Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VII-Verg 41/15
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 8. Juli 2015 (VK 2 – 53/15) aufgehoben.
Der Antragsgegnerin wird untersagt, in dem Vergabeverfahren zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung zur Versorgung der Versicherten der Antragsgegnerin mit Elektrostimulationsgeräten der Produktgruppe 09 (hier TENS- und EMS-Geräte) nebst Zubehör sowie damit im Zusammenhang stehender Dienstleistungen gemäß § 127 Abs. 1 SGB 5, Losnummer 2 (ABl. EU 2015/S 031-051852) hinsichtlich des Gebietsloses Nr. 2 einen Zuschlag zu erteilen.
Für die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer haften die Antragsgegnerin, die Antragstellerin und die Beigeladene zu 2) als Gesamtschuldner. Im Innenverhältnis tragen die Antragstellerin 76% und die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene zu 2) jeweils 12% der Kosten.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen der Antragsgegnerin trägt die Antragstellerin zu 76 % und die der Beigeladenen zu 1) in vollem Umfang. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 2) tragen die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin zu je 12%.
Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten war für die Antragsgegnerin, die Beigeladenen zu 1) und zu 2) sowie für die Antragstellerin notwendig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 2) je zu 25% und die Antragstellerin zu 50%.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Antragsgegnerin schrieb am 13. Februar 2015 den „Abschluss einer Rahmenvereinbarung zur Versorgung der Versicherten des Auftraggebers mit Elektrostimulationsgeräten der Produktgruppe 09 (TENS- und EMS-Geräte)“ im offenen Verfahren europaweit aus. Der Auftrag ist in sechs Gebietslose aufgeteilt. Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis. Jeder Bieter konnte sich auf maximal zwei Gebietslose bewerben.
4Nach Ziffer 6 des von Bietern zu verwendenden Angebotsvordrucks verlangte die Antragsgegnerin eine „Erklärung zu gesellschaftsrechtlichen und/oder personellen, räumlichen bzw. organisationellen und sonstigen Verflechtungen des Bieters/der Mitglieder der Bietergemeinschaft mit anderen Unternehmen“ in der durch Setzen eines entsprechenden Kreuzes entweder die Erklärung abgegeben wurde „nicht mit anderen Unternehmen im vorstehenden Sinne verbunden“ oder „mit nachstehend aufgeführten Unternehmen im vorstehenden Sinne verbunden“ zu sein. Unterhalb der durch Ankreuzen zu erteilenden Antwort befand sich eine Tabelle mit drei Spalten, in die gegebenenfalls bestehende Verflechtungen einzutragen waren. Des Weiteren war in dem eine DIN A-4-Seite umfassenden Formular unterhalb der Tabelle angegeben, dass die vorgenannte Aufstellung abschließend sei und Unternehmen, die nicht aufgeführt seien, weder gesellschaftsrechtlich noch personell, räumlich oder infrastrukturell oder in anderer Weise verflochten seien. Des Weiteren behielt sich die Antragsgegnerin in einem unterhalb der Tabelle stehenden Zusatz vor, unter Fristsetzung zu einer Darlegung aufzufordern, wie der jeweilige Bieter in dem Vergabeverfahren ein von den angegebenen Verflechtungen unbeeinflussten Wettbewerb gewährleiste. Auf die Folge eines Angebotsausschlusses bei nicht fristgerechter Mitteilung auf die entsprechende Aufforderung wurde hingewiesen.
5Die Antragstellerin beteiligte sich mit einem Angebot auf die Gebietslose Nr. 1 und Nr. 2 am Wettbewerb. Mit Schreiben vom 01.06.2015 unterrichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin darüber, ihre Angebote seien nach § 6 Abs. 6 lit. c) und e) VOL/A-EG wegen einer wissentlich falschen Erklärung über gesellschaftsrechtliche und personelle Verflechtungen mit anderen Unternehmen (Ziffer 6 des Angebotsvordrucks) auszuschließen. Für das Gebietslos Nr. 1 sei ein Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu 1) und für das Gebietslos Nr. 2 sei ein Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu 2) beabsichtigt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 2. Juni 2015 rügte die Antragstellerin ihren Ausschluss von der Vergabe und machte nähere Angaben zu personellen und gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen mit von ihr beherrschten Unternehmen.
6Mit Schreiben vom 5. Juni 2015 half die Antragsgegnerin der Rüge nicht ab. Mit Schreiben vom 8. Juni 2015 machte die Antragstellerin weitere Angaben zu Verflechtungen mit am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen.
7Ebenfalls am 8. Juni 2015 hat die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes eingereicht, mit dem sie sich gegen den Angebotsausschluss für die Gebietslose Nr. 1 und Nr. 2 gewehrt hat. Bezüglich des Gebietsloses Nr. 1 hat sie den Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer zurückgenommen. Die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene zu 1) sind dem Nachprüfungsantrag zuvor entgegengetreten.
8Die Vergabekammer des Bundes hat den sodann auf das Gebietslos Nr. 2 beschränkten Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Infolge bestehender Verflechtungen mit Unternehmen habe die Antragstellerin die nach Ziffer 6 des Angebotsvordrucks erforderliche Erklärung wissentlich falsch abgegeben. Dies stelle eine schwere Verfehlung dar, die den Ausschluss des Angebots zur Folge habe.
9Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Unter Vertiefung und Ergänzung ihres Vorbringens vor der Vergabekammer hält sie den Ausschluss ihres, der Antragstellerin, Angebots von der Vergabe für rechtswidrig. Es liege weder eine schwere Verfehlung im Sinne von § 6 Abs. 6 VOL/A-EG noch ein Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs vor.
10Die Antragstellerin beantragt,
11die Entscheidung der 2. Vergabekammer des Bundes vom 08.07.2015 (VK 2 – 53/15) aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Ausschluss ihres, der Antragstellerin, Angebots für das Gebietslos Nr. 2 aufzuheben und es zu werten.
12Die Anträge auf Erteilung des Zuschlags und Zurückverweisung der Sache ließ die Antragstellerin im Termin vor dem Senat fallen.
13Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
14die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
15Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und stützen den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nunmehr auch auf deren Unzuverlässigkeit.
16Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und Anlagen sowie auf die Verfahrensakten der Vergabekammer und die beigezogenen Vergabeakten Bezug genommen.
17II. Die Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Erteilung eines Zuschlags in dem Vergabeverfahren „Abschluss einer Rahmenvereinbarung zur Versorgung der Versicherten des Auftraggebers mit Elektrostimulationsgeräten der Produktgruppe 09 (TENS- und EMS-Geräte)“ hinsichtlich des Gebietsloses Nr. 2 ist zu untersagen, weil der Nachprüfungsantrag begründet ist. Der Antragstellerin ist weder eine schwere Verfehlung vorzuwerfen noch ein Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs.
181. Der Nachprüfungsantrag ist, wie die Vergabekammer zutreffend festgestellt hat, zulässig.
19a) Die Antragstellerin ist antragsbefugt, § 107 Abs. 2 GWB. Sie hat ein Interesse an dem ausgeschriebenen Auftrag, eine Verletzung in Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften sowie einen drohenden Schaden vorgetragen. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
20Der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 14.12.2015 gibt keinen Anlass zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 Abs. 2 ZPO. Denn die Antragsbefugnis entfällt nicht, weil die Antragstellerin die zunächst bis zum 09.12.2105 erklärte Bindung an ihr Angebot verspätet, nämlich erst mit Schreiben vom 15.12.2015 und damit nach Ablauf der von der Antragsgegnerin gesetzten Frist vom 01.12.2015 verlängert hat. Ist das Angebot eines Bieters gemäß §§ 146, 148 BGB erloschen, weil der Bieter es versäumt hat, rechtzeitig einer Verlängerung der Bindefrist zuzustimmen, führt die zivilrechtliche Wertung nicht dazu, dass das Angebot auch vergaberechtlich hinfällig ist. Der Auftraggeber ist nicht daran gehindert und kann unter der Geltung des öffentlichen Haushaltsrechts im Einzelfall sogar dazu gehalten sein, den Zuschlag auf ein verfristetes Angebot zu erteilen (BGH, Urteil v. 28.10.2003, X ZR 248/02, juris Rn. 13; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.02.2009, VII-Verg 70/08, juris Rn. 20 f.).
21b) Die Antragstellerin hat der Rügeobliegenheit genügt, § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB. Auf die Ausschlussmitteilung der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 01.06.2015 hat die Antragstellerin tags darauf, nämlich mit Schreiben vom 02.06.2015 Rüge erhoben und sich gegen den Ausschluss ihrer Angebote gewehrt. Das war rechtzeitig.
222. Der Nachprüfungsantrag hat Erfolg.
23Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin verstößt gegen Vergaberecht. Die von der Antragsgegnerin getroffene Ausschlussentscheidung ist gegenstandslos.
24a) Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 6 lit. e) VOL/A-EG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift können Bieter von der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen werden, die in Vergabeverfahren vorsätzlich unzutreffende Erklärungen in Bezug auf ihre Eignung abgegebene haben. Die Abgabe der nach Ziffer 6 des Angebotsvordrucks geforderten „Erklärung zu gesellschaftsrechtlichen und/oder personellen, räumlichen bzw. organisatorischen und sonstigen Verflechtungen des Bieters/der Mitglieder der Bietergemeinschaft mit anderen Unternehmen“ betrifft jedoch nicht die Eignung von Bietern.
25Die von öffentlichen Auftraggebern gestellten Anforderungen an die Eignung (Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit) sind in der Bekanntmachung anzugeben (Art. 44 Abs. 2 UA 3 RL 2004/18/EG). Zum Beleg der Eignung geforderte Nachweise müssen sich ebenfalls aus der Bekanntmachung ergeben (§ 7 Abs. 5 Satz 1 VOL/A-EG). Nach Art. 47 Abs. 4, Art. 48 Abs. 6 Richtlinie 2004/18/EG können Nachweise vom Auftraggeber auch noch in der Angebotsaufforderung benannt werden. Diesen Voraussetzungen genügt die nach Ziffer 6 des Angebotsvordrucks geforderte Erklärung nicht. Die Vergabebekanntmachung verhält sich nicht über diesbezügliche Eignungsanforderungen und Nachweise. Darüber hinaus betrifft die geforderte Erklärung weder die persönliche Lage des Bieters noch seine berufliche/technische oder wirtschaftlich/finanzielle Leistungsfähigkeit (Art. 48, 47 Richtlinie 2004/18/EG). Wie die Antragsgegnerin vorgetragen hat, sollte die abzugebende Erklärung der Prüfung der Einhaltung von Vergaberecht mit Blick auf die Grundsätze des Geheimwettbewerbs dienen. Mit Eignung hat dies nichts zu tun.
26b) Das Angebot der Antragstellerin ist nicht wegen fehlender Zuverlässigkeit von der Vergabe auszuschließen, § 97 Abs. 4 S. 1 GWB.
27Als unbestimmter Rechtsbegriff unterliegt das Kriterium der Zuverlässigkeit, soweit damit eine Prognose mit Blick auf das künftige Vertragsverhalten des Bieters verbunden ist, einer eingeschränkten Nachprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen auf Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums, insbesondere darauf, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden ist, allgemeine Wertungsgrundsätze beachtet worden und keine sachwidrige Erwägungen in die Wertung eingeflossen sind. Es werden keine sachfremden Erwägungen angestellt, wenn der Auftraggeber bei der Beurteilung auf Erfahrungen zurückgreift, die er mit dem Bewerber bei der Abwicklung eines früheren Auftrags gemacht hat, insbesondere dann, wenn sich daraus vertragliche Verfehlungen ergeben haben. Das Merkmal der Zuverlässigkeit darf - soll es aussagekräftig bewertet werden - nicht aufgrund einer bloßen Momentaufnahme im Rahmen einer laufenden Ausschreibung beurteilt werden, will sich der Auftraggeber nicht dem Vorwurf aussetzen, einen unvollständigen Sachverhalt zu Grunde gelegt zu haben. Vielmehr ist gerade auch das frühere Vertragsverhalten eines Unternehmers zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, wenn ein Auftrag vergeben werden soll, der - wie hier - mit dem vorhergehenden Auftrag weitgehend identisch ist. Deshalb hat das Leistungsverhalten des Bewerbers im Rahmen des früheren Vertrages zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Entscheidung über die neue Vergabe (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.07.2012, VII-Verg 27/12, juris Rn. 9). Maßgebend ist also, inwieweit die bisherigen Erfahrungen mit dem Bewerber die Aussage rechtfertigen, er werde die Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens sind, vertragsgerecht und reibungslos erbringen. Dies gilt besonders dann, wenn es sich um Erfahrungen des Auftraggebers mit dem Bewerber wegen derselben oder fast derselben Leistungen handelt. Ausreichend für die Berechtigung der Annahme, ein Bewerber sei unzuverlässig, ist nicht nur eine auf der Hand liegende Vertragsverletzung, sondern sind auch solche Umstände des Einzelfalles, die die Besorgnis rechtfertigen, die reibungslose Durchführung des Auftrags könne nicht erwartet werden (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.02.2009, VII-Verg 65/08; OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.09.2010, Verg W 8/10).
28Gemessen an diesen Vorgaben rechtfertigen die von der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin erhobenen Vorwürfe wegen unzulässiger Werbung nach §§ 5, 6 Abs. 2 UWG keinen Ausschluss von der Vergabe wegen Unzuverlässigkeit. Offen bleiben kann, ob die Ausführungen der Antragstellerin im Rahmen eines „Mailings“, d.h. im Rahmen von Anschreiben an Ärzte und Patienten, „die Krankenkassen diktier(t)en Billigpreise“ und es sei „nicht nachvollziehbar, dass für zehn Euro für zwei Jahre Durchführung einer Schmerztherapie weder ein hochwertiges Gerät noch qualitativ hochwertiges Zubehörmaterial oder ein geschulter Patientenservice leistbar“ seien, mit Wettbewerbsrecht vereinbar ist, weil dies keine Rückschlüsse darauf zulässt, die Antragstellerin werde den strittigen Vertrag nicht ordnungsgemäß erfüllen. Im Gegenteil ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Antragstellerin den inzwischen gekündigten, aber noch abzuwickelnden Vertrag über die Versorgung der Versicherten der Antragsgegnerin mit Hilfsmitteln nach § 127 SGB V vertragskonform erfüllt hat. Berechtigte Zweifel, von der Antragstellerin könne keine reibungslose Durchführung des Auftrags erwartet werden, sind nicht gegeben. Insbesondere ist nicht zu kritisieren, dass sich die Antragstellerin in dem von der Antragsgegnerin angegriffenen Mailing in Konkurrenz zur Antragsgegnerin gesetzt hat und Wettbewerberin geworden ist, weil weder der ausgeschriebene Auftrag noch – nach dem Sachvortrag der Antragsgegnerin - der inzwischen gekündigte Vertrag mit der Antragstellerin ein Wettbewerbsverbot enthielt. Auch kann der Antragstellerin nicht vorgeworfen werden, sie verunglimpfe die Antragsgegnerin gegenüber Patienten und verletze dadurch vertragliche Nebenpflichten. Wie die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen hat, hat sie Patienten, die bisher von der Antragstellerin beliefert worden sind, ihren Wohnsitz aber im Gebiet des Loses Nr. 2 der strittigen Ausschreibung unterhalten, nicht kontaktiert.
29c) Der Antragstellerin kann auch keine schwere Verfehlung nach § 6 Abs. 6 lit. c) VOL/A-EG vorgeworfen werden. Der auf einem solchen Vorwurf beruhende Ausschluss ist rechtswidrig. Die nach Ziffer 6 der Angebotsaufforderung geforderte „Erklärung zu gesellschaftsrechtlichen und/oder personellen, räumlichen bzw. organisatorischen und sonstigen Verflechtungen des Bieters/der Mitglieder der Bietergemeinschaft mit anderen Unternehmen“ war unzulässig. Sie widerspricht der in Vergabeverfahren gebotenen Eindeutigkeit und war Bietern nicht zumutbar.
30(1) Gemäß § 6 Abs. 6 lit. c) VOL/A-EG können von der Teilnahme am Wettbewerb Bewerber ausgeschlossen werden, die nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben, die ihre Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage stellt. Unspezifizierte Vorwürfe, vage Vermutungen und Verdachtsmomente reichen hierfür nicht aus. Die Verfehlung muss nach objektiven Kriterien beweisbar sein. Ist der Bewerber eine juristische Person, kommt es für die Beurteilung auf die für das Unternehmen verantwortlich handelnden Personen an (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.07.2005, VII-Verg 42/05, juris Rn. 12; Hausmann/Kern in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 3. Aufl., § 6 Rn. 104 m.w.N.).
31Es kann zunächst dahin stehen, ob eine schwere Verfehlung im Sinn von § 6 Abs. 6 lit. c) VOL/A-EG vorliegt, wenn sich aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis ergebende Sorgfaltspflichten - solche bestehen als Ausfluss gegenseitiger Rücksichtnahmepflichten auch bei im Rahmen eines Wettbewerbs von Bietern zu machenden Angaben, §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB (vgl. nur BGH, Beschl. v. 09.06.2011, X ZR 143/10, juris Rn. 14 f.) - verletzt werden und bereits ein Fahrlässigkeitsvorwurf für das Vorliegen des Tatbestands des § 6 Abs. 6 lit. c) VOL/A-EG ausreicht. Denn ein Pflichtenverstoß der Antragstellerin, der von der Antragsgegnerin darzulegen und zu beweisen wäre, kann nicht festgestellt werden. Der Vorwurf einer schweren Verfehlung erfordert darüber hinaus, wie sich aus dem Kontext von § 6 Abs. 6 lit. c) VOL/A-EG mit den in § 6 Abs. 4 VOL/A-EG aufgeführten und ebenfalls einen Angebotsausschluss rechtfertigenden Straftaten ergibt, einen Pflichtenverstoß von einigem Gewicht, der bei der hiesigen Sachlage und in Ansehung der Auslegungsbedürftigkeit der nach Ziffer 6 der Angebotsaufforderung geforderten Erklärung nicht anzunehmen wäre.
32(2) Die von der Antragsgegnerin in Ziffer 6 des Angebotsvordrucks geforderte Erklärung ist mit den Grundsätzen des Geheimwettbewerbs unvereinbar.
33Vergabeunterlagen sind aus der Sicht eines verständigen Bieters auszulegen (BGH, Urt. v. 10.06.2008, X ZR 78/07, juris Rn. 10 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.12.2012, VII-Verg 29/12; Beschl. v. 20.05.2005, VII-Verg 19/05; Beschl. v. 08.02.2005, VII-Verg 19/04). Bieter durften und konnten die im Streitfall abzugebende Erklärung wegen der möglichen Komplexität von personellen und organisatorischen Verflechtungen in Konzernstrukturen einschränkend dahin verstehen (§§ 133, 157 BGB), dass nur solche Verbindungen anzugeben sein sollten, die Unternehmen betrafen, die nicht nur rechtlich oder faktisch konzernverbunden sind, sondern auch beabsichtigten, sich durch ein Angebot am Wettbewerb zu beteiligen. Der Antragsgegnerin kam es für die Bieter erkennbar darauf an, mit der verlangten Erklärung einer Verletzung des Gebots des Geheimwettbewerbs vorbeugend entgegen zu wirken. Dies ergab sich aus dem im Formblatt enthaltenen Hinweis auf einen Angebotsausschluss im Fall einer wettbewerbswidrigen Abrede oder eines Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs. Eine Auslegung des Formblatts dahingehend, es seien nur Angaben zu machen, die der Antragsgegnerin eine Überprüfung der Einhaltung des Verbot wettbewerbswidriger Abreden bzw. des Gebots des Geheimwettbewerbs ermöglichten, war von daher nicht nur möglich, sondern auch naheliegend.
34Vor diesem Hintergrund ist zunächst nicht zu beanstanden, dass die Antragstellerin im Formular zu Ziffer 6 des Angebotsvordrucks die Erklärung angekreuzt hat, mit anderen Unternehmen nicht im Sinne des Formulars verbunden zu sein. Sie hat unwiderlegt vorgetragen, dass die einzig mit ihr personell verbundene Mitbewerberin, die B..., bisher öffentlichen Ausschreibungen fern geblieben sei. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 06.06.2015 hat die Antragstellerin die Mehrheitsbeteiligungen an von ihr beherrschten Unternehmen ebenso wie die Namen der Gesellschafter und deren Anteil am Gesellschaftsvermögen gegenüber der Vergabekammer offen gelegt. Keines der darin aufgeführten Unternehmen ist an dem strittigen Vergabeverfahren beteiligt. Insbesondere ist die Antragstellerin weder an der N…. E.U.R.L. noch an der T… S.A.R.L. beteiligt. Auch die Gesellschafter der Antragstellerin halten keine Beteiligungen an diesen Gesellschaften. Soweit eine personelle Verflechtung der Antragstellerin mit der in Ungarn ansässigen B... in der Weise besteht, dass der Prokurist der B... zugleich Mitgeschäftsführer der Antragstellerin ist, schadet dies ebenfalls nicht. Denn die von L… geführte B... ist keine Tochter oder Schwestergesellschaft der Antragstellerin, die vertraglich durch entsprechende Beteiligungen Einfluss auf die B... ausübt. L... ist an den Unternehmen der Antragstellerin ebenso wenig wie an der Antragstellerin selbst als Gesellschafter beteiligt.
35Allerdings durfte die Antragsgegnerin eine solche für Bieter einschränkende Auslegung der strittigen Erklärung nicht eröffnen. Sie verleitete Bieter hierdurch, den Vertraulichkeitsgrundsatz zu verletzen, weil auch die Aufklärung darüber, ob und welches Schwester- oder Tochterunternehmen sich ebenfalls am Wettbewerb beteiligt, dem Schutz des Gebots des Geheimwettbewerbs unterliegt. Hierdurch hat sie das Transparenzgebot missachtet und gegen Vergaberecht verstoßen. Rechtmäßige Kenntnis von einer Beteiligung konzernverbundener und/oder verflochtener Unternehmen am selben Wettbewerb hätte sich die Antragstellerin nur durch die Bildung einer Bietergemeinschaft mit Schwester- und/oder Tochterunternehmen verschaffen können, zu denen sie nach § 36 Abs. 2 GWB nicht im Wettbewerb steht und die deshalb dem Schutzbereich des Gebots des Geheimwettbewerbs bei Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft im Verhältnis zueinander nicht unterliegen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.07.2015, VII-Verg 5/15; anders im Fall von Parallelangeboten: OLG Düsseldorf, beschl. v. 13.04.2011, VII-Verg 4/11, juris Rn. 33 ff.). Das durfte von ihr nicht verlangt werden.
36Ein Verstoß der Antragstellerin gegen das Gebot der Vertraulichkeit durch eine wettbewerbswidrige Absprache (§ 19 Abs. 3 lit. f) VOL/A-EG) ist nicht auszumachen. Da die Antragstellerin mit keinem am Wettbewerb beteiligten Unternehmen rechtlich oder faktisch im aktienrechtlichen Sinn verbunden ist, spricht gegen sie keine tatsächliche widerlegliche Vermutung, ein Angebot eingereicht zu haben, das durch Angebote der B... und/oder N… E.U.R.L. beeinflusst worden sein könnte, was sie zu widerlegen hätte (vgl. EuGH, Urt. v. 23.12.2009, C-376/08 „Serrantoni“; Urt. v. 19.05.2009, C-538/07 „Assitur“; Urt. v. 16.12.2008, C-213/07 „Michaniki“; Urt. v. 03.03.2005, C-34/03 „Fabricom“; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.09.2011, VII-Verg 63/11; Beschl. v. 11.05.2011, VII-Verg 8/11; Beschl. v. 13.04.2011, VII-Verg 4/11). Auf die Frage, ob der zweite Geschäftsführer X... der Antragstellerin durch interne organisatorische Vorkehrungen („chinese walls“) der Antragstellerin an einer Kenntnis von einer Wettbewerbsbeteiligung sowie des Inhalts der von der Antragstellerin eingereichten Angebote gehindert war, kommt es nicht an.
37(3) Die Antragsgegnerin hat die verlangte Erklärung auch deshalb nicht wirksam gefordert, weil sie Bietern nicht zumutbar ist.
38Für Bieter, die in vielerlei Hinsicht, d.h. nicht nur organisatorisch und gesellschaftsrechtlich, sondern auch personell mit anderen Unternehmen verflochten sind, können die von der Antragsgegnerin geforderten umfassenden Angaben mit einem erheblichen Rechercheaufwand wie z.B. in der Form der Einholung von Auskünften bei Schwester- und Tochterunternehmen oder aufwändigen sonstigen Recherchen verbunden sein, dieq außer Verhältnis zu der damit von der Antragsgegnerin bezweckten Erleichterung einer Prüfung der Wahrung des Geheimwettbewerbs steht. In Anbetracht des Umstands, dass der Zuschlag naturgemäß nur auf ein Angebot ergeht, belastet ein solcher Aufwand Bieter in einem Maße, das in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen dieser Vorgehensweise für die Vergabestellen steht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Juni 2008, X ZR 78/07, juris - Rn. 14). Öffentliche Auftraggeber sind aus Gründen der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Vorbereitung einer Ausschreibung deshalb verpflichtet, zu prüfen, ob nicht andere und für Bieter weniger aufwändige Möglichkeiten bestehen, Aufklärung nur von denjenigen Bietern zu verlangen, die in der Gefahr stehen, gegen das Vertraulichkeitsgebot zu verstoßen. Dies gilt erst Recht gegenüber abhängigen und herrschenden Unternehmen (§ 17 AktG) sowie Konzernunternehmen (§ 18 AktG), die nach dem auch vergaberechtlich zu beachtenden § 36 Abs. 2 GWB als einheitliches Unternehmen anzusehen sind und deren Geschäftsführung möglicherweise nicht über alle Verflechtungen informiert ist und auch nicht informiert sein muss. Der durch die Antragsgegnerin durch die geforderte Erklärung ersparte Aufwand, sich zunächst ein eigenes Bild von Verflechtungen zwischen Wettbewerbsteilnehmern zu machen, steht außer Verhältnis zu dem von Bietern bereits mit Abgabe des Angebots zu treibenden Aufwand, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Auch die Ausschlussfolge im Fall einer – sei es auch nur fahrlässig – unvollständigen oder fehlerhaften Erklärung belastet Bieter in einem nicht hinnehmbaren Maß, abgesehen davon, dass wegen eines solchen Risikos lukrative Angebote von vornherein aus dem Wettbewerb ausscheiden können.
39(4) Die Antragsgegnerin hat vergaberechtswidrig versäumt, vor Ausschluss des Angebots der Antragstellerin die Firmenzusammenhänge aufzuklären und die Antragstellerin nach Aufkommen kartellrechtlicher Zweifel an ihrer Wettbewerbsbeteiligung zu entsprechenden Auskünften aufzufordern und sich aktuelle Handelsregisterauszüge und/oder Gesellschaftsverträge vorlegen zu lassen (§ 18 VOL/A-EG). Hierzu war sie spätestens nach Zugang des Schriftsatzes der Antragstellerin vom 06.06.2015 verpflichtet, in dem Beteiligungen offen gelegt worden waren, zu denen aber weder die N… E.U.R.L. noch die T… S.A.R.L. und die B... gehörten.
40Richtig ist zwar, dass die von den Gesellschaftern der Antragstellerin gehaltene Q… GmbH sowie die Antragstellerin auf den Internetseiten der N... E.U.R.L., T… S.A.R.L. und B…. als „Muttergesellschaft“, „Firmengruppe“, und „Familienverbund“ bezeichnet werden. Das allein reichte jedoch als Grundlage für den Vorwurf der Abgabe falscher Erklärungen und einer damit begründeten schweren Verfehlung nicht aus. Denn der Vater des Geschäftsführers der Antragstellerin, L..., hat ab 2010 seine bis dahin gehaltenen Beteiligungen sowohl an der Antragstellerin als auch an den mit dieser heute verbundenen Unternehmen aufgegeben und sich zugleich den Alleinbesitz an den heute nicht mehr mit der Antragstellerin verbundenen Unternehmen verschafft. Das ergibt sich aus einer Internetrecherche. Dass die Internetseiten dieser Unternehmen möglicherweise irreführende oder unvollständige Angaben enthalten, ist für den vorliegenden Fall ohne rechtliche Relevanz. Für den zu entscheidenden Streit kommt es maßgeblich darauf an, welche rechtlichen Verbundenheiten innerhalb der früheren von L... gegründeten „Firmengruppe“ im Zeitpunkt der Ausschreibung, d.h. im Jahr 2015 bestanden. Zu diesem Zeitpunkt lagen zwischen der Antragstellerin und Mitbietern weder die Voraussetzungen eines Konzerns (§§ 18, 19 AktG) noch die eines faktischen Konzerns (§§ 15 ff. AktG) vor.
41(5) Entgegen der von der Antragsgegnerin im Termin vor dem Senat geäußerten und durch nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 16.11.2015 vertiefend dargelegten Meinung der Antragsgegnerin ergibt sich die Zulässigkeit der in Ziffer 6 des Angebotsvordrucks verlangten Erklärung weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung aus § 4 Abs. 2 VOF. Die Antragsgegnerin verkennt, dass § 4 Abs. 2 VOF, wonach Bewerber oder Bieter verpflichtet werden können, Auskünfte darüber zu geben, ob und auf welche Art sie wirtschaftlich mit Unternehmen verknüpft sind oder ob und auf welche Art sie auf den Auftrag bezogen in relevanter Weise mit Anderen zusammenarbeiten, auf die Ausschreibung von Bauaufträgen nach der VOB/A-EG nicht übertragbar ist. Nach § 4 Abs. 2 VOF, zweiter Spiegelstrich, können Bewerber oder Bieter verpflichtet werden, Auskünfte darüber zu geben, ob und auf welche Art sie auf den Auftrag bezogen in relevanter Weise mit Anderen zusammenarbeiten. Diese Vorschrift, die die VOB/A-EG nicht vorsieht, beruht auf einer mit Bauausschreibungen – wie hier – nicht vergleichbaren Sach- und Interessenlage. § 4 Abs. 2 VOF dient dem Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen durch widerstreitende Interessen und stellt demzufolge auf die Zusammenarbeit mit Anderen in Bezug auf den ausgeschriebenen Auftrag ab. § 4 Abs. 2 VOF betrifft wirtschaftliche Verknüpfungen freiberuflicher Bieter mit Unternehmen, die für die Auftragsausführung relevant werden können. Die nach § 4 Abs. 2 VOF möglichen Auskünfte rechtfertigen sich aus der besonderen Bedeutung der Unabhängigkeit bei der Erbringung freiberuflicher Leistungen, insbesondere Kreativleistungen von Drittinteressen (Stolz in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., § 4 VOF Rn. 9 f.). Eine solche Sach- und Interessenlagelage liegt dem Gebot des Geheimwettbewerbs, das durch Ziffer 6 der Angebotsaufforderung gewahrt werden soll, nicht zugrunde. Das Gebot des Geheimwettbewerbs schützt die Vertraulichkeit der Angebotsinhalte zwischen den an der Ausschreibung beteiligten Bietern als wesentliches und unverzichtbares Kennzeichen einer Auftragsvergabe im Wettbewerb (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.02.2013, VII-Verg 31/12; Beschl. v. 16.09.2003, Verg 52/03; Dreher in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 2 GWB, Teil 2, § 97 Rn. 12.). Dieser Zweck schließt eine entsprechende Anwendung von § 4 Abs. 2 VOF im Streitfall aus.
42III. Das weitere Vorbringen der Beteiligten in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen vom 14.12. und 15.12.2015 sowie vom 01.02., 02.02., und 09.02.2016, das sich im Wesentlichen in vertieften Rechtsausführungen erschöpft, gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 Abs. 2 ZPO.
43IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 128 Abs. 3, Abs. 4, § 78, § 120 Abs. 2 GWB. Die Antragstellerin ist an den Kosten und Aufwendungen im Verfahren vor der Vergabekammer sowie den Kosten des Beschwerdeverfahrens bezüglich des Loses Nr. 2 wegen der Rücknahme des Antrags auf Zuschlagserteilung und Zurückversetzung hälftig zu beteiligen.
44Der Beschwerdewert wird auf 15.595,38 € festgesetzt.
45D. B. R.
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