Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - VI - 3 Kart 110/14 (V)
Tenor
Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 21.03.2014 (BK6-12-027) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der der Bundesnetzagentur entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Betroffene.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
1
Gründe
A.
2Die Betroffene betreibt das „C.“, eine 250 km lange 450 kv-Gleichstrom-Verbindungsleitung zwischen Deutschland und Schweden. Auf deutscher Seite ist das auf 600 MW ausgelegte Kabel an das Übertragungsnetz der B. angebunden. Die Anteile der Betroffenen werden seit 2010 von der T. AS, einem vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen, gehalten. Die Übertragungskapazität der Stromleitung wird an den Strombörsen versteigert; die Engpasserlöse aus der Versteigerung dienen der Betroffenen als Einnahmequelle.
3Nach mehreren Gesprächen und Schriftwechsel hatte die Bundesnetzagentur die Betroffene mit Schreiben vom 15.03.2012 erneut darauf hingewiesen, dass eine Zertifizierung erforderlich sei und aufgefordert, Antragsunterlagen für ein Zertifizierungsverfahren gemäß § 4a Abs. 1 S. 3 EnWG vorzulegen. Mit Schreiben vom 18.05.2012 hat die Betroffene Bezug nehmend auf das Schreiben der Bundesnetzagentur die Feststellung begehrt, dass sie keiner Zertifizierung als Transportnetzbetreiber bedürfe und beantragt, das Verfahren im Hinblick auf laufende Verkaufsverhandlungen ruhend zu stellen. Die Bundesnetzagentur hat die Betroffene dann mit Schreiben vom 17.05.2013 aufgefordert, Zertifizierungsunterlagen einzureichen.
4Am 01.08.2013 hat die Bundesnetzagentur schließlich von Amts wegen ein Zertifizierungsverfahren gegen die Betroffenen eingeleitet und in der Folge den streitgegenständlichen Zertifizierungsbeschluss am 21.03.2014 erlassen. Die Europäische Kommission hat zu dem Beschlussentwurf am 23.01.2014 Stellung genommen und sich der Auffassung der Bundesnetzagentur angeschlossen.
5In dem Bescheid bestimmt die Bundesnetzagentur, dass die Zertifizierung nicht erteilt wird. Die Betroffene sei als Transportnetzbetreiber einzustufen, habe aber nicht eine Organisation entsprechend den Entflechtungsvorgaben der §§ 8, 9 oder 10 – 10e EnWG nachgewiesen. Sie betreibe mit der Ostsee-Leitung ein Übertragungsnetz und sei daher zur Zertifizierung verpflichtet. Der Gesetzgeber habe mit dem Einschub „einschließlich grenzüberschreitender Verbindungsleitung“ klarstellen wollen, dass diese Leitungen Teil des Übertragungsnetzes seien (BT-Drs. 342/11, S. 54). In der Gesetzesbegründung seien Gleichstromleitungen ausdrücklich genannt. Daher sei eine einzelne Leitung als Transportnetz einzustufen. Auch die Verbindung zweier nationaler Übertragungsnetze diene der Belieferung von Letztverbrauchern im Sinne des § 3 Nr. 32 EnWG. Art. 17 der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 verdeutliche, dass eine einzelne Verbindungsleitung als Betrieb eines Übertragungsnetzes einzuordnen sei.
6Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Betroffene gegen den Bescheid. Neben einer Anfechtungsbeschwerde sei hilfsweise eine Feststellungsbeschwerde statthaft, weil bei einer erfolgreichen Anfechtungsbeschwerde der Umstand, dass die Betroffene keiner Zertifizierung bedürfe, nicht zwangsläufig in Rechtskraft erwachse.
7Die Bundesnetzagentur sei für die Zertifizierungsentscheidung nicht zuständig, sondern die schwedische Regulierungsbehörde. Art. 10 Abs. 2 Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie formuliere, dass „die nationale Regulierungsbehörde“ (Singular) zuständig sei. Dies sei die Regulierungsbehörde im Sitzland des Netzbetreibers. Auch der Schutzzweck des EnWG sei nicht tangiert, weil die Betroffene keine Netznutzer habe, daher nicht diskriminierend tätig werden könne. Sie betreibe mit Hilfe der „O. AS“ lediglich das sog. Market Coupling, bei dem die Kapazitäten über die deutschen und schwedischen Strombörsen gehandelt und im Wege einer impliziten Auktion vergeben werden. Es erfolge keine Kapazitätsvergabe an individuelle Netznutzer, eine Diskriminierung sei daher ausgeschlossen. Im Übrigen wolle die Betroffene die Leitung maximal auslasten, was ihr aber wegen rechtswidrigen Verhaltens des Übertragungsnetzbetreibers am Netzverknüpfungspunkt nicht immer möglich sei. Eine Zuständigkeit der Bundesnetzagentur ergebe sich auch nicht aufgrund des Auswirkungsprinzips (§ 109 Abs. 2 EnWG). Im Übrigen knüpfe die Zertifizierungsentscheidung nicht an den Betrieb des Netzes an, sondern an die organisatorische Ausgestaltung des Netzbetreibers. So enthielten die Entflechtungsregeln gesellschaftsrechtliche Vorgaben. Eine konkurrierende Zuständigkeit verschiedener nationaler Regulierungsbehörden könne zu Problemen führen, etwa wegen sich widersprechender gesellschaftsrechtlicher Vorgaben. Eine Zuständigkeit der Bundesnetzagentur könne auch nicht aus § 54 Abs. 1 - 3 EnWG hergeleitet werden, weil diese Vorschrift nur gelte, soweit das EnWG den Regulierungsbehörden die Zertifizierungsentscheidung übertragen habe. Dies sei jedoch bei der Zertifizierung eines ausländischen Transportnetzbetreibers nicht der Fall. Auch das Territorialitätsprinzip stehe einer Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur entgegen, weil der Anwendungsbereich auf das deutsche Hoheitsgebiet beschränkt sei und hier Anknüpfungspunkt die organisatorische und gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung der ausländischen Betroffenen infrage stehe. Es könne daher nicht auf die Belegenheit der Transportleitung abgestellt werden. Andernfalls wäre eine Vielzahl von Regulierungsbehörden zuständig. Ferner verbiete das Einmischungsverbot eine Entflechtungsentscheidung durch die Bundesnetzagentur. Gegebenenfalls sei die Sache dem EuGH vorzulegen.
8Auch die europarechtliche Harmonisierung der Zertifizierungsvorgaben stehe entgegen. Art. 10 Abs. 2 S. 1 Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie verdeutliche, dass ein Transportnetzbetreiber nur einmalig durch eine nationale Regulierungsbehörde zertifiziert werden solle. Das europäische Recht sehe eine Mehrfachzuständigkeit nur in Ausnahmefällen vor, z.B. für neue Verbindungsleitungen nach Art. 17 VO (EG) 714/2009, wobei dann etwaige Konflikte durch Einschaltung der ACER beigelegt werden sollten. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Betroffene sich mit der schwedischen Regulierungsbehörde abgestimmt habe. Die Betroffene sei zu keinem Zeitpunkt darüber informiert worden, ob und in welchem Umfang eine Abstimmung stattgefunden habe.
9Die Betroffene sei nicht als Betreiber eines Übertragungsnetzes im Sinne des § 3 Nr. 10 EnWG zu qualifizieren. Der Transport von Energie über eine einzige Verbindungsleitung falle nicht unter § 3 Nr. 32 und Nr. 35 EnWG. Der Begriff „einschließlich“ in § 3 Nr. 32 EnWG zeige, dass eine Verbindungsleitung Teil eines Übertragungsnetzes sein müsse, eine Leitung allein das Merkmal nicht erfülle. Die Ergänzung verstoße auch gegen Art. 2 Nr. 3 der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie (Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009, „Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie“), weil die Ergänzung in § 3 Nr. 32 EnWG „einschließlich grenzüberschreitender Verbindungsleitungen“ in der Richtlinie nicht erwähnt sei. Die in der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie genannten Begriffe, hier „Verbindungsleitung“, verwende jedoch Art. 2 Abs. 1 StromhandelZVO (Verordnung (EG) Nr. 714/2009 vom 13.07.2009), die als europarechtliche Regelung den nationalen Gesetzgeber binde. Eine bloße Integration in das europäische Verbundnetz genüge nicht. Soweit in den Gesetzesmaterialien ausgeführt werde, dass auch ein Unternehmen, das lediglich über eine Verbindungsleitung verfüge, ein Übertragungsnetz betreibe, sei dies jedenfalls nicht im Gesetz umgesetzt worden. Auch aus Art. 17 StromhandelZVO, wonach neue Gleichstrom-Verbindungsleitungen für eine begrenzte Dauer von den Entflechtungsbestimmungen befreit werden könnten, könne nichts hergeleitet werden. So gelte die Norm nicht für „alte“ Verbindungsleitungen und nur für solche Leitungen, die Teil eines Verbundnetzes seien.
10Die Leitung diene auch nicht der Belieferung von Letztverbrauchern oder Verteilern gemäß § 3 Nr. 32 EnWG, weil sie lediglich zwei nationale Übertragungsnetze verbinde. Die Betroffene vereinnahme keine Netzentgelte, verdiene lediglich durch die Engpasserlöse. Sie sei auch nicht für Betrieb, Wartung und den Ausbau eines Übertragungsnetzes in einem bestimmten Gebiet gemäß § 3 Nr. 10 EnWG verantwortlich. So fehle es schon an dem Merkmal „in einem bestimmten Gebiet“. Die Betroffene übernehme ferner nicht die für einen Übertragungsnetzbetreiber verpflichtende Regelzonenverantwortlichkeit. Sinn und Zweck der Entflechtungsregeln erforderten ebenfalls keine Zertifizierung, weil ein Diskriminierungspotenzial nicht gegeben sei.
11Die Betroffene beantragt,
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1. den Beschluss vom 21.03.2014, Aktenzeichen BK6-12-027, aufzuheben,
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2. hilfsweise für den Fall, dass der Senat dem Antrag zu 1. nur aus materiellen Gründen stattgibt, festzustellen, dass die Betroffene kein Transportnetzbetreiber im Sinne von § 4a EnWG ist und daher keiner Zertifizierung gemäß § 4a Abs. 1 S. 1 EnWG bedarf.
Die Bundesnetzagentur beantragt,
17die Beschwerde zurückzuweisen.
18Sie verweist auf die Gründe ihres Beschlusses und meint, sie sei für die Zertifizierungsentscheidung zuständig. So gehe auch die Europäische Kommission in ihrer Stellungnahme hiervon aus und weise darauf hin, dass die Bundesnetzagentur eng mit der schwedischen Energieregulierungsbehörde zusammenarbeiten solle, um eine Lösung zu finden, die sobald wie möglich den unabhängigen Betrieb der Betroffenen sicherstelle und eine Zertifizierung in Deutschland und in Schweden ermögliche. § 57 Abs. 2 S. 2 ‑ 4 EnWG verdeutliche, dass die Bundesnetzagentur entscheiden könne (vgl. BT-Drs. 17/6072, S. 90). Es komme für die Zuständigkeit nicht auf den Sitz der Betroffenen, sondern auf die Belegenheit der Leitung an, weil andernfalls absurde Ergebnisse entstünden, wenn etwa ein Eigentümer seinen Sitz in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat verlege. Im Übrigen sei es nicht ungewöhnlich, dass bei Sachverhalten, die mehrere Mitgliedstaaten beträfen, die jeweiligen Regulierungsbehörden entweder koordiniert oder eigenständig nebeneinander entschieden (z.B. Verbindungsleitungs-Verfahren BBL Company VOF und Interconnector (UK) Ltd.). Auch im vorliegenden Fall habe sich die Bundesnetzagentur ‑ was der Betroffenen bekannt sei ‑ im Vorfeld mit der schwedischen Regulierungsbehörde abgestimmt. Die schwedische Behörde habe keine Bedenken geäußert, dass die Bundesnetzagentur ein Zertifizierungsverfahren einleite. Im Übrigen sei die schwedische Regulierungsbehörde bisher nicht aktiv geworden, und die Betroffene habe dort auch keinen Zertifizierungsantrag gestellt.
19Die Betroffene betreibe ein Transportnetz im Sinne des § 3 Nr. 31d EnWG und sei daher zertifizierungspflichtig. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass die Ergänzung „einschließlich grenzüberschreitender Verbindungsleitungen“ habe klarstellen sollen, dass grenzüberschreitende Leitungen Teil des Übertragungsnetzes seien. Sie sei ferner als Betreiber eines Übertragungsnetzes im Sinne des § 3 Nr. 10 EnWG einzuordnen. Der Begriff sei nicht auf mehrere Leitungen beschränkt. So sei es im Gasbereich unstreitig, dass auch eine einzelne Hochdruckleitung „ein Netz“ darstelle (z.B. Nordeuropäische Erdgasleitung, NEL, vgl. auch Art. 22 der Richtlinie 2003/55 (EG)). Auch das Merkmal „in einem bestimmten Gebiet“ sei durch die grenzüberschreitende Verbindung, im Sinne eines großen Landschaftsteils oder einer Region, gegeben. Die von der Betroffenen betriebene Leitung sei in ein Verbundnetz, in das europäische Verbundnetz, eingebunden (§ 3 Nr. 35 EnWG). Die Leitung diene der Belieferung von Letztverbrauchern oder Verteilern (§ 3 Nr. 32 EnWG), ein direkter Anschluss der Letztverbraucher an die streitgegenständliche Leitung sei, wie typischerweise bei vorgelagerten Netzen, nicht erforderlich.
20Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liege nicht vor. Art. 2 Abs. 1 StromhandelZVO mache deutlich, dass als „Verbindungsleitung“ Übertragungsleitungen einzustufen seien. Der deutsche Gesetzgeber gehe auch nicht über die unionsrechtlichen Vorgaben hinaus. Art. 17 StromhandelZVO verdeutliche, dass Gleichstrom-Verbindungsleitungen im Grundsatz dem regulatorischen Rahmen der Entflechtung unterlägen. Art. 16 Abs. 6 StromhandelZVO lasse nur im Ausnahmefall und nach Genehmigung durch die Regulierungsbehörde zu, dass Einnahmen aus der Vergabe von Verbindungen als Einkünfte genutzt würden und nicht wieder in die Leitungspflege flössen. Dies diene dem in der StromhandelZVO genannten Ziel der Versorgungssicherheit. Schließlich sprächen Sinn und Zweck der Entflechtungsvorschriften für eine Zertifizierungspflicht. Anreize für ein diskriminierendes Verhalten müssten von vornherein ausgeschlossen werden (Erwägungsgründe 9 und 11 Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie). Hier bestehe ein Diskriminierungspotenzial insbesondere deshalb, weil die Betroffene in das Mutterunternehmen T. AS vertikal integriert sei. Die Verbindungsleitung könne dazu genutzt werden, Preise grenzüberschreitend gezielt durch „Market Coupling“ zu manipulieren.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze mit Anlagen, den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Bundesnetzagentur sowie das Protokoll der Senatssitzung Bezug genommen.
B.
22Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
I.
23Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und als Anfechtungsbeschwerde statthaft (§§ 75 Abs. 1, 78 Abs. 1, 3, 83 Abs. 2 S. 1 EnWG).
II.
24Die Beschwerde ist unbegründet.
25Die Bundesnetzagentur geht zutreffend davon aus, dass die Betroffene als Transportnetzbetreiber den Zertifizierungsregeln unterliegt und sie bislang nicht nachgewiesen hat, dass sie entsprechend den Entflechtungsvorgaben organisiert ist.
261.
27Gemäß § 4a Abs. 1 EnWG bedarf der Betrieb eines Transportnetzes der Zertifizierung durch die Regulierungsbehörde. Nach § 4a Abs. 3 EnWG erteilt die Regulierungsbehörde die Zertifizierung, wenn der Transportnetzbetreiber nachweist, dass er entsprechend den Entflechtungsvorgaben der §§ 8 oder 9 oder der §§ 10 – 10e EnWG organisiert ist.
28Die Bundesnetzagentur hat hier sachgerecht das Zertifizierungsverfahren gemäß § 4a Abs. 1 S. 2 3. Alt. EnWG von Amts wegen eingeleitet, nachdem die Betroffene sich zuvor erkennbar geweigert hatte, selbst einen entsprechenden Antrag zu stellen.
2.
29Die Bundesnetzagentur ist für das Zertifizierungsverfahren zuständig. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten besteht in Zertifizierungsfällen keine ausschließliche Zuständigkeit nur einer Regulierungsbehörde.
30Die Betroffene weist zunächst durchaus nachvollziehbar darauf hin, dass es bei grenzüberschreitenden Sachverhalten auf europäischer Ebene in Einzelfällen zu Abstimmungsschwierigkeiten und Widersprüchen kommen könnte. Der deutsche Gesetzgeber hat dieses Problem gesehen und mit der Erweiterung des § 57 EnWG europäische Vorgaben umgesetzt und Abstimmungs- und Koordinierungspflichten, auch durch Einbindung der ACER, zwischen den jeweiligen nationalen Regulierungsbehörden geregelt (Groebel in Säcker, Energierecht, 3. Auflage, § 57, Rn. 1 ff., 8, 10, 27, 42). Auf diese Weise soll erreicht werden, dass auf europäischer Ebene eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen nationalen Behörden stattfindet. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch auch, dass gerade keine ausschließliche Zuständigkeit einzelner nationaler Regulierungsbehörden geschaffen werden sollte.
31Es kann offen bleiben, ob die Bundesnetzagentur deshalb zuständig ist, weil ein wesentlicher Teil der Verbindungsleitung als nicht unerheblicher Baustein einer sicheren Stromversorgung auf deutschem Hoheitsgebiet verläuft oder weil ein Unternehmen mit Sitz im Ausland kontrolliert werden soll, dessen Verhalten sich im Inland auswirkt.
32Jedenfalls wirkt sich das Verhalten der Betroffenen im Inland maßgeblich aus, so dass sich nach dem Auswirkungsprinzip eine Zuständigkeit der Bundesnetzagentur ergibt (vgl. zum Auswirkungsprinzip § 109 Abs. 2 EnWG; Markert in Säcker, Energierecht, 3. Auflage, § 109, Rn. 5 ff.; Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, 3. Auflage, § 109, Rn. 12 ff.). Anders als die Betroffene meint, stehen Zertifizierung und Netzbetrieb nicht isoliert nebeneinander, sondern bilden zusammen die Grundlage, um einen diskriminierungsfreien Netzbetrieb sicherzustellen. So besteht schon aufgrund der Bedeutung der Verbindungsleitung durchaus ein Diskriminierungspotenzial. Ein Diskriminierungsrisiko kann sich insbesondere dadurch ergeben, dass aufgrund einer bestimmten Unternehmensstruktur Netz, Erzeugung und Vertrieb nicht ausreichend getrennt sind. Die Gefahr kann unabhängig davon bestehen, ob die Unternehmensgruppe nach deutschem oder ausländischem Recht organisiert ist. Die Folgen wirken sich im Inland aus. Die Trennung von Netz-Erzeugung-Vertrieb war der wesentliche Grund zur Einführung der Zertifizierungsregeln. Es ist daher auch der Schutzzweck des EnWG berührt, insbesondere bei grenzüberschreitenden Leitungen, denen im Rahmen einer gesicherten europaweiten Stromversorgung eine besondere Bedeutung zukommt. Ob die Betroffene tatsächlich diskriminierend handelt, handeln will oder nicht, ist hierbei unerheblich. Es genügt eine abstrakte Gefahr.
33Mithilfe der u. a. in § 57 EnWG zwischen den nationalen und europäischen Regulierungsbehörden vorgesehenen Abstimmungs- und Koordinierungsregeln wird im Regelfall sichergestellt, dass es nicht zu widersprüchlichen Regulierungsentscheidungen kommen wird. Im Übrigen stellt sich im vorliegenden Fall dieses Problem schon deshalb nicht, weil die schwedische Behörde – soweit ersichtlich ‑ kein Interesse daran hatte, neben der Bundesnetzagentur eine Zertifizierung zu prüfen. Nicht nachvollziehbar ist im Übrigen die Behauptung der Betroffenen, sie sei zu keinem Zeitpunkt darüber informiert worden, ob und in welchem Umfang eine Abstimmung der beiden Regulierungsbehörden stattgefunden habe. Vielmehr hat die Bundesnetzagentur zutreffend darauf hingewiesen, dass ‑ wie aus dem Verwaltungsvorgang erkennbar ist ‑ die Betroffene in die Abstimmungsgespräche eingebunden gewesen war (vgl. Bl. 1, 12 ff. VV).
34§ 57 EnWG verstößt auch nicht gegen europäische Vorgaben, so dass eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht in Betracht kommt. Vielmehr entspricht die deutsche Regelung europäischem Recht. Entgegen der Auffassung der Betroffenen kann für eine ausschließliche Zuständigkeit nur einer nationalen Behörde nichts aus Art. 10 Abs. 2 Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie hergeleitet werden. Die Vorschrift regelt ersichtlich den „typischen Normalfall“, bei dem ein inländischer Netzbetreiber in einem Mitgliedsland tätig ist.
35Die zahlreichen Abstimmungs- und Koordinierungsregeln der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie verdeutlichen, dass auch das europäische Recht nicht von der ausschließlichen Zuständigkeit nur einer nationalen Regulierungsbehörde ausgeht. So nimmt Art. 36 Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie eine mögliche Mehrfachzuständigkeit verschiedener nationaler Regulierungsbehörden an. Nach dieser Norm trifft die jeweilige Regulierungsbehörde die erforderlichen Maßnahmen „gegebenenfalls in engen Benehmen mit anderen einschlägigen nationalen Behörden“ und verweist hierbei unter anderem auch auf den „Aufbau geeigneter grenzüberschreitender Übertragungskapazitäten“ (Art. 36 c), Art. 37 c) Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie). Der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie liegt die Erwägung zugrunde, dass ‑ wenn schon eine ausschließliche Zuständigkeit einzelner nationaler Regulierungsbehörden bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht erreichbar ist ‑ die nationalen Behörden sich jedenfalls soweit wie möglich abstimmen und koordinieren sollen (vgl. Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 a) Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie).
36Von einer Mehrfachzuständigkeit verschiedener Regulierungsbehörden gehen im Übrigen auch Art. 8 und 9 VO (EG) 719/2009 („ACER-VO“) aus, wonach eine Entscheidungsmöglichkeit durch die ACER vorgesehen ist, sofern nationale Regulierungsbehörden sich nicht einigen (vgl. hierzu: Groebel in Säcker, Energierecht, 3. Auflage, § 57, Rn. 13 Fn.). Art. 17 VO (EG) 714/2009 ist vor diesem Hintergrund keine Ausnahmeregelung, sondern konkretisiert für bestimmte Fälle die Zusammenarbeit nationaler Regulierungsbehörden, dort für den praktisch wichtigen Fall neuer grenzüberschreitender Verbindungsleitungen. Die von der Bundesnetzagentur geschilderten Fälle zeigen, dass diese Auffassung auch der auf europäischer Ebene gelebten Praxis entspricht (vgl. die Stellungnahmen der Europäischen Kommission vom 11.03.2013, Zertifizierung BBL Company VOF, und vom 20.08.2015, Interconnector (UK) Ltd.).
3.
37Die Betroffene betreibt mit der Ostsee-Leitung C. ein Transportnetz und bedarf daher der Zertifizierung. Auch der Betrieb einer einzelnen grenzüberschreitenden Höchstspannungs- oder Hochspannungsstromleitung ist als Transportnetz im Sinne des EnWG einzuordnen.
38§ 3 Nr. 10 EnWG definiert als Betreiber von Übertragungsnetzen solche Energieversorgungsunternehmen, die die Aufgabe der Übertragung von Elektrizität wahrnehmen und die verantwortlich sind für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Übertragungsnetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen. Der Wortlaut der Vorschrift ist weit gefasst und umfasst auch den Betrieb einer einzelnen Höchstspannungs- oder Hochspannungsleitung. Die Betroffene meint unzutreffend, dass der Begriff „in einem bestimmten Gebiet“ einschränkend in dem Sinne auszulegen sei, dass ein räumlich „breites“ Gebiet erforderlich sei, um als Übertragungsnetz eingestuft werden zu können. Eine derartige Einschränkung ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Ein Stromnetz muss kein verzweigtes System von Leitungen sein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.04.2006, RdE 2006, 196). Auch der Bundesgerichtshof hat deutlich gemacht, dass der Netzbegriff weit zu verstehen und vor dem Hintergrund der Versorgungsfunktion auszulegen sei (BGH, Beschluss vom 18.10.2011, EnVR 68/10, GuT 2012, 144). Die Leitung der Betroffenen ist nicht von untergeordneter Bedeutung, sondern leistet einen nicht unerheblichen Beitrag zur Systemsicherheit und Elektrizitätsversorgung in Deutschland und Europa.
39§ 3 Nr. 32 EnWG stützt dieses Verständnis und hat insbesondere grenzüberschreitende Verbindungen im Blick. Die Begriffsbestimmung stuft als Übertragung den Transport von Elektrizität über ein Höchstspannungs- und Hochspannungsverbundnetz einschließlich grenzüberschreitender Verbindungen zum Zwecke der Belieferung von Letztverbrauchern oder Verteilern ein. Bei der Definition wird nicht auf ein einzelnes Netz abgestellt, sondern allgemein der Begriff der „Übertragung“, die Funktionsweise definiert, wie der Verweis auf ein „Verbundnetz“ deutlich macht. Nach § 3 Nr. 35 EnWG ist ein Verbundnetz nicht ein Netz eines einzelnen Netzbetreibers, sondern eine Anzahl von Übertragungs- und Elektrizitätsverteilernetzen, also im Kern das Stromnetz insgesamt. Auch die Ergänzung „einschließlich grenzüberschreitender Verbindungen“ in § 3 Nr. 32 EnWG schließt nach dem Wortlaut nicht aus, dass eine einzelne Leitung als Übertragungsnetz verstanden werden kann. Im Gegenteil, vielmehr hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch diese Leitungen aufgrund ihrer Bedeutung für das Stromnetz vom Übertragungsnetz erfasst sein sollen.
40Die Verbindungsleitung dient auch der „Belieferung von Letztverbrauchern oder Verteilern“ (vgl. § 3 Nr. 32 EnWG). Die Leitung der Betroffenen ist in das europäische Stromnetz eingebunden, bei dem die Höchstspannungs- und Hochspannungsleitungen erforderlich sind, entsprechende Verteilernetze und dann Letztverbraucher mit Strom zu beliefern. Ein unmittelbarer Anschluss eines Übertragungsnetzes an Letztverbraucher ist im Übrigen die Ausnahme als die Regel. Die Betroffene hat erläutert, dass der von ihr transportierte Strom über die europäischen Strombörsen vermarktet werde. Dieser Strom fließt zum Letztverbraucher und in die Verteilernetze. Es ist auch für die Frage, ob die Leitung ein Transportnetz ist, ohne Bedeutung, auf welche Weise die Betroffene die Leitung finanziert und mit ihr Erträge erwirtschaftet. Ferner stellt der Umstand, dass die Betroffene nicht für eine bestimmte Regelzone verantwortlich ist, die Einordnung als Transportnetz nicht infrage.
41Die Gesetzeshistorie macht ebenfalls klar, dass grenzüberschreitende Verbindungen auf Hoch- und Höchstspannungsebene Teil des Übertragungsnetzes sind (so der Einführungssatz der Begründung zu § 3 Nr. 32 EnWG, BT-Drs. 342/11, S. 54). Es wird erläutert, dass grenzüberschreitende Verbindungsleitungen – unabhängig davon, wer sie betreibt – der Übertragung von Elektrizität zuzurechnen seien. Die Gesetzesbegründung führt aus, dass auch dann, wenn ein Unternehmen lediglich eine oder mehrere Verbindungsleitungen betreibe, dies das Übertragungsnetz dieses Netzbetreibers darstelle (BT-Drs. 342/11, S. 54). Der Gesetzgeber hatte damit die Vorstellung, dass auch eine einzelne Verbindungsleitung ein Übertragungsnetz sei. Er hat dies dann in die Begriffsdefinition übernommen.
42Ferner stehen die europäischen Regeln einem derartigen Verständnis nicht entgegen. Dass § 3 Nr. 32 EnWG mit der Ergänzung „einschließlich grenzüberschreitende Verbindungsleitungen“ insoweit von der Definition des Art. 2 Nr. 3 Elektrizitätsrichtlinie i.V.m. Art. 2 Abs. 1 StromhandelZVO abweicht, ändert nicht den Anwendungsbereich, sondern dient vielmehr der Klarstellung. Dass grenzüberschreitende Leitungen erläuterungsbedürftig waren, zeigt die Definition des Begriffs der „Verbindungsleitung“ in Art. 2 Abs. 1 StromhandelZVO. Auch aus Art. 16 und 17 StromhandelZVO kann die Betroffene nichts für ihre Rechtsauffassung herleiten. Vielmehr wird deutlich, dass grenzüberschreitende Leitungen reguliert und nur in einem vergleichsweise engen Anwendungsbereich Ausnahmen zugelassen werden sollen.
43Ferner ist nach Sinn und Zweck die von der Betroffenen betriebene Leitung als Übertragungsnetz einzuordnen. So ist bereits nicht erklärbar, wieso etwa eine besonders leistungsstarke singuläre Stromleitung nicht als Übertragungsnetz einzustufen sein sollte, hingegen aber mehrere geringer dimensionierte Übertragungsleitungen. Auch besteht potenziell eine Diskriminierungsgefahr, weil die Betroffene Teil eines vertikal integrierten Unternehmens ist. Mit der von ihr betriebenen Leitung hat sie die Möglichkeit, die Engpasssituation im europäischen Stromnetz, insbesondere zwischen Deutschland und Schweden, zu beeinflussen. Auch ist nicht auszuschließen, dass Unternehmen geneigt sein könnten, einzelne, gegebenenfalls gerade solche Leitungen, die für die Energieversorgung und Systemsicherheit besonders wichtig sind, gezielt auszugliedern, um so nicht der Entflechtung zu unterfallen und die Regeln zu umgehen. Dies widerspräche dem Schutzzweck der Entflechtungsbestimmungen. Es ist im Übrigen nicht nachvollziehbar, wieso für den Elektrizitätsbereich ein engeres Verständnis als im Gasbereich bei der Auslegung eines Transportnetzes gelten sollte.
4.
44Die Betroffene ist ihren Zertifizierungspflichten nach dem EnWG nicht nachgekommen, weil sie nicht nachgewiesen hat, dass sie die Entflechtungsvorgaben beachtet hat. Die Zertifizierung ist daher zutreffend von der Bundesnetzagentur verweigert worden.
III.
45Da die Bedingung für den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag nicht eingetreten ist, war hierüber nicht mehr zu entscheiden.
IV.
46Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG.
47Den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren setzt der Senat im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung auf 50.000 Euro fest (§ 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO).
48Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen, weil die streitgegenständliche Frage grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG hat.
49Rechtsmittelbelehrung:
50Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 546, 547 ZPO). Sie ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen bei dem Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen eines Monats zu begründen. Die Frist beginnt mit der Einlegung der Beschwerde und kann auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Rechtsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Rechtsbeschwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§§ 88 Abs. 4 Satz 2, 80 Satz 2 EnWG).
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