Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - I-1 U 135/14
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 18. August 2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
1
T a t b e s t a n d :
2Der Klage liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, der sich am 24. Juli 2002 ereignet hat und von welchem der am 25. Dezember 1962 geborene Kläger als Fahrer eines Pkw im Zusammenhang mit einem Kreuzungsunfall betroffen war. Die volle Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig. Der Beklagte zu 2) hatte als Fahrer eines Lastkraftwagens, dessen Haftpflichtversicherer die Beklagten zu 1. ist, einen Schwächeanfall erlitten und stieß nach vorangegangenen Kollisionsereignissen mit anderen Fahrzeugen infolge eines Rotlichtverstoßes mit dem Wagen des Klägers zusammen. Dieser erlitt dabei eine Prellung am rechten Unterschenkel und leichte Hautläsionen an der rechten Hand sowie im Bereich des rechten Ohrs. Seiner Behauptung gemäß soll der Kläger zusätzlich von einer leichten Distorsionsschädigung der Halswirbelsäule betroffen gewesen sein. Er war bis zum 19. August 2002 krankgeschrieben.
3Der Kläger, der bis zum Unfallereignis als Bergmann tätig war, nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen eines Verdienstausfallschadens in der Zeit vom 1 Juli 2003 bis zum 30. November 2010 in Anspruch. Unter Anrechnung von Rentenleistungen der Knappschaft sowie von Krankengeld- und Arbeitslosengeldzahlungen beziffert der Kläger seinen Verdienstausfallschaden mit 73.068,83 €. Seit dem 1. Dezember 2010 bezieht der Kläger eine Knappschaftsrente wegen teilweiser Erwerbsminderung und seit dem 1. Juni 2011 eine volle Erwerbsminderungsrente.
4Der Senat hatte mit Berufungsurteil vom 11. Juni 2006 zum dem Aktenzeichen I – 1 U 23/06 die Feststellung ausgesprochen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den durch den Unfall entstandenen und noch entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht von einem Forderungsübergang betroffen sind.
5Der Kläger behauptet, er leide aufgrund des Unfalls an einem gravierenden posttraumatischen Belastungssyndrom, welches die Ursache für seine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit sei.
6Der Kläger hat beantragt,
71.
8die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 73.068,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2011 zu zahlen;
92.
10die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.165,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2011 zu zahlen.
11Die Beklagten haben beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie haben behauptet, die unfallbedingte Behandlung des Klägers sei bis zum Datum des 14. August 2002 vollständig abgeschlossen gewesen. Dessen Berentung sei nicht unfallbedingt erfolgt, sondern wegen gravierender körperlicher und gesundheitlicher Vorschäden. Allein schon diese Vorbeeinträchtigungen begründeten eine Erwerbsunfähigkeit, selbst wenn noch die – bestrittenen – psychischen Beschwerden hinzu kämen. Darüber hinaus haben die Beklagten die sachliche und rechnerische Richtigkeit der klägerischen Erwerbsschadensberechnung in Abrede gestellt. Dem Kläger sei auch ein Verstoß gegen seine Schadensminderungsobliegenheit anzulasten, weil er seine verbliebene und gutachterlich festgestellte Arbeitskraft nicht verwertet habe. Hilfsweise haben die Beklagten die Verjährungseinrede bezüglich aller bis zum 31. Dezember 2008 entstandenen Ansprüche erhoben.
14Durch die angefochtene Entscheidung hat das Landgericht nach Einholung eines psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens der Sachverständigen XXX die Klage abgewiesen.
15Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger sei nicht der Nachweis gelungen, dass er aufgrund des Unfalls ein posttraumatisches Belastungssyndrom oder eine sonstige psychische Störungen mit der Folge der Erwerbsunfähigkeit erlitten habe. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach Maßgabe des § 286 Abs. 1 ZPO habe sich nicht die Überzeugung von der Richtigkeit des anspruchsbegründenden Vorbringens des Klägers gewinnen lassen. Die Sachverständige XXX habe nicht das für eine posttraumatische Belastungsstörung typische Beschwerdebild im Hinblick auf die Kriterien eines wiederkehrenden, unwillkürlichen Wiedererlebens des Traumageschehens, einer gesteigerten Erregbarkeit sowie eines Vermeidungsverhaltens feststellen können. Nach den Erkenntnissen der Sachverständigen sei ein kausaler Zusammenhang zwischen einer etwaigen Erwerbsunfähigkeit des Klägers mit dem Unfallgeschehen nicht zu begründen.
16Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Er verfolgt seine erstinstanzlichen Schlussanträge weiter und macht dazu Folgendes geltend:
17Das Landgericht habe in verfahrensfehlerhafter Weise – und zwar unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des rechtlichen Gehörs – von der beantragten Einholung eines „Obergutachtens“ abgesehen, ohne diese Unterlassung zu begründen. Die Notwendigkeit einer ergänzenden Sachaufklärung ergebe sich bereits aufgrund der Tatsache, dass die gerichtlich bestellte Gutachterin keine traumatologisch spezialisierte Sachverständige sei. Im Übrigen habe sie auch ausdrücklich die Erforderlichkeit der Beibringung von neueren Gutachten der Renten- oder Krankenversicherung angesprochen. Darauf habe er, der Kläger, mit der Überreichung eines aktualisierten Rentengutachtens vom 13. Februar 2014 reagiert, ohne dass das Landgericht die geboten gewesene weitere Begutachtung durch einen spezialisierten Sachverständigen veranlasst habe.
18Der Kläger beantragt,
19unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen erstinstanzlichen Schlussanträgen zu erkennen.
20Die Beklagten beantragen,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Sie treten dem gegnerischen Rechtsmittelvorbringen im Einzelnen entgegen und verteidigen die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Im Übrigen wird auf das psychiatrisch-psychotherapeutische Gutachten der Sachverständigen XXX ( Sonderhefter ) sowie auf deren Nachtragsgutachten vom 13. April 2014 ( Bl. 172 ff ) Bezug genommen.
24E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
25Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
26Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger bleibt für die Richtigkeit seiner Behauptung beweisfällig, dass sich bei ihm infolge des Unfallereignisses vom 24. Juli 2002 eine Körperverletzung oder Gesundheitsbeeinträchtigung eingestellt hat, die bezogen auf den klagegegenständlichen Zeitraum zu einer mehrjährigen Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Der Senat zieht nicht in Zweifel, dass sich der Kläger in einem schlechten körperlichen Allgemeinzustand befindet, der durch gesundheitliche Beeinträchtigungen physischer und psychischer Art bedingt ist. Es lässt sich allerdings nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen, dass seine Arbeitsunfähigkeit ihre (Mit)Ursache in einer durch das Kollisionsereignis ausgelösten posttraumatischen Belastungsstörung oder in einem anderen unfallbedingten psychischen Krankheitsbild hat. Nach dem Ergebnis der umfassenden erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung spricht die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die jahrelange Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf unfallunabhängige körperliche und psychische Leistungsdefizite des Klägers zurückzuführen ist.
27Das Berufungsvorbringen des Klägers gibt keinen Anlass zu einer ergänzenden Sachaufklärung durch Einholung eines beantragten „Obergutachtens“ gemäß § 412 Abs. 2 ZPO oder zu einer Entscheidung gemäß § 538 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO wegen der gerügten Verfahrensfehlerhaftigkeit des erstinstanzlichen Erkenntnisverfahrens. Das Landgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt durch Einholung gutachterlicher Stellungnahmen einer gerichtlich bestellten psychiatrisch-psychotherapeutischen Sachverständigen hinreichend aufgeklärt. Deren in sachlich fundierter und überzeugender Weise dargelegten Erkenntnisse lassen aus einer Vielzahl von Gründen nicht mit der für eine Verurteilung der Beklagten erforderlichen Gewissheit den Rückschluss darauf zu, dass die Ursache für die langjährige Arbeitsunfähigkeit des Klägers eine posttraumatische Belastungsstörung, eine depressive Anpassungsstörung oder eine vergleichbare psychische Beeinträchtigung ist, die sich kausal oder mitursächlich aus dem Schadensereignis vom 24. Juli 2002 erklärt.
28I.
29Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 152, 254, 258). Derartige Zweifel sind im Hinblick auf die Richtigkeit der klageabweisenden Entscheidung und darauf gestützten Feststellungen des Landgerichts im Wesentlichen nicht gegeben.
30Der Kläger macht zwar zu Recht geltend, dass das Landgericht seine Feststellungen auf die Erkenntnisse der gerichtlich bestellten psychiatrisch-psychotherapeutischen Sachverständigen XXX gestützt hat, ohne sich mit den entgegenstehenden Ausführungen der klägerischen Privatgutachterin, der Diplom-Psychologin XXX, und der von dieser angeregten Einholung eines weiteren Gutachtens eines auf den Gebieten der Traumadiagnostik und des Sozialrechts spezialisierten Sachverständigen auseinandergesetzt zu haben. Im Falle sich widersprechender Gutachten darf ein Gericht den Streit der Sachverständigen – unabhängig davon, ob gerichtlich oder privat bestellt – nicht dadurch entscheiden, dass es ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (BGH NJW-RR 2009, 1192).
31Auch hat das Landgericht bei seiner Beweislastentscheidung nicht bedacht, dass wegen der unstreitig eingetretenen Primärverletzungen des Klägers zu seinen Gunsten für die Streitfrage des unfallbedingten Eintritts psychischer Folgebeeinträchtigungen die Beweismaßerleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO einschlägig ist. Im Ergebnis erweisen sich jedoch die Berufungsangriffe als unbegründet. Die Darlegungen der Privatgutachterin XXX lassen in Verbindung mit dem durch den Kläger nachträglich überreichten Rentengutachten des sozialmedizinischen Dienstes XXX aus dem Monat Februar 2014 nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit die Feststellung zu, dass er unfallbedingt von einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven Anpassungsstörung oder einer vergleichbaren psychischen Beeinträchtigung betroffen war oder es noch ist. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers hat aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Ursache in seinem angegriffenen körperlichen und gesundheitlichen Zustand, der bereits vor dem Kollisionsereignis vom 24. Juli 2002 vorhanden war und sich über die Jahre progredient fortentwickelt hat.
32Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist aufgrund der zahlreich zu den Akten gelangten (fach)ärztlichen Stellungnahmen und durch die Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen hinreichend geklärt.
33II.
341 )
35In seiner Klageschrift vom 23. Dezember 2011 stellt der Kläger den entscheidungserheblichen Sachverhalt deutlich verkürzt dar, in dem er seine vorbestehenden körperlichen und gesundheitlichen Defizite unerwähnt lässt sich auf die Behauptung eines durch das Schadensereignis ausgelösten posttraumatischen Belastungssyndroms mit der Folge einer Erwerbsunfähigkeit beschränkt (Bl. 2 ff. d.A.).
362 a )
37Nach dem Unfall vom 24. Juli 2002 hat ausweislich des Akteninhalts erstmals eine gesundheitliche und körperliche Statuserhebung im Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Klägers in der Reha-Einrichtung XXX in der Zeit vom 29. September bis zum 30. Oktober 2003 stattgefunden. Den Einrichtungsbericht vom 20. Januar 2004 hat der Kläger als Anlage zu seinem Schriftsatz vom 2. November 2012 zu den Akten gereicht. Der Aufnahmebefund lässt keine Auffälligkeiten in psychischer Hinsicht erkennen; der neurologische Status des Klägers wurde als unauffällig beschrieben (S. 2). Nicht nachvollziehen lässt sich deshalb die Richtigkeit der Darlegung der Privatgutachterin XXX in ihrer Stellungnahme vom 1. November 2004, es sei bereits am 9. Oktober 2003 in der Reha-Klinik XXX neben einer posttraumatischen Belastungsstörung noch eine leichte depressive Episode diagnostiziert worden. Zwar sind in dem Entlassungsbericht vom 20. Januar 2004 als Aufnahmebefund u.a. auch nächtliche Durchschlafstörungen erwähnt. Diese werden aber nicht auf irgendwelche psychische Beeinträchtigungen zurückgeführt, sondern auf Nackenverspannungen und Hinterkopfschmerzen, die im Zusammenhang mit der Eingangsdiagnose eines chronischen HWS-Syndroms ( Degenerationserscheinungen der Halswirbelsäule im Bereich des Segmentes C 5/C 6 ) stehen. Darüber hinaus sind dem Kläger bei der Eingangsuntersuchung eine Fettleibigkeit (Adipositas) sowie eine atopische Dermatitis attestiert worden. Alle diese Beeinträchtigungen können nicht mit dem Unfallereignis in Verbindung gebracht werden. Soweit in dem Abschlussbericht der Reha-Einrichtung ausgeführt ist, der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt „zur Zeit nicht einsetzbar“, wird diese Verwendungsunfähigkeit allein mit „dauernden Kopfschmerzen“ begründet.
38b )
39Das für die Beklagte zu 1) erstattete fachchirurgische Gutachten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik XXX vom 27. April 2004 listet weitere unfallunabhängige Erkrankungen und körperliche Beeinträchtigungen des Klägers auf. Dazu zählen eine rezidivierendes inkomplettes S 1-Syndrom rechts, ein Schlafapnoesyndrom, eine arterielle Hypertonie sowie ein Zustand nach Meniskusoperation im rechten Kniegelenk in den Jahren 1977 und 1999 (Bl. 54 d.A.).
403 )
41Soweit der Kläger erstinstanzlich die Behauptung aufgestellt hat, es habe sich unfallbedingte auch eine Verletzung der Halswirbelsäule eingestellt, kann es sich dabei allenfalls um eine leichte Distorsionsschädigung der Halswirbelsäule gehandelt haben, die nach spätestens einem Monat ausgeheilt war. Denn – auch unfallnah -– in der Zeit zwischen dem 29. Juli 2002 und dem 31. Januar 2003 durchgeführte bildgebende Untersuchungen der Halswirbelsäule des Klägers führten zu der Erkenntnis, dass im HWS-Bereich traumatische Folgeschäden ausgeblieben, hingegen deutliche degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule zu diagnostizieren waren. Dazu
42zählten u.a. spitzarthrotische Ausziehungen zwischen den Halswirbelkörpern 2 und 5. Darüber verhält sich das berufsgenossenschaftliche fachchirurgische Gutachten vom 27. April 2004 (Bl. 56, 57 d.A.).
434 )
44Nach den Feststellungen des Landgerichts erlitt der Kläger bei dem Unfall eine Prellung am rechten Unterschenkel sowie eine leichte Hautläsion an der rechten Hand und an der rechten Ohrregion. Zusätzlich mag er auch von einer leichten Distorsionsschädigung der Halswirbelsäule betroffen gewesen sein, die sich nach den gutachterlichen Erkenntnissen jedoch nicht nachteilig auf die vorbestehende Degenerationssituation ausgewirkt hatte. Von Bedeutung ist, dass in dem berufsgenossenschaftlichen Gutachten die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf die Zeitspanne vom 24. Juli 2002 bis zum 19. August 2002 beschränkt angegeben ist und die unfallbedingten Verletzungen als vollständig abgeheilt beurteilt werden. Für spätere Zeiträume attestierte Arbeitsunfähigkeiten werden als Folge des vorbestehenden ausgeprägten Verschleißleidens der Halswirbelsäule und nicht mehr als Auswirkung des Unfallgeschehens beschrieben (Bl. 59 d.A.). Stimmig dazu hat die Bergbau-Berufsgenossenschaft in ihrer Zuschrift vom 3. Februar 2004 an die Beklagte zu 1) die Dauer der Arbeitsunfähigkeit sowie Behandlungsbedürftigkeit des Klägers auf die Zeit vom 24. Juli 2002 bis zum 19. August 2002 eingegrenzt (Bl. 50 d.A.).
455 )
46Der anhaltende und mit der Zeit zunehmende Verlauf der internistischen und orthopädischen Erkrankungen des Klägers wird durch den Inhalt des Rentengutachtens des Sozialmedizinischen Dienstes in XXX als Dienststelle der K. B,.S. vom 9. Februar 2011 (Anlage zur Klageschrift) verdeutlicht. Danach war der Kläger zum Zeitpunkt seiner Begutachtung am 7. Februar 2011 von einer ausgeprägten Minderbelastbarkeit der Herz-Kreislauforgane bei schwerer hyperintensiver Herzkrankheit, von einer deutlichen Minderbelastbarkeit des Atmungstraktes bei chronischer obstruktiver Lungenerkrankung und Funktionsstörungen der oberen Luftwege in Verbindung mit einem Schlaf-Apnoe-Syndrom, von einer deutlichen Minderbelastbarkeit der Halswirbelsäule und des Schultergürtels bei degenerativen Bandscheibenleiden der Halswirbelsäule mit Cervicobrachialgie- und Chervicocephalgie-Syndrom, von einer mäßiggradigen Minderbelastbarkeit der Lendenwirbelsäule und der unteren Extremitäten bei einem degenerativen Lumbalsyndrom, von einer Gonarthrose beidseits sowie von einer Meniscopathie betroffen (Bl. 6, 7 d. Gutachtens).
476 )
48Da – wenn auch leichtere -- unfallbedingte Primärverletzungen des Klägers festzustellen sind, betrifft die zwischen den Parteien streitige Frage, ob dem Kläger durch den Unfall weitere psychische Folgen aus der Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit erwachsen sind, die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität. Soweit die Primärverletzung als solche bewiesen ist, richtet sich daher die Beurteilung der Unfallbedingtheit der Folgeschäden nach dem erleichterten Beweismaßstab des § 287 ZPO, so dass je nach Lage des Einzelfalls eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung ausreicht (BGH NJW 2004, 2828; BGH NJW 1992, 3292). Für diese Einschätzung ist es unerheblich, ob es sich um organisch oder psychisch bedingte Folgewirkungen handelt (Senat, Urteil vom 8. Februar 2011, Az: I – 1 U 56/10; KG Berlin, VersR 2004, 1193; Halm/Staab, DAR 2009, 677, 678).
497 )
50Darüber hinaus lässt der Senat nicht außer Acht, dass eine Mitursächlichkeit des Unfallereignisses, sei sie auch nur „Auslöser“ neben anderen erheblichen Umständen, einer Alleinursächlichkeit in vollem Umfang gleichsteht (BGH NJW-RR 2005, 897). Der Schädiger hat auch keinen Anspruch darauf, auf ein gesundes Unfallopfer zu treffen. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre. Dementsprechend ist die volle Haftung auch dann zu bejahen, wenn der Schaden auf einem Zusammenwirken körperlicher Vorschäden und den Unfallverletzungen beruht, ohne dass die Vorschäden richtunggebend verstärkt werden müssen (BGH NJW-RR 2005, 897, 898).
518 a )
52Die Zurechnung psychischer Folgeschäden zu Lasten des Unfallhaftpflichtigen findet aber ihre Grenze dort, wo die psychische Reaktion, weil in einem groben Missverhältnis zum konkreten Anlass stehend, schlechterdings nicht mehr verständlich ist. Dies kommt insbesondere bei ganz geringfügigen, nicht speziell die Schadensanlage des Verletzten treffenden Primärverletzungen in Betracht (Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 3, Rdnr. 197 mit Hinweis auf BGHZ 132, 341, 346 sowie BGHZ 137, 142).
53b )
54Die durch den Kläger erlittene Unterschenkelprellung sowie die Hautläsionen an der rechten Hand sowie im Bereich des rechten Ohrs mögen als Bagatellverletzungen einzuordnen sein. Zu berücksichtigen ist aber, dass der Kläger wahrscheinlich auch von einer leichten Distorsionsschädigung der Halswirbelsäule betroffen war. Als nicht geringfügig im Hinblick auf die Zurechnung psychischer Folgeschäden kann ein Halswirbelschleudertrauma in Verbindung mit Prellungen anderer Körperteile gewertet werden (BGH, Urteil vom 10. Juli 2012, Az.: VI ZR 127/11; NZV 2012, 527). Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Zusammenstoß mit dem durch den Beklagten zu 2. im Zustand der Schuldunfähigkeit gesteuerten Lkw nach dem subjektiven Empfinden des Klägers für ihn kein Bagatellunfall war. Bei der in Rede stehenden Haftungsbegrenzung handelt es sich ohnehin um eine Ausnahme von der an sich mit dem Schadensereignis verbundenen haftungsrechtlichen Zurechnung, so dass an die Annahme eines Bagatellfalls strenge Anforderungen zu stellen sind (BGH VersR 1998, 201). Der Senat sieht deshalb keinen Anlass, im Hinblick auf Art und Umfang der Unfallverletzungen des Klägers den haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang zu negieren.
55III.
56Von streitentscheidender Bedeutung ist aber, dass der Kläger für die Richtigkeit seiner Behauptung beweisfällig bleibt, es habe sich bei ihm als Unfallfolge ein posttraumatisches Belastungssyndrom oder eine depressive Anpassungsstörung oder eine vergleichbare psychische Beeinträchtigung eingestellt, welche die Ursache für seine jahrelange Arbeitsunfähigkeit sein soll. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger unstreitig vor dem 24. Juli 2002 in psychischer Hinsicht unauffällig war. Es spricht die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass der für den klagegegenständlichen Zeitraum vom 1. Juli 2003 bis zum 30. November 2010 geltend gemachte Erwerbsschaden in Höhe von 73.068,83 € auf unfallunabhängige Leistungsdefizite des Klägers zurückzuführen ist. Wie bereits ausgeführt, verhält sich die berufsgenossenschaftliche Bescheinigung vom 3. Februar 2004 nur darüber, dass der Kläger wegen der Unfallfolgen in der Zeit vom 24. Juli 2002 bis zum 19. August 2002 arbeitsunfähig und behandlungsbedürftig war (Bl. 50 d.A.).
57Die durch ihn beauftragte Privatgutachterin, die Diplom-Psychologin XXX, hat in ihrer Stellungnahme vom 25. November 2013 eingeräumt, es sei die Diagnose des posttraumatischen Belastungssyndroms gutachterlich umstritten (Bl. 156 d.A.). Der Kläger versucht mit Hilfe der gutachterlichen Ausführungen XXX, die Richtigkeit seiner Behauptung des unfallbedingten Eintritts der geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen unter Beweis zu stellen. Zumindest soll die Notwendigkeit der Einholung eines „Obergutachtens“ „durch einen sowohl in der Traumadiagnostik (Traumafolgeschäden) und im Sozialrecht (Funktionseinschränkungen durch psychische Folgeschäden nach Verkehrsunfällen) hoch qualifizierten Gutachter/Gutachterin‘‘ (Stellungname XXX vom 25. November 2013 am Ende) dargelegt werden. Dies gelingt dem Kläger angesichts des eindeutigen Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht. Insoweit hilft dem Kläger auch nicht der Bericht über seine rentenbezogene Nachuntersuchung durch den sozialmedizinischen Dienst XXX vom 13. Februar 2014 als Anlage zu seinem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 27. Juni 2014 (Bl. 188 ff. d.A.) weiter. Nach dem Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen XXX vom 10. August 2013 sowie im Hinblick auf ihr Nachtragsgutachten vom 13. April 2014 in Verbindung mit dem Rentengutachten des sozialmedizinischen Dienstes XXX für die K. B. S. vom 9. Februar 2011 lässt sich aus mehreren Gründen nicht die Erkenntnis gewinnen, dass sich bei dem Kläger überhaupt das Krankheitsbild eines posttraumatischen Belastungssyndroms oder einer vergleichbaren psychischen Störung eingestellt hat. Ohne Erfolg versucht der Kläger, die im Ergebnis richtige Beweiswürdigung des Landgerichts mittels der gutachterlichen Ausführungen der Privatsachverständigen in Zweifel zu ziehen. Deren diagnostische Schlussfolgerungen beruhen auf nicht validen Tatsachengrundlagen, teilweise sind die Ausführungen in sich widersprüchlich. Diese Mängel hat die gerichtlich bestellte Sachverständige in ihren gutachterlichen Stellungnahmen vom 10. August 2013 und vom 13. April 2014 deutlich herausgestellt.
58IV
591 )
60Vergeblich bemüht sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung zunächst, die fachliche Qualifikation der Sachverständigen XXX für die Beantwortung der Beweisfragen in Zweifel zu ziehen und die vermeintliche Notwendigkeit der Einholung eines interdisziplinären Gutachtens zur Streitfrage des Vorliegens eines posttraumatischen Belastungssyndroms aufzuzeigen.
61Die gerichtlich bestellte Sachverständige hat bereits in ihrem Nachtragsgutachten vom 13. April 2014 im Einzelnen dargelegt, in den vergangenen 15 Jahren hunderte von psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachten für Gerichtsverfahren mit unterschiedlichen sozialrechtlichen Fragestellungen erstellt zu haben – u.a. zu der Schwerpunktfragestellung psychischer Traumatisierungen. Darüber hinaus hat sie glaubhaft dargelegt, in ihrem psychotherapeutischen Praxisbetrieb regelmäßig mit traumatisierten Patienten befasst zu sein (Bl. 172 d.A.). Die gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen XXX sind widerspruchsfrei sowie überzeugend dargelegt und erscheinen stimmig im Hinblick auf die zu den Akten gelangten ärztlichen Behandlungsunterlagen. Bemerkenswert ist insbesondere, dass die Sachverständige am Ende ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 13. April 2014 bei der Prüfung der Kausalitätsfrage zwischen dem Unfallereignis und einer psychischen Störung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht korrekt den Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit angelegt hat (Bl. 175 d.A.). Dies ist nach den einschlägigen Erfahrungen des Senats für die gutachterliche Tätigkeit eines gerichtlich bestellten medizinischen oder psychologischen Sachverständigen im Falle des feststehenden Eintritts von Primärverletzungen – leider – nicht die Regel. Nicht zuletzt dieser Umstand verdeutlicht die forensische Erfahrung der Sachverständigen XXX.
622 a )
63Eine posttraumatische Belastungsstörung nach ICD 10 F 43.1 setzt eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaߠ voraus, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (BGH, Urteil vom 10. Juli 2012, Az.: VI ZR 127/11). Die Sachverständige XXX hat in ihrem Gutachten vom 10. August 2013 das Beschwerdebild konkretisiert, mit Hilfe dessen sich die psychische Störung eines posttraumatischen Belastungssyndroms verifizieren lässt. Es zeichnet sich aus durch ein wiederkehrendes, unwillkürliches Wiedererleben des Traumageschehens (Intrusion), durch eine gesteigerte Erregbarkeit (Hyperarousal) sowie durch ein Vermeidungsverhalten (Avoidance). Sodann hat die Sachverständige auf der Grundlage der Ergebnisse ihrer persönlichen Untersuchung des Klägers, seiner anamnestischen Angaben und der testpsychologischen Untersuchungen (Mehrfachwahl Wortschatz-Intelligenztest, Beck’sches Depressions Inventur, Freiburger Persönlichkeits Inventar) in überzeugender Weise dargelegt, dass sich nicht – jedenfalls nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit – das Vorliegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms anhand der vorgenannten drei Kriterien feststellen lässt. Insoweit nimmt der Senat auch Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (Bl. 5-6 UA; Bl. 214-215 d.A.).
64b )
65Die Sachverständige hatte den Eindruck gewonnen, dass auf den Kläger zu beziehende Beschwerdebild sei nach klinischer Erfahrung untypisch für das Vorhandensein eines posttraumatischen Belastungssyndroms. Bei der Exploration des Unfallhergangs sei der Kläger in seinen Angaben vage geblieben, ein tief verstörendes, existentiell bedrohliches Erleben während des Unfalls, wie es für die Diagnose unbedingt zu fordern sei, könne seinen Schilderungen nicht entnommen werden. Deutlich seien in der Exploration Gefühle von Wut und Kränkung wegen der Erlebnisse nach dem Unfall geworden, nicht jedoch wegen des Unfallereignisses selbst. In diesem Zusammenhang findet sich der Schlüsselsatz in den gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen, wonach der Kläger wegen der Entwicklung nach dem Unfall verbittert ist, er indes nicht durch das Unfallgeschehen selbst traumatisch erschüttert wurde (S. 22, 23 des Gutachtens). Verdeutlicht wird dies etwa durch die Erklärung des Klägers bei seiner anamnestischen Befragung, „durch den Unfall in 2002 habe sich alles verändert, so habe er sich sein Leben nicht vorgestellt; er sei vom Arbeiter zum Asozialen abgesunken, er habe alles verloren‘‘ (S. 6 des Gutachtens).
663 a )
67Es ist darauf zu achten, dass das Unfallereignis häufig nur der Projektionspunkt, keinesfalls aber die Ursache der beklagten Beschwerden sein kann. In derartigen Fällen ist insbesondere eine genaue Analyse aller Belastungsfaktoren in der biografischen Anamnese erforderlich (Burmann/Jahnke, NZV 2012, 505, 511 linke Spalte). Genau diese Analysevorgabe hat die gerichtlich bestellte Sachverständige beachtet. Sie hat in ihrem Gutachten vom 10. August 2013 das auch senatsbekannte, häufig anzutreffende Phänomen erläutert, dass Menschen aufgrund eines in der Regel unbewussten Kausalitätsbedürfnisses Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und potentiellen Auslösern herstellen, die objektiv nicht zu bestätigen sind. Bezogen auf den Kläger fiel ihr im Bereich des formalen Denkens eine Einengung auf dessen gesundheitliche Problematik und auf dessen Eigenbewertung auf, sein Leben sei durch den Unfall zerstört worden (Bl. 15 des Gutachtens). Das Schadensereignis vom 24. Juli 2002 ist somit als der Projektionspunkt der beklagten Beschwerden anzusehen, ohne dass es aber als deren Ursache qualifiziert werden kann.
68b )
69Bei der erforderlichen genauen Analyse aller Belastungsfaktoren stieß die Sachverständige aufgrund der Tatsache an die Grenzen ihrer gutachterlichen Möglichkeiten, dass der Kläger sich hinsichtlich seiner Biografie und seiner Beziehungserfahrungen recht verschlossen zeigte. Deshalb gelangte die Sachverständige zu der plausiblen Einschätzung, eine Bewertung seiner psychodynamischen Entwicklung sei spekulativ. Aus ihrer Sicht auffällig waren auch die ausweichenden und bagatellisierenden Angaben des Klägers zu möglichen anderen inneren Konflikten mit einem psychogenen Störungspotential. In Betracht kommen insoweit nach der gutachterlichen Auflistung die Tatsachen der Ehescheidung des Klägers, die Spannungen mit der Mutter seiner Tochter, der Tod des Bruders, die ungenügende Ablösung von seinen Eltern und nicht zuletzt auch eine kaum erfolgte Verarbeitung der vielfachen körperlichen Erkrankungen (Bl. 23 des Gutachtens). Im Hinblick auf dieses psychogene Konfliktpotential hat die Sachverständige überzeugend die Möglichkeit aufgezeigt, dass der Kläger dieses Potential – unbewusst – abwehrt, indem er sich mit der Diagnose eines aus seiner Sicht allein unfallbedingten posttraumatischen Belastungssyndroms – zu ergänzen ist : als Ursache allen Übels -- weitgehend identifiziert (Bl. 23 des Gutachtens).
704 )
71Im Rahmen der psychischen Begutachtung des Klägers muss die Bedeutung seiner unfallunabhängigen Erkrankungen auf internistischem und orthopädischem Gebiet angemessen gewürdigt werden. Obwohl die Sachverständige XXX insoweit keine fachmedizinischen Kenntnisse besitzt, so ist doch ohne weiteres die Richtigkeit ihrer Einschätzung nachvollziehbar, dass der nicht einstellbare, schwere Bluthochdruck des Klägers, bestehende Herzrhythmusstörungen, eine Schlafapnoe in Verbindung mit einer chronischen Bronchitis, mehrere Bandscheibenvorfälle und ein Schulterleiden als Ursachenbündel sehr wahrscheinlich seine Erwerbsunfähigkeit bedingen (Bl. 24 des Gutachtens). Auf diesem Hintergrund ist auch der Eintritt der durch die Sachverständige diagnostizierten chronifizierten, mittelgradigen depressiven Episode des Klägers nachvollziehbar (Bl. 21 des Gutachtens). Eine depressive Störung führt – wie die Sachverständige weiter nachvollziehbar ausführt – zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten in der Krankheitsverarbeitung mit der Konsequenz, dass es Wechselwirkungen zwischen der körperlichen und der psychischen Erkrankung im Sinne einer negativen Beeinflussung in beide Richtungen gibt (Bl. 24 des Gutachtens). Im Hinblick darauf erklärt sich auch die durch die Sachverständige ebenfalls diagnostizierte chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Aspekten (Bl. 21 des Gutachtens), ohne dass die Sachverständige aber einen Kausalzusammenhang zwischen der Erwerbsunfähigkeit des Klägers und dem Unfallereignis aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht zu begründen vermochte (Bl. 24 des Gutachtens).
725 )
73Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt, der gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen dem Schadensereignis vom 24. Juli 2002 und einer psychischen Störung spricht, ist das lange beschwerdefreie Intervall bis zum Zeitpunkt des Beginns einschlägiger Beschwerden mit der Folge der Notwendigkeit der Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung bei der Diplom-PsychologinXXX im Januar 2004.
74a )
75Die Beklagten haben in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 9. Juli 2012 hervorgehoben, der Kläger sei im psychischen Bereich bis zum Ablauf des ersten Unfalljahres niemals auffällig geworden; entsprechende Beschwerden habe er erstmals im vierten Quartal des Folgejahres 2003 aktenkundig gemacht (Bl. 42 d.A.). Darauf hat der Kläger mit dem allgemein gehaltenen Vortrag erwidert, es treffe zu, dass er nach dem Unfall zunächst unter relativ schwach ausgeprägten Verletzungsfolgen gelitten habe (Schriftsatz vom 29. August 2012; Bl. 71 d.A.). Da die eigene Befindlichkeit des Klägers zwangsläufig Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung im Sinne des § 138 Abs. 4 ZPO ist, hätte es eines konkretisierenden Vortrages dahingehend bedurft, wann und wie sich die als relativ schwach bezeichneten Verletzungsfolgen in psychischer Hinsicht bemerkbar gemacht haben sollen.
76b )
77Die zu den Akten gereichten ärztlichen Unterlagen lassen jedenfalls nicht erkennen, dass der Kläger in den knapp eineinhalb Jahren nach dem Schadensereignis vom 24. Juli 2002 in psychischer Hinsicht in irgendeiner Weise auffällig geworden ist. Wie bereits ausgeführt, finden sich diesbezüglich noch nicht einmal Anhaltspunkte in dem Entlassungsbericht der Rehabilitationseinrichtung XXX vom 20. Januar 2004. Die fehlende Einsetzbarkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist darin nicht mit psychischen Auffälligkeiten begründet, sondern wegen dauernder Kopfschmerzen mit der Folge regelmäßiger nächtlicher Durchschlafstörungen. Diese hatten unfallunabhängig ihren Grund in den degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule mit einem Cervicobrachialgie- und Cervicocephalgie-Syndrom (vgl. Rentengutachten des Sozialmedizinischen Dienstes Dinslaken vom 9. Februar 2011). Nach dem Akteninhalt lassen sich erstmals psychische Auffälligkeiten des Klägers mit dem Beginn des Kalenderjahres 2004 in Verbindung bringen, denn er befand sich vom Monat Januar bis zum Monat März 2004 in der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung der Privatgutachterin XXX.
78c )
79Zu den diagnostischen Kriterien der posttraumatischen Belastungsstörung nach Maßgabe der ICD 10 F 43.1 zählen u.a. anhaltende Erinnerungen oder ein Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flashbacks), sich wiederholende Träume in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen. Diese Intrusionen treten jedoch in der Regel innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsergebnis oder nach dem Ende einer Belastungsperiode ein. Dem entspricht die Darstellung der gerichtlich bestellten Sachverständigen XXX in ihrem Gutachten vom 10. August 2013, derzufolge die Symptome eines posttraumatischen Belastungssyndroms mit einer zeitlichen Latenz von bis zu sechs Monaten auftreten (Bl. 22 des Gutachtens). Den Zeitpunkt des Beginns seiner erhöhten Reizbarkeit (Hyperarousal) hat der Kläger indes gegenüber der gerichtlich bestellten Sachverständigen mit einem Zeitpunkt eingegrenzt, der bereits drei Jahre nach dem Unfallereignis liegt (Bl. 21 des Gutachtens). Der Kläger beruft sich auf den Nachuntersuchungsbericht des sozialmedizinischen Dienstes XXX vom 13. Februar 2014 für den Rententräger K.t B. S.. Darin ist als Diagnose u.a. eine depressive Anpassungsstörung nach ICD 10 F 43.2 aufgeführt (Bl. 191 d.A.). Auch eine solche psychische Beeinträchtigung, sollte sie tatsächlich vorliegen, kann wegen des zeitlichen Abstandes nicht mehr mit dem Unfallereignis in Verbindung gebracht werden. Denn die Symptomatik einer Anpassungsstörung tritt regelmäßig innerhalb von drei Monaten auf und ähnelt der posttraumatischen Belastungsstörung (Burmann/Jahnke, NZV 2012, 505, 508 linke Spalte). Eine solche Latenzzeit ist nach dem Akteninhalt erst recht nicht gewahrt. Zwar hatte der Kläger bei seiner Exploration durch die gerichtlich bestellte Sachverständige angegeben, es hätten die Schlafstörungen etwa sechs bis acht Wochen nach dem Unfall eingesetzt (Bl. 19 des Gutachtens). Diese Störungen müssen indes nicht zwingend mit einer unfallbedingten psychischen Beeinträchtigung erklärt werden, weil in dem Entlassungsbericht der Reha-Einrichtung XXX vom 20. Januar 2004 die Durchschlafstörungen auf Nackenverspannungen und Hinterkopfschmerzen zurückgeführt werden. Im Übrigen hatte der Kläger gegenüber der Sachverständigen XXXX geäußert, in welchem Zeitraum die übrigen psychischen Beschwerden eingesetzt hätten, könne er nicht näher eingrenzen (Bl. 19 des Gutachtens vom 10. August 2013).
80IV.
811 )
82In ihrem Nachtragsgutachten vom 13. April 2014 hat die gerichtlich bestellte Sachverständige XXX überzeugend dargelegt, aus welchem Grund die in der Stellungnahme der Privatgutachterin XXX vom 25. November 2013 geäußerte Kritik an dem Erstgutachten vom 10. August 2013 mit der Empfehlung einer Neubegutachtung des Klägers „durch einen … hochqualifizierten Gutachter/Gutachterin“ nicht zutrifft. Zutreffend ist die innere Widersprüchlichkeit der Stellungnahme vom 25. November 2013 aufgezeigt: Einerseits hat die Privatgutachterin XXX die Forderung aufgestellt, es sei durch ein erneutes Gutachten zu klären, ob und in welchem Umfang die gegenwärtig vorliegende Symptomatik eine Traumafolgestörung darstelle. Andererseits räumt die Privatgutachterin ein, es sei „die Beweisfrage so nicht zu beantworten.“ Dies im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Befunderhebung u.a. wegen eines Zeitabstandes von 11 Jahren zum Unfall, wegen der Überlagerung von psychischen Reaktionen im Laufe der Zeit, wegen der Somatisierungserscheinungen und der Reaktionen des Klägers auf einen sozialen Abstieg. Soweit die Privatgutachterin geltend macht, andernorts begründete Störungen schlössen eine psychische Störung als Unfallfolge nicht aus, hat die gerichtlich bestellte Sachverständige darauf richtigerweise mit dem nach § 287 ZPO einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Beurteilung der Kausalitätsfrage repliziert („Frau XXX berücksichtigt hier jedoch nicht, dass es nicht ausreichend ist, dass der kausale Zusammenhang mit dem Unfall nicht ausgeschlossen werden kann. Um einen Kausalzusammenhang anzunehmen, muss dieser zumindest überwiegend wahrscheinlich sein. Im Fall von Herrn XXX kann ein Kausalzusammenhang mit dem Unfall nicht definitiv ausgeschlossen werden, aber die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht gegen eine Traumafolgestörung“; Bl. 175 d.A.). Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass die Privatgutachterin XXX in ihrer Stellungnahme vom 25. November 2013 die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung im Hinblick auf komorbide Störungen des Klägers (u.a. Depression, somatoforme Störung) mit nicht mehr als einer Verdachtsdiagnose in Verbindung gebracht hatte (Bl. 157 d.A.).
832 )
84Der Kläger hat als Anlage zu seinem Schriftsatz vom 2. November 2012 ein Gutachten vom 26. April 2007 zu den Akten gereicht, welches von dem Diplom-Psychologen XXX verfasst und aus Anlass der Feststellung einer Erwerbsminderungsrente für das Sozialgericht Duisburg erstattet worden war. Darin findet sich u.a. die Diagnose, der Kläger sei von einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung betroffen. In ihrem Gutachten vom 10. August 2013 hat die Sachverständige XXX überzeugend erläutert, aus welchen Gründen sie sich dieser Diagnose als einer Unfallfolge nicht anschließen könne. Zunächst hat sie richtigerweise darauf verwiesen, der Kläger habe gegenüber dem Vorgutachter XXX die Situation so dargestellt, als hätten sich die beklagten psychischen Beschwerden sämtlich in einem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem Unfall entwickelt, was so nicht bestätigt werden könne (Bl. 25 des Gutachtens). Darüber hinaus hatte der Vorgutachter XXX eine Aggravationstendenz des Klägers verneint, die nach den Erkenntnissen der gerichtlich bestellten Sachverständigen indes eindeutig festzustellen ist (Bl. 25 des Gutachtens). Diese Einschätzung steht in Übereinstimmung mit einem nervenärztlichen Gutachten, welches ein XXX unter dem Datum des 21. Dezember 2009 für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erstattet hatte. Dieses Gutachten ist nicht zu den Akten gelangt, sondern ist in dem Rentengutachten des Sozialmedinischen Dienstes XXX vom 9. Februar 2011 für die K. B. S. inhaltlich wiedergegeben. Danach ging XXX seinerzeit von erheblichen Aggravationstendenzen des Klägers aus und verneinte insbesondere das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (S. 7 des Gutachtens). Liegen aber Anzeichen für eine Aggravation vor, kann den anamnestischen und sonstigen Angaben des Anspruchsstellers nicht unbesehen gefolgt werden (Burmann/Jahnke, NZV 2012, 505, 510, linke Spalte mit Hinweis auf OLG München, Urteil vom 29. April 2011, Az.: 10 U 42/08).
85V.
861 )
87Der Kläger macht in seiner Berufungsbegründung Folgendes geltend: In Anbetracht der seitens der gerichtlich bestellten Sachverständigen verdeutlichten Schwierigkeiten einer Längsschnittbeurteilung über einen Zeitraum von zwölf Jahren habe sie ausdrücklich auch von der Notwendigkeit der Beibringung neuerer Gutachten der Renten- oder Krankenversicherung gesprochen, die ihr nicht zugänglich gewesen seien (Bl. 246). Diese Darstellung ist schlicht falsch, wie die Beklagten in ihrer Berufungserwiderung zu Recht geltend machen (Bl. 277 d.A.).
88In ihrem Nachtragsgutachten vom 13. April 2014 hat die Sachverständige XXX lediglich die Schwierigkeiten hervorgehoben, auf welche eine Begutachtung als Querschnittsuntersuchung über einen Zeitraum von zwölf Jahren seit dem Unfall grundsätzlich stößt. Insofern hätte sie sich als Erkenntnisgrundlage eine möglichst engmaschige Dichte von Untersuchungsbefunden aus diesem Zeitraum gewünscht, die sich aber dem Akteninhalt aber nicht entnehmen ließ. Eine erneute Begutachtung, wie durch die Privatgutachterin XXX angeregt, hielt die gerichtlich bestellte Sachverständige ausdrücklich nicht für geeignet, die Schwierigkeiten in der Längsschnittbeurteilung über den vergangenen zwölfjährigen Zeitraum hinweg zu beheben. Ein erneuter psychischer Befund könne, wie die Sachverständige XXX zutreffend verdeutlicht, nur etwas über die psychische Verfassung des Klägers in der Gegenwart aussagen (Bl. 173 d.A.). Die Gegenwartsverfassung des Klägers kann jedoch zwangsläufig wegen der auch durch die Privatgutachterin XXX in ihrer Stellungnahme vom 25. November 2013 eingeräumten belastenden Lebenssituation (u.a. sozialer Abstieg, Hartz IV) zwangsläufig nicht identisch sein mit der psychischen Verfassung, in welcher sich der Kläger anlässlich des Unfallereignisses und in den Monaten danach befand. In diesem Zusammenhang auch auf die Feststellung der Sachverständigen XXX hinzuweisen, dass sich der Kläger hinsichtlich seiner Biografie recht verschlossen zeigte sowie auffallend ausweichende und bagatellisierende Angaben zu möglichen anderen inneren Konflikten bei seiner anamnestischen Befragung gemacht hat (Bl. 23 d. Gutachtens vom 10. August 2013).
892 )
90Im Ergebnis hilft dem Kläger nicht der dreiseitige Nachuntersuchungsbericht des Sozialmedizinischen Dienstes XXX vom 13. Februar 2014 weiter.
91a )
92Denn er enthält keine Angaben zu der psychischen Biografie des Klägers in den Jahren seit dem Unfallereignis und hat den psychischen Status quo zum Gegenstand.
93b )
94Der Kläger kann auch nichts aus der Tatsache für sich herleiten, dass in dem Bericht zu Ziffer 3.1 a „Diagnosen“ eine „neurotische Fehlentwicklung nach Wegeunfall im Jahre 2002“ aufgeführt ist. Dies aus zwei Gründen. Zum einen ist eine neurotische Entwicklung nicht zwangsläufig mit dem für den Kläger glimpflich verlaufenen Unfallereignis vom 24. Juli 2002 in Verbindung zu bringen. Die Sachverständige XXX hat in ihrem Gutachten vom 10. August 2013 im Zusammenhang mit der Erwähnung einer neurotischen Entwicklung als deren Auslöser ein Anzahl unfallfremder Faktoren aufgeführt, wie etwa Belastungen durch die Ehescheidung, Spannungen mit der Mutter seiner Tochter, den Tod des Bruders, eine ungenügende Ablösung von den Eltern und durch eine kaum erfolgte Verarbeitung der vielfachen körperlichen Erkrankungen (Bl. 23 d. Gutachtens). Überdies ist in dem Rentengutachten des Sozialmedizinischen Dienstes XXX vom 9. Februar 2011 eine deutliche neurotische Fehlhaltung des Klägers mit ausgeprägten Versorgungswünschen aufgeführt, auf welche das Denken neben den Krankheitssymptomen ganz eingeengt sei (S. 5). Eine sogenannte Renten- und Begehrensneurose ist indes ein Ausschlussgrund für eine Zurechnung psychischer Schadensfolgen (BGH, Urteil vom 10. Juli 2012, AZ: VI ZR 127/11).
953 )
96Die in dem Nachuntersuchungsbericht vom 13. Februar 2014 zu Ziffer 3.1 b als Diagnose aufgeführte depressive Anpassungsstörung ist ebenfalls nicht (mit)ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Ganz abgesehen davon, dass die Symptomatik einer Anpassungsstörung in der Regel innerhalb von drei Monaten nach dem belastenden Ereignis auftritt, finden sich in der psychischen Biografie des Klägers seit dem 24. Juli 2002 zahlreiche Belastungsfaktoren, die unabhängig von dem Unfallgeschehen eine depressive Entwicklung ausgelöst haben können. Dazu fällt insbesondere der progrediente Verlauf der Erkrankungen auf internistischem und orthopädischem Gebiet.
974 )
98Soweit schließlich im Nachuntersuchungsbericht vom 13. Februar 2014 zu Ziffer 3.1 c eine ,,undifferenzierte Somatisierungsstörung‘‘ erwähnt ist, bleibt – unfallunabhängig – die durch die Sachverständige XXX in ihrem Gutachten vom 10. August 2013 bezeichnete bereite Wechselwirkung zwischen der körperlichen und psychischen Erkrankung im Sinne einer negativen Beeinflussung in beiden Richtungen zu berücksichtigen.
99VI.
100Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
101Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat in Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
102Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 73.068,83 €.
103Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
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