Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - I-2 W 13/15
Tenor
I. Die Anhörungsrüge der Antragsgegnerin vom 15. Juli 2015 gegen den Senatsbeschluss vom 2. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Rügeverfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
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G r ü n d e :
2Die Anhörungsrüge ist zulässig, aber unbegründet.
3Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Anhörungsrüge statthaft. § 321 a Abs. 1 Satz 2 ZPO stünde ihrer Statthaftigkeit allerdings entgegen, wenn sich die Anhörungsrüge gegen eine ohne Anhörung des Antragsgegners ergangene Besichtigungsanordnung richtete (vgl. LG Düsseldorf, InstGE 5, 236 – Anhörungsrüge; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Auflage, Rdnr. 478 u. dortige Fn. 544). Die Anhörungsrüge der Antragsgegnerin richtet sich aber nicht gegen die vom Landgericht getroffene Besichtigungsanordnung, sondern wie zuvor ihre Beschwerde gegen die teilweise Freigabe des Beweissicherungsgutachtens.
4Die Anhörungsrüge ist jedoch unbegründet. Dass der Antragsgegner eines Beweissicherungsverfahrens im gegenwärtigen Verfahrensstadium, in dem die vom Gericht angeordnete Besichtigung stattgefunden und der gerichtliche Sachverständige das Beweissicherungsgutachten vorgelegt hat, nicht mehr einwenden kann, das Landgericht habe die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens und die im Wege der einstweiligen Verfügung getroffenen Maßnahmen zu Unrecht angeordnet, weil bei zutreffender Betrachtungsweise weder die Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung im Sinne des § 140 c PatG noch ein rechtliches Interesse im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO vorgelegen hätten, hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 2. Juli 2015 dargelegt; an den dortigen Ausführungen wird auch nach erneuter Überprüfung festgehalten.
5Selbst wenn man der gegenteiligen Ansicht der Antragsgegnerin folgen würde, ergäbe sich kein anderes ihr günstigeres Ergebnis. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin lag die von § 140 c Abs. 1 PatG geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung vor. Da die Gesetzesbegründung (abgedruckt in PMZ 2008, 274, 301 f.) auf die Entscheidung „Faxkarte“ des Bundesgerichtshofs (GRUR 2002, 1046) verweist, die das Bestehen eines Besichtigungsanspruches an das Vorliegen einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Verletzung knüpft, ist die Schwelle niedrig anzusetzen; ein erheblicher Grad an Wahrscheinlichkeit kann regelmäßig nicht verlangt werden (BGH, a.a.O., 1048 f.- Faxkarte; Kather/Fitzner, Mitt. 2010, 325 f.). Andererseits darf zwar ungewiss sein, ob eine Patentverletzung tatsächlich vorliegt, doch muss der Antragsteller konkrete Anhaltspunkte darlegen, die für eine Schutzrechtsverletzung sprechen und darf die Angaben nicht ins Blaue hinein machen (Kühnen, Mitt. 2009, 211, 212). Solche Anhaltspunkte können sich etwa aus allgemeinen technischen bzw. naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten ergeben, die die Verwirklichung bestimmter Merkmale wahrscheinlich machen, oder aus der Bekanntheit einzelner Merkmale des Besichtigungsgegenstandes, etwa in Werbung, Gebrauchsanleitungen oder Produktbeschreibungen, die die Annahme rechtfertigen, auch weitere erfindungsgemäße Merkmale würden verwirklicht. Zweifel am Vorliegen einer Verletzungshandlung stehen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht entgegen; muss zur Klärung ein Sachverständigengutachten eingeholt werden, ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit regelmäßig zu bejahen, gegebenenfalls sind dann aber besondere Maßnahmen zur Geheimhaltung der im Sachverständigengutachten festgehaltenen Erkenntnisse zu treffen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 11, 298 [Ls. 2] - Weißmacher). Darüber, ob die Wahrscheinlichkeit „hinreichend“ ist, ist aufgrund der konkreten Fallumstände zu entscheiden. Dies wird regelmäßig eine Abwägung zwischen den Interessen des Anspruchstellers und denjenigen des Verpflichteten erfordern, bei der zu berücksichtigen ist, wie weit dem Anspruchsteller andere ihm zumutbare Aufklärungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, weiter der Grad der Wahrscheinlichkeit der Benutzung, Art und Umfang der begehrten Maßnahme, das Geheimhaltungsbedürfnis der Verpflichteten und mögliche Schutzanordnungen (vgl. zum Ganzen: Busse/Keukenschrijver/Kaess, PatG, 7. Aufl., § 140 c Rdnrn. 6 und 7; Kühnen, a.a.O., Rdnrn. 366 ff.; Haedicke/Timmann/Chakraborty, Handbuch des Patentrechts, § 11 Rdnrn. 722 ff.). Maßgebender Zeitpunkt, an dem die hinreichende Verletzungswahrscheinlichkeit gegeben sein muss, ist die Entscheidung über den Besichtigungsantrag.
6Geht man von diesen Grundsätzen aus, war die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung von der Antragstellerin dargelegt und glaubhaft gemacht worden, als das Landgericht die Beweissicherungsanordnung erlassen hat. Der Managing Direktor der Antragstellerin, M. M., hatte am 12. März 2014 an Eides Statt versichert, er habe am 12. November 2013 im Internet einen Artikel des niederländischen Journalisten E. d. V. in der Fachzeitschrift „W.T. I.“ vom 12. Juli 2013 gelesen, in dem der Verfasser über einen Besuch des Werkes der Antragsgegnerin und deren Aktivitäten im Bereich der Herstellung von Windkraftanlagenbetrieben berichtet und ausführt, der Produktmanager Herr N. habe auf die „sehr glatten und fast glänzenden Zahnoberflächen“ hingewiesen, was den fachkundigen Verfasser der eidesstattlichen Versicherung zu dem Schluss veranlasst hat, die Zähne der Zahnräder seien auf eine sehr geringe Oberflächenrauigkeit von vermutlich geringer als 0,25 µm bearbeitet worden. Auch den Geschäftsführer der vormaligen Antragsgegnerin zu 2) E. S. hat dieser Hinweis zu diesem Schluss veranlasst. Da es im Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts über die Anordnung des Besichtigungsverfahrens keine anderen Erkenntnisquellen gab, ist es nicht zu beanstanden, dass auch das Landgericht es angesichts des Hinweises auf die sehr glatten und fast glänzenden Oberflächen für hinreichend wahrscheinlich gehalten hat, dass die Oberflächenrauigkeit in dem von allen Antragsschutzrechten angegebenen Bereich von maximal 0,25 µm liegt. Darauf, dass die Besichtigung durch den gerichtlichen Sachverständigen die Verwirklichung des betreffenden Merkmals der geltend gemachten Ansprüche nicht bestätigt hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, weil diese Erkenntnisquelle dem Landgericht im Zeitpunkt der Anordnung nicht zur Verfügung stand. Es mag sein, dass die Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung anhand der im Anordnungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht sehr hoch war und auch nicht ausgereicht hätte, um eine Schutzrechtsverletzung substantiiert und schlüssig darzulegen. Hätte die Antragstellerin die zu einer schlüssigen Darlegung des Verletzungstatbestandes notwendigen Kenntnisse im Anordnungszeitpunkt bereits besessen, hätte es einer Beweissicherungsanordnung auch nicht mehr bedurft, denn sie setzt gerade voraus, dass über die Schutzrechtsverletzung noch keine Gewissheit besteht und die Ausführung der Beweisanordnung erst die notwendige Klarheit bringt. Demgegenüber müssen die Interessen der Antragsgegnerin zurücktreten, möglichst keine Einzelheiten über das Stellungsverfahren zu offenbaren, zumal die Antragsgegnerin vor der Aushändigung des Sachverständigengutachtens an die Antragstellerin einen sehr weitgehenden Schutz ihrer Betriebsgeheimnisse für sich in Anspruch nehmen kann. Aus diesen Gründen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Beweisanordnung ohne Anhörung des Gegners auf der Grundlage der eidesstattlichen Versicherungen M. M. und E. S. (Anlagen ASt 17 und 18) erlassen hat.
7Der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 31. Juli 2015 veranlasst keine andere Beurteilung.
8Die Kosten des Rügeverfahrens hat in entsprechender Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO die Antragsgegnerin zu tragen.
9Dr. K. Dr. B. T.
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