschal eingeschränkt, kein kausaler Zusammenhang
350„vermutet“ werden soll, nur weil mögliche Schäden auch im normalen Betrieb hätten auftreten können. Die Kraftwerksbetreiber ändern die Fahrweise Ihrer Kraftwerke im Interesse der Übertragungsnetzbetreiber, damit diese ihrer Systemverantwortung nachkommen können. Der Rechtsgedanke des Auftragsrechts, der Anlagenbetreiber wird vor allem im Interesse des Übertragungsnetzbetreibers tätig, spricht eher gegen eine derartige Verlagerung der Haftung. Im Auftragsrecht ist anerkannt, dass der Be- auftragte einen Ersatzanspruch wegen der in Folge der Auftragsausführung erhöhten Gefahr entstandener Schäden selbst dann gegen den Auftraggeber hat, wenn der Auftraggeber ohne Verschulden gehandelt hat („Risikohaftung des Auftraggebers“,
351„tätigkeitsspezifische Risiken“ in Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko: Mansel in Jauernig, 15. Auflage 2014, § 670 BGB, Rn. 5 ff.; Seiler in Münchener Kommentar,
3526. Auflage 2012, § 670 BGB, Rn. 14). Auch § 13 Abs. 4 EnWG sieht eine Haftungser- leichterung für die Übertragungsnetzbetreiber nur bei Maßnahmen nach § 13 Abs. 2 EnWG, nicht aber bei Redispatch-Maßnahmen nach § 13 Abs. 1a EnWG vor (vgl. König in Säcker, Energierecht, 3. Auflage 2014, § 13, Rn. 125).
III.
353Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.
354Den Beschwerdewert hat der Senat bereits im Termin vom 21.01.2015 im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung und nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten auf 50.000 Euro festgesetzt (§ 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO).
355Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen, weil die streitgegenständliche Fragen grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Ent- scheidung des Bundesgerichtshofs entsprechend § 86 Abs. 2 Nr. 2 EnWG erfordert.
356Rechtsmittelbelehrung:
357Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 546, 547 ZPO). Sie ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwer- deentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen bei dem Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz bin- nen eines Monats zu begründen. Die Frist beginnt mit der Einlegung der Beschwerde und kann auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung ent- halten, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhe- bung beantragt wird. Rechtsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Rechtsbe- schwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§§ 88 Abs. 4 S. 2, 80 S. 2 EnWG).
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Referenzen
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