Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 14/15
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 05. Februar 2015 (VK 1-120/14) aufgehoben und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerinnen sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 121 Abs. 1 S. 1 GWB sowie der in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Kosten der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen werden der Antragstellerin auferlegt.
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G r ü n d e
2A.
3Die Antragsgegnerinnen schrieben den Abschluss von Rabattvereinbarungen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V über mehrere Arzneimittel, unter anderem Arzneimittel mit dem Wirkstoff Tramadol (Fachlos 109), in einem europaweiten offenen Verfahren aus. Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausschreibung wird auf die Bekanntmachung und die Bewerbungsbedingungen verwiesen.
4Die Antragstellerin fügte ihrem Angebot ein ausgefülltes Formblatt entsprechend der Anlage 7 der Bewerbungsbedingungen („Eigenerklärung zu eigenen und fremden Produktionskapazitäten für die Herstellung angebotener Arzneimittel“) sowie zwei ausgefüllte Formblätter entsprechend der Anlage 8 der Bewerbungsbedingungen („Verpflichtungserklärung Drittunternehmen“) bei. In der Anlage 7 hat sie als ausführendes Unternehmen für die „Herstellung aus Grundstoffen“ bei der Preisvergleichsgruppe der „festen Darreichungsform“ ihre Schwestergesellschaft, die G... SpA, und für die „Verblisterung“ ihre Muttergesellschaft, die H... GmbH, angegeben. Zwischengeschaltete Unternehmen sind nicht angegeben. Die Anlagen 8 wurden von der G… SpA und von der H… GmbH ausgefüllt und unterschrieben. In der Anlage 8 der G… SpA wird die H… GmbH als Auftraggeberin und als Drittunternehmen die Antragstellerin als Bieterin angegeben. In der Anlage 8 der H... GmbH wird die Antragstellerin als Bieterin angegeben. Die Rubrik „Tätigwerden als zwischengeschaltetes Unternehmen“ ist in beiden Anlagen 8 nicht angekreuzt.
5Die Antragsgegnerinnen schlossen das Angebot der Antragstellerin gemäß §§ 97 Abs. 4 S. 1 GWB, 19 Abs. 5 VOL/A-EG wegen nicht nachgewiesener Eignung vom Vergabeverfahren aus. Zur Begründung führten sie aus, die G... SpA habe die eingereichte Verpflichtungserklärung nach der Anlage 8 nicht gegenüber der Antragstellerin, sondern gegenüber der H... GmbH abgegeben. Diese sei jedoch in der Eigenerklärung nach der Anlage 7 nicht als zwischengeschaltetes, sondern als ausführendes Unternehmen benannt worden.
6Die Antragstellerin erhob Rügen und stellte nach Nichtabhilfe einen Nachprüfungsantrag.
7Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, die Verpflichtungserklärung der G... SpA gegenüber der H... GmbH sei unbeachtlich, weil sie an den falschen Adressaten gerichtet gewesen sei. Sie leide daher an einem formalen Fehler, der dem Fehlen der Erklärung gleichzusetzen sei. Die Antragsgegnerinnen hätten folglich die Erklärung der G... SpA gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A-EG nachfordern müssen. Sie hätten jedoch ermessensfehlerhaft auf eine Nachforderung verzichtet.
8Die Antragsgegnerinnen haben demgegenüber die Auffassung vertreten, sie hätten die Erklärung nicht nachfordern dürfen bzw. müssen, weil diese nicht formal, sondern materiell fehlerhaft gewesen sei. Damit fehle die Erklärung im Rechtssinne nicht.
9Im Übrigen wird auf Gründe unter I. des Beschlusses der Vergabekammer verwiesen.
10Die Antragstellerin hat beantragt,
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1. die Antragsgegnerinnen zu verpflichten, den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin zurückzunehmen,
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2. die Antragsgegnerinnen zu verpflichten, die Angebotswertung unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin zu wiederholen,
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3. den Antragsgegnerinnen die Erteilung eines Zuschlags vor Wiederholung der Angebotswertung zu untersagen.
Die Antragsgegnerinnen haben beantragt,
16den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
17Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und auch nicht zur Sache vorgetragen.
18Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin stattgegeben. Sie ist der Auffassung, das Angebot der Antragstellerin hätte von den Antragsgegnerinnen nicht wegen fehlender Eignung vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden dürfen. Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, die Antragstellerin habe den geforderten Nachweis der Leistungsfähigkeit erbracht. Die G... SpA habe, wie sich aus dem Erklärungsgehalt und den konkreten Umständen des vorliegenden Falles ergebe, eine vergaberechtlich hinreichende Verpflichtungserklärung für die Herstellung der festen Darreichungsformen aus Grundstoffen abgegeben. Es wäre zwar in formaler Hinsicht korrekt gewesen, wenn entweder die Verpflichtungserklärung der G... SpA in der Anlage 8 nicht gegenüber der H... GmbH, sondern gegenüber der Antragstellerin erfolgt wäre oder die Antragstellerin die H... GmbH in der Anlage 7 als zwischengeschaltetes Unternehmen angegeben und zugleich die H... GmbH in der Anlage 8 angegeben hätte als zwischengeschaltetes Unternehmen tätig zu werden, aber der erforderliche Erklärungsinhalt sei der vorliegenden Verpflichtungserklärung der G... SpA ohne Zweifel zu entnehmen.
19Im Übrigen wird auf die Gründe unter II. des Beschlusses der Vergabekammer verwiesen.
20Gegen den Beschluss der Vergabekammer haben die Antragsgegnerinnen und die Beigeladenen sofortige Beschwerde eingelegt. Die Antragsgegnerinnen wiederholen und vertiefen ihr Vorbringen aus dem Verfahren vor der Vergabekammer. Die Beigeladene schließt sich dem Vortrag der Antragsgegnerinnen im Wesentlichen an und macht weitere Ausführungen.
21Die Antragsgegnerinnen und die Beigeladene beantragen,
22den Nachprüfungsantrag unter Aufhebung des Beschlusses der 1. Vergabekammer des Bundes vom 05.02.2015 (VK 1-120/14) zurückzuweisen.
23Die Antragstellerin beantragt,
24die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen zurückzuweisen.
25Die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluss, indem sie das Vorbringen aus dem Verfahren vor der Vergabekammer wiederholt, vertieft und ergänzt.
26Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze und die Anlagen sowie auf die Verfahrensakten der Vergabekammer und die beigezogenen Vergabeakten verwiesen.
27B.
28Die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen sind erfolgreich, denn der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zwar zulässig, aber unbegründet.
29Die Antragsgegnerinnen haben das Angebot der Antragstellerin entgegen der Auffassung der Vergabekammer wegen des fehlenden Nachweises der Eignung gemäß § 97 Abs. 4 S. 1 GWB, 19 Abs. 5 VOL/A-EG zu Recht vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen.
301.
31Die Antragstellerin musste gemäß § 7 Abs. 5 VOL/A-EG ihre Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die benötigten Produktionskapazitäten nachweisen. Sie durfte sich dazu gemäß § 7 Abs. 9 VOL/A-EG auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen berufen und musste dann durch entsprechende Verpflichtungserklärungen nachweisen, dass ihr die hierzu erforderlichen Produktionskapazitäten des anderen Unternehmens tatsächlich und rechtlich zur Auftragserfüllung zur Verfügung stehen.
32a) Die Antragstellerin hat diesen Nachweis gemäß § 7 Abs. 9 S. 2 VOL/A-EG hinsichtlich der Preisvergleichsgruppe der "festen Darreichungsformen" nicht erbracht, weil sie nicht durch eine entsprechende Verpflichtungserklärung des Drittunternehmens, die inhaltlich mit ihrer Eigenerklärung (Anlage 7) korrespondierte, nachgewiesen hat, dass ihr die Kapazitäten der G... SpA für die "Herstellung aus Grundstoffen" nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich zur Verfügung stehen. In der von der G... SpA ausgefüllten und unterschriebenen Anlage 8 hat diese die entsprechende Erklärung gerade nicht gegenüber der Antragstellerin als Bieterin, wie sie es angesichts des Inhalts der Eigenerklärung der Antragstellerin (Anlage 7) hätte tun müssen, sondern gegenüber der H... GmbH abgegeben. Die Verpflichtung besteht folglich zwischen der G... SpA und der H... GmbH und nicht zwischen der G... SpA und der Antragstellerin, wie es deren Eigenerklärung ausweist.
33Unabhängig davon hat die H... GmbH in der von ihr ausgefüllten und unterschriebenen Anlage 8 auch nicht mittels eines entsprechenden Kreuzes angegeben, als zwischengeschaltetes Unternehmen tätig zu sein, was für sich alleine genommen gegebenenfalls noch aufgrund einer Auslegung der Erklärungen der Antragstellerin, der G... SpA und der H... GmbH hätte angenommen werden können.
34b) Die Erklärung der G... SpA kann auch, anders als die Vergabekammer meint, nicht in dem von der Antragstellerin gewünschten Sinne ausgelegt werden. Die vorgelegte Anlage 8 der G... SpA ist formal und inhaltlich eindeutig und folglich ist eine entgegengesetzte Auslegung zu Gunsten der Antragstellerin unter Berücksichtigung der "konkreten Umstände des vorliegenden Falles" entsprechend §§ 133, 157 BGB nicht möglich.
35Eine solche Auslegung scheidet auch deshalb aus, weil die Antragsgegnerinnen auf die Bieterfrage 61 allen Bietern nochmals ausdrücklich mitgeteilt hatten, dass maßgeblich für die Frage sei, gegenüber wem die Verpflichtungserklärung nach der Anlage 8 abzugeben sei, gegenüber wem sich das Drittunternehmen vertraglich verpflichtet habe. Verpflichte sich das Drittunternehmen gegenüber dem Bieter, so sei das Kreuz bei "dem Bieter/Bietergemeinschaftsmitglied" zu setzen, verpflichte sich das Drittunternehmen gegenüber einem anderen Unternehmen, sei das Kreuz bei "unserem Auftraggeber" zu setzen, wie vorliegend seitens der G... SpA hinsichtlich der H... GmbH geschehen. Im letztgenannten Fall sei der Auftraggeber des Drittunternehmens ein zwischengeschaltetes Unternehmen und damit seinerseits ein Drittunternehmen, für das eine Verpflichtungserklärung nach Anlage 8 vorgelegt werden müsse. Unter Berücksichtigung dieses weiteren "Ausfüllhinweises" der Antragsgegnerinnen können die Erklärungen der G... SpA und der H... GmbH aufgrund ihres entgegenstehenden Erklärungsinhalts nicht wie von der Vergabekammer vorgenommen dahingehend ausgelegt werden, dass der Antragstellerin die Produktionskapazität der G... SpA auch rechtlich zur Verfügung stehen soll.
362.
37Die "inhaltlich richtige" Erklärung durfte auch nicht nachgefordert werden. Eine Nachforderung gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A-EG ist nur möglich, wenn die Erklärung oder der Nachweis fehlt oder formal unvollständig ist. Ist die Erklärung oder der Nachweis dagegen materiell unvollständig oder - wie vorliegend - fehlerhaft, ist eine Nachforderung nicht möglich (siehe: Senat, Beschluss vom 17.12.2013, VII-Verg 47/12 „Deutsche Schule Warschau“; Beschluss vom 12.09.2012, VII-Verg 108/11, „Briefservice“, beide juris).
383.
39Einem Ausschluss des Angebots steht entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch § 9 Abs. 4 VOL/A-EG nicht entgegen. Danach hat der Auftraggeber die verlangten Nachweise in einer abschließenden Liste zusammenzustellen. Die abzugebende Erklärung nach der Anlage 8 ist in der abschließenden Liste der Antragsgegnerinnen ("Hinweise zur Angebotserstellung und zur qualifizierten elektronischen Signatur, dort Seite 8 "Anhang: Übersicht über die zwingend erforderlichen Bestandteile eines Angebots (zugleich Liste gemäß § 9 Abs. 4 VOL/A-EG) Anlage 5") aufgeführt und mit formalen Ausfüllhinweisen versehen. Aufgrund der Checklistenfunktion einer abschließenden Liste bedarf es in einer solchen auch nur einer Aufzählung der einzureichenden Unterlagen, nicht aber konkreter inhaltlicher Vorgaben, die der Auftraggeber aufgrund der ihm nicht bekannten Verhältnisse auf der Seite des Bieters ohnehin nicht machen kann (siehe: Senat, Beschluss vom 06.02.2013, VII-Verg 32/12; Beschluss vom 23.05.2012, VII-Verg 4/12; Beschluss vom 28.11.2012, VII-Verg 8/12; Beschluss vom 03.08.2011, VII-Verg 30/11, alle juris).
404.
41Die Antragsgegnerinnen haben entgegen der Auffassung der Antragstellerin durch das Nichtnachfordern auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB verstoßen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Antragsgegnerinnen von keinem Bieter eine im Rechtssinne fehlende Erklärung oder einen fehlenden Nachweis gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A-EG nachgefordert haben. Soweit die Antragsgegnerinnen die Originale der Erklärungen zu Anlage 8, die überdies nicht mit dem Angebot vorgelegt werden mussten, bei einer Fristversäumnis nachgefordert haben, kann die Antragstellerin daraus nichts zu ihren Gunsten herleiten. Diese Nachforderung innerhalb einer kurzen Frist diente lediglich der Fehlerkorrektur und dem Nachteilsausgleich wegen widersprüchlicher Zeitangaben bei der diesbezüglichen Fristsetzung (zum einen 10:00 Uhr, zum anderen 12:00 Uhr).
425.
43Der Antrag der Antragsgegnerinnen auf Vorabentscheidung über den Zuschlag gemäß § 121 Abs. 1 S. 1 GWB, dessen Entscheidungsfrist gemäß § 121 Abs. 3 S. 1 GWB durch Verfügung des Vorsitzenden vom 24.03.2015 bis zum heutigen Tag verlängert worden ist, braucht aufgrund dieses Beschlusses nicht mehr beschieden zu werden.
44C.
45Die Entscheidung über die Kosten und Aufwendungen beruht auf § 128 Abs. 3, Abs. 4 GWB sowie auf den §§ 120 Abs. 2, 78 GWB.
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