Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 16/15
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer Westfalen bei der Bezirksregierung Münster vom 03. Februar 2015 (VK 1-1/15) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene jeweils zur Hälfte.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 53.550 EUR festgesetzt.
1
G r ü n d e
2A.
3Die Antragsgegnerin schrieb für ihr Gemeindegebiet die Altpapiersammlung für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2021 in einem europaweiten offenen Verfahren aus. Zum Leistungsumfang gehören nach einer Änderung der Leistungsbeschreibung die Einsammlung von Altpapier, Kartonagen und Pappe durch Leeren der entsprechenden Abfallbehälter, der Transport zu einer Anlieferungsstelle zur Verwertung und die Verwertung. Für die Leistungen erhält der Auftragnehmer ein Entgelt je Abfallbehälter und eine Kraftstoffkostenerstattung. Zuschlagskriterien sind der Preis ohne Kraftstoffkosten zu 75% unter Abzug des Verwertungserlöses, die Kosten des Energieverbrauchs zu 15 % und die Schadstoffemissionen der Fahrzeuge zu 10 %.
4Es wurden vier Angebote abgegeben. Die Antragstellerin hat bisher die Leistungen erbracht und erbringt diese interimsweise weiter. Den Zuschlag sollte die Beigeladene erhalten, deren Angebot sich für die Antragsgegnerin als das wirtschaftlichste darstellte, unter anderem deshalb, weil sie anders als die anderen Bieter nur Transportkosten bis zu ihrem Sammel-/Sortierplatz in Löhne, nicht aber bis zur Papierfabrik, wo die Verwertung stattfinden soll, angab.
5Die Antragstellerin war mit der beabsichtigten Zuschlagserteilung nicht einverstanden und stellte einen Nachprüfungsantrag. Zur Begründung führte sie aus, die Wertung der Angebote auf der vierten Wertungsstufe sei intransparent und fehlerhaft gewesen, denn die Bewertung der "Kraftstoffkosten" sei fehlerhaft erfolgt. Zudem müsse das Angebot der Beigeladenen ausgeschlossen werden, weil diese ein abgelaufenes EfB-Zertifikat vorgelegt habe.
6Die Antragstellerin hat beantragt,
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1. der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,
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2. das Angebot der Beigeladenen von der Wertung auszuschließen,
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3. die Antragsgegnerin zu verpflichten, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht den Zuschlag auf ihr, das Angebot der Antragstellerin, zu erteilen,
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4. hilfsweise:
das Vergabeverfahren aufzuheben,
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5. festzustellen, dass die Antragsgegnerin gegen vergaberechtliche Vorschriften verstoßen hat und das sie, die Antragstellerin, dadurch in ihren Rechten auf § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben beantragt,
16den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
17Die Antragsgegnerin verteidigte ihre Vorgehensweise. Die Beigeladene schloss sich an.
18Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin stattgegeben. Sie hat die Antragsgegnerin verpflichtet, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen und die verbliebenen Angebote neu zu werten.
19Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Antragsgegnerin habe gegen § 97 Abs. 1, Abs. 2 GWB in Verbindung mit § 19 Abs. 8 VOL/A-EG verstoßen, weil der Wertungsvorgang aufgrund der mitgeteilten Zuschlagskriterien vergaberechtswidrig sei. Die erforderliche Vergleichbarkeit der Angebote sei nicht gewährleistet. Die Leistungsbeschreibung sei eindeutig und aus der Sicht eines mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Bieters verständlich. Der Begriff "Verwertung" sei nicht abfallrechtlich definiert. Er umfasse, was üblicherweise mit dem Altpapier geschehe. Dieses werde in der Regel einer Papierfabrik überlassen und dort verwertet. Demzufolge müsse der Transportweg bis zur Papierfabrik und nicht nur bis zum Sammel-/Sortierplatz angeboten werden. Die Antragsgegnerin habe zwar die Zuschlagskriterien konkret genannt, sich bei der Bewertung der Angebote aber nicht an Ihre eigenen Vorgaben gehalten. Weil der Transport des Altpapiers zur Papierfabrik Leistungsgegenstand und auch Teil des Zuschlagskriteriums "Kraftstoffkosten" gewesen sei, habe auch er von allen Bietern kalkuliert werden müssen und zwar unabhängig davon, ob die Bieter die Verwertungsanlage und das Entsorgungskonzept selbst bestimmen durften. Nur dann seien die Angebote der Bieter objektiv vergleichbar. Die Beigeladene habe diese Leistung nicht erfasst und folglich habe ihr Angebot auch nicht mit den anderen Angeboten verglichen werden können. Die Antragsgegnerin habe insoweit den Sachverhalt nicht zutreffend vollständig ermittelt und die Angaben der Beigeladenen zulasten der anderen Bieter ausgewertet. Folglich sei das Angebot der Beigeladenen gemäß § 19 Abs. 3 d VOL/A-EG auszuschließen, weil diese Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen habe. Sie habe einen Teil der anzubietenden Leistung, nämlich den Transport des Altpapiers zu einer Verwertungsanlage, nicht in ihrem Angebot abgebildet. Dies hätte sie tun müssen, auch wenn dieser Teil der Leistung durch einen Dritten erbracht werden solle. Dahinstehen könne, ob das Angebot der Beigeladenen auch wegen eines ungültigen EfB- Zertifikat gemäß § 19 Abs. 2 VOL/A-EG habe ausgeschlossen werden müssen.
20Gegen den Beschluss der Vergabekammer hat die Beigeladene sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus dem Verfahren vor der Vergabekammer.
21Die Beigeladene beantragt,
221. den Beschluss der Vergabekammer Westfalen vom 03.02.2015, VK 1-1/15, aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
232. hilfsweise:
24den Beschluss der Vergabekammer Westfalen vom 03.02.2015, VK 1-1/15, aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in die Phase vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, die beteiligten Bieter einschließlich der Beigeladenen unter Bekanntgabe vergaberechtskonformer Vergabeunterlagen - die von der Antragsgegnerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu formulieren sind - erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern und die Angebotswertung zu wiederholen.
25Die Antragstellerin beantragt,
26die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
27Sie nimmt unter Ergänzung Bezug auf ihren Vortrag aus dem Verfahren vor der Vergabekammer.
28Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt. Sie hat bisher keine Neubewertung der – aus der Sicht der Vergabekammer – verbliebenen drei Angebote vorgenommen, weil sie der Auffassung ist, dass weder das Zuschlagskriterium "Kosten des Energieverbrauchs" noch ihre Bewertung des Angebots der Beigeladenen zu beanstanden sind.
29Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten, die Verfahrensakte der Vergabekammer und die Vergabeakte verwiesen.
30B.
31Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen ist erfolglos, denn der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Die Vergabekammer hat das Angebot der Beigeladenen zu Recht vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen und die Antragsgegnerin verpflichtet, bei bestehender Vergabeabsicht die verbleibenden Angebote neu zu werten.
321.
33Das Angebot der Beigeladenen ist gemäß § 19 Abs. 3 d VOL/A-EG vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen, weil sie die Vergabeunterlagen unzulässig geändert hat, indem sie nur die Kosten des Energieverbrauchs/die Kraftstoffkosten bis zu ihrem Sammel-/Sortierplatz in Löhne, nicht aber bis zur Papierfabrik, wo die Verwertung des Altpapiers stattfinden soll, angegeben hat.
34Die Vorgabe, die Kosten des Energieverbrauchs/die Kraftstoffkosten bis zum Ort der Verwertung anzugeben, ist den Vergabeunterlagen klar und unmissverständlich zu entnehmen. Die Antragsgegnerin hat die zu erbringende Leistung und die Zuschlagskriterien bei Zugrundelegung des Verständnismaßstabs eines objektiven und fachkundigen Bieters eindeutig und in sich widerspruchsfrei beschrieben, so dass alle Bieter die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen mussten und miteinander vergleichbare Angebote zu erwarten waren. Dies gilt auch hinsichtlich der Notwendigkeit der vollständigen Angabe der bis zur Verwertung anfallenden Kosten des Energieverbrauchs/der Kraftstoffkosten.
35Ausweislich der Bekanntmachung sollten Altpapierbehälter gestellt, sowie das anfallende Altpapier eingesammelt, transportiert und verwertet werden. Der Begriff der "Verwertung" ist in § 3 Abs. 23 KrWG abfallrechtlich definiert. Danach ist eine Verwertung jedes Verfahren, als dessen Hauptergebnis die Abfälle innerhalb der Anlage oder in der weiteren Wirtschaft einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, indem sie entweder andere Materialien ersetzen, die sonst zur Erfüllung einer bestimmten Funktion verwendet worden wären, oder indem die Abfälle so vorbereitet werden, dass sie diese Funktion erfüllen. Sie stellt den Schlusspunkt der Abfallbewirtschaftung des anfallenden Altpapiers dar, die gemäß § 3 Abs. 14 KrWG aus der Bereitstellung bzw. Überlassung, Sammlung, Beförderung und Verwertung bzw. Beseitigung besteht. Diese Absicht der Antragsgegnerin ergibt sich auch aus der Leistungsbeschreibung, in der unter dem Punkt "Verwertung" ausgeführt wird: "Der Auftragnehmer übernimmt die Verwertung des Altpapiers. Dies umfasst die Aussortierung von Störstoffen und die Verpressung des Altpapiers (soweit für die Verwertung und den Transport erforderlich) sowie den Transport zu einer zugelassenen Recyclinganlage (zum Beispiel Papierfabrik) und die Vermarktung des Altpapiers."
36Demzufolge ist der Transportweg zu einer Anlage, in der eine tatsächliche stoffliche Verwertung des Altpapiers stattfindet, ebenfalls Gegenstand der Leistungsbeschreibung gewesen und musste von den Bietern kalkuliert und angeboten werden. Die beim Transport bis zur Verwertung anfallenden Kosten des Energieverbrauchs/Kraftstoffkosten mussten auch gesondert und vollständig angegeben werden. In dem mit dem Bewertungsschema im Zusammenhang stehenden Preisblatt sind in den Zeilen 47 und 48 zum einen "Kraftstoffkosten Sammlung, Transport und Verwertung" sowie "Kraftstoffkosten Behältertausch" anzugeben, so dass alle Kraftstoffkosten und damit auch die Kraftstoffkosten des Transports zur Verwertungsanlage einzutragen waren. Dem steht nicht entgegen, dass in den Bewerbungsbedingungen unter der Ziffer 3.4 zum Kriterium "Kosten des Energieverbrauchs" auf "Kraftstoffe für Fahrzeuge bei der Einsammlung" verwiesen wird. Der Begriff der „Einsammlung“ ist bei der gebotenen Gesamtschau der Vergabeunterlagen durch einen fachkundigen Bieter und insbesondere im Hinblick auf die Zeilen 47 und 48 des Preisblatts abweichend von der Terminologie des KrWG als der gesamte Transportvorgang des Altpapiers vom Sammelbehälter bis zur Verwertungsanlage zu verstehen, denn die Antragsgegnerin hat erkennbar nicht beabsichtigt, den kraftstoffmäßig zu berücksichtigenden Transport des Altpapiers an einer von einem Bieter zu bestimmenden Stelle auf dem Weg zur Verwertungsanlage „abreißen“ zu lassen. Folglich haben auch alle Bieter, mit Ausnahme der Beigeladenen, sämtliche Kraftstoffkosten bis zur Verwertungsanlage angegeben. Die Antragsgegnerin hat daher das Angebot der Beigeladenen zu Unrecht nicht vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen.
37Abschließend ist Folgendes anzumerken:
38Ob die Forderung der Antragsgegnerin, die sich von § 4 Abs. 4, Abs. 6 b VgV hat leiten lassen, nach der Angabe der gesamten "Kosten des Energieverbrauchs/Kraftstoffkosten" und der "Schadstoffemissionen der Fahrzeuge" sinnvoll und praktikabel ist, ist - ungeachtet ihrer gegebenen vergaberechtlichen Zulässigkeit, insbesondere ihrer Zumutbarkeit (vergleiche dazu: BGH, Urteil vom 03.04.2012, X ZR 130/10, juris, Rn. 16ff) - fraglich. Wie die Antragsgegnerin selbst ausgeführt hat, ist eine belastbare Aussage kaum möglich, erst recht nicht für einen Zeitraum von sieben Jahren, in dem Fahrzeuge mehrfach ausgetauscht werden und Kraftstoffpreise erheblichen Schwankungen unterliegen sowie ein Wechsel des Verwertungsbetriebes möglich ist. Dies gilt erst recht, wenn die Verwertung - wie nicht unüblich - im Ausland erfolgen soll. Es besteht die Gefahr, dass diese Kriterien zu spekulativen oder gar willkürlichen Angaben führen, die den Wettbewerb verfälschen. Eine ökologisch sinnvolle Verwertung des Altpapiers im Nahbereich könnte beispielsweise besser durch die Berücksichtigung der Entfernung der Verwertungsanlage vom Sammelort als Zuschlagskriterium gefördert werden.
392.
40Weil das Angebot der Beigeladenen aus dem vorstehenden Grund vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen ist, muss nicht entschieden werden, ob es auch aus einem anderen Grund (abgelaufenes EfB-Zertifikat und/oder fehlende Nachunternehmererklärung) ausgeschlossen werden musste.
41C.
42Die Entscheidung über die Kosten und Aufwendungen beruht auf § 128 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 GWB sowie auf den §§ 120 Abs. 2, 78 GWB.
43Der Streitwert beträgt 53.550 EUR (§ 50 Abs. 2 GKG).
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Referenzen
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