Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - I-16 U 226/14 + I-16 W 85/14
Tenor
I.
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Landgerichtes vom 28.10.2014 wird dieser abgeändert und der Klägerin unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, K…, Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt.
II.
Zugleich wird der Klägerin auf ihren Antrag vom 07.11.2014 Prozesskostenhilfe für ihre Berufung gegen das Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 28. Oktober 2014 bewilligt und ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung der Berufung bewilligt.
III.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
1
Gründe:
2I.
3Die Klägerin begehrt von der Beklagten nach Beendigung des zwischen den Parteien seit dem 01.01.1999 bestandenen Handelsvertreterverhältnisses durch Kündigung der Beklagten zum 31.03.2012 einen Handelsvertreterausgleich in Höhe von 59.500 €. Gegenstand des Handelsvertretervertrages war die Vermittlung von Abonnementsverträgen für die von der Beklagten vertriebene Tageszeitung … gegen Zahlung einer Einmalprovision, deren Höhe sich danach richtete, ob sog. 24- Monatsaufträge oder 12-Monatsverträge vermittelt werden konnten. Mit Anwaltsschreiben vom 19.03.2012 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Ausgleichsanspruch gem. § 89b HGB geltend, den die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 21.03.2012 ablehnte.
4Die Klägerin hat geltend gemacht, der Beklagten verbleibe nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses ein erheblicher ausgleichspflichtiger Unternehmensvorteil, da ein Großteil der von ihr geworbenen Abonnenten der Beklagten über 24 Monate hinaus langfristig als Leistungsbezieher erhalten geblieben seien und noch blieben. Dass ihr nach Beendigung des Handelsvertretervertrages keine Provisionsverluste entstanden seien, schließe einen Ausgleich nach der neuen Rechtslage nicht aus und sei auch nicht unbillig.
5Das Landgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin zurück- und die Klage abgewiesen. Zwar habe die Klägerin im Rahmen der von der Beklagten gekündigte Geschäftsverbindung neue Kunden geschaffen, die als Stammkunden anzusehen seien. Dies sei bei Vermittlung eines auf längere Zeit geschlossenen Bezugsvertrages jedenfalls dann der Fall, wenn entweder in diesem Vertrag bereits die mehrfache Abnahme bestimmter vom Handelsvertreter vertriebener Produkte verbindlich festgelegt oder aber der Kunde nicht von einer ihm erstmals rechtlich zustehenden Möglichkeit der Beendigung des Vertrages Gebrauch gemacht habe, wie dies vorliegend der Fall sei. Auch habe die Beklagte nach Beendigung des Vertragsverhältnisses aus der Geschäftsverbindung mit diesen Kunden erhebliche Vorteile im Sinne des § 89b HGB, weil eine Chance, die vom Handelsvertreter geschaffenen Kundenbeziehungen in gleicher Weise wie bisher zu nutzen auch in der Möglichkeit liege, durch die geworbenen Abonnementsverträge fortlaufend Gewinn mit diesen Kunden zu erzielen. Die Zahlung eines Ausgleiches entspreche jedoch vorliegend nicht der Billigkeit. Denn der Klägerin seien infolge der Beendigung des Handelsvertretervertrages keine Provisionen entgangen, weil die für die Vermittlung angefallene Einmalprovision ausbezahlt worden sei und ihr auch bei Fortführung des Vertragsverhältnisses aufgrund der durch sie vermittelten Geschäfte keine weiteren Provisionen zugeflossen wären. Provisionsverluste seien nach der gesetzlichen Neuregelung zwar nur noch ein im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigender Umstand, allerdings ein herausgehobener. Auch dürfe das von den Parteien vereinbarte Provisionssystem (Einmalzahlung) nicht nachträglich über den Ausgleichsanspruch korrigiert und dem Handelsvertreter ein Mehr an Vergütung zugebilligt werden, als er bei Fortsetzung des Vertragsverhältnisses an Provision erhalten hätte. Es liege vorliegend kein Ausnahmefall vor, der das Entstehen eines Ausgleichsanspruchs ohne Provisionsverluste rechtfertigen könne. Dass die Beklagte auch künftig ohne weitere Vertriebsaufwendungen Einnahmen aus den von der Klägerin vermittelten Abonnements erziele und auch bereits erzielt habe, sei zutreffend, aber bei Abonnements regelmäßig der Fall und rechtfertige für sich keinen Ausgleichsanspruch. Die Einmalprovision habe die Klägerin auch nicht für 24 Monate, sondern für die gesamte Dauer des von ihr vermittelten Abonnementsvertrages erhalten. Auch ohne Kündigung wären ihr keine weiteren Provisionen zugeflossen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei der Ausgleichsanspruch kein Versorgungsanspruch, sondern eine Gegenleistung für die durch die Provision noch nicht voll abgegoltene Leistung des Handelsvertreters, nämlich für den Kundenstamm, den der Handelsvertreter geschaffen habe und den der Unternehmer nunmehr allein nutzen könne, also eine kapitalisierte, synallagmatische Restvergütung für den Aufbau des Kundenstammes darstelle. Die Beklagte aber könne den von der Klägerin geworbenen Kundenstamm nur im Rahmen der aufgebauten Abonnementsvertragsbeziehung nutzen, nicht aber um weitere Vertragsbeziehungen zu diesen Kunden aufzubauen. Ihr Bedarf sei vielmehr regelmäßig durch einen Abonnementsvertrag gedeckt.
6Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde. Sie vertritt die Auffassung, dass zumindest nach langfristigen Beschäftigungsverhältnissen, während derer der Handelsvertreter langfristige ganz überwiegend über die Dauer von 24 Monaten hinausgehende Abonnements mit dauerhaften Vorteilen für den Unternehmer eingeworben habe, es die Billigkeit erfordere, eine ergänzende Ausgleichsprovision zu zahlen. Im Rahmen der Billigkeitsprüfung seien nicht nur Provisionsverluste, sondern auch diverse weitere Kriterien zu berücksichtigen. Dass die Einmalprovision vorliegend – entgegen der Auffassung des Landgerichts - nicht an der gesamten Laufzeit orientiert sei, sondern an der Mindestlaufzeit des vermittelten Abonnements zeige sich auch daran, dass der Handelsvertreter im Falle einer Kündigung des Abonnenten nach Ablauf der Mindestlaufzeit und misslungener Rückgewinnungsmaßnahmen für die erneute Einholung des Kunden wiederum Provision in voller Höhe erhalte. Ein Ausgleichsanspruch für Vermittler von Abonnements gegen Einmalprovision könne daher nicht von vorneherein daran scheitern, dass im Rahmen der Billigkeit allein darauf abgestellt werde, dass aufgrund der vertraglichen Vergütungsvereinbarungen der Parteien keine Provisionsverluste entstünden.
7II.
8Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die vom Landgericht im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren getroffene Entscheidung zulasten der Klägerin hat keinen Bestand.
91.
10Eine Entscheidung, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen nach der Neufassung des § 89b HGB die Gewährung eines Ausgleichs auch ohne Provisionsverluste des Handelsvertreters der Billigkeit entspricht und ob die Zubilligung eines Ausgleichs ohne feststellbare Provisionsverluste eine Ausnahme darstellt, bei der es auf eine umfassende Abwägung von Billigkeitskriterien nicht entscheidend ankommt, ist eine höchstrichterlich noch nicht entschiedene, ungeklärte Rechtsfrage, deren Beantwortung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben soll. Denn ungeklärte Rechtsfragen dürfen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten der bedürftigen Partei beantwortet werden. Sie muss aus Gründen der Chancengleichheit die Möglichkeit haben, derartige Rechtsfragen in der Rechtsmittelinstanz und in einem Hauptsacheverfahren prüfen zu lassen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Februar 2008 – 1 BvR 1807/07 –, juris, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29. Mai 2006 – 1 BvR 430/03 –, juris, BVerfG v. 10.12.2001 - 1 BvR 1803/97, juris; BGH v. 21.11.2002 - V ZB 40/02, MDR 2003, 477 = BGHReport 2003, 407; Zöller/Philippi, ZPO, 29. Aufl., § 114 Rz. 21).
112.
12Auf die Beantwortung der ungeklärten Rechtsfrage kommt es vorliegend auch an.
13a.)
14Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt neues Recht unmittelbar zur Anwendung. Da das Handelsvertreterverhältnis zwischen den Parteien zum 31.03.2012 beendet wurde, ist § 89 b Abs.1 HGB in der aktuellen Fassung nach Inkrafttreten des Art. 6 a des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung vom 31.07.2009 am 05.08.2009 anwendbar. Es kommt dagegen nicht darauf an, dass das Handelsvertreterverhältnis vor dem 05.08.2009 begründet worden ist (vergleiche Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrecht, 4. Auflage 2012, Kap. IX Rn. 24; BGH, Urteil vom 23. 11. 2011, VIII ZR 203/10, juris). Denn nach dem alten in Art. 170 EGBGB enthaltenen und noch heute für alle gesetzlichen Neuregelungen geltenden allgemeinen Rechtsgedanken untersteht ein Schuldverhältnis nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seinen Wirkungen dem Recht, das zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Entstehungstatbestandes galt. Als Schuldverhältnis im Sinne dieser Bestimmung ist bei Dauerschuldverträgen, also insbesondere auch bei Handelsvertreterverträgen, nicht allein der Vertrag selbst, sondern der aus ihm entstehende Einzelanspruch zu verstehen (Küstner/Thume aaO mwN). Der Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Vertreterverhältnisses (BGH, Urteil vom 29. März 1990; 1 ZR 2 / 89, juris; BGH, Urteil vom 23 11. 2011, VIII ZR 203 / 10, juris). Diese liegt im Streitfall nach dem Inkrafttreten der Neufassung des § 89 b Abs. 1 HGB am 30.06.2011.
15b.)
16Die formalen Voraussetzungen eines Handelsvertreterausgleichs sind vorliegend unstreitig gegeben. Insbesondere hat die Klägerin ihre Ansprüche rechtzeitig gegenüber der Beklagten angemeldet, § 89b Abs. 4 HGB.
17c.)
18Zutreffend hat das Landgericht auch sowohl die Gewinnung von Stammkunden als auch das Verbleiben eines Unternehmervorteils festgestellt. Insoweit kann auf die Ausführungen im angegriffenen Beschluss bzw. im Urteil vom 28. Oktober 2014 verwiesen werden.
19d.)
20Welche Auswirkungen die Gesetzesänderung dagegen auf die Gewichtung der im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigenden Provisionsverluste hat, ist bislang – jedenfalls in Fällen, in denen es nach Beendigung des Handelsvertretervertrages nicht zu Provisionsverlusten kommt - ungeklärt. Zu einer Änderung des § 89b Abs.1 HGB kam es aufgrund der EuGH – Entscheidung vom 26.03.2009, wonach die Begrenzung des Ausgleichsanspruchs von vorneherein auf die vertraglichen Provisionsverluste auch dann, wenn die dem Unternehmen verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind, in Ansehung der Europäischen Handelsvertreterrichtlinie vom 18.12.1986 nicht erlaubt sei. Dies berücksichtigt die vom deutschen Gesetzgeber nunmehr geänderte Fassung des § 89b Abs.1 HGB, wonach als Voraussetzung für den Ausgleichsanspruch der nachvertragliche Unternehmensvorteil unverändert bestehen bleibt, § 89b Abs.1 Nr. 1 HGB n.F., der bislang für die Berechnung in der Praxis maßgebliche Provisionsverlust des Handelsvertreters jedoch nur noch im Rahmen der Billigkeit – dort jedoch als besonderes Merkmal hervorgehoben – Berücksichtigung finden soll, § 89b Abs.1 Nr. 2 HGB n.F. Klar ist damit nur, dass nunmehr auch in solchen Fällen, in denen der Handelsvertreter – etwa weil er für seine Akquisitionstätigkeit nur sehr geringe Provisionen erhalten hat oder auch nur eine Einmalprovision - Ausgleichsansprüche des Handelsvertreters nicht von vorneherein ausgeschlossen sind, wenn der Unternehmer oft auf Jahre hinaus vom Abschluss solcher Verträge mit den geworbenen Kunden erhebliche Vorteile erzielt hat (vgl. Senatsentscheidung vom 25.06.2010 - I 16 U 191/09, zitiert nach juris; vgl hierzu auch Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 2 , Der Ausgleichsanspruch des Handeslvertreters, 9. Auflage 2014 Kap.IX Rdn. 4 ff mwN). Wie in solchen Fällen der Unternehmervorteil konkret zu berechnen ist, ob nur in Ausnahmefällen ohne Provisionsverluste ein Ausgleich in Betracht kommt und welchen Einfluss die von den Parteien getroffenen provisionshindernden Abreden auf die Billigkeitsabwägung hat, ist damit noch nicht geklärt. Wie bereits ausgeführt, ist diese Klärung dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
21III.
22Aus den gleichen oben genannten Gründen ist der Klägerin auch Prozesskostenhilfe für die Durchführung einer Berufung mit dem Ziel der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Handelsvertreterausgleichs zu bewilligen.
23IV.
24Der Klägerin ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie war bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne ihr Verschulden verhindert, die Berufung rechtzeitig einzulegen und zu begründen.
25V.
26Ausdrücklich darauf hinzuweisen ist, dass mit der uneingeschränkten Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den bezifferten Zahlungsantrag im Hinblick auf die insgesamt offenen Rechtsfragen (ausnahmsweise) keine Vorentscheidung auch zur Erfolgsaussicht der Höhe nach getroffen ist.
27D… S… O…
28Vorsitzender Richter Richterin am Richter amam Oberlandesgericht Oberlandesgericht Landgericht
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Referenzen
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